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Unsere Themen heute:
Die Ampel stritt, bis die Richtlinienkompetenz des Kanzlers der letzte Ausweg war. Nun bleiben drei AKW am Netz und die Grünen können einen Teil ihres Parteitagsbeschlusses wegwerfen.
Gestern berichteten wir an dieser Stelle über die Entscheidung der Bundesregierung, 16 iranische Personen und Organisationseinheiten auf eine Sanktionsliste zu setzen. Nun ist bereits ein weiteres Paket in Planung.
Die FDP will - wie in den USA - einen Veterans Day einführen und die Bundeswehr stärker in der Öffentlichkeit verankern. Wir kennen Details.
Die Grünen haben am Wochenende auf ihrer Bundesdelegiertenkonferenz beschlossen, einen Untersuchungsausschuss zu den Nord-Stream-Pipelines einzurichten. Wie die Bundestagsfraktion damit umgeht, ist allerdings noch unklar.
Bundesjustizminister Marco Buschmann hat in seinem Ministerium ein Team für Bürokratieabbau eingerichtet. Wir kennen die Personalien.
Das Machtwort
Keiner sollte es wissen. Die Entscheidung wurde am Montagabend verkündet, per schriftlicher Mitteilung aus dem Kanzleramt. Keine Pressefragen, kein Auftritt von Christian Lindner oder Robert Habeck.
Es ist das stille Ende eines zermürbenden Streits. Olaf Scholz ließ es gar nicht mehr auf ein weiteres Treffen mit Habeck und Lindner ankommen.
Scholz hatte sich am Sonntagabend nur mit seinen engsten Vertrauten beraten. Am Montag hat es dann noch Gespräche zumindest mit den Parteichefs der Grünen gegeben.
Ihnen und Umweltministerin Steffi Lemke, Habeck und Lindner hatte er seine Entscheidung dann am frühen Nachmittag telefonisch mitgeteilt, nach einem Besuch bei der Bundeswehr.
Den Brief schickte Scholz schließlich am frühen Abend an Habeck, Lindner und Lemke, die zuständig ist für die Atomkraftwerke.
Ausriss des Briefs von Scholz an Steffi Lemke, Robert Habeck und Christian Lindner.Die FDP freute sich. Christian Lindner sieht sich als Gewinner, immerhin hatte der Liberale seit Wochen betont, dass nur zwei Atomkraftwerke in der Reserve nicht ausreichten.
In einer Mitteilung an den FDP-Bundesvorstand lobte Lindner den SPD-Regierungschef nun für dessen "vernünftige Energiepolitik". Für diesen Winter sei erreicht, was notwendig sei.
FDP-Fraktionschef Christian Dürr erklärte gestern: „Es ist vor allem die richtige Entscheidung für unser Land.”
Christian Lindner, Olaf Scholz und Robert Habeck © imagoIn der Fraktion der Grünen rumort es. In manchen Chat-Gruppen herrscht blankes Entsetzen. Parteichefin Ricarda Lang hat am Abend einen Fernseh-Auftritt abgesagt. Noch am Abend wird zu einer virtuellen Fraktionssondersitzung der Grünen geladen.
Am Wochenende hat der Parteitag beschlossen, nur die beiden süddeutschen AKW dürfen in die Reserve. Jetzt das.
In seinem Brief verlangt Scholz, dem Kabinett "zeitnah" die "entsprechenden Regelungsvorschläge vorzulegen". Diesen Mittwoch könnte sie das Kabinett beschließen.
Lemke will die Entscheidung nicht werten, sagte sie unserem Kollegen Thorsten Denkler. Nur so viel: "Jetzt herrscht Klarheit."
Der Parteilinke Jürgen Trittin erwidert: "Der Brief mag von der Geschäftsordnung der Bundesregierung gedeckt sein. Vom Grundgesetz ist er es nicht", sagt er uns.
Der umweltpolitische Sprecher der Grünen, Jan-Niclas Gesenhues, sagt uns dagegen: "Auch wenn wir es sachlich für falsch halten, das AKW Emsland in die Reserve zu nehmen, wir stehen zu dieser Bundesregierung, denn es überwiegen der endgültige Ausstieg im April 2023 und die Absage an neue Brennelemente." Das sieht die Fraktion mehrheitlich auch so, hören wir.
Die Entscheidung für den Weiterbetrieb der drei Atomkraftwerke kommentiert einer der Autoren dieses Briefings hier.
Weitere Iran-Sanktionen in Planung
Proteste wegen des Todes von Mahsa Amini im Iran. © The PioneerNach der Entscheidung, 16 Personen und Organisationseinheiten, die dem Regime im Iran angehören, auf eine Sanktionsliste zu setzen, arbeitet die Bundesregierung bereits an einem weiteren Sanktionspaket im Rahmen der EU. Dies erfuhren wir aus Diplomatenkreisen.
An einem Paket, das etwa doppelt so groß sein solle, werde mit Hochdruck gearbeitet, hören wir. Dies solle erneut Personen und Einheiten betreffen, denen Menschenrechtsvorwürfe gemacht werden.
Ebenfalls und unabhängig davon sollen auch die Produktion und der Vertrieb von iranischen Kamikaze-Drohnen sanktioniert werden, die auf russischer Seite im Ukraine-Krieg eingesetzt werden. Die Entscheidung soll kurzfristig innerhalb der nächsten Zeit fallen.
FDP will "Bürgeroffiziere" und "Veterans Day" einführen
Die FDP hat sich für eine Besserstellung der ehemaligen Angehörigen der Bundeswehr im öffentlichen Leben ausgesprochen. Dafür soll es analog zum Veterans Day in den USA auch in Deutschland einen "Tag der Bundeswehr" geben.
"Der Tag der Bundeswehr sollte jedes Jahr von einem zentralen Festakt in Berlin und durch hochrangige politische Präsenz an den durchführenden Standorten begleitet werden", heißt es in einem Beschluss des FDP-Präsidiums von gestern. Außerdem sollen Veteranen, die mindestens einmal im Einsatz waren, einen Veteranenausweis mit besonderen Gratifikationen, etwa bei Bus und Bahn, bekommen.
Außerdem schlagen die Liberalen ein "Ehrenmal für die Einsatzkräfte aller Ressorts vor", die weltweit im Einsatz für die Bundesrepublik Deutschland ihr Leben verloren haben. Es soll in der Nähe des Reichstagsgebäudes aufgebaut werden.
Bundeswehr in Litauen, wo die Menschen Putins nächsten Angriff befürchten. © The PioneerSogenannte "Bürgeroffiziere", ehemalige oder aktive Mitglieder der Bundeswehr, sollen stärker in den Austausch mit gesellschaftlichen Gruppen gehen und auch an den Schulen wieder Aufklärungsarbeit leisten, heißt es in dem Beschluss.
"Es darf keine Platzverweise für eine demokratisch legitimierte Institution wie die Bundeswehr im öffentlichen Raum geben und keine ,Ausladungen' bei staatlich geförderten Veranstaltungen." Die Bundeswehr müsse selbstverständlich ihrer Informationspflicht im öffentlichen Raum nachkommen sowie uneingeschränkt für den Dienst in den Streitkräften werben.
Bundestags-Grüne suchen Umgang mit U-Ausschuss-Forderung zu Nord Stream
Die grüne Bundestagsfraktion muss noch einen Umgang mit der Parteiforderung finden, sich für einen Untersuchungsausschuss zu den Nord Stream-Pipelines einzusetzen.
Am Wochenende hatten die Grünen auf ihrem Bonner Parteitag beschlossen, dass sich die Bundestagsfraktion für so einen Ausschuss stark machen soll. Der Antrag geht allerdings nicht auf einen Vorschlag des Bundesvorstands zurück, sondern war ein Antrag des energiepolitischen Sprechers der Grünen-Fraktion im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern, Hannes Damm, und seines Kreisverbands.
In der Regel werden Untersuchungsausschüsse nicht von den Parteien eingesetzt, die die Regierung tragen. Aus Fraktionskreisen aber hört unser Kollege Thorsten Denkler, dass das Thema sich wohl nicht von selbst erledigen werde.
In so einem Ausschuss würde es vor allem um die Rolle von Union und SPD beim Bau der Nord Stream-Pipelines gehen. Laut Beschluss soll aber auch die Zeit ab 1998 ins Visier genommen werden, also ab Beginn der rot-grünen Regierung unter Gerhard Schröder (SPD).
Neues Team für Bürokratie-Abbau im Justizministerium
Im Bundesjustizministerium wurden zwei für den Bürokratieabbau wichtige Personalentscheidungen nun umgesetzt.
Die frühere Staatsanwältin Silke Schönfleisch-Backofen und Martin Küchler sind in der Abteilung D (Bessere Rechtsetzung, Digitale Gesellschaft) für die neue Geschäftsstelle verantwortlich.
Neben dem Normenkontrollrat, der aus dem Kanzleramt ins FDP-geführte Ministerium gewechselt ist, soll die Geschäftsstelle im Ministerium den Bürokratieabbau vorantreiben und die im Koalitionsvertrag verabredeten beschleunigten Verfahren umsetzen.
Zum 1. Januar 2023 sollen Hausärzte höhere Zuschläge für die schnelle Vermittlung von Terminen bei Fachärzten erhalten. Das geht aus einem Änderungsantrag für das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz hervor, der uns vorliegt. Demnach soll der Zuschlag künftig 15 statt zehn Euro betragen.
Fachärzte sollen dann mehr Geld erhalten, wenn sie innerhalb kurzer Fristen Termine annehmen, die durch die Terminservicestellen der Kassenärztlichen Vereinigungen vermittelt werden. Der Änderungsantrag der Koalition sieht dazu einen Honorar-Aufschlag in Höhe von 200 Prozent vor.
Der Bundestag entscheidet über die Pläne abschließend an diesem Donnerstag.
Auf - Ties Rabe. Etwa jeder fünfte Viertklässler erreicht laut dem neuen IQB-Bildungstrend nicht die Mindestanforderungen in Deutsch und Mathe. Der Trend geht in allen Bundesländern steil nach unten - mit einer Ausnahme: Hamburg. Das ist auch der Verdienst des bereits seit 2011 amtierenden SPD-Schulsenators, der durch engmaschiges Monitoring schon viele wirksame Reformen einführen konnte. Aufsteiger!
Ab - Julia Willie Hamburg. Die Grünen-Spitzenkandidatin, die bald wohl auch in der niedersächsischen Landesregierung eine wichtige Rolle spielen wird, wollte eigentlich keinen Koalitionsvertrag unterschreiben, wenn das Kernkraftwerk Emsland nicht zum Jahresende vom Netz geht. Jetzt kann sie eines ihrer größten Wahlversprechen nicht einhalten. Absteigerin!
F.A.Z.-Herausgeber Berthold Kohler findet die Entscheidung von Bundeskanzler Olaf Scholz, die drei verbliebenen AKW längstens bis zum 15. April 2023 weiterlaufen zu lassen, "in der Sache richtig". Allerdings sei es kein gutes Zeichen für den Zustand der Koalition, "dass der Kanzler schon im ersten Regierungsjahr seine Richtlinienkompetenz bemühen muss". Hier geht es zum Kommentar.
Markus Decker vom Redaktionsnetzwerk Deutschland erkennt diesen Aspekt zwar ebenfalls, nennt aber zugleich noch einen anderen Blickwinkel: "Man kann auch sagen: Clever gelöst, wenn nicht gar inszeniert. Der Regierungschef steht als starker Mann da. Seine Hintersassen sind nicht wirklich beschädigt", kommentiert er. Allerdings dürfe sich die Koalition solch ein parteipolitisches Theater in dieser Krisensituation nicht leisten. "So überzeugend kann die Entscheidung gar nicht sein, dass sie die Art ihres Zustandekommens überstrahlen würde." Lesenswert!
Handelsblatt-Politikchef Thomas Sigmund sieht in dem "Atom-Wumms" drei Gewinner und einen großen Verlierer: Erstens die Wirtschaft und die Bürger, die nun durch den Winter kommen könnten, ohne dass dafür teures Gas in Strom umgewandelt werden müsse. Zweitens Christian Lindner, der seiner Basis kein weiteres Zugeständnis an die Grünen hätte zumuten können und drittens Olaf Scholz, der zuletzt blass gewirkt, seinen Führungsanspruch nun aber "erneut unterstrichen" habe. Verlierer hingegen seien die Grünen, "die ihre parteiinternen Interessen vor die des Landes stellen wollten". Hier lesen Sie den Artikel.
Heute gratulieren wir herzlich:
Tobias Bacherle, Grünen-Bundestagsabgeordneter, 28
Helge Braun, CDU-Bundestagsabgeordneter und ehem. Kanzleramtschef, 50
Sebastian Brehm, CSU-Bundestagsabgeordneter, 51
Helmut Höge, Kolumnist und Legende der tageszeitung (taz), 75
Tobias Koch, CDU-Fraktionsvorsitzender im schleswig-holsteinischen Landtag, 49
Karl Nehammer, Bundeskanzler von Österreich, 50
Simone Salden, stellv. Chefredakteurin des manager magazin, 44
Dirk Schrödter (CDU), Chef der Staatskanzlei von Schleswig-Holstein, 44
Erwin Sellering (SPD), ehem. Ministerpräsident von Mecklenburg-Vorpommern, 73
Florian Toncar (FDP), Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesfinanzministerium, 43
Wir wünschen Ihnen einen elanvollen Start in diesen Donnerstag!
Herzlichst,
Ihre