herzlich willkommen zu unserem Briefing aus der Hauptstadt - direkt von der Pioneer One.
Unsere Themen heute:
Die Sozialbeiträge sollen 40 Prozent nicht überschreiten - das ist für die große Koalition jetzt so wichtig wie früher die Schwarze Null. Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat jetzt ein Problem - und zwar beim Thema Pflege.
Katholik, Karnevalist, Europäer. Der Aachener Armin Laschet will Kanzler werden. Eine Biografie gibt Hinweise, ob er das Zeug dazu hat.
Die Länder warnen vor einer Bratwurst-Krise, wenn Minister Hubertus Heil (SPD) seine Pläne zur Regulierung der Fleischindustrie durchsetzt.
Von einem Ziel hat sich die Große Koalition in der Corona-Krise verabschiedet: Von der Schwarzen Null. Das 40-Prozent-Ziel für die Sozialabgaben, an dem sich alle Regierungen seit 2005 orientiert hatten, soll aber unbedingt gehalten werden.
Bundeskanzlerin Angela Merkel ist dafür, ihr Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) hat indes mit Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) soeben höhere Beiträge in der Pflege vereinbart.
Das Ziel bedeutet, dass die von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gemeinsam getragenen Beitragssätze zu der Renten-, Kranken-, Arbeitslosen- und Pflegeversicherung in Summe nicht 40 Prozent des Bruttoeinkommens überschreiten dürfen. Kaum eine Sitzungswoche in letzter Zeit verging, ohne dass führende Koalitionspolitiker es beschworen haben - trotz Corona- und Konjunktur-Krise.
Nur: Es fehlt nicht mehr viel - und das 40-Prozent-Ziel wäre Makulatur. Seit dieser Woche steht fest, dass die Beitragsbelastung im kommenden Jahr wohl auf 39,95 Prozent steigen wird. Warum wackelt die Marke nun?
Anfang September war klar, dass im kommenden Jahr ein 16-Milliarden-Euro-Defizit in der Gesetzlichen Krankenversicherung droht. Gesundheitsminister Spahn hat diese Woche mit Finanzminister Scholz vereinbart, dass der durchschnittliche Zusatzbeitrag um 0,2 Prozentpunkte steigen soll, um es zu schließen. Als weitere Unterstützung gibt es Milliarden aus dem Steuertopf. Und die Rücklagen werden verringert.
„Wer wie die GroKo gleichzeitig stetig die Leistungen ausbaut, kann dann nur durch erhöhte Zahlungen aus dem Bundeshaushalt die Beitragssätze stabil halten.”
Das Ziel, die Sozialversicherungsbeiträge bei 40 Prozent zu halten sei zwar im Interesse des Arbeitsplatzerhalts richtig, sagte uns FDP-Chefhaushälter Otto Fricke. „Wer aber wie die große Koalition gleichzeitig stetig die Leistungen ausbaut, kann dann nur durch erhöhte Zahlungen aus dem Bundeshaushalt die Beitragssätze stabil halten.”
Mit Blick auf das Wahljahr 2021 steht Gesundheitsminister Jens Spahn nun vor einer schwierigen Entscheidung. Bleibt er bei seinem Versprechen, noch in diesem Jahr eine Pflegereform anzuschieben? Und welchen Umfang wird sie haben?
"Eine Pflegereform, ohne den Beitragssatz anzuheben"
Bisher halten sich Spahns Leute bedeckt. Die große Herausforderung sei, „eine Pflegereform auf den Weg zur bringen, die Leistungsverbesserungen bringt und für eine gerechtere Bezahlung von Pflegekräften sorgt, ohne den Beitragssatz anheben zu müssen”, sagte uns CDU-Politiker Erwin Rüddel, der Chef des Ausschusses für Gesundheit im Bundestag. Im Klartext: Spahn muss tricksen.
Mehr zur Debatte über die Finanzierung unserer Sozialversicherungen lesen Sie hier in der Analyse von ThePioneer-Chefkorrespondent Rasmus Buchsteiner.
1. Neue Armin-Laschet-Biografie: "20 Prozent Sein, 30 Prozent Schein, 50 Prozent Schwein"
Eine neue Biografie über den NRW-Ministerpräsidenten und Kandidaten für den CDU-Vorsitz, Armin Laschet, kommt morgen in den Buchhandel. Die beiden Journalisten Moritz Küpper (Deutschlandfunk) und Tobias Blasius (WAZ) haben dafür mit 60 Weggefährten, Freunden und Gegnern Laschets gesprochen und über ein Jahr recherchiert.
