De-Risking? Nein danke!

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Guten Morgen,

unsere Themen heute:

  • Die Wirtschaftsdelegation von Kanzler Olaf Scholz in China geht lieber ins Risiko.

  • Iran-Expertin Natalie Amiri fordert eine eigenständige europäische Iranpolitik.

  • Die FDP wirft Innenministerin Nancy Faeser im Streit um die Vorratsdatenspeicherung Blockade vor.

  • Die CDU schließt Hendrik Wüst als Unions-Kanzlerkandidat nicht aus.

  • Der Bund will Altschulden der Kommunen übernehmen – wenn die Länder mitziehen.

  • Wir wissen, was der Bundesverband Erneuerbare Energien über die Einigung der Ampel zum Klimaschutzgesetz und zum Solarpaket I denkt.

Olaf Scholz trifft heute in China auf Staatspräsident Xi Jinping. Es wird um die Lage in Nahost und Russland gehen – und nicht zuletzt um die Wirtschaftsbeziehungen zwischen den beiden Partnern, Wettbewerbern und systemischen Rivalen. Scholz selbst fordert „gezieltes De-Risking“.

Doch von Risikominimierung ist bei den mitreisenden Konzernmanagern wenig zu spüren. Oliver Zipse (BMW), Ola Källenius (Mercedes), Roland Busch (Siemens), Markus Kamieth (BASF) oder Bill Anderson (Bayer) wollen das China-Geschäft ausbauen, nicht umbauen. Die Pläne der Dax-Elite setzen auf noch mehr Absatz:

  • Jedes dritte BMW-Auto: Autobauer BMW hat 2023 gut 825.000 Autos in China verkauft – fast jedes dritte Fahrzeug des Konzerns. Der China-Umsatz stieg auf 41 Milliarden Euro – und der China-Anteil von knapp 18 Prozent (2018) auf mehr als 26 Prozent.

Olaf Scholz und BMW-Chef Oliver Zipse in einem BMW-Werk in München © Imago
  • Jedes vierte Mercedes-Auto: Mercedes hat 2023 mehr als 737.000 Fahrzeuge in China verkauft – mehr als jedes vierte Auto mit dem Stern weltweit. Der China-Anteil stieg so von knapp zwölf (2018) auf fast 17 Prozent. China-Umsatz 2023: 25,3 Milliarden Euro.

  • Zugtechnik für China Rail: Der Technologiekonzern Siemens hat 2023 mehr als neun Milliarden Euro in China umgesetzt – etwa mit Komponenten für Schienennetz und Schnellzüge. Der China-Umsatz ist seit 2020 um fast 50 Prozent gestiegen.

  • Verbund-Standort in Zhanjiang: Der Chemiekonzern BASF investiert mehr als zehn Milliarden Euro im chinesischen Zhangjiang, um einen dritten großen Standort neben Ludwigshafen und Antwerpen zu etablieren. Der China-Umsatzanteil soll von heute knapp 14 Prozent (9,4 Milliarden Euro) auf bald 20 Prozent steigen.

  • Forschung für Bayer: Bayer-Chef Anderson sagte kürzlich am Rande des China-Development Forums in Peking, er sei von Chinas innovativem Geschäftsumfeld überzeugt. Die Leverkusener würden daher die Investitionen in dem Land ausbauen.

  • Der wichtigste Einzelmarkt: 2023 hat Volkswagen 3,2 Millionen Fahrzeuge in China verkauft – und damit jedes dritte Auto der Gruppe. Das Produktionsprinzip der Wolfsburger: in China für China.

VW China © imago

Aus De-Risking wird Re-Risking: Das liegt auch daran, dass Xi weiterhin um die deutschen Unternehmen buhlt. Max J. Zenglein, Chefökonom beim Mercator Institute for China Studies (MERICS) in Berlin, sagt unserer Kollegin Claudia Scholz:

China beginnt wieder, ausländische Unternehmen explizit zu umgarnen.

„Deutsche Unternehmen investieren weiterhin kräftig in China. Diversifikation oder Vorsicht, was die Abhängigkeit in China angeht, sehen wir noch nicht“, so Zenglein.

Merics-Chefökonom Max J. Zenglein © Merics

Amiri: Nicht die ganze Außenpolitik ist naiv

Die ehemalige ARD-Korrespondentin im Iran, Natalie Amiri, kommentiert ihre Kritik an der Außenpolitik von Annalena Baerbock (wenn sie „sagt, die Hamas müsste die Waffen niederlegen und dann könnten wir in den Friedensprozess eintreten, dann sehe ich das als naiv an.“ – bei Caren Miosga). Auf der Pioneer One sagte sie gestern Abend:

Ich habe damit nicht die gesamte deutsche Außenpolitik gemeint.

Natalie Amiri © imago

Vor allem der Ausstieg aus dem Atom-Abkommen mit dem Iran durch US-Präsident Donald Trump in 2018 sei „einer der größten Fehler in Bezug auf eine Liberalisierungsmöglichkeit des Iran“ gewesen, so Amiri. Damals sei der Wille in der Bevölkerung, zum Westen zu gehören, da gewesen.

Amiris Appell an die Bundesregierung:

Das ist auch meine Kritik: Macht doch mal endlich eine europäische, eigenständige Politik.

Die wichtigsten Ausschnitte der Diskussion über die Situation in Nahost zwischen Amiri, dem ehemaligen Agenten des Bundesnachrichtendienstes Gerhard Conrad und dem Politikwissenschaftler Sebastian Sons hören Sie am Mittwoch.

FDP wirft Innenministerin Faeser Blockade vor

Weder Vorratsdatenspeicherung noch „Quick-Freeze“: In der FDP interpretiert man Nancy Faesers neuerliche Kritik am Kompromiss der Ampel in der Auseinandersetzung um die Vorratsdatenspeicherung als Blockade.

Der Innenpolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Manuel Höferlin, sagt unserem Kollegen Jan Schroeder:

Wenn der Kompromiss von Frau Faeser wirklich angezweifelt wird, wird es eine Umsetzung in dieser Legislaturperiode nicht mehr geben.

Manuel Höferlin (FDP), Vorsitzender des Ausschusses Digitale Agenda im Bundestag. © Imago

Kompromiss Quick-Freeze: Eigentlich hatte sich die Ampel auf die Einführung des Quick-Freeze-Verfahrens geeinigt, bei dem Daten nur dann gespeichert werden, wenn ein konkreter Bedarf der Ermittlungsbehörden vorliegt. Im Gegensatz dazu will Faeser anlasslos manche Kommunikationsdaten wie IP-Adressen speichern lassen. Die SPD bekomme im Tausch für den Kompromiss die Verlängerung der Mietpreisbremse, hieß es vergangene Woche in der Ampel.

Grüne und FDP sind gegen den Vorstoß von Faeser. Die Innenministerin wisse, dass sie für die von ihr favorisierte Vorratsdatenspeicherung in der Koalition keine Mehrheit habe, so Höferlein.

Die Beschlusslage ist auch eindeutig und unsere Innenministerin blockiert eine tragfähige Lösung.

Bund übernimmt kommunale Altschulden

Der Bund will sich an den Entschuldungsprogrammen für die Kommunen beteiligen. Das geht aus einem Eckpunktepapier des Finanzministeriums hervor, das an den Finanzausschuss übermittelt wurde und uns vorliegt. Die wichtigