Haushaltskrise

Bürgergeld: Wo gespart werden kann

Teilen
Merken

Guten Morgen,

Unsere Themen heute:

  • Die Rufe nach einer Kürzung des Bürgergelds werden lauter. Was ist realistisch und was nicht?

  • Letzte Chance: Wählen Sie Ihre Politikerinnen und Politiker des Jahres.

  • Im Bundestag kursiert eine neue Idee, wie die Schuldenaufnahme für den Haushalt 2024 erleichtert werden kann.

  • Verteidigungsexperte Christian Mölling spricht über die Zukunft in der Ukraine – womöglich auch ohne die Unterstützung der USA.

  • Die Länder sehen keine Spielräume für Lohnerhöhungen im öffentlichen Dienst.

Die Crux mit dem Bürgergeld

Union und FDP scheinen sich einig: Das 17 Milliarden Euro große Haushaltsloch, das das Bundesverfassungsgericht am 15. November mit seinem Urteil zum Klima- und Transformationsfonds gerissen hat, ließe sich am besten stopfen, wenn Sozialleistungen gekürzt werden.

Fast 40 Prozent oder 172 Milliarden Euro des laufenden Bundeshaushaltes gehen 2023 in den Etat des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Davon sind wiederum 24,3 Milliarden Euro – also weniger als 15 Prozent – für das Bürgergeld vorgesehen.

Eine Infografik mit dem Titel: Größter Posten: Arbeit und Soziales

Geplante Ausgaben im Bundeshaushalt 2024 nach Ressorts, in Prozent

Dennoch konzentrieren sich die Forderungen jetzt darauf, weniger für das Bürgergeld auszugeben. Es gibt da allerdings klare verfassungsrechtliche Grenzen.

Unser Kollege Thorsten Denkler hat analysiert, welche Forderungen umsetzbar sein könnten. Und welche eher nicht.

Forderung 1: Die Erhöhung des Bürgergelds um knapp 12 Prozent zum 1. Januar wird ausgesetzt.

Das wollen etwa CDU-Chef Friedrich Merz und FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai.

Carsten Linnemann und Friedrich Merz, CDU © imago

Die mögliche Ersparnis: Etwa 4,4 Milliarden Euro.

Problem: Mit der Erhöhung des Bürgergeldes um 61 Euro pro Monat folgt die Bundesregierung den verfassungsrechtlichen Vorgaben. Jeder in Deutschland lebende Mensch hat nach Artikel 1 des Grundgesetzes („Die Würde des Menschen ist unantastbar“) Anspruch auf eine soziale Mindestsicherung, die eine menschenwürdige Existenz möglich macht.

Dafür werden die Regelsätze jährlich zum 1. Januar an die Preis- und Lohnentwicklung angepasst.

Zur Berechnung werden Preise und Gehälter der Monate April, Mai und Juni des vorletzten Jahres mit denen des Jahres vor der Anpassung verglichen. Daraus ergibt sich die eine Preissteigerung von 9,9 Prozent. Und nicht die aktuellen drei Prozent.

Eine Infografik mit dem Titel: Inflation: So niedrig wie seit zwei Jahren nicht mehr

Steigerung des Verbraucherpreisindex gegenüber dem Vorjahresmonat seit 2021, in Prozent

Das Verfassungsgericht stellt dem Gesetzgeber frei, wie er das menschenwürdige Existenzminimum berechnet. Da aber die Berechnung laut Urteil objektiv nachvollziehbar sein muss, kann die beschlossene Erhöhung nicht einfach rückgängig gemacht werden.

Möglich wäre allerdings, die Berechnungsgrundlagen so zu variieren, dass weniger als die jetzt festgelegten 61 Euro dabei herauskommen. Groß ist der Spielraum allerdings nicht.

Forderung 2: Arbeitsfähigen jungen Erwachsenen soll das Bürgergeld statt um 30 um 50 Prozent gekürzt werden können, wenn sie Arbeits- oder Ausbildungsangebote ablehnen.

Das ist eine Forderung etwa von CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann.

Carsten Linnemann  © Anne Hufnagl

Das Bundesverfassungsgericht hat es zwar dem Gesetzgeber gestattet, nicht kooperatives Verhalten von Sozialleistungsempfängern zu sanktionieren.

Aber er darf es nicht übertreiben. In einem Urteil von 2019 hat es festgelegt, dass es maximal eine Kürzung von 30 Prozent akzeptiert. Diese Grenze ist jetzt geltendes Recht.

