unsere Themen heute:
Die gemeinsame EU-Fraktion der Rechtspopulisten platzt wegen der AfD. Das sind die Konsequenzen für die Partei.
CDU-Politiker sind irritiert über Ursula von der Leyens Schulden-Vorstoß.
Die Regierung ist „offen“ für US-Ideen, mehr Russland-Vermögen für Ukraine-Hilfe anzuzapfen. Wir wissen, warum.
Die Linke lobt Habecks Konzept für grüne Leitmärkte.
CDU und Grüne fordern Tempo gegen sexualisierte Gewalt an Kindern.
Daniel Terzenbach ist zuversichtlich, dass mehr Ukrainer in Arbeit gebracht werden.
Ex-SPD-Landeschefin Andrea Ypsilanti ruft zur Wahl der Linken auf.
Nachdem sich Marine Le Pen und der italienische Lega-Chef Matteo Salvini von der AfD abgewendet haben, will auch ihr engster europäischer Partner – die österreichische FPÖ – der Partei nicht mehr beispringen. Ein FPÖ-Europapolitiker sagt unserem Kollegen Jan Schroeder:
Eine gemeinsame Fraktion mit der AfD macht für uns keinen Sinn. Ganz abgesehen davon, dass sie rechnerisch nicht zustande käme.
Dennoch wolle er eine Zusammenarbeit auf anderem Wege nicht ausschließen. Darüber werde die FPÖ nach der Wahl am 9. Juni beraten.
AfD-Politiker Maximilian Krah © dpaDie Konsequenzen: EU-Spitzenkandidat Maximilian Krah zog sich aus dem Parteivorstand zurück. Krah und Listenplatz-Zweiter Petr Byston steigen aus dem Wahlkampf aus.
Doch der Isolationskurs ist damit nicht beendet. Die Abkehr von Le Pens Partei Rassemblement National habe sich nach einer Reihe von Verfehlungen von AfD-Politikern und Korruptionsvorwürfen seit Monaten angedeutet, sagt uns der Politikwissenschaftler Thomas Biebricher. Le Pen und Salvini hätten nur auf „eine Gelegenheit gewartet“. Denn:
Sie wollen sich betont bürgerlich inszenieren, die AfD erscheint da als Hypothek.
Der Bruch mit den europäischen Rechten hat drei weitere, nicht minder unangenehme Folgen für die AfD, analysiert unser Kollege Jan Schroeder:
#1 Keine gemeinsame Fraktion mehr
Die AfD fliegt aus der Fraktion der Rechtspopulisten und Rechtsextremisten Identität und Demokratie (ID). Denn „die ID ist wie ein Club, in dem sich alle einig sein müssen“, sagt uns Biebricher. Weiter:
Insofern interpretiere ich die Äußerungen von Le Pen und Salvini so, dass die ID in ihrer derzeitigen Form damit Geschichte ist.
#2 Weniger Geld und Einfluss
Die AfD würde somit keiner Fraktion mehr angehören und im Europaparlament lediglich den Status einer Gruppe haben – ähnlich dem der Linkspartei und des BSW im Bundestag.
„Nach derzeitigem Stand muss davon ausgegangen werden, dass die AfD nach der Wahl einsam im Lager der „non-attached“ landen wird. Das heißt, so Biebricher:
Weniger Finanzmittel, weniger parlamentarische Möglichkeiten und keinen Ausschussvorsitz.
#3 Flügelkämpfe gehen weiter
Seit dem Europaparteitag der AfD im vergangenen Jahr hatte sich der Parteivorstand um einen Burgfrieden in der Partei bemüht. Doch die einen wollen sich zumindest verbal mäßigen, die anderen sich nicht rechtfertigen und wieder andere provozieren.
Tino Chrupalla © ImagoDie Entscheidung, Krah aus dem Parteivorstand zu entfernen, sei zwischen diesen Lagern heftig umstritten gewesen. Auf der gestrigen Telefonkonferenz seien besonders der Parteivorsitzende Tino Chrupalla und der Europakandidat Marc Jongen laut geworden, hören wir aus Parteikreisen. Deeskalation: nicht in Sicht.
Fazit: Der angekündigte „Durchmarsch“ der AfD rückt in immer weitere Ferne. Die Saboteure sind nicht die Gegner der Partei, sondern sie selbst.
