Das Scheitern des SPD-Lieblingsprojekts

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Guten Tag,

herzlich willkommen zu unserem Briefing aus der Hauptstadt - direkt von der Pioneer One.

Unsere Themen heute:

  • Die Begrenzung sachgrundloser Befristungen von Arbeitsverträgen war mal das SPD-Lieblingsprojekt in der großen Koalition. Nun steht es wohl vor dem Aus. Für Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) haben jedenfalls andere Vorhaben Vorrang.

  • Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) plant für 2021 mit neuen Krediten von knapp 100 Milliarden Euro. Industriepräsident Dieter Kempf pocht auf ein "Ausstiegsszenario" für die Neuverschuldung.

  • Verbraucher könnten in Zukunft besser vor Abzocke durch Schlüsseldienste mit überhöhten Preisen geschützt werden. Der Bundesrat entscheidet heute über ein Gesetz dazu.

Gut zweieinhalb Jahre ist es her, da war dieses Thema in der SPD das Vorhaben, das nicht warten konnte. Ohne dieses Projekt sollte es nicht noch einmal einen Koalitionsvertrag mit der Union geben.

Es geht um die Befristungen von Arbeitskräften ohne Sachgrund. Zuletzt nutzten Arbeitgeber jährlich in 1,3 Millionen Fällen diese Möglichkeit bei Neueinstellungen. Dass sie es ernst damit meinten, diese Praxis zu beschränken, demonstrierte die SPD auf ihrem Bonner Parteitag im Januar 2018.

"Gerade für BerufseinsteigerInnen muss das unbefristete Arbeitsverhältnis wieder zur Regel werden“, hieß es damals im Beschluss der SPD.

Der Text war als Brücke gedacht. Eine Brücke, über die vielen Skeptiker der großen Koalition unter den Genossen gehen sollten - und konnten.

Im Koalitionsvertrag steht das Projekt, im Gesetzblatt nicht

Die SPD schaffte es schließlich, eine Begrenzung ohne Sachgrund befristeter Arbeitsverträge in den Koalitionsvertrag zu verhandeln. Nur ins Bundesgesetzblatt schaffte es das Vorhaben nie. Viel spricht nun dafür, dass aus dem einstigen SPD-Prestigeprojekt nichts mehr wird.

Ob die Regierung „trotz der Auswirkungen der Corona-Pandemie“ an dem Vorhaben festhalte? FDP-Sozialexperte Johannes Vogel wollte es genau wissen. Der Bundestagsabgeordnete stellte eine Anfrage beim von SPD-Vize Hubertus Heil geführten Arbeitsministerium. Ja, man halte zwar an dem Plan fest, so die Reaktion dort.

Demgegenüber müssen andere im Koalitionsvertrag .. vereinbarte Vorhaben im allgemeinen Befristungsrecht zeitlich hinten angestellt werden.

Antwort des Bundesarbeitsministeriums auf eine FDP-Anfrage

Wer das Antwortschreiben aber genau liest, erkennt allerdings: Heil hat gerade anderes zu tun. Priorität hat das Ganze nicht mehr. Die Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie und ihrer Auswirkungen, schreibt das Ministerium, würden derzeit im Fokus stehen: „Demgegenüber müssen andere im Koalitionsvertrag für die 19. Legislaturperiode vereinbarte Vorhaben im allgemeinen Befristungsrecht zeitlich hinten angestellt werden.“

Das ist eine Verschiebung der Prioritäten. In der Halbzeitbilanz der Regierung im Herbst 2019 hatte die Begrenzung befristeter Jobs noch an erster Stelle unter der Rubrik „Was wir noch vorhaben“ gestanden.

Tatsächlich ist bei führenden SPD-Politikern und in Gewerkschaftskreisen in den vergangenen Monaten der Corona-Krise die Einsicht gewachsen, dass Entscheidungen, die Neueinstellungen für Unternehmen erschweren, angesichts der jetzigen Arbeitslage kontraproduktiv sein könnten. Das Gesetz werde sicher nicht mehr kommen, sagte uns ein führender Sozialdemokrat.

