Corona-Regeln a.D.

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© ThePioneer / Henning Schmitter

Guten Tag,

herzlich willkommen zu unserem Briefing aus der Hauptstadt - direkt von der Pioneer One. Schön, dass Sie wieder dabei sind!

Unsere Themen heute:

  • Die Länder wollen heute trotz lokaler Rückschläge bei den Infektionen ihren Öffnungskurs in der Corona-Pandemie beschleunigen. Wir sagen, was kommt.

  • Am Mittwoch legt Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen den Plan für den Wiederaufbaufonds in Europa vor. Ein Kompromiss zwischen der Merkel-Macron- und der Sebastian-Kurz-Position bahnt sich an. Hier lesen Sie erste Details.

  • Corona über den Wolken? Die Bundesregierung nimmt die Airlines in die Pflicht.

Länder im Öffnungsmodus

Deutschland im Corona-Frühling: Schwimmbäder öffnen, Biergärten und Geschäfte auch, es wird sogar wieder tätowiert und gepierct. Die Zahl der aktuell Infizierten ist nach Angaben des Robert-Koch-Instituts in Deutschland auf unter 10.000 gesunken, manche Länder vermelden keine einzige neu erkrankte Person. Im 18-Millionen-Einwohner-Bundesland Nordrhein-Westfalen werden weniger als 100 Personen auf einer Intensivstation beatmet. Die Staatskanzleichefs der Länder wollen deshalb heute in einer Videokonferenz mit Kanzleramtschef Helge Braun (CDU) noch mehr Öffnungen durchsetzen.

Angela Merkel und die Länderchefs.  © imago

Die skeptische Bundeskanzlerin Angela Merkel hat offenbar keine Lust mehr, mit den Ministerpräsidenten noch selbst darüber zu streiten. Das für Ende Mai geplante Gipfeltreffen hat sie absagen lassen, wie wir von Regierungsbeamten erfahren haben.

Kleine Gruppen sollen sich treffen dürfen

Mehrere Länder wollen nun die Regel, dass sich im Freien nur Angehörige aus maximal zwei Haushalten treffen dürfen, nach dem 5. Juni lockern. Zu den Befürwortern zählen demnach unter anderem Thüringen, NRW, Niedersachsen, Sachsen-Anhalt und Sachsen. Großveranstaltungen sollen weiter verboten bleiben. Aber über die mögliche Größe von Gruppen, die sich draußen zusammen aufhalten dürfen, müsse man reden - sollten die Neuinfektionszahlen niedrig bleiben. Die regionalen Ausbrüche seien in geschlossenen Räumen passiert, heißt es etwa in Thüringen. Die Ansteckungsgefahr an der frischen Luft schätzen auch Regierungsmitglieder mittlerweile als sehr gering ein.

Die Kanzlerin hat auch aus einem anderen Grund den Gipfel mit den Ministerpräsidenten abgesagt. Die Länderchefs machten vor dem letzten Treffen ihre Initiativen vorab über die Medien öffentlich - ein Affront. Angela Merkel war zudem genervt, dass sie Zitate aus dem anschließenden Gespräch fast live in einzelnen Medien mitlesen konnte.

Angela Merkel und NRW-Regierungschef Armin Laschet. © dpa

Für die Regierungschefin könnte es sich noch auszahlen, dass die Chefrunde nicht mehr mit ihr stattfindet. Sollte die von ihr erwartete zweite große Infektionswelle kommen, kann sie die Verantwortung auf die Öffnungspolitik in den Ländern schieben.

1. Ein bisschen Kurz, ein bisschen Merkron

Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen arbeitet hinter den Kulissen eifrig an einem Kompromiss für den milliardenschweren Wiederaufbau-Fonds für die krisengeplagten EU-Länder. Am Mittwoch will sie Details vorstellen, wie sie den 500-Milliarden-Euro-Fonds, den Angela Merkel und Emmanuel Macron vergangene Woche vorgestellt hatten mit den Positionen der vier kritischen Staatschefs rund um Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz ("frugal four") zusammenbringen kann.

Sebastian Kurz hatte sich gleich nach der Vorstellung des Merkel-Macron-Plans öffentlich gegen Zuschüsse für die Südländer ausgesprochen und vor einer "Schuldenunion durch die Hintertür" gewarnt. Seitdem führt der 33-jährige Regierungschef aus Wien den Widerstand gegen das deutsch-französische Tandem an.

Sebastian Kurz  © Media Pioneer

Nun will von der Leyen nach unseren Informationen zentrale Kritikpunkte aufgreifen. Das Positionspapier, das neben Kurz auch die Regierungschefs aus Schweden, Dänemark und den Niederlanden unterschrieben haben, habe "den Charakter einer Treppe zu einem Kompromiss", hörten wir aus der EU-Kommission. Der Kompromissvorschlag werde eine Befristung der Hilfen enthalten, im Gespräch sind zwei bis drei Jahre. Außerdem soll es eine Mischung aus Krediten und direkten Zuschüssen geben.

Eine Vergemeinschaftung der Schulden, also eine gemeinsame Haftung der Nationalstaaten für die von der Kommission aufgenommenen Kredite, ist nicht vorgesehen. Jeder EU-Staat haftet nur mit dem Anteil, den das Mitgliedsland auch heute schon in den EU-Haushalt einbringt. Bei Deutschland sind das rund 26 Prozent.

Die Position aus Österreich, Schweden, Dänemark und Niederlande. © Media Pioneer

In dem Positionspapier der kritischen Länder, die sich als „sparsame Vier“ bezeichnen, wird außerdem gefordert, das EU-Budget durch Einsparungen an anderer Stelle zu entlasten. "Ein starkes Engagement für Reformen und den fiskalischen Rahmen ist für die Förderung des potenziellen Wachstums von wesentlicher Bedeutung", heißt es. Der Europäische Rechnungshof und die Anti-Betrugsbehörde Olaf sollen den Prozess überwachen.

Der Deutsche Bundestag muss laut Rechtsexperten einen möglichen europäischen Wiederaufbaufonds mit einer 66-prozentigen Mehrheit beschließen. Demnach gehe es laut Artikel 23, I Grundgesetz um einen "Eigenmittelbeschluss", heißt es in der Bundestagsverwaltung. Die neue Kreditermächtigung betreffe direkt die Haushaltsverantwortung des Bundestages und besitze deshalb Verfassungsrelevanz. Es ist noch ein weiter Weg für den EU-Fonds des Tandems Merkel/Macron.

2. Corona-Schutzschirm für Ausbildungsplätze

An diesem Dienstag sind Regierung, Bundesagentur für Arbeit und Sozialpartner zu einer Telefonkonferenz verabredet. Dabei geht es um die Corona-Auswirkungen auf den Ausbildungsmarkt. Bereits zu Beginn des Monats hatte die Wirtschaft Alarm geschlagen und erklärt, es werde „von Tag zu Tag“ schwieriger, die Ausbildung aufrecht zu erhalten und Lehrstellen für das kommende Jahr anzubieten. Ein Grund: Betriebe können erst nach 30 Werktagen Kurzarbeitergeld für Azubis beantragen.

Regierung, Gewerkschaften und Arbeitgeber arbeiten nun in der „Allianz für Ausbildung“ an einem Schutzschirm für den Lehrstellenmarkt. Die Details sollen an diesem Montag final abgestimmt werden. Bildungsministerin Anja Karliczek (CDU) sagte uns: „Ich bin zuversichtlich, dass wir gemeinsam mit allen Beteiligten zielführende Maßnahmen treffen werden.“ Geplant ist nach unseren Informationen unter anderem eine zeitlich befristete Prämie für Firmen, die Azubis aus insolventen Betrieben übernehmen.

3. Grundrente entzweit die Union

An diesem Montag beschäftigt sich der Ausschuss für Arbeit und Soziales des Bundestages in einer Expertenanhörung mit der umstrittenen Grundrente. Die Deutsche Rentenversicherung wird dabei erklären, warum sich der Start auf Mitte 2021 verzögert und es auch danach noch anderthalb Jahre dauern dürfte, bis auch der letzte anspruchsberechtigte Rentner sein Geld bekommt.