Irritation über von der Leyens Fonds-Vorstoß
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen irritiert mit einem Vorschlag Parteikollegen. Der Financial Times sagte sie gestern, die EU solle über neue Aufbaufonds nachdenken, wenn diese an ökonomische Reformen der Kreditnehmer gekoppelt würden.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen © imagoDaniel Caspary, Vorsitzender der deutschen CDU/CSU-Gruppe im EU-Parlament, sagt unserem Kollegen Christian Schlesiger: „Der Corona-Aufbaufonds in Höhe von rund 800 Milliarden Euro war eine einmalige Angelegenheit.“ Die Pandemie habe konzertiertes Handeln der Europäer erfordert.
Daniel Caspary © EPP/LahousseNeue Schulden in der EU sind mit uns nicht machbar. Das ist eindeutige Beschlusslage von CDU und CSU.
Auch in der FDP rumort es. Die Offenheit der EU-Kommissionschefin für gemeinsame Schulden in der EU sei „irritierend“, twitterte Florian Toncar, Staatssekretär im Finanzministerium.
Fraktionsvize Christoph Meyer sagt uns: „Die Fantasien von Frau von der Leyen nach einer europäischen Schulden-Union wird es mit der FDP ganz sicher nicht geben.“ Es mache „den Anschein, dass die CDU-Spitzenkandidatin mit ihrer unsoliden Finanzpolitik zum Problemfall für die CDU geworden ist.“
Bundesregierung „offen“ für G7-Kredit aus Russland-Geldern
Ab heute treffen sich die G7-Finanzminister im italienischen Stresa. Ein Thema: die Finanzierung der Ukraine-Hilfe mithilfe des eingefrorenen russischen Vermögens.
Die USA wollen die Gewinne der eingefrorenen russischen Vermögenswerte als Sicherheit für Wertpapiere oder Kredite nutzen, um so langfristig – also auch in einer potenziellen Trump-Legislatur – die Ukraine zu finanzieren.
Die Bundesregierung zeigt sich inzwischen „offen dafür“, erfuhr unser Kollege Christian Schlesiger aus Kreisen des Finanzministeriums. Entscheidend sei ein „rechtlich tragfähiger Mechanismus“. Aber: Die Amerikaner seien noch Details schuldig.
SPD-Haushälter Andreas Schwarz © ImagoDass dies gelingen könne, davon ist auch Andreas Schwarz, Berichterstatter der SPD für Verteidigung im Haushaltsausschuss, überzeugt. Europa sei dringend gefordert, schnell zu prüfen, ob das russische Vermögen „nicht komplett zur Finanzierung der Ukrainehilfen genommen werden kann“, sagt er uns.
Die Verwendung der Zinsen kann nur ein erster Schritt sein.
CDU und Grüne fordern Tempo gegen sexualisierte Gewalt an Kindern
Am gestrigen Mittwoch sollte eigentlich der Gesetzentwurf zur besseren Aufarbeitung sexualisierter Gewalt an Kindern im Kabinett besprochen werden. Doch das Finanzministerium strich den Tagesordnungspunkt wieder vom Plan, hört unsere Kollegin Laura Block.
Mit dem geplanten Gesetz sollen neue Strukturen geschaffen werden, um die Aufklärung und Prävention von sexualisierter Gewalt an Kindern zu ermöglichen. Zudem ist vorgesehen, das Amt der Missbrauchsbeauftragten gesetzlich zu verankern.
Die CDU drängt: „Das Gesetz ist wichtig. Wir brauchen die strukturelle Verankerung einer Missbrauchsbeauftragten“, sagt uns Silvia Breher, familienpolitische Sprecherin der CDU.
CDU-Vize Silvia Breher © Anne HufnaglAuch die Grünen wollen eine schnelle Umsetzung. Denise Loop, familienpolitische Sprecherin der Grünen, sagt uns, das Gesetz habe vor allem strukturellen Charakter und sei wichtig für Betroffene. Es sei „krass, sich bei dem Thema so anzustellen.“
Christian Lindners Finanzministerium muss die Finanzmittel für das Gesetz freigeben. Anberaumte Kosten: zwei Millionen Euro.
