Ralph Brinkhaus im Interview

"Die Partei wünscht sich, dass sich die Kandidaten einigen"

Der Fraktionschef von CDU/CSU über den digitalen Bildungsnotstand und die Frage, ob die CDU-Kandidaten sich doch noch vor dem Parteitag einigen.
Michael Bröcker
04.09.2020
© ThePioneer
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Herr Brinkhaus, der Bundesrechnungshof warnt vor einer Kostenlawine bei den Sozialversicherungen. Demnach summieren sich die Mehrausgaben der jüngeren Rentenreformen auf 177 Milliarden Euro bis 2025. Ich frage mich, ob diese große Koalition der künftigen Generation den Hals zuschnürt.

Brinkhaus Wir als Union haben ja immer auch darauf geachtet, dass solche Sachen wie Grundrente zielgenau laufen und nicht mit der Gießkanne verteilt worden sind. Und wir haben jetzt erst einmal ein Konzept bis Mitte des nächsten Jahrzehnts, dass wir bei der Rente relativ sicher sind. Aber wir werden das System natürlich zukunftsfest machen müssen. Wir haben die Ergebnisse der Rentenkommission, die kamen nun einmal jetzt in der Corona-Zeit. Aber die Rente bleibt eine Daueraufgabe. Und wenn wir mal den gröbsten Aufwand bei Corona weggeräumt haben, dann wird das ein erhebliches Thema sein.

Laut Umfragen wird der Union die Wirtschafts- und Finanzkompetenz zugeschrieben. Sollte ein Unions-Kanzlerkandidat 2021 bei möglichen Koalitionsverhandlungen wieder das Finanzministerium für die Union beanspruchen?

Brinkhaus Ehrlich gesagt: Es wäre hilfreich, weil wir durchaus sehen, dass das Amt wichtig ist für die Haushaltsdisziplin. Die Finanzpolitik ist eine Kernkompetenz für die Union, und wenn wir nach der nächsten Wahl wieder im Auto sitzen, dann hoffentlich auf dem Fahrersitz. Dann sollten wir zusehen, dass auch der Beifahrer, der Sitz des Finanzministers, mit einem von uns besetzt ist.

Ein Zukunftsthema ist die Bildungspolitik. Fünf Milliarden Euro wurde für die digital Schule an die Länder ausgereicht, 15 Millionen Euro sind abgerufen. Ist das nicht ein absolutes Versagen der Bildungsrepublik?

Brinkhaus Corona ist ja wie ein Brennglas, unter dem die Probleme offensichtlich werden. Wir müssen Bildung neu denken. Das hat nicht nur etwas mit dem Föderalismus zu tun, sondern wir haben jetzt in Teilen da, wo es gut gelaufen ist durch die Corona-Krise, eine verstärkte Digitalisierung der Bildung. Es wäre fahrlässig, das alles wieder zurückzudrehen. Da waren gute Elemente dabei. Damit meine ich jetzt nicht den Unterricht über die Distanz, sondern dass man gegebenenfalls individueller auf das einzelne Kind eingehen kann. Ich glaube mal, dass dieses klassische Denken, was wir im Bildungsbereich haben, darauf hinauslief: Wir stellen Mauern hin, wir setzen in diese Mauern Lehrer rein, und dann läuft das schon. Das wird nicht zu einem guten Ende führen.

Was meinen Sie konkret?

Brinkhaus Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Wir haben uns immer dafür eingesetzt, dass nicht nur die Schülerinnen und Schüler, sondern auch die Lehrer mit entsprechenden Endgeräten ausgestattet werden. Dass die Lehrer auch eine Umgebung kriegen, wo sie im Bereich Datenschutz auf der sicheren Seite sind. Da gibt es viele Probleme. Und dann hat mal jemand gesagt, wir brauchen eigentlich einen IT-Hausmeister. Warum? Weil das meistens so ist, dass das in der Schule irgendjemand nebenbei noch so mitmacht. Ein Lehrer, der Spaß dran hat oder sonst jemandem. Das ist absurd. Wenn wir einen Hausmeister haben für die Mauer, damit das Dach dicht ist, die Fenster schließen, dann brauchen wir auch einen Hausmeister für die digitale Ausstattung.

Wenn es dumm läuft, haben Sie zwei Schulen, die nebeneinander stehen, die sich für unterschiedliche Strategien entscheiden.

Ralph Brinkhaus

Die andere Sache ist, und das werden wir diskutieren müssen mit den Ländern: Macht es wirklich Sinn, dass in einer Zeit, wo wir als Wettbewerber noch nicht mal unsere europäischen Partner, sondern China, Indien oder sonst jemand haben, 16 Bundesländer sich unterschiedliche Dinge ausdenken?

