Expertin zum Wahlrecht

"Das ist ein Reinfall, keine Reform"

Die Wahlrechts-Expertin Sophie Schönberger fordert radikale Korrekturen, um den Bundestag zu verkleinern.
Michael Bröcker
26.08.2020
© Media Pioneer
© Media Pioneer

Sie gehört zu den profiliertesten Experten für das Wahlrecht in Deutschland. Sophie Schönberger ist Staatsrechtlern an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf und hat bereits verschiedene Gutachten zu einer möglichen Reform vorgelegt, im Bundestag war sie Sachverständige. Hier äußert sie sich zu dem Kompromiss der großen Koalition.

Frau Schönberger, die Koalition hat sich auf Korrekturen beim Wahlrecht geeinigt. Ist das eine Reform oder ein Reinfall? Schönberger Für 2021 ist das ein Reinfall, keine Reform. Und auch für 2025 können die Vorschläge nur eine Notlösung sein, eine Mini-Reform. Der Bundestag wäre mit den Vorschlägen für 2021 bei den Ergebnissen von 2017 nicht größer als heute, aber die Wahlergebnisse und Umfragewerte haben sich ja wieder verändert und verschärfen eher das Problem der relativen Mehrheiten in den Wahlkreisen. Damit dürfte der Bundestag 2021 möglicherweise trotz der Korrekturen größer werden. Dass nur drei Überhangmandate nicht ausgeglichen werden sollen, reicht als Reform bei weitem nicht aus.

Warum kommen SPD und Union nicht zusammen? Schönberger Beide packen das Problem nicht an der Wurzel. Man kann beim Wahlrecht nicht wie bei Verhandlungen über Finanzhilfen einen Kompromiss finden. Man kann sich nicht in der Mitte treffen. Es ist eine Systemfrage. Die CDU schnippelt mit ihrem Konzept nur an den Symptomen, die SPD hat selbst zugegeben, dass sie nur eine Zwischenlösung vorschlägt.

Früher galt der Spruch: Wer zuerst stirbt, bekommt das Überhangmandat.

Prof. Sophie Schönberger

Die Koalition will 2021 drei Überhangmandate ausgleichslos lassen, wer bestimmt das? Schönberger Früher galt mal der Spruch: wer zuerst stirbt, hatte das Überhangmandat inne. Im Ernst: Das entscheidet am Ende eine mathematische Formel, welches Mandat nicht verrechnet wird.

© imago

Was ist das Grundproblem, das man angehen müsste? Schönberger Es geht um einen Systemwechsel. Das Wahlrecht passt nicht mehr zur Parteienlandschaft mit vielen, kleineren Parteien und relativ knappen Mehrheiten in den Wahlkreisen. Die Balance zwischen Wahlkreiskandidaten durch die Erststimme und dem Zweitstimmenergebnis ist schon lange nicht mehr gewahrt, so dass Überhang- und dann Ausgleichsmandate entstehen. Wenn Direktkandidaten einen Wahlkreise holen, selbst wenn sie nur mit 25 Prozent der Erststimmen gewählt werden, muss man diskutieren, ob diese Form der Mandatsgarantie noch funktioniert.

Empfehlen Sie uns weiter

Sie können diesen Beitrag mit einem Klick auf die entsprechende Schaltfläche teilen.