Grüne Leitmärkte: Linke lobt und warnt Habeck
Der wirtschaftspolitische Sprecher der Linken im Bundestag, Jörg Cezanne, begrüßt das von Wirtschaftsminister Robert Habeck am Mittwoch vorgestellte Konzept „Leitmärkte für klimafreundliche Grundstoffe“.
Das Konzept sieht vor, einen Nachfrage-Markt für grünen Stahl, Zement, Ammoniak und Ethylen zu schaffen. Dafür
definiert die Bundesregierung erstmals, welche Anforderungen die Grundstoffe erfüllen müssen, um als „grün“ zu gelten.
soll das Vergaberecht geändert werden, damit öffentliche Auftraggeber in ihren Ausschreibungen den Einsatz von grünen Grundstoffen verlangen können.
will die Bundesregierung auf EU-Ebene eine Quotenregelung erreichen, die für bestimmte Produkte einen gewissen Anteil an grünen Grundstoffen festschreibt.
Der Aufbau grüner Leitmärkte sei „ein anspruchsvolles Projekt und ein zentraler Baustein für die Transformation“, sagt Cezanne unserem Kollegen Thorsten Denkler. Es sei gut, dass das Projekt jetzt Formen annehme.
Jörg Cezanne, Linke © dpaCezanne warnt allerdings, dass sich Habeck nicht zu sehr auf die Eigeninitiative der Industrie verlassen dürfe.
Es genügt nicht, an die Vorreiterrolle von Unternehmen zu appellieren. Die Bundesregierung muss selbst zum Vorreiter werden.
Die Regierung könne etwa die bundeseigene Deutsche Bahn verpflichten, nur noch Schienen aus grünem Stahl zu bestellen, so der Vorschlag.
Zum Download: Habecks Konzept für grüne Leitmärkte
Ypsilanti ruft zur Wahl der Linken auf
Die frühere hessische SPD-Landesvorsitzende Andrea Ypsilanti gehört zu den 29 Erstunterzeichnern eines Aufrufs, zur Europawahl am 9. Juni die Linken zu wählen. Das geht aus der Website zu dem Aufruf hervor, die an diesem Donnerstag freigeschaltet wird und die unser Kollege Thorsten Denkler vorab einsehen konnte.
Andrea Ypsilanti © dpaUmgang mit Migration als Grund: Ypsilanti, die im Juni 2023 aus der SPD ausgetreten war, erklärt in dem Aufruf zusammen mit den anderen Erstunterzeichnern, es drohe „ein massiver Rechtsruck“. Aber „anstatt auf die wirklichen Sorgen der Menschen einzugehen und den Rechten etwas entgegenzusetzen, werben Union und Ampelregierung für höhere Zäune um Europa“.
Zu den Erstunterzeichnern gehören neben Ypsilanti auch Persönlichkeiten aus Wissenschaft, Kultur, Gewerkschaften, Klima- und Sozialbewegungen.
Terzenbach nach Jobcenter-Bericht: „Wir bringen mehr Ukrainer in Arbeit“
Jobturbo-Start: Daniel Terzenbach, Sonderbeauftragter der Bundesregierung für die Arbeitsmarktintegration von Geflüchteten, sieht nach einem IAB-Bericht Fortschritte beim Jobturbo. Unserem Kollegen Michael Bassewitz sagte er:
Daniel Terzenbach © dpaDas zeigt, dass der Job-Turbo funktioniert. Wenn das Sprachniveau und die weiteren Rahmenbedingungen passen, wie etwa die Kinderbetreuung, können wir mehr Ukrainer in Arbeit bringen.
Jobcenter haben Hoffnung: Aus der Umfrage des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) geht hervor, dass acht von zehn Jobcentern die Jobperspektiven von Geflüchteten aus der Ukraine positiv bewerten. Terzenbach sagt uns: „Kurz- bis mittelfristig hat so ein Großteil der ukrainischen Geflüchteten gute Chancen am Arbeitsmarkt.“
Nicht alle werden schnell Jobs bekommen: Laut IAB-Bericht sieht ein kleiner Teil der Jobcenter schlechte Beschäftigungschancen für die Flüchtlinge. Dies liege noch an „Hemmnissen und psychischen Belastungen der Geflüchteten durch den abrupten Kriegsbeginn in der Ukraine“, sagt Terzenbach.