Ebenso spannend wie die technischen Hürden ist die politische Auseinandersetzung. Anders als von der SPD gefordert wird der Bundestag in dieser Woche nicht über den Gesetzentwurf von Arbeitsminister Hubertus Heil entscheiden. Offiziell begründen CDU und CSU dies damit, dass zentrale Punkte wie die Finanzierung weiterhin ungeklärt sind. Tatsächlich entzweit die Grundrente, die für langjährig Versicherte gelten soll, die im Ruhestand mit ihrer Rente kaum über das Existenzminimum kommen, auch die Union.

Die Grundrente wird kommen. Und sie ist kein Almosen.

CDU-Arbeitnehmerchef Uwe Schummer

Auf der einen Seite Fraktionschef Ralph Brinkhaus und weite Teile des Wirtschaftsflügels, die das Projekt am liebsten beerdigen würden, dort Angela Merkel, die bei der SPD im Wort steht. Die Grundrente scheitern zu lassen, könne am Ende vor allem der Union schaden, warnen Kanzlerinnen-Vertraute. Ähnlich argumentiert auch der CDU-Sozialflügel. „Die Grundrente ist entschieden. Sie wird kommen, und sie ist kein Almosen“, sagte uns Uwe Schummer, Chef der Arbeitnehmergruppe der Unionsfraktion. Die Grundrente solle vor allem aus einer Finanztransaktionsteuer finanziert werden. Doch Schummer schränkt ein: „Davon sollten wir aber nicht alles abhängig machen.“

Corona-Schutz: Die Bundesregierung ermahnt die Airlines © ThePioneer

Die Bundesregierung sieht Nachholbedarf bei den Corona-Vorsichtsmaßnahmen an Bord von Passagierflugzeugen. Für alle Formen des Personenverkehrs sollten „angemessene Maßnahmen zur Begrenzung des Kontakts getroffen werden“, heißt es in der Antwort des Gesundheitsministeriums auf eine Anfrage des Grünen-Bundestagsabgeordneten Dieter Janecek. „Die Einhaltung eines Abstands von 1,5 Metern zu anderen Personen im Flugzeug würde das Risiko einer Übertragung von SARS-CoV-2 vermindern.“

Zuletzt hatte es Berichte darüber geben, dass Airlines Mittelsitze und Zwischensitzreihen nicht freigehalten hatten. Die Bundesregierung verzichtet in ihrer Antwort jedoch auf Vorgaben. Sie verweist stattdessen auf Vorschläge der EU-Kommission zum Abstandsgebot in Passagierjets. „Entsprechend den Vorschlägen erarbeiten Fluggesellschaft und Flughafenbetreiber Konzepte zur Luftsicherheit, die mit den zuständigen Bundesländern noch abgestimmt werden werden müssen“, heißt es in der Ministeriumsantwort. Grünen-Politiker Janacek sagte uns: „Schwer vorstellbar, dass das Fliegen in vollgestopften Flugzeugen in Corona-Zeiten nicht zum besonderen Gesundheitsrisiko für alle Gäste und übrigens auch für das Land der Einreise wird. Höchste Zeit, dass die Bundesregierung hier mal Klartext redet, bevor die Sommerreisesaison wieder starten soll.“

Tobias Lindner und Attila Hildmann  © Media Pioneer

Auf - Kein Regierungspolitiker, sondern Grünen-Verteidigungsexperte Tobias Lindner war der erste Politiker nach den Corona-Beschränkungen und der Debatte um nukleare Teilhabe, der die in Deutschland gelagerten Atomwaffen der US-Streitkräfte inspizieren durfte. Reden durfte Lindner freilich nicht über den heiklen Besuch in der vergangenen Woche. Er habe sich "über die Besonderheiten des Auftrags des Geschwaders ausgetauscht", umschrieb er auf Instagram das Geschehen. Aufsteiger.