1. BDI-Chef Kempf fordert „Ausstiegsszenario“ für Neuverschuldung

BDI-Präsident Kempf mit Welt-Chefredakteurin Dagmar Rosenfeld und ThePioneer-Chefkorrespondent Rasmus Buchsteiner © ThePioneer

Industriepräsident Dieter Kempf fordert ein „Ausstiegsszenario“ für die Neuverschuldung des Bundes. „In der jetzigen Situation glaube ich durchaus, dass man richtig gehandelt hat, tiefer in die Tasche zu greifen“, sagte der Chef des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) beim Besuch auf unserem Redaktionsschiff. „Wer dieses Rezept nimmt, muss auch gleichzeitig ein Ausstiegsszenario kennen, haben und offen sagen.“

Der Präsident des wichtigsten Wirtschaftsverbandes erklärte, eine Neuverschuldung könne immer nur eine temporäre „Notmaßnahme“ sein.

„Um schnell aus der Krise zu kommen, ist es richtig. Aber dann müssen wir wieder zurück auf den Weg einer sozialen Marktwirtschaft“, so der BDI-Chef.

Der Markt müsse im Vordergrund stehen und überall dort, wo er es nicht allein regele, müsse der Staat eingreifen - aber auch nur dort.

Neuverschuldung 2021 unter 100 Milliarden Euro

Nach unseren Informationen plant Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) für den Bundeshaushalt 2021, der in der kommenden Woche vom Bundeskabinett auf den Weg gebracht werden soll, mit einer hohen Neuverschuldung. Sie werde „knapp unterhalb der Grenze von 100 Milliarden Euro“ liegen, bestätigten Regierungskreise.

Das Interview mit dem BDI-Chef können Sie hier nachlesen.

2. FDP-Minister setzt auf Schwarz-Gelb im Bund

Die FDP trifft sich morgen in Berlin zum Bundesparteitag. Der stellvertretende Ministerpräsident Nordrhein-Westfalens, Joachim Stamp, setzt entgegen der Äußerungen des designierten FDP-Generalsekretärs Volker Wissing nicht auf eine Ampel-Koalition, sondern auf ein schwarz-gelbes Bündnis nach der Bundestagswahl 2021. Vorbild müsse die CDU/FDP-Regierung in Düsseldorf sein, sagte uns Stamp.

„In Nordrhein-Westfalen zeigen wir, dass eine Regierung nicht permanent streiten muss wie in Berlin. Unser Politikstil ist unaufgeregt, aber erfolgreich. Dass uns bessere Bildungspolitik gelingt, wir mehr für Digitalisierung und Wirtschaft tun als Rot-Grün, hatten die meisten erwartet. Mit besserem Klimaschutz und intelligenterer Migrationspolitik haben wir jedoch viele zusätzlich überrascht", so Stamp.

FDP-Minister Joachim Stamp ist in der NRW-Regierung für Kitas, Familien und Integration zuständig.  © dpa

Das Bündnis sei "eine Blaupause für Berlin, weil wir als FDP mit Laschet anders als in den Merkel-Regierungen auf Augenhöhe regieren", sagte der Integrationsminister. Es würde auch zwischen Armin Laschet und Christian Lindner im Bund passen, so Stamp. "Eine vernünftige, moderne Koalition, die uns verantwortungsvoll aus der Krise führt."

Der rheinland-pfälzische Wirtschaftsminister Wissing soll am Samstag auf dem Delegiertentreffen als Nachfolger der glücklosen Linda Teuteberg zum Generalsekretär gewählt werden. Wissing hatte sich nach seiner Nominierung als Erstes kritisch zur CDU geäußert und getwittert: "Die CDU nach so langer Zeit abzulösen, könnte ein wichtiges Signal des Aufbruchs für unser Land sein.“ In Rheinland-Pfalz regieren die Liberalen mit SPD und Grüne.

Ursprünglich sollte der Bundesparteitag bereits im Mai abgehalten werden, musste aber wegen der Corona-Epidemie verschoben werden. Das Treffen wurde von zwei auf einen Tag reduziert.

3. Gesetz gegen Abzocke durch Schlüsseldienste

Verbraucher sollen künftig besser vor unerwartet hohen Preisen von Schlüsseldiensten geschützt werden. Der Bundesrat wird einem Gesetzentwurf aus Rheinland-Pfalz an diesem Freitag zustimmen, wurde uns in Länderkreisen bestätigt.

