Versorgungssicherheit

Bundesrechnungshof – Versorgungssicherheit in Gefahr

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Guten Mittag,

der Bundesrechnungshof (BRH) sieht große Gefahren für die Energiewende. Die Regierung hinke ihren Zielen zum Ausbau erneuerbarer Energien und dem Neubau gesicherter, steuerbarer Kraftwerksleistung hinterher, heißt es im Sonderbericht Energiewende, den der Bundesrechnungshof an diesem Donnerstag veröffentlicht hat.

Das hat womöglich weitreichende Konsequenzen: Die Situation berge „erhebliche Risiken für den Wirtschaftsstandort Deutschland sowie die Akzeptanz der Energiewende in der Bevölkerung“, heißt es in dem Sonderbericht. Die Bundesregierung müsse umgehend reagieren.

Unsere Kollegen Thorsten Denkler und Marc Saha fassen die wichtigsten Erkenntnisse des Bundesrechnungshofes in diesem Hauptstadt-Blitz zusammen:

1) Die Versorgungssicherheit ist gefährdet

Mit der Elektrifizierung aller Lebensbereiche werde die Strom-Nachfrage deutlich steigen, um gut ein Drittel bis 2030. Es sei aber fraglich, „ob das Angebot damit Schritt halten kann“, schreibt der BRH.

Damit widerspricht die Behörde der Einschätzung der Bundesnetzagentur, dass die Versorgungssicherheit „grundsätzlich beherrschbar“ sei. Diese Annahme gehe von einem wenig wahrscheinlichen Best-Case-Szenario aus.

Der BRH kommt zu dem Schluss:

Der Bundesrechnungshof sieht das Ziel einer sicheren Versorgung mit Elektrizität nicht als gewährleistet an.

Der BRH empfiehlt: Die Regierung solle verschiedene Eintrittswahrscheinlichkeiten betrachten und auch ein „Worst-Case“-Szenario einbeziehen, um die Versorgungssicherheit zu bewerten.

Erneuerbare Energieproduktion © picture alliance/dpa | Jan Woitas

2) Der Ausbau der erneuerbaren Energien kommt nicht schnell genug voran

Es sei „absehbar, dass insbesondere der Ausbau von Windenergie an Land nicht im gesetzlich festgelegten Umfang erreicht wird“, schreiben die Prüfer des BRH.

Auch das Wirtschaftsministerium (BMWK) räumt laut dem BRH-Bericht ein, dass der Ausbau derzeit noch zu langsam sei. Dafür sei unter anderem 2022 das Wind-an-Land-Gesetz beschlossen worden, das den Ausbau beschleunigen soll. Es könne aber erst zeitversetzt wirksam werden.

Der BRH hält das für nicht ausreichend:

Auch unter Berücksichtigung der vom BMWK angeführten Beschleunigungsmaßnahmen ist nicht absehbar, wie die Bundesregierung die Ausbaupfade des EEG 2023 erreichen kann.

Das Nadelöhr sind die Ausschreibungen: Im vergangenen Jahr seien neue Windparks mit einer installierten Leistung von 12,8 Gigawatt ausgeschrieben worden, aber nur etwa die Hälfte konnte auch vergeben werden. Um auf dem gesetzlich vorgegebenen Ausbaupfad zu bleiben, müssten im laufenden Jahr statt der bisher vorgesehenen zehn Gigawatt dann 16,5 Gigawatt ausgeschrieben und vergeben werden.

Eine Infografik mit dem Titel: Stockende Auktionen

Tatsächlich installierte Leistung in Gigawatt (GW) im Vergleich zur gesetzlichen Vorgabe.

3) Der Netzausbau hinkt

Der Ausbau des Energienetzes hinke in Deutschland um sieben Jahre hinterher, schreibt der BRH. Rund 2.700 Kilometer Hochspannungstrassen seien bis zum dritten Quartal 2023 fertiggestellt worden. 6.000 Kilometer weniger als nötig.