Ab - Attila Hildmann ist der inoffizielle Anführer der Verschwörungstheoretiker im Land. Seiner Ansicht nach ruiniert die Kanzlerin bewusst die Wirtschaft, weil das US-Banker David Rockefeller beim Bilderberger-Treffen befohlen habe - Microsoft-Gründer Bill Gates ist in Hildmanns Augen gar ein Satanist. Der Berliner TV-Koch wurde nun bei einer Demonstration festgenommen, weil er gegen das Versammlungsverbot und das Infektionsschutzgesetz verstoßen haben soll. Deshalb: Absteiger.

Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble will das umstrittene Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu den Anleihekäufen der Europäischen Zentralbank (EZB) in einem neuen informellen Bundestags-Gremium beraten.

In der Runde sollen Mitglieder aus der Führung der Fraktionen der im Bundestag vertretenen Parteien, sowie die Ausschussvorsitzenden Europa, Recht, Haushalt und Finanzen zusammenkommen. An diesem Donnerstag findet das erste inhaltliche Spitzentreffen statt. Ziel ist eine Umsetzung der Karlsruher Auflagen noch vor Beginn der parlamentarischen Sommerpause im Juli.

Unsere Leseempfehlungen für heute:

Die Corona-Krise ist für die indigene Bevölkerung im Amazonas so tödlich wie die Abrodungs-Politik, die der brasilianische Präsident Jair Bolsonaro den Holzfällern im Regenwald erlaubt. Die indigene Schauspielerin Kay Sara fleht die westlichen Staaten in einem offenen Brief an, den Druck auf den Präsidenten zu erhöhen. "Es ist ein Aufruf zum Mord", schreibt sie über Bolsonaros Politik. Die Sonntagszeitung aus Zürich hat die wichtigsten Passagen zusammengefasst. Ein bedrückender Appell!

Wie lässt sich ein milliardenschwerer Wiederaufbau-Fonds, wie ihn Emmanuel Macron und Angela Merkel vorschlagen, eigentlich konkret umsetzen? In diesem Strategiepapier für den europäischen "Think Tank" der Hertie School, das Jacques Delors Centre, loben die Politikwissenschaftler und Juristen Sebastian Grund, Lucas Guttenberg und Christian Odendahl den Fonds als wirksames Instrument der Pandemie-Solidarität. Den Mitgliedstaaten soll Geld zweckgebunden für bestimmte Ausgaben in Bereichen wie Gesundheitsversorgung, Kurzzeitarbeit oder Konjunkturpakete gewährt werden. Der Vorschlag enthält eine detaillierte rechtliche Analyse der Funktionsweise dieses Instruments. Hier lesen!

Wir gratulieren herzlich zum Geburtstag:

Christiane Hoffmann, Diplomatische Korrespondentin, Der Spiegel, 53

Dietmar Nietan, SPD-Bundestagsabgeordneter, Schatzmeister, 56

Katrin Werner, Linken-Chefin Rheinland-Pfalz, Bundestagsabgeordnete, 47

Dieter Janecek, Grünen-Bundestagsabgeordneter, 44

Der SPD-Abgeordnete Michael Groß, drei Mal hintereinander mit einem Direktmandat in Recklinghausen in das deutsche Parlament eingezogen, will bei der nächsten Bundestagswahl nicht mehr antreten. Der 63-jährige diplomierte Sozialarbeiter möchte sich um die Nachfolge von Wilhelm Schmidt als Präsident des AWO-Bundesverbandes bewerben. Gewählt wird dort voraussichtlich im Sommer 2021. Groß war nach seinem Studium selbst als Sozialarbeiter für die Stadt Marl tätig und leitete von 2005 bis 2009 bereits bei der AWO im Unterbezirk Münsterland-Recklinghausen den Bereich Kinder, Jugend und Familienhilfe.

Michael Groß, MdB SPD  © SPD Bundestagsfraktion FDP-Chefhaushälter Otto Fricke zum geplanten Wiederaufbaufonds.  © Media Pioneer Ihre Informationen für uns © Media Pioneer

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