„Anbieter von Schlüsseldiensten sollen künftig verpflichtet werden, ihre Preisverzeichnisse bei der zuständigen Aufsichtsbehörde zu hinterlegen und regelmäßig zu aktualisieren sowie ihre Angaben im Internet zu veröffentlichen“, heißt es in dem Entwurf. So werde es Verbrauchern erleichtert, seriöse Angebote zu finden.

"Unseriöse Anbieter können Verbraucher ausnutzen"

Zur Begründung heißt es, bei den Verbraucherzentralen gebe es viele Beschwerden über unangemessen hohe Entgelte von Schlüsseldiensten. Die bisherigen gesetzlichen Bestimmungen würden sich im Wesentlichen auf die Angabe von Preisen vor Ort beziehen. Unseriöse Anbieter könnten Verbraucher ausnutzen, die sich ausgesperrt hätten und daher „in einer Notlage“ befinden.

Ausschnitt aus dem Brexit-Bericht des Wirtschaftsministeriums an den Bundestag.  © ThePioneer

Die Bundesregierung bereitet sich auf den Ausstieg Großbritanniens aus der EU zum 31. Dezember 2020 vor und will sich bei den Verhandlungen vor allem in der Nordirland-Frage eng mit der EU abstimmen. Allerdings hält das Bundeswirtschaftsministerium auch eine Nichteinigung für möglich und bereitet in einem Bericht an den Bundestag die Abgeordneten darauf vor, dass dann Notfallmaßnahmen („contingency“) erforderlich würden.

"Dies betrifft voraussichtlich insbesondere, wie bereits in der Phase vor dem Austritt, die Aufrechterhaltung der Konnektivität (Luft-, Schienen-, Straßengüter- und Personenverkehr)", heißt es in dem Bericht.

Die Corona-Pandemie beeinträchtigt bereits die Planungen der Parteien für das Wahljahr 2021. Bei der CSU wird aktuell davon ausgegangen, dass die traditionelle Neujahrsklausur der christsozialen Bundestagsabgeordneten Anfang Januar 2021 nicht im üblichem Format in Kloster Seeon im Chiemgau stattfinden kann.

Man prüfe derzeit mehrere Optionen, bestätigte uns ein führendes Mitglied der CSU-Landesgruppe im Bundestag. Denkbar sei unter anderem eine eintägige Veranstaltung in Seeon ohne Übernachtung. Als Alternative könne das Treffen auch an einen anderen Ort verlegt werden - in eine größere Tagungslocation.

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Auf - Thomas Sattelberger (FDP) nahm schon als Arbeitsdirektor von Continental und später als Telekom-Vorstand selten ein Blatt vor dem Mund. Inzwischen ist der 71-Jährige FDP-Bundestagsabgeordneter und treues Mitglied der selten gewordenen Gruppierung "Klartext". Im Bundestag attackierte er nun CDU-Bildungsministerin Anja Karliczek für ihre mangelnde Präsenz und Tatkraft beim Thema digitale Bildung. Hart, aber wirkungsvoll. "Positivlisten für Digitalplattformen, schnelle Fortbildung für Lehrer, Entbürokratisierung des Digitalpakts", zitierte Sattelberger liberale Initiativen der vergangenen Monate und wandte sich dann an die Ministerin. "Statt zu handeln, statt anzupacken, spielt sie Topf schlagen." Frau Karliczek führe nicht. "Sie agieren nicht wie eine Ressortchefin, sondern wie eine Nachlasspflegerin." Punkt gemacht.

Ab - Jürgen Resch ist nicht nur von Amts wegen ein leidenschaftlicher Botschafter des Klimaschutzes. Der Chef der Umwelthilfe hat sich mit dem Kampf für Fahrverbote in stickigen Innenstädten und dem Plädoyer für ein Verbot von SUV ("Stadtpanzer") in die Herzen der Klimabewegung argumentiert. Nur seine Vielfliegerei zwischen dem Umwelthilfe-Standort am Bodensee und Berlin passt da irgendwie nicht so recht hinein, wie der Spiegel schon vor Jahren meldete. Nun hat der Chef der Jungen Union, Tilman Kuban, den Behörden-Chef in Stuttgart beim Abflug Richtung Berlin erwischt und ein Foto bei Twitter gepostet (was Persönlichkeitsrechte verletzt haben dürfte).

Dennoch bleibt die Frage, warum einer nicht vorleben kann, was er predigt? Video-Konferenzen sind in der Pandemie Alltag geworden, der ICE fährt zwar nicht immer zur gewünschten Zeit, aber er fährt auch zwischen Stuttgart und Berlin. Resch verteidigte sich in der Bild-Zeitung mit dem Verweis auf ein CO2-Ausgleichsprogramm für die Flüge. Na ja. Überzeugender wäre als konsequenter Umweltschützer das Nichtfliegen.

Der Wirecard-Skandal steht immer noch am Anfang der Aufklärung, und der Mastermind des Milliardenbetrugs, der frühere Manager Jan Marsalek, ist weiter auf der Flucht. Dass die eigenen Geschäftszahlen nicht ganz dem entsprachen, was öffentlich verlautbart wurde, wussten angeblich rund 250 Wirecard-Mitarbeiter. n-tv hat die neuesten Nachrichten rund um Wirecard hier zusammengefasst.

Diese Studie war überfällig. Und Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) hat sie nun mit einer öffentlichen Entschuldigung vorgestellt. Schwule hatten und haben es in der Bundeswehr schwer, der berühmte Satz von Franz-Josef Strauß symbolisierte die homophobe Mentalität in der Bundeswehr. "Ich will lieber ein kalter Krieger sein als ein warmer Bruder."

Das Outing war für Soldaten oft undenkbar, Häme und Spott die Folge, wenn sie es doch taten. Dafür hat sich die CDU-Ministerin nun entschuldigt und eine Studie vorgestellt, die "erhebliche Diskriminierungen" in der Truppe seit den 1960er Jahren feststellt. Margarete van Ackeren hat für den Focus das Thema detailreich analysiert. Hier lesen!

Heute gratulieren wir herzlich zum Geburtstag:

Markus Gallander, Sprecher SPD-Bundestagsfraktion, 45

Ester Dilcher, SPD-Bundestagsabgeordnete, 55

Erich Stather, BMZ-Staatssekretär unter Heidemarie Wieczorek-Zeul, 72

Wolfgang Schäuble, CDU, Präsident des Deutschen Bundestages, 78

Am Samstag gratulieren wir:

Nathanael Liminski, Chef der Staatskanzlei von Nordrhein-Westfalen, 35

Jens Beeck, FDP-Bundestagsabgeordneter, 51

Carina Konrad, FDP-Bundestagsabgeordnete, 38

Heiko Maas, SPD-Politiker und Bundesaußenminister, 54

Lisa Paus, Grünen-Bundestagsabgeordnete, 52

Am Sonntag gratulieren wir:

Antje Kapek, Vorsitzende der Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus von Berlin, 44

Sabine Christiansen, Journalistin und TV-Moderatorin, 63

Im Entwicklungsministerium hat der scheidende Minister Gerd Müller (CSU) mehrere Personalwechsel bekanntgegeben: Ministerialdirigentin Ariane Hildebrandt soll zum nächstmöglichen Zeitpunkt die Leitung der Grundsatz-Abteilung übernehmen. Ministerialdirigent Jürgen Zattler wird zum 01.11.2020 Leiter der Abteilung 4 (Internationale Entwicklungspolitik; Agenda 2030; Klima).

Ministerialrätin Anke Oppermann soll zum 01.10.2020 kommissarisch die Zentralabteilung führen. Und Ministerialrat Frank Fass-Metz soll zum nächstmöglichen Zeitpunkt die Leitung der Unterabteilung "Grundsätze der Entwicklungszusammenarbeit" übernehmen.

Entwicklungsminister Gerd Müller © dpa© The Pioneer

Das Zitat stammt aus einem ausführlichen Gespräch mit Emily Haber, das heute um 17 Uhr im neuen "ThePioneer"-Podcast "Race to the White House" auf www.thepioneer.de erscheint.

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Pioneer Editor, Ex-Stellvertretender Chefredakteur The Pioneer
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