Haushalt

Bürgergeld-Einsparungen im Realitätscheck

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Guten Morgen,

unsere Themen heute:

  • Die Ahrtal-Hilfe spaltet die Ampel: 2,7 Milliarden Euro Finanzierung sind ungewiss.

  • Das Abstammungsrecht soll reformiert werden. Wir kennen die Details.

  • Die SPD-Fraktion positioniert sich für 2024 zu den Themen Europa, Migration sowie zum Umgang mit der Schuldenbremse.

  • Die LNG-Terminals sind voll ausgelastet.

  • Die Bundesregierung will das Projekt für eine Gesundheitsreserve vorantreiben.

Heils fragwürdiges Zahlenwerk

Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) will die Akzeptanz für die Sozialleistung in der Gesellschaft erhöhen – und Kosten einsparen. Bürgergeldempfänger, die sich zumutbarer Arbeit verweigern, sollen deswegen stärker sanktioniert werden. Für bis zu zwei Monate kann ihnen ein Jobcenter die Stütze komplett streichen.

Die Maßnahme ist Teil der Etatverhandlungen für den Haushalt 2024.

Wie viel sich damit genau einsparen lässt, ist allerdings fraglich: Ende 2023 rechnete die Ampel noch mit 250 Millionen Euro Einsparvolumen. Inzwischen sind es 170 Millionen Euro – 150 Millionen Euro vom Bund, 20 Millionen Euro von den Kommunen.

Und es gibt Signale, dass auch diese Summe zu hoch gegriffen sein könnte – aus drei Gründen:

#1 Kleine Bürgergeld-Kohorte

Die Zahl der relevanten Gruppe könnte deutlich kleiner ausfallen. Wie viele Bürgergeldempfänger eine zumutbare Arbeit ablehnen, ist unklar. „Wir können uns dieser Frage nur annähern“, erklärt die Bundesagentur für Arbeit auf Anfrage.

Bundesagentur für Arbeit © dpa

Statistisch erfasst werde die Zahl der Menschen, die jegliche Art von Arbeit verweigern, nur gemeinsam mit denjenigen, die etwa auch eine Ausbildung oder ein gefördertes Arbeitsverhältnis ablehnen.

Eine statistische Trennung nach den Gründen ist also schwierig. In der Zeit von Januar bis August 2023 haben sich 8.531 Bürgergeldempfänger unkooperativ verhalten und eine Arbeit oder Qualifikationsmaßnahme abgelehnt. Neuere Zahlen liegen nicht vor.

Hochgerechnet auf das ganze Jahr 2023 wären das fast 13.000 Fälle. Selbst wenn man all diese Fälle den Arbeitsverweigerern zuordnen würde, wäre der Sparbeitrag gering.

Bei einem Bürgergeld-Regelsatz von 563 Euro und maximal zwei Monaten Stütze-Ausfall würde die Arbeitsagentur nicht mal 15 Millionen Euro pro Jahr einsparen – weit entfernt von der prognostizierten Ersparnis von 170 Millionen Euro.

#2 Wackeliger Einschüchterungseffekt

Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) setzt viel mehr auf den Einschüchterungseffekt. Dieser „präventive Teil“ mache den größten Teil der prognostizierten Einsparungen aus, heißt es aus dem Ministerium.

Dieser bewirke, „dass Personen und alle Mitglieder ihrer Bedarfsgemeinschaft idealerweise gar nicht erst bedürftig werden, beziehungsweise bleiben, weil sie künftig zumutbare Arbeitsangebote nicht ablehnen oder ihre Arbeit bereits zuvor nicht aufgeben.“

Ob der „präventive Teil“ tatsächlich weitere 155 Millionen Euro einspart, ist fraglich – auch aufgrund von Punkt #3.

#3 Restriktive Jobcenter

Die Jobcenter vor Ort gehen den „letzten Schritt“ offenbar äußerst ungern, hört unser Kollege Michael Graf von Bassewitz.

Jobcenter © imago

Vertreter der Jobcenter berichten, dass viele Berater zu harte Sanktionen scheuen würden. Selbst hart gesottene Arbeitslosenberater ziehen ungern die Ultima Ratio. Kaum jemand entzieht anderen gerne die Existenzgrundlage.

Fazit: Hohe Einsparungen durch die Bürgergeldstreichungen dürfen sich Bund und Bürger nicht erhoffen.

Fuest: Mehr arbeiten lohnt sich kaum

Dazu passt: Bei der CSU-Klausurtagung in Seeon warnte der Ökonom Prof. Clemens Fuest vor Fehlentwicklungen und falschen Anreizen beim Bürgergeld. Die Zahlen, die er hinter verschlossenen Türen präsentiert hat, liegen uns vor.

Fuest führt darin folgende Modellrechnung auf:

  • Ein Ehepaar mit zwei Kindern hat ein Bruttoeinkommen von 3.000 Euro pro Monat (Stundenlohn 20 Euro, 37,5 Stunden pro Woche).