Selbst die einzelnen Schulträger agieren ja unterschiedlich. Wenn es dumm läuft, haben Sie zwei Schulen, die nebeneinander stehen, die sich für unterschiedliche Strategien entscheiden. Ich glaube, das ist nicht gut. Ich habe großen Respekt vor Föderalismus. Aber mein dringender Appell an alle Schulminister lautet: Setzt euch in der Kultusministerkonferenz zusammen und entscheidet über Standards. Wir haben viel zu viel Flickenteppich. Das ist übrigens eine Rückmeldung, die ich sehr oft von Bürgerinnen und Bürgern kriege. Und jetzt haben wir, wie es so schön heißt, eine Disruption. Disruption kann man nutzen, um Bildung neu zu denken.

Was kann der Bund konkret tun? Wie kann man die Kultusministerkonferenz aufwerten?

Brinkhaus Erstmal kann die Kultusministerkonferenz sich selbst aufwerten, indem sie bei möglichst vielen Dingen eine einheitliche Linie findet. Wenn dann diese einheitliche Linie mit technischen Ressourcen unterlegt werden muss, beispielsweise einer Schul-Cloud wie sie das Hasso-Plattner-Institut vorschlägt und gebaut hat, dann kann der Bund auch helfen. Das Schlimmste wäre, wenn in drei, vier, fünf Jahren der Zeitpunkt gekommen ist, wo alle in einer Google-, Amazon- oder sonstigen Cloud sitzen und die Schule dann nicht mehr von den Kultusministern hier in den Ländern organisiert wird, sondern vom Silicon Valley.

Sind Sie eigentlich zufrieden mit der öffentlichen Wirkung der Bundesbildungsministerin bei diesem wichtigen Zukunftsthema?

Brinkhaus Die Bundesbildungsministerin hat das Problem, dass sie für alles verantwortlich gemacht wird, aber die Kompetenzen für Bildung zu 95 Prozent oder in einigen Bereichen sogar zu 100 Prozent bei den Ländern liegen.

Das Problem hatten ihre Vorgängerinnen auch, sie waren trotzdem öffentlich druckvoller.

Brinkhaus Ich erlebe das jetzt schon, dass Anja Karliczek in vielen Bereichen sehr druckvoll agiert. Und wenn man sich den Bereich Forschung und Bildung anschaut, hat sie für die nächsten zehn Jahre hinaus Planungssicherheit im Bereich der Forschung, der Grundlagenforschung, der angewandten Forschung erreicht. Wir haben jetzt einen Durchbruch erzielt, auch bei den Koalitionsverhandlungen im Bereich Wasserstoff. Aber wie gesagt, beim Thema schulische Bildung, was wirklich alle Leute bewegt, da müssen wir jetzt ran. Ich glaube, das ist wirklich das heiße Thema.

Alexander Dobrindt und Ralph Brinkhaus bei der Klausur des Fraktionsvorstands von CDU und CSU im Berliner Westhafen am 2. September.  © dpa

Eine kleine Personalfrage zum Abschluss. Die CDU sucht ja einen neuen Vorsitzenden und vielleicht auch einen Kanzlerkandidaten. Ende des Jahres soll es den Parteitag geben. Ihre persönliche

Meinung? Wird es einen geben mit physischer Präsenz?

Brinkhaus Ja, wir werden einen Parteitag mit physischer Präsenz haben. Wir haben ja schon im Rahmen unserer Vorstandsklausur im kleineren Rahmen entsprechend geübt. Und ich denke mal, das kriegen wir hin. Das kriegen wir auch hin mit einer Halle, die groß genug ist.

Sehnsucht, dass die Kandidaten ihre Qualitäten zusammenbringen

Jetzt aber zur Personalfrage. Es gibt zwei Denkschulen. Die einen sagen, wir brauchen Zusammenhalt, bitte Kandidaten einigt euch vorher. Und die anderen sagen Wettbewerb tut gut, da sollen ruhig zwei oder drei gegeneinander um den Vorsitz antreten. Welcher Schule gehören Sie an?

Brinkhaus Ich finde, dass Wettbewerb guttut. Aber ich merke auch jetzt in den Gesprächen mit der Parteibasis, dass doch eine sehr, sehr große Sehnsucht da ist. Dass es besser ist, wenn alle ihre Qualitäten zusammenbringen, als dass man hinterher Gewinner und Verlierer hat. Wir sind mit den Kandidaten breit aufgestellt, von der Wirtschaftskompetenz bis hin zur Kompetenz bei Integrationsfragen. Und das ist eine Sache, die man dann auch nutzen muss. Insofern besteht in der Partei eine Sehnsucht danach, nach einem starken Team und einem Vorsitzenden, nicht nach einem Vorwahlkampf, der ja gegebenenfalls dann auch teilweise nicht so schön wird. Da ist die Stimmung momentan nicht da. Wir bekommen sehr, sehr viele positive Rückmeldungen, ihr regiert, ihr entscheidet und ihr beschäftigt euch nicht mit euch selbst. Und das möchten viele Mitglieder sich nicht dadurch kaputt machen lassen, dass wir uns im Herbst nur noch mit uns selbst beschäftigen.

Wünschen Sie sich also, dass die Herren sich im Vorfeld einigen?

Brinkhaus Ich wünsche mir, dass es eine Einigung gibt und dass wir gemeinsam in das nächste Jahr gehen. Ohne Verlierer.

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