Armin Laschet an Bord der Pioneer One. © Marco UrbanHerausgekommen ist ein dichtes, lesenswertes Porträt über einen Aufsteiger, der oft nur zweiter Mann war, aber mit seiner jovialen Raffinesse und einer bodenständigen, christlich geprägten Erdung bis ganz nach oben kam. Ein Jugendfreund fasst das Prinzip Laschet so zusammen: "20 Prozent Sein, 30 Prozent Schein, 50 Prozent Schwein."
Doch das ist die humorvolle Variante. Hinter dem Politiker Laschet steckt ein Mensch mit Wertegerüst und Machtinstinkt. Wir haben mit Autor Moritz Küpper gesprochen.
Sie haben mehr als 60 Personen befragt und ein Jahr recherchiert. Was ist Ihr Fazit? Was für ein Typ Politiker ist Armin Laschet? Küpper Auf den ersten Blick ist Armin Laschet ein typischer Berufspolitiker. Doch genauer hingeschaut zeigt sich eine heutzutage eher ungewöhnliche Karriere, die nicht gerade und zielstrebig, sondern eher in Zickzack-Form verlaufen ist – und ihn nun doch in eine aussichtsreiche Position für die Spitzenämter dieser Republik gebracht hat. Anders als viele andere erfolgreiche Spitzenpolitiker hat sich Laschet keinen professionellen Panzer zugelegt, sich seine Persönlichkeit bewahrt – und zeigt die auch.
Er strahlt mitunter freundliche Normalität aus und hat der Politik nicht sein ganzes Leben untergeordnet. Das führt immer wieder zu sprunghafter Spontanität, Momenten der unprofessionellen Emotionalität, aber gibt ihn auch Kraft und eine Unabhängigkeit, auf die er sich auch verlässt. Genauso wie auf sein Wertegerüst als heimatverbundener, europäischer, christlicher Rheinländer.
Armin Laschet (links) im Winter 1967 mit der Familie. © PrivatArmin Laschet hat in seiner Karriere viele politische Schlachten verloren, war oft der zweite Mann. Fehlt ihm der Machtinstinkt? Küpper Ihn fehlt sicherlich die Gnadenlosigkeit und Brutalität mancher Menschen in der Politik. Er ist keine Machtmaschine, sondern eher der Machtmenschliche, der viel von seiner eigenen Persönlichkeit zeigt. Aber dennoch ist Armin Laschet ein Spitzenpolitiker, der über die Jahrzehnte viel gesehen und erlebt hat. Und er ist und bleibt ein lernendes System. Laschet will gestalten, er ist auch davon überzeugt, dass er dies gut kann – aber er würde wohl nie – wie einst Gerhard Schröder – am Zaun des Kanzleramtes rütteln. Dennoch: Laschet wurde immer unterschätzt, mitunter verspottet – und ist nun doch Ministerpräsident des bevölkerungsreichsten Bundesland sowie Chef des größten Landesverbandes der CDU. Von daher zeigt seine bisherige Karriere, dass man diesen Mann vielleicht nicht unterschätzen sollte. Kann Armin Laschet Kanzlerkandidat werden und wenn ja, kann er Kanzler? Küpper Laschet ist sicherlich in einer aussichtsreichen Position, Bundesvorsitzender der CDU zu werden. Damit hat er auch gute Karten, Kanzlerkandidat und dann auch Kanzler zu werden. Es bliebe jedoch ein Experiment – und auf jeden Fall ein großer Kontrast. Denn bei aller politischen Nähe zur amtierenden Bundeskanzlerin Angela Merkel, ist Laschet auch als Persönlichkeit grundverschieden: Eher Bauchmensch als Naturwissenschaftlerin, aus dem tiefsten Westen kommend, Rheinländer, Katholik, mitunter emotional und sprunghaft statt kontrolliert.
Aber Armin Laschet denkt gerne groß, steht auf einem festen Wertegerüst, kennt das außenpolitische Parkett sowie seine Partei gut, ist angstfrei und hat bewiesen, dass er lernfähig ist.
Einen Auszug aus der neuen Biografie finden Sie auch hier.
Moritz Küpper (l.), Tobias Blasius und Armin Laschet2. Heils Fleisch-Gesetz: Länder warnen vor Bratwurst-Krise
Die Pläne von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) für ein Verbot von Werkverträgen und Leiharbeit in der Fleischwirtschaft stoßen auf Kritik der Länder. In einer Stellungnahme der zuständigen Ausschüsse des Bundesrates, der sich am Freitag erstmals mit dem Gesetz beschäftigt, wird vor einer Bratwurst-Krise gewarnt.