  • Das Ehepaar überlegt, 100 Stunden pro Monat mehr zu arbeiten (25 Stunden pro Woche, „Zweidrittelstelle“). Das Bruttoeinkommen steigt demnach von 3.000 auf 5.000 Euro.

  • Das verfügbare Einkommen nach Abzug von Miet- und Heizkosten und bei Inanspruchnahme aller möglichen Sozialleistungen steigt um lediglich 32 Euro, also 0,32 Euro pro Stunde.

Eine Infografik mit dem Titel: Mehrarbeit nicht lohnenswert

Verfügbare Einkommen nach Abzug von Miet- und Heizkosten für ein Doppelverdiener-Ehepaar mit zwei Kindern, in Euro

WerteUnion als Partei im Verein umstritten

Gegen die Pläne, eine Partei mit dem Namen WerteUnion zu gründen, gibt es Widerstände im gleichnamigen rechtskonservativen Verein, erfuhren wir aus internen Kreisen.

„Aber selbst wenn die 2/3-Mehrheit verfehlt würde, könnte das die Parteigründung – unter einem anderen Namen – nicht verhindern“, sagte uns ein Insider, der mit der Neugründung befasst ist.

Hans-Georg Maaßen (CDU), ehemaliger Verfassungsschutz-Chef © imago

Im e.V. gibt es unterschiedliche Lager. Manche fühlen sich der Union verbunden, andere fürchten eine Zersplitterung des bürgerlichen Lagers, wieder andere wollen außerparlamentarisch bleiben.

Hans-Georg Maaßen sagte uns:

Ich gehe davon aus, dass die WerteUnion als von der CDU/CSU abgespaltene Partei dazu beitragen wird, zukünftig Mehrheiten in den Parlamenten für eine bürgerliche Politik zu schaffen.

AKW Isar II technisch nicht mehr rückholbar

Das Mitte April vom Netz gegangene Atomkraftwerk Isar II wird in wenigen Tagen höchstwahrscheinlich technisch nicht mehr rückholbar sein. Das erfuhr unser Kollege Thorsten Denkler aus Kreisen des Betreiberunternehmens E.ON.

Das Kernkraftwerk Isar 2 vor seiner Abschaltung.  © imago

Nach den uns vorliegenden Informationen wird dann damit begonnen, die primären Kühlkreisläufe mit einem hochgradig ätzenden Chemikalienmix durchzuspülen. Dies sei nötig, um möglichst viele radioaktive Rückstände aus den Leitungen zu lösen, bevor das AKW rückgebaut werden kann.

Danach sei es technisch nahezu unmöglich, das Kraftwerk wieder ans Netz zu holen, hören wir von E.ON.

Um etwa erneut eine Betriebsgenehmigung für das AKW Isar II zu bekommen, müsste der Betreiber für das komplette Kühlsystem den Nachweis erbringen, dass der Spülvorgang die Leitungen an keiner Stelle beschädigt habe.

Außerdem fehle schon jetzt das Personal, um Isar II noch unter Last fahren zu können. Dafür hätten zu viele ehemalige Mitarbeiter mit der notwendigen Lizenzierung das Unternehmen bereits verlassen.

Damit lassen sich die Atom-Versprechen der CSU schon in Bayern wohl kaum einlösen. In dem Beschluss der Landesgruppe vom Montag heißt es, man wolle „die Laufzeiten der verbliebenen deutschen Kernkraftwerke bis mindestens 31.12.2024 verlängern.“

Alexander Dobrindt, Vorsitzender der CSU-Landesgruppe. © dpa

Silberbach attackiert Faeser

Auf der Jahrestagung des Beamtenbundes DBB zeigte sich der Vorsitzende Ulrich Silberbach über die Abwesenheit von Innenministerin Nancy Faeser verärgert.

Ulrich Silberbach © dpa

Wortwörtlich warf Silberbach der Ministerin „Stillosigkeit” vor. Weder hat es eine persönliche Nachricht noch eine sonstige Begründung gegeben, warum die schriftliche Zusage nicht eingehalten wurde”, so Silberbach.

Als dann NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst gesprochen hatte, bedankte sich Silberbach und setzte nochmals zum Seitenhieb an: „Diese Klarheit wünschen wir uns auch aus anderer Quelle“. Im Raum war klar, dass das Richtung Faeser ging.

Ein Sprecher des Innenministeriums erklärte auf Anfrage, dass Faeser aufgrund anderer Termine in Berlin gewesen sei. Außerdem bestehe „intensiver Kontakt“ durch die Tarifverhandlungen mit dem DBB im vergangenen Jahr.

Wagenknecht-Partei will Volkspartei werden

Im Westen hopp, im Ost top: Benjamin Höhne, Politikwissenschaftler der Universität Magdeburg, sieht das größte Potenzial der neu gegründeten Wagenknecht-Partei in Ostdeutschland.

