Bedingt abwehrwillig

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Header AKK Merkel © The Pioneer

Guten Tag,

herzlich willkommen zu unserem Briefing aus der Hauptstadt - direkt von der Pioneer One.

Unsere Themen heute:

  • Der neue Report der Münchner Sicherheitskonferenz fordert ein stärkeres Engagement der Deutschen. Wir geben exklusive Einblicke.

  • In mehr als 30 Fällen kippten Gerichte Corona-Maßnahmen der Regierungen in Bund und Ländern. Die FDP verlangt eine stärkere Beteiligung der Parlamente.

  • Was hat Gesundheitsminister Jens Spahn noch in dieser Legislaturperiode vor? Ein interner Plan gibt Auskunft. Wir sagen, was noch kommt bei Pflege und Impfung.

Deutschland fehlt die außenpolitische Strategie

Es ist ein mäßiges Zeugnis für die deutsche Außen- und Verteidigungspolitik: Die Macher der Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) sehen in ihrem neuen Report Deutschland in einer global weiter zu defensiven Rolle - gemessen an der wirtschaftlichen Macht des Landes.

Deutschland habe sein Engagement in vielen Bereichen zwar verstärkt, schreiben die Autoren: Etwa im Fall des russisch-ukrainischen Konflikts habe man eine Führungsrolle übernommen und zudem die Ausgaben für Verteidigung seit 2014 um etwa 40 Prozent erhöht. "Und doch bleibt das deutsche Engagement nicht nur hinter den Erwartungen zurück, die die wichtigsten Partner an Deutschland herantragen", folgert der Report des Hauptautoren Tobias Bunde. "Es entspricht auch nicht den Anforderungen, die sich aus dem strategischen Umfeld ergeben."

Dies sind die Kritikpunkte aus dem Report:

  • Deutsche Außenpolitik verändert sich – aber die Welt um uns herum verändert sich schneller: Seit 2014 hat sich die Erosion der regelbasierten Ordnung weiter beschleunigt. Deutschland hatte sich wie kaum ein anderes Land in der maßgeblich von den USA garantierten Ordnung eingerichtet. Nun ist die Bundesrepublik besonders von deren Erosionserscheinungen betroffen.

  • Deutschland hat nun die Wahl, sich für eine Stärkung Europas einzusetzen, um so deutsche und europäische Interessen wirksam zu verteidigen. Oder Deutschland verzichtet auf die Gestaltung des Wandels und stellt sich darauf ein, dass die EU zu einem „Anhängsel Eurasiens“ mutiert, das von anderen Mächten dominiert wird.

  • Was fehlt, ist ein von der politischen Klasse getragener Wille zu einer neuen deutschen Außenpolitik, die ein „souveränes Europa“ erst möglich macht.

Deutschland übernahm eine Führungsrolle im Ukraine-Konflikt © dpa

Diese Punkte sieht der Report als Aufgaben:

  • Stärkung der EU und der Verbesserung ihrer Handlungsfähigkeit: Dafür muss Deutschland von einer Status-quo-Macht zu einer „enabling power“, einer „Möglich-Macher-Macht“ werden. Nur wenn Deutschland sich der Führungsrolle stellt, die ihm als größter Mitgliedstaat der Union zukommt, wird Europa in der Lage sein, souverän zu handeln und europäische Interessen wirksam zu verteidigen.

  • Der Erhalt enger Beziehungen zum Kernverbündeten USA und einer amerikanischen Sicherheitsrolle in Europa wird davon abhängen, dass die EU sich überzeugender einbringt. Berlin sollte sich für eine europäische Engagement-Strategie gegenüber den USA einsetzen, welche die gemeinsamen Interessen herausstellt und über alle verfügbaren Kanäle kommuniziert. Die Stärkung der politischen Handlungsfähigkeit der EU ist ebenso Voraussetzung für eine glaubwürdige Politik gegenüber Russland und China.

Wie muss sich Deutschland aufstellen:

  • Deutschland muss zunächst auf nationaler Ebene seine strategischen Interessen definieren und seinen außenpolitischen Apparat inklusive der Entscheidungsprozesse modernisieren. Notwendig erscheint ein von der Bundesregierung regelmäßig vorzulegendes nationales Strategie-Dokument, wie es bei allen wichtigen Verbündeten und Partnern üblich ist.