Forderung 3: Bürgergeld soll es für Flüchtlinge erst nach fünf Jahren statt nach 18 Monaten geben.

Das hat CSU-Chef Markus Söder in den Debattenraum geworfen. Allerdings gibt es dazu bereits seit 2013 ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts.

Markus Söder nach der Vorstandssitzung der CSU in München.  © dpa

Asylbewerber bekommen zunächst nur die deutlich geringeren Leistungen aus dem Asylbewerberleistungsgesetz, bevor sie aktuell nach 18 Monaten Anspruch auf Bürgergeld haben.

Diese Übergangsphase betrug auch schon 48 Monate, beziehungsweise vier Jahre. Das Bundesverfassungsgericht befand: Das ist zu lang. Ohne zu sagen, wo genau die Grenze sein müsste. Der Gesetzgeber hat sich danach für 18 Monate entschieden.

Die Ampel testet den Spielraum weiter aus. Nach einer Einigung mit den Ministerpräsidenten soll die Wartezeit auf 36 Monate verlängert werden.

Forderung 4: Kein sofortiges Bürgergeld an neu ankommende ukrainische Flüchtlinge mehr.

Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine haben einen Sonderstatus in Deutschland. Anders als andere Flüchtlinge bekommen sie umgehend nach Ankunft Bürgergeld.

Hubertus Heil beim Arbeitgebertag. © BDA

Dieses Privileg lässt sich auch wieder abschaffen. Eine Forderung, für die auch Arbeits- und Sozialminister Hubertus Heil (SPD) schon Sympathien gezeigt hat.

Denn: Nur 20 Prozent der nach Deutschland geflüchteten Ukrainer haben einen Job. In anderen europäischen Ländern ist die Quote höher.

Für die etwa 700.000 Ukrainerinnen und Ukrainer im Land, die aktuell Bürgergeld beziehen, würde das aber nichts ändern. Eine Gesetzesänderung kann nur für Neuankömmlinge gelten, hat auch Söder eingeräumt.

Letzte Chance: Wer sind die Politikerinnen und Politiker des Jahres?

Welche politischen Akteure haben Sie in diesem Jahr überzeugt? Wer hat seinen Job gewissenhaft gemacht? In Zeiten von Krieg, Inflation, Klimawandel und Haushaltskrise keine leichte, aber eine umso notwendigere Aufgabe.

Heute um 23:59 Uhr schließt die Abstimmung für die Rangliste der Politik im Jahr 2023 und es steht fest, wer die Gewinner der sieben Kategorien sind:

  • Politikerin oder Politiker des Jahres

  • Beliebtestes Kabinettsmitglied

  • Erfolgreichste Ministerpräsidentin oder -präsident

  • Landespolitikerin oder -politiker des Jahres

  • Beste Parteimanagerin oder -manager

  • Rising Star

  • Kundigste Fachpolitikerin oder -politiker

Nutzen Sie also die letzte Chance zum Abstimmen. Hier entlang!

Die Rangliste der deutschen Politik 2023

Wer hat in diesem Jahr politisch überzeugt? Stimmen Sie für Ihre Politiker des Jahres!

Artikel lesen

Veröffentlicht von Luisa Nuhr.

Artikel

Gesucht: Begründung für neue Haushaltsnotlage

Auf den Fluren des Bundestags kursiert eine neue Idee, wie die Schuldenaufnahme für den Haushalt 2024 doch noch erleichtert werden kann.

Der Bundestag könnte wegen der Ukraine eine erneute Notlage ausrufen, hört unser Kollege Christian Schlesiger.

Leopard-Panzer: Deutschland stockt Ukraine-Hilfe auf © dpa

Zwar läuft der russische Angriffskrieg gegen das osteuropäische Land bereits seit Februar 2022. Damit fehlt der Notlage der Schock-Moment, wie ihn das Urteil des Bundesverfassungsgerichts von Mitte November voraussetzt.

Aber führende Haushälter aus SPD und Grünen argumentieren, die Notlage lasse sich aus dem Umstand ableiten, dass die russische Aggression zuletzt spürbar zugenommen habe, hören wir. Der Schutz Europas werde damit neu herausgefordert.

Selbst in der FDP gibt es Politiker, die hinter vorgehaltener Hand eine gewisse Plausibilität für das Argument erkennen lassen.