„Auch CDU und SPD sollten sich im Osten nicht zu sicher sein“, sagte Höhne unserem Kollegen Jan Schroeder. In den westlichen Bundesländern seien die Aussichten für das Projekt hingegen eher mager.

Benjamin Höhne © Gerlind Clemens

Ob sich die am Montag gegründete Partei auch bundesweit etablieren könne, sei noch alles andere als ausgemacht.

„Die Generalprobe hat Sahra Wagenknecht eigentlich vermasselt“, sagte Höhne und verweist auf das Bündnis „Aufstehen“, das Wagenknecht 2018 ins Leben gerufen hatte. Das Projekt habe zwar eine recht hohe Reichweite im Internet erreicht, sei jedoch politisch wirkungslos gewesen.

Fabio De Masi und Thomas Geisel werden beim ersten Parteitag am 27. Januar als Spitzenkandidaten für die Europawahl im Juni kandidieren. Neben der Europawahl will die Partei bei den drei Landtagswahlen im September antreten.

Das Wirtschaftsprüfungsinstitut EY liefert gute Nachrichten: Seit 2020 konnten die deutschen Dax-Unternehmen den Frauenanteil in Führungspositionen fast verdoppeln. Rund 18 Prozent der Vorstandsmitglieder waren im vergangenen Jahr Frauen.

Eine Infografik mit dem Titel: Dax-Vorstände: Frauenquote fast verdoppelt

Anzahl der neu bestellten Vorstandsmitglieder der 160 Unternehmen in den Indizes Dax, M-Dax und S-Dax

Wer befindet sich heute wo und welche Termine sind noch relevant?

  • Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) trifft sich heute mit Ärztevertretern und den Krankenkassen, um über Probleme in der ambulanten Versorgung zu sprechen.

  • Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) lädt zum Neujahrsempfang. Mit dabei sind Kanzler Olaf Scholz (SPD), Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) sowie Repräsentanten des öffentlichen Lebens und ehrenamtlich engagierte Bürger.

  • Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) hat im Rahmen ihrer Nahostreise im Westjordanland die Siedlungspolitik kritisiert. Heute wird sie nach Ägypten weiterreisen, um dort mit Außenminister Samih Schukri zu sprechen.

Annalena Baerbock im Westjordanland © dpa

Das war am Tag und in der Nacht außerdem los:

  • Die Bauernproteste legen Deutschland lahm: Etwa 7000 Fahrzeuge versammelten sich am Brandenburger Tor, in Baden-Württemberg nahmen etwa 25.000 Fahrzeuge an 270 Aktionen teil.

  • Die Bahn ist mit ihrer einstweiligen Verfügung gegen den Lokführerstreik gescheitert. Fahrgäste müssen sich weiterhin zwischen Mittwoch und Freitag auf Ausfälle einstellen.

  • Deutschland und die Welt trauern um die Fußballlegende Franz Beckenbauer, der am vergangenen Sonntag im Alter von 78 Jahren verstorben ist.

Für Olaf Scholz wird 2024 zum Entscheidungsjahr. Unsere Kollegen Thorsten Denkler, Claudia Scholz und Alexander Wiedmann analysieren, warum der Sozialdemokrat, der Nicht-Führung zum Führungsprinzip erklärt, richtungsweisende Machtworte sprechen muss.

Der Klicks aufs Bild führt Sie zur Titelgeschichte. © The Pioneer

Auf - Robert Habeck. In den Sozialen Medien fordert der Wirtschaftsminister per Video eine Debatte über die strukturellen Probleme der Landwirtschaft und ruft zu friedlichen Protesten auf. Er findet den richtigen Ton – emotionsfrei und klar – und das, obwohl aufgebrachte Bauern ihn gerade erst hinderten, von einer Fähre an Land zu gehen.

Ab - Élisabeth Borne. Die französische Premierministerin – die zweite Frau im Amt – musste zurücktreten. Nach den jüngsten Schwierigkeiten mit dem Immigrationsgesetz stand Präsident Emmanuel Macron stark unter Druck. Das Schlüsselvorhaben Macrons wurde in einer Zitterpartie verabschiedet, nachdem die Regierung den konservativen Républicains große Zugeständnisse machen musste, jetzt rollt der erste Kopf.

Heute gratulieren wir herzlich:

Isabel Cademartori, SPD-Bundestagsabgeordnete, 36

Holger Dremel, CSU-Abgeordneter im Bayerischen Landtag, 52

Monika Grütters, CDU-Bundestagsabgeordnete, 62

Cornelia Möhring, Linken-Bundestagsabgeordnete, 64

Florian Schäfer, SPD-Abgeordneter im Landtag des Saarlandes, 38

Jobst-Hinrich Ubbelohde, Staatssekretär für Europa im Brandenburgischen Ministerium der Finanzen, 59

Wir wünschen Ihnen einen elanvollen Start in diesen Donnerstag!

Herzlichst,

Ihre

Pioneer Editor, Leiterin „Hauptstadt – Das Briefing“
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