„Die Leiharbeit hat sich gerade auch bei kleinen und mittelständigen Unternehmen für die Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit der Fleischwirtschaft als essenziell erwiesen, insbesondere zur Abfederung saisonaler Produktionsspitzen“, heißt es im dem Papier.
"Sofern Unternehmen entsprechende Engpässe nicht durch Leiharbeitnehmer ausgleichen können, wären negative Auswirkungen auf die Versorgung der Bevölkerung nicht auszuschließen.“
Länder wollen Klarstellungen
Konkret fordern die Länder unter anderem Klarstellungen zum Schutz des Fleischerhandwerks. Bisher war eine Ausnahme geplant, wonach Werkverträge künftig nur noch in Betrieben mit bis zu 49 Mitarbeitern zu erlaubt sein sollen.
Die Länder wollen nicht den Gesamtbetrieb, sondern einzelne Betriebsstätten zum Maßstab erklären. Dies berücksichtige „die zunehmende Notwendigkeit einer Filialisierung im Fleischerhandwerk“.
Im Deutschen Bundestag soll es nach unseren Informationen am 5. Oktober eine Sachverständigen-Anhörung zum Gesetzentwurf geben.
3. Acht Frauen für die Quote
In der Koalition tut sich sich in Sachen Beteiligungen von Frauen in Dax-Vorständen etwas. Die Arbeitsgruppe, die zu Beginn der Woche noch an Terminfindung (und, so sagen manche, Unwillen einzelner) zu scheitern drohte (wir berichteten) formiert sich nun. Auch ein Termin scheint gefunden zu sein.
Noch ist weder dieser noch die Zusammensetzung von allen beteiligten Büros bestätigt, aber bisher sieht es nach diesen Teilnehmerinnen aus:
SPD: Franziska Giffey, Christine Lambrecht, Klara Geywitz, Katja Mast
Union: Annette Widmann-Mauz, Silke Launert, Elisabeth Winkelmeier-Becker, Nadine Schön
Das Treffen soll voraussichtlich am 29. September stattfinden. Ziel der Gruppe ist eine gesetzliche Regelung von Mindestbeteiligungen von Frauen in Dax-Vorständen.
Das plant das Arbeitsministerium in diesem Herbst © ThePioneerBundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) will bis zum Jahreswechsel noch vier größere Gesetze anschieben und durch das Kabinett bringen. Das geht aus einem Schaubild hervor, das uns vorliegt.
Priorität hat aktuell das so genannte Lieferkettengesetz, das größere Unternehmen auf die weltweite Einhaltung von Mindeststandards unter anderem in Sachen Menschenrechte verpflichten soll. Heil und Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) haben sich bislang allerdings nicht mit Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) auf Eckpunkte verständigen können.
Nun soll es einen erneuten Anlauf geben - in einem Spitzengespräch der drei Minister mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Vizekanzler Olaf Scholz (SPD).
Darüber hinaus will der Arbeitsminister im Herbst ein Gesetz mit Standards und Vorgaben für mobiles Arbeiten („Homeoffice“) vorlegen. Außerdem sollen Konsequenzen aus dem Hartz-IV-Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus 2019 gesetzlich fixiert werden. Projekt Nummer Vier ist die Einbeziehung Selbstständiger in die gesetzliche Rentenversicherung.
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) plant ein weiteres "Digitalisierungsgesetz". Das geht aus einer Übersicht zu den noch geplanten Gesetzgebungsvorhaben seines Ministeriums hervor, die wir einsehen konnten.
Bei dem Gesetz soll es um den Ausbau von Telemedizin und Telepflege in Deutschland gehen. Außerdem ist eine Weiterentwicklung der Telematikinfrastruktur (TI) geplant, an die Praxen, Kliniken und Apotheken angeschlossen sind. Sie wird auch als "Datenautobahn" des Gesundheitssystem bezeichnet.
In diesem Herbst will das Ministerium seinen Referentenentwurf vorlegen. In Kraft treten soll das Gesetz im ersten Quartal des kommenden Jahres.