Im Haushaltsentwurf 2024 sind bereits acht Milliarden Euro als Ukraine-Hilfe vorgesehen, eine Verdopplung gegenüber 2023.

Die neue Notlage ließe sich möglicherweise auch einfacher begründen als die rückwirkende Notlage für den Nachtragshaushalt 2023.

Christian Haase, CDU. © imago

Eine Notlage habe eine „Warnfunktion”, um einen geschichtlichen Vorgang klar zu identifizieren. So steht es in einer achtseitigen Stellungnahme des Bundesrechnungshofes für den Haushaltsausschuss.

Rückwirkend sei das schwer zu begründen. Im Vorfeld durchaus.

Christian Haase, Haushälter der CDU, lehnt das Vorgehen ab. Er sagte uns:

Helfen muss die Staatengemeinschaft im Rahmen ihrer Möglichkeiten. Schulden aufnehmen gehört nicht dazu.

US-Hilfen für die Ukraine können „wahrscheinlich nicht“ kompensiert werden

Auch der Leiter des Zentrums für Sicherheit und Verteidigung (DGAP), Christian Mölling, spricht sich für die Einrichtung eines Sondervermögens aus, um die Ukraine weiterhin unterstützen zu können. Er sagt uns:

Die Haushaltskrise ist die Gelegenheit, das Fass nochmal aufzumachen. Solange wir unsere Haushaltsarithmetik nicht ändern, müssen wir über diese Sondervermögen operieren. Wir haben zurzeit eine große Notlage und das ist der Krieg.

Christian Mölling © Imago

Es brauche eine dauerhafte Unterstützung über die geplanten acht Milliarden Euro hinaus; so stelle der Staat auch Planungssicherheit für die Industrie her.

Der Ukraine droht zu Neujahr der Wegfall von US-Hilfen. Der Experte warnt:

Klar ist, wenn die Europäer in die Lücke nicht springen, wird niemand anderes in die Lücke springen. Dann wäre auch das Investment, was wir bislang gemacht haben, verloren.

Europa und Deutschland könnten einen möglichen Ausfall der US-Hilfen „wahrscheinlich nicht“ kompensieren, meint der Experte. Denn wir hätten zu spät angefangen, überhaupt die Waffenproduktion hochzufahren.

Kampfpanzer Leopard 2A4 © dpa

Die Produktion sei bis heute „nicht Top-Priorität“, so der Experte.

40 Prozent der in Europa produzierten Artilleriemunition gehen in den Export, nicht an die Ukraine. Das heißt, da ist noch Luft nach oben.

Auch weil der Kanzler den Ernst der Lage nicht erkenne:

Das Verteidigungsministerium schätzt die Lage ernst ein, das Kanzleramt nicht. Vielleicht weiß es um die Lage, aber die Konsequenz fehlt.

Länder: Kaum Spielraum für höhere Gehälter

ver.di Demonstration © picture alliance

Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Bundeshaushalt sehen die Länder in der laufenden Tarifrunde keine weiteren Spielräume für Lohnerhöhungen. Andreas Dressel, Hamburger Finanzsenator und Vorsitzender der Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) und zugleich ihr Verhandlungsführer, sagte unserem Kollegen Paul Jouen:

Die Länder sind im Krisenmodus. Wir werden den Gewerkschaften erklären müssen, dass unsere Möglichkeiten in der Lohnrunde eingeschränkt sind.

Ver.di und dbb fordern eine Lohnerhöhung von 10,5 Prozent für alle 3,5 Millionen Beschäftigten im öffentlichen Dienst auf Landesebene. Sie sollen mindestens 500 Euro pro Monat mehr verdienen, während etwa Praktikanten und Auszubildende eine Erhöhung von 200 Euro erhalten sollen.

Andreas Dressel (SPD), Hamburger Finanzsenator und Vorsitzender der TdL © picture alliance

Die Forderungen der Arbeitnehmer würden die Länder jährlich mit 20,7 Milliarden Euro belasten, sagte uns Dressel. Dies könnten sich die Länder nicht leisten.

Allein mit dem Wegfall von 60 Milliarden Euro Fördergeld im Klima- und Transformationsfonds fehle den Ländern ein zweistelliger Milliardenbetrag. Dennoch bleibt er gesprächsbereit. Dressel sagte uns:

Für die TdL kommt es auf beides an: Wertschätzung für die Beschäftigten und Verantwortung für die Länderhaushalte.

Staatssekretär Wenzel vertritt Habeck auf der COP28

Grünen-Umweltexperte Stefan Wenzel. © Imago

Der Parlamentarische Staatssekretär Stefan Wenzel (Grüne) wird Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck (Grüne) auf der Klimakonferenz in Dubai vertreten. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte Habeck gebeten, in Berlin zu bleiben, um weiter mit ihm und Finanzminister Christian Lindner (FDP) am Haushalt 2024 zu arbeiten.

Wenzel wird an diesem Dienstag an Minister-Runden zu den Themen Wasserstoff, Effizienz von erneuerbarer Energie und zum sogenannten „Klimaklub“ teilnehmen.

Außerdem soll er gemeinsam mit dem Entwicklungsstaatssekretär Jochen Flasbarth (SPD) im deutschen Pavillon den deutschen Beitrag zum globalen Ausbau erneuerbarer Energien vorstellen.

Auf - Boris Palmer. Der parteilose Tübinger Oberbürgermeister möchte bei den baden-württembergischen Kommunalwahlen im Juni 2024 als Kandidat der Freien-Wähler-Vereinigung für den Kreistag kandidieren. Durch den Beitritt in die Vereinigung, die übrigens nichts mit der Partei Freie Wähler zu tun hat, kommt er um eine Parteimitgliedschaft herum und kann trotzdem mitbestimmen, wie viel Geld in seine Stadt für Projekte zurückfließt. Pragmatisch.

Ab - Ursula von der Leyen. Nach Australien scheint jetzt auch das Freihandelsabkommen mit den Mercosur-Staaten vorerst gescheitert zu sein. Die Reise der EU-Kommissionspräsidentin zum Mercosur-Gipfel in Rio de Janeiro am Donnerstag ist abgesagt. Dort sollte das Abkommen eigentlich besiegelt werden. Bitter für die „De-Risking“-Pläne von der Leyens.

Um die nächsten zwei Jahre zu überstehen, benötige die Ampel laut Eva Quadbeck eine tragfähige Lösung für die Staatsfinanzen 2024, inklusive eines gemeinsamen Kurses für 2025 und 2026. Für die RND-Chefredakteurin steht die Regierung vor „einem gefährlichen Kipppunkt“ im Ringen um den Bundeshaushalt. Ohne „ein wenig gemeinsames Fundament“ drohe der Koalition ein „Ermüdungsbruch“. Quadbeck betont, dass es in den letzten zwei Jahren vor allem darum gegangen sei, den inneren Zusammenhalt zu stärken und mit „wenig haltbaren“ Kompromissen voranzukommen. Lesenswert!

In einem Gastbeitrag für die Welt fordert die FDP-Bildungspolitikerin Ria Schröder eine grundlegende Reform der Kultusministerkonferenz (KMK). Dabei brauche es eine neue Zusammenarbeit miteinander und mit dem Bund, mit dem gemeinsamen Ziel von Koordinierung, Qualitätssicherung und Finanzierung der schulischen Bildung in Deutschland. Die Bundesbildungsministerin solle nicht nur Zaun- beziehungsweise Kamingast sein, sondern gleichberechtigtes Mitglied in der KMK. Fazit: „Wenn die KMK in dieser Woche tagt, hat sie Gelegenheit zu zeigen, ob das föderale Bildungssystem, für das sie steht, eine Zukunft hat.“ Spannend!

Heute gratulieren wir herzlich:

Stefan Dallinger (CDU), Mitglied des Vorstands des Vereins Zukunft Metropolregion Rhein-Neckar, 61

Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU), Bundesverteidigungsminister a.D., 52

Markus Koob, CDU-Bundestagsabgeordneter, 46

Dirk Steffens, Journalist und Fernsehmoderator, 56

Stefan Zierke, SPD-Bundestagsabgeordneter und Parlamentarischer Staatssekretär a.D., 53

© The Pioneer

Wir wünschen Ihnen einen elanvollen Start in diesen Donnerstag!

Herzlichst,

Ihre

Pioneer Editor, Leiterin „Hauptstadt – Das Briefing“
  1. , Pioneer Editor, Leiterin „Hauptstadt – Das Briefing“

Redaktion

Mitgewirkt haben Thorsten Denkler, Phillipka von Kleist, Christian Schlesiger, Claudia Scholz, Carlotta Diederich und Paul Jouen.

Grafiken

Aaron Wolf

Abonnieren

Abonnieren Sie den Newsletter Hauptstadt – Das Briefing