Eine Infografik mit dem Titel: Ausbau der Stromtrassen hakt

Geplanter und tatsächlicher Netzausbau und die Differenz, in Kilometern

Da geht es vor allem um das Nachholen von Versäumnissen. Der mangelnde Ausbau der Stromnetze etwa wurde vom BRH schon im vergangenen „Sonderbericht Energie“ von 2021 bemängelt. Damals war von 4.000 fehlenden Kilometern Trasse die Rede.

4) Die Kraftwerkstrategie kommt zu spät

Um die Stromproduktion auch dann zu sichern, wenn die Sonne nicht scheint und der Wind nicht weht, „ist der Zubau ausreichender gesicherter, steuerbarer Backup-Kapazitäten bis zum Jahr 2030 von zentraler Bedeutung.“ Der BRH schreibt dazu:

Jedoch kann das BMWK seinen Zeitplan zum Zubau gesicherter, steuerbarer Backup-Kapazitäten mit der Kraftwerksstrategie 2026 voraussichtlich nicht einhalten.

Die vom BMWK vorgelegte Kraftwerksstrategie soll den Ausbau von schnell einsetzbaren Gaskraftwerken vorantreiben, die künftig von Gas aus erneuerbaren Quellen betrieben werden sollen, wie Biogas oder vor allem grünem Wasserstoff.

Robert Habeck vor Solaranlage © Thorsten Denkler

Der BRH bemängelt auch, dass diese zu spät vorgelegt worden sei und es noch immer keine Einigung darüber gebe, wie die notwendigen neuen wasserstofffähigen Gaskraftwerke finanziert werden sollen.

Der Plan: Die Bundesregierung will dafür bis 2028 einen Kapazitätsmarkt aufgebaut haben, in dem nicht nur der produzierte Strom, sondern vor allem die vorgehaltene Leistung vergütet wird. Die geplanten Gaskraftwerke sollen nur als Notnagel dienen, wenn Sonne und Wind nicht ausreichend Strom liefern. Ohne Kapazitätsmarkt lohnt sich aber der Bau nicht.

Dafür müsste die Bundesregierung nach Ansicht des BRH aber zunächst die Versorgungssicherheit formal in Frage stellen und die benachbarten Mitgliedsstaaten konsultiert haben. Aus Sicht des BRH ein derart aufwändiger Prozess, dass er zu diesem Schluss kommt:

Vor diesem Hintergrund erscheint es fraglich, dass ein Kapazitätsmechanismus bis spätestens zum Jahr 2028 „operativ“ ist.

5) Die Kosten steigen

Weil der gesicherte Strom aus Atomkraft und Kohle reduziert werde, zugleich aber der Ausbau der erneuerbaren Energien nicht in der gewünschten Geschwindigkeit vorankomme, würden die Kosten des Stromsystems „erheblich steigen“, schlussfolgert der BRH.

Dazu kommen die Kosten für den Netzausbau: Von 2007 bis 2023 wurden 107,4 Milliarden Euro aufgewendet. Von 2024 bis 2045 werden dafür mehr als 460 Milliarden Euro eingeplant werden müssen.

Erneuerungsarbeiten an Stromtrassen © Imago

Und die Kosten für das Engpassmanagement: 2022 etwa habe das Engpassmanagement, das eine Überlastung der Stromnetze verhindert, 4,2 Milliarden Euro gekostet. 2028 werden es 6,5 Milliarden Euro sein. Zahlen müssten das letztlich die Stromkunden. Oder im Zweifel die Steuerzahler.

Die Bundesregierung müsse die Systemkosten der Energiewende klar benennen und „die von ihr geregelten Strompreisbestandteile konsequent auf ihre energiepolitischen Ziele ausrichten“, schreibt der BRH.

Das Fazit des Bundesrechnungshofes: Die Maßnahmen der Regierung sind ungenügend. Mit ihrem Vorgehen laufe die Bundesregierung Gefahr, „dass die Energiewende scheitert“.

Mitarbeit: Marc Saha

Wir hoffen, Ihnen hat dieser Hauptstadt-Blitz gefallen. Wir wünschen Ihnen einen schönen Rest-Donnerstag!

Herzlichst,

Ihre

Pioneer Editor, Leiterin „Hauptstadt – Das Briefing“
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