Die Anhänger des im Januar gegründeten Bündnis Sarah Wagenknecht verorten sich vornehmlich im Osten. Das geht aus einer aktuellen Forsa-Umfrage hervor. Im Westen hingegen fällt die Partei aktuell deutlich unter die Fünf-Prozent-Hürde.
Eine Infografik mit dem Titel: BSW: Stark im Osten
Parteipräferenzen für das BSW im Osten und Westen, in Prozent
Zulauf erhält das BSW dabei nicht vornehmlich von der AfD, sondern von Wählern aus dem linken politischen Spektrum. Fast die Hälfte der Unterstützer wählte bei der letzten Bundestagswahl die SPD oder Linkspartei.
Eine Infografik mit dem Titel: BSW greift linke Wähler ab
Wahl der BSW-Anhänger bei der Bundestagswahl 2021, in Prozent
Das war gestern und in der Nacht außerdem los:
Weimarer Dreieck: Die Außenminister von Deutschland, Frankreich und Polen einigten sich in Weimar auf eine Ausweitung der europäischen Sicherheitspolitik. Konkrete Zusagen etwa von Frankreich an die Ukraine gab es nicht. Außerdem warnten die Minister vor russischer Sabotage und Desinformation vor der Europawahl. Annalena Baerbock:
Das sind Kampagnen auf die Herzkammer der europäischen Demokratie.
Palästina: Norwegen, Irland und Spanien wollen Palästina als eigenen Staat anerkennen. Deutschland hingegen will dem erst folgen, wenn die Verhandlungen mit Israel über eine Zwei-Staaten-Lösung beendet sind. So sieht es auch Frankreich.
Russland: Die Moscow Times veröffentlichte ein Regierungsdokument, in dem eine Anpassung der Seegrenzen im Finnischen Meerbusen und an der Exklave Kaliningrad vorgesehen ist. Russland dementierte die Pläne. Das Verteidigungsministerium sagte dazu:
Dies ist ein weiterer Beweis dafür, dass Russlands aggressive und revisionistische Politik eine Bedrohung für die Sicherheit der Nachbarländer und ganz Europas darstellt.
Bundeswehr: Finanzminister Christian Lindner hat Boris Pistorius Projekt – finanzielle Zulagen für Soldaten zu leisten, die nach Litauen gehen – vorerst gestoppt. Erst müsste die Finanzierung geklärt werden.
Wer befindet sich heute wo und welche Termine sind noch relevant?
Heute wird das Grundgesetz 75 Jahre alt. Kanzler Olaf Scholz nimmt am Staatsakt und am Empfang des Bundespräsidenten im Paul-Löbe-Haus teil.
Auf – Friedrich Merz... und die Grünen – das war keine Liebe auf den ersten Blick. Doch jetzt traf ihn die Charmeoffensive des Robert Habeck. Merz habe bei der Unterstützung der Ukraine „die Staatsräson Deutschlands verkörpert“, sagt Habeck der Neuen Osnabrücker Zeitung. Auch bei den Angriffen auf Grünen-Politiker sei Merz solidarisch gewesen. Die Schlussfolgerung: Man könnte künftig zusammenarbeiten. Bekanntlich liebt sich ja, was sich neckt. This could be a match!
Ab – Rishi Sunak. Schon am 4. Juli sollen die eigentlich erst für den Herbst angedachten Neuwahlen in Großbritannien stattfinden, verkündete der Premierminister gestern. Die Opposition hatte den Druck erhöht. Die Labour Partei hat in den Umfragen einen Vorsprung von 20 Prozent. Immerhin: Ihr Kandidat Keir Starmer ist relativ unbeliebt. Trotzdem dürfte die Hoffnung auf eine nächste Amtszeit gering sein. Sunaks Motto lautet wohl: Besser (k)ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende.
Heute gratulieren wir herzlich:
Michael Gerdes, SPD-Bundestagsabgeordneter, 64
Nils Gründer, FDP-Bundestagsabgeordneter, 27
Christian Hirte, CDU-Bundestagsabgeordneter, 48
Marianne Schieder, SPD-Bundestagsabgeordnete, 62
Stefan Schwartze, SPD-Bundestagsabgeordneter und Patientenbeauftragter der Bundesregierung, 50
Manuela Schwesig, Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, 50
Janine Wissler, Linken-Bundesvorsitzende, 43
Wir wünschen Ihnen einen elanvollen Start in diesen Donnerstag!
Herzlichst,
Ihre