  • Unabhängig davon sollte der Bundestag – wie von vielen Abgeordneten vorgeschlagen – häufiger über grundsätzliche Fragen der Außenpolitik debattieren.

  • Der Apparat der Bundesregierung in der Außen- und Sicherheitspolitik hat sich seit den 1960er Jahren kaum weiterentwickelt. Eine Verbesserung, ob durch die systematischere Nutzung und den Ausbau des Bundessicherheitsrats oder die Schaffung neuer Koordinierungsstrukturen, erscheint notwendig.

ThePioneer meets MSC: Am Donnerstag wird der Report der Münchner Sicherheitskonferenz live auf der Pioneer One vorgestellt. © The Pioneer

Der Report zieht trotz aller Kritik ein positives Fazit: Die Deutschen blieben weltoffen und multilateral eingestellt. Sie lassen sich durchaus überzeugen, außenpolitisch mehr zu tun, wenn die Politik gute Argumente dafür liefert. Jetzt sei es Zeit, die Weichen für eine deutsche Außenpolitik zu stellen, die dazu beiträgt, Europa zu einem handlungsfähigen und respektierten Akteur in der Welt zu machen.

Am Donnerstag stellt das Team der Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) um den Vorsitzenden Wolfgang Ischinger den Report auf der Pioneer One vor. Hier können Sie ab 18.30 Uhr live dabei sein.

1. FDP will in Corona-Politik mehr Rechte für Parlament

Der stellvertretende FDP-Vorsitzende Wolfgang Kubicki fordert eine stärkere Einbeziehung der Parlamente bei den Maßnahmen in der Corona-Politik. In den vergangenen Monaten hätten Gerichte in 24 Fällen Corona-Schutzverordnungen der Regierungen außer Vollzug gesetzt, sagte uns Kubicki bei einem Besuch auf der Pioneer One. Hinzu kämen fünf Entscheidungen der Landesverfassungsgerichte, die sich gegen Verordnungen oder deren Auslegungen richteten. In weiteren 10 Fällen hatte das Oberverwaltungsgericht Verbote von Demonstrationen und Versammlungen gekippt.

„Die große Anzahl an gerichtlichen Entscheidungen gegen Corona-Maßnahmen der Exekutive ist aus demokratischer Sicht bedrückend", sagt Kubicki.

Die Rechtsetzung durch Verordnung müsse ein Ende finden, schließlich könnte "nur in den Parlamenten über die Verhältnismäßigkeit und Angemessenheit der Einzelmaßnahmen angemessen gestritten werden", so der Bundestagsvizepräsident. "Die Menschen haben ein demokratisches Recht darauf, dass derart einschneidende Grundrechtseingriffe öffentlich debattiert und parlamentarisch legitimiert werden. Die öffentliche Auseinandersetzung ist das beste Rezept gegen Verschwörungstheorien.“

Wolfgang Kubicki zu Besuch auf der Pioneer One.  © ThePioneer

2. Neuer Einigungsversuch in Streit um Raser-Regeln

Plötzlich soll alles ganz schnell gehen: Die Grünen versuchen, im Dauer-Streit um eine Reform der Straßenverkehrsordnung aus der Defensive zu kommen. In den Ländern, in denen sie mitregieren, haben sie nun ein Kompromisspapier erarbeitet.

Die Vorschläge, über die in den nächsten Tagen verhandelt werden soll, liegen uns vor. Erklärtes Ziel der Grünen und ihres Verhandlungsführers Winfried Hermann, Verkehrsminister in Baden-Württemberg, ist eine Einigung bis zur nächsten Bundesratssitzung am Freitag in einer Woche.

Grünen-Verhandlungsführer Winfried Hermann © dpa

Die Grünen zeigen sich bereit für einige Zugeständnisse bei den Raser-Sanktionen - allerdings wollen sie das Ganze mit rechtlichen Änderungen kombinieren, die mehr Tempo-30-Zonen und mehr Raum für Radfahrer ermöglichen sollen.

In der Union hält man das alles - nach erster Prüfung der Vorschläge - nicht für akzeptabel. Die Details hat ThePioneer-Chefkorrespondent Rasmus Buchsteiner recherchiert, hier lesen Sie seine Zusammenfassung.