Jens Spahn und Joachim Stamp. © ThePioneerAuf - Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat in der Frage der Bestellung der Masken viel Kritik einstecken müssen, auch die Corona-Warn-App läuft nicht rund. Doch in seiner Bilanz wird am Ende dieser Legislaturperiode ein Thema stehen, das Leben retten konnte. Die Zahl der Organspender ist in Deutschland auch durch Spahns vehemente Öffentlichkeitsarbeit und sein Werben für eine Widerspruchslösung erheblich gestiegen. Laut einer aktuellen Umfrage haben 62 Prozent der Deutschen für sich eine persönliche Entscheidung für Organspenden getroffen, teilte die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung mit. Bei einer identischen Umfrage aus den Jahren 2018 und 2019 seien es hingegen nur 56 Prozent gewesen. Deshalb hier: Daumen hoch.
Ab - Joachim Stamp (FDP) ist Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration in NRW und bisher als Liberaler von Maß und Mitte aufgefallen. Doch der stellvertretende Ministerpräsident irritierte nun durch einen besonderen Vergleich durch die Öffentlichkeit. „Die Grünen in Österreich sind auch bloß eine FPÖ mit Elektroantrieb“, sagte Stamp in einer Rede und bezog sich auf die Weigerung der schwarz-grünen Regierung in Wien, Flüchtlinge aus Moria aufzunehmen. Die Kritik mehrerer Grünen-Politiker, darunter der Bundestagsabgeordneten Franziska Brantner ("Was soll denn das?"), wies Stamp zurück. Doch der Vergleich der Grünen in Österreich mit einer von Affären und Skandalen geplagten rechtspopulistischen Partei hinkt dann doch deutlich, Deshalb geht es hier bergab.
Die rechten Umtriebe einiger Polizisten in NRW treffen CDU-Innenminister Herbert Reul, der sich als Law & Order-Mann für Ministerpräsident Armin Laschet einen Namen gemacht hat, ins Mark. Reul ist ein vehementer Unterstützer der Polizei, zeigt sich gerne und oft mit den Uniformierten und hat Millionen für Ausrüstung und neues Personal im Landeshaushalt bereitstellen lassen. Nun muss er aufklären und aufräumen. Der Düsseldorfer FAZ-Korrespondent Reiner Burger fasst das Dilemma hier gut zusammen.
Aufmerksame Leser dieses Briefings wussten bereits am Dienstag, dass EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen die Klimaschutzziele der Europäischen Union auf eine Reduktion von 55 Prozent des Co2-Ausstoßes im Vergleich zu 1990 anheben will. Gestern hat von der Leyen ihr Vorhaben öffentlich gemacht. Die tageszeitung ist skeptisch, ob die Vorgabe reicht, um das Pariser Klimaschutzabkommen zu erfüllen. Die Analyse von Susanne Schwarz lesen Sie hier.
Heute gratulieren wir herzlich zum Geburtstag:
Guido Bülow, Strategic Partner Development News bei Facebook, 42
Alexander Schweitzer, Vorsitzender der SPD-Fraktion im Landtag von Rheinland-Platz, 47
Norbert Walter-Borjans, SPD-Vorsitzender, 68
Pia Zimmermann, Linken-Bundestagsabgeordnete, 64
Der ehemalige Landwirtschaftsminister und Verteidigungsstaatssekretär Christian Schmidt (CSU) wird 2021 im Wahlkreis Fürth noch einmal für den Bundestag kandidieren. Schmidt gehörte der Bundesregierung als Staatssekretär und Minister zwischen 2005 und 2018 an und hat sein Bundestagsmandat stets direkt gewonnen. Seit 2019 ist er auch Mitglied im Aufsichtsrat der Deutschen Bahn.
Tritt noch einmal an: Ex-Minister Christian Schmidt (CSU) © dpaMehrere Spitzenpolitiker sind Teil der neu gegründeten Task Force Fußball, die sich mit ethischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Fragen rund um den Fußball befassen soll. Unter anderem gehören zur 35-köpfigen Gruppe Britta Dassler (FDP), Lars Klingbeil (SPD), Carsten Linnemann (CDU), Cem Özdemir (Grüne) und Martin Schulz (SPD).
Lars Klingbeil, Generalsekretär der SPD, bei "After Politics" an Bord der Pioneer One. © Anne Hufnagl © The PioneerIhre Informationen für uns © Media PioneerSie sind ein Insider und haben einen vertraulichen Tipp, den Sie mit der Redaktion des Hauptstadt Briefings teilen wollen? Oder eine sensible Neuigkeit? Schicken Sie uns Ihre Informationen! Lesen Sie hier mehr darüber, wie sie mit uns Kontakt aufnehmen können.
Starten Sie gut in den Tag!
Herzlichst, Ihre