3. Kurzarbeit sinkt überraschend deutlich

Die Zahl der Kurzarbeiter in Deutschland ist im September auf 3,7 Millionen Menschen gesunken, von 4,7 Millionen im August. Das geht aus Berechnungen und Schätzungen des Münchner Ifo-Instituts auf Basis der Konjunkturumfrage hervor. Damit ist ihr Anteil an den sozialversicherungspflichtig Beschäftigten auf 11 Prozent geschrumpft, von 14 Prozent im August. „Der Rückgang der Kurzarbeit schreitet stetig voran. Besonders hoch bleibt aber der Anteil an den Beschäftigten in der Industrie“, sagt ifo-Arbeitsmarkt-Experte Sebastian Link.

4. Widerstand gegen AfD-Vorsitz in Wirecard-Ausschuss

Der Wirecard-Untersuchungsausschuss wird voraussichtlich am Freitag vom Bundestag eingesetzt, in der kommenden Woche könnte er sich bereits konstituieren. Turnusgemäß wäre die AfD bei diesem Ausschuss an der Reihe, den Vorsitzenden oder die Vorsitzende zu stellen. Doch dagegen regt sich nach unseren Informationen Widerstand in den drei Fraktionen, die den Ausschuss vorangetrieben haben: Bei Grünen, FDP und Linke. Unklar ist, ob es bei der ersten Zusammenkunft des Ausschusses tatsächlich zum Eklat kommt. „Die AfD ist gefordert, jemanden aufzustellen, dem die Mehrheit zutraut, einen ordentlichen Job zu machen. Ihr steht das Vorschlagsrecht zu”, sagte uns Danyal Bayaz, der Grünen-Obmann in dem Gremium werden soll. „Jedem Abgeordneten steht aber auch das Recht zu, nach seinem Gewissen abzustimmen.“

Wirecard Logo  © imago

Der Vize-Ausschusschef steht allerdings bereits fest: Es soll Hans Michelbach werden. Der CSU-Finanzpolitiker wurde bereits am Dienstag von der Unionsfraktion nominiert. Die Abgeordneten Florian Toncar und Fabio De Masi sollen FDP und Linke als Obmänner im Ausschuss vertreten.

Internes Papier des Bundesgesundheitsministeriums zur Gesundheitsministerkonferenz der Länder.  © ThePioneer

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) will schon am 15. Oktober die neue Teststrategie zur Bewältigung der Corona-Pandemie einführen. Zusammen mit den grippe-Infizierten im Herbst und Winter müsse man schnelle Diagnosen in risikoarmer Umgebung gewährleisten. Fieber-Ambulanzen sollen ein Teil der Lösung sein. Antigen-Schnelltests sollen schnellere Ergebnisse liefern und bei Reiserückkehrern und Pflegepersonal angewandt werden. Das geht aus einem internen Vorhabenplan des Ministeriums im Vorfeld der Länder-Gesundheitsministerkonferenz am 30. September in Berlin vor.

Deutlich zurückhaltender ist Spahn bei der neuen Pflegereform, die eigentlich noch in diese Legislaturperiode umgesetzt werden sollte, bei der aber die Finanzierung nach den Corona-Hilfsmilliarden infrage steht. "Verschiedene mögliche und gegebenfalls notwendige Maßnahmen werden derzeit geprüft", heißt es. Ein "mögliches Inkrafttreten" wird für 2021 angekündigt. Auch am vergangenen Sonntagabend soll die Pflegereform bei einer internen Runde der Kanzlerin mit den Unionsministern Thema gewesen sein. Prognose: Eine Umsetzung ist ohne Beitragssatzerhöhung kaum möglich, das will der Unions-Wirtschaftsflügel aber unbedingt verhindern.

Anfang November legt Friedrich Merz seine Reformagenda vor - in seinem Buch Neue Zeit. Neue Verantwortung (Econ-Verlag, 240 Seiten, 22 Euro) will Merz eine Art Deutschlandplan für eine leistungswillige, dynamische und technologisch innovative soziale Marktwirtschaft beschreiben. Es sei auch ein flammendes Plädoyer für eine selbstbewusste Stellung Europas in der Weltpolitik, heißt es in seinem Umfeld. Man darf gespannt sein.

Friedrich Merz' neues Buch  © ThePioneer/Econ-VerlagRalph Brinkhaus und Olaf Scholz.  © ThePioneer

Auf - So wie am Dienstag in der Haushaltsdebatte war Ralph Brinkhaus (CDU) im Plenum des Bundestages lange nicht zu erleben: Angriffslustig und leidenschaftlich. Der Unionsfraktionschef hatte 2018 nach seinem überraschenden Sieg gegen Volker Kauder hohe Erwartungen geweckt, konnte diese aber bisher kaum erfüllen - was auch für die Außendarstellung gilt. Mehr Eigenständigkeit der Fraktion versprach Brinkhaus. Das Versprechen war im grauen Koalitionsalltag aber nur selten zu halten, zu oft präsentierte sich Brinkhaus als Sachwalter von Merkels Interessen. Gestern der andere Brinkhaus: „Schulden sind ein süßes Gift“, hielt er jetzt dem Finanzminister entgegen. Sparen sei allemal besser als Steuern erhöhen. Starker Auftritt - es geht bergauf.

Ab - Es hätte sein großer Tag werden können. Doch mit dieser Rede in der zentralen Etatdebatte im Bundestag hat Bundesfinanzminister Olaf Scholz die Chance vertan, sich mit einem starken Auftritt in der neuen Rolle als SPD-Kanzlerkandidat zu präsentieren. Doch er patzte.„Nicht handeln wäre viel teurer als handeln“, so Scholz' einzige klare Botschaft. Es war kein Auftritt mit Feuer, sondern einer, bei dem sich der Finanzminister in Spiegelstrichen verloren hat. Scholz braucht mehr Esprit, wenn er als Wahlkämpfer überzeugen will. Für den Finanzminister mit den großen Zielen geht es erst einmal bergab.

Sie sind bis heute die großen Opfer der Corona-Pandemie: die Hotels. Die Einbußen bei den Reisen haben die Hoteliers hart getroffen, die Frankfurter Allgemeine Zeitung hat sich in Deutschland umgesehen und spricht von einer "harten Auslese". Auch Traditionshäuser und Edelherbergen sind von der Pleitewelle betroffen. Ein Autorenteam rund um Ulrich Friese beschreibt die Lage der Branche. Hier können Sie den Text lesen!

Pennsylvania, Michigan und Wisconsin gehören zu den so genannten Swing States bei der US-Präsidentschaftswahl. Dort gewinnen mal die Republikaner, mal die Demokraten. Wer dort die Wahlmänner und -frauen für sich gewinnen kann, hat gute Chancen, bei einem knappen Rennen am Ende ganz vorne zu liegen und im Weißen Haus anzukommen. Peter Winkler von der NZZ hat die Stimmung in den Staaten in dieser spannenden Reportage analysiert.

Heute gratulieren wir herzlich zum Geburtstag:

Bela Bach, SPD-Bundestagsabgeordnete, 30

Bernd Westphal, SPD-Bundestagsabgeordneter, 60

Der ehemalige Bundestagsabgeordnete und FDP-Generalsekretär in Berlin, Lars Lindemann, will im Jahr 2021 wieder für den Bundestag kandidieren. Lindemann hatte sich als Gesundheitsfachmann zwischen 2009 und 2013 in der FDP-Fraktion einen Namen gemacht. Da Landeschef Christoph Meyer auf Listenplatz eins gesetzt ist, kann Lindemann mit Platz drei rechnen.

Andreas Schleicher, Pisa-Bildungsexperte bei der OECD.  © ThePioneer

Andreas Schleicher ist als Bildungsexperte der Industrieländerorganisation OECD seit vielen Jahren der unbequeme Mahner für Reformen im deutschen Bildungssystem. Im Interview mit der Welt hat er sich nun erneut kritisch geäußert und auf eine Sonderauswertung seiner Organisation verwiesen. „Weniger als 44 Prozent der Schulleiter in Deutschland halten ihre Lehrkräfte für technisch und pädagogisch kompetent, um neue Technologien sinnvoll in das Unterrichtsgeschehen zu integrieren“, fasst Schleicher die Ergebnisse zusammen.

Die Defizite, die nun durch die Corona-Krise offensichtlich geworden seien, könnten der Startschuss für echte Reformen sein. "Wirkliche Veränderungen finden ja oft in tiefen Krisen statt.“

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Herzlichst, Ihre

Pioneer Editor, Gründungs-Chefredakteur The Pioneer
Pioneer Editor, Ex-Stellvertretender Chefredakteur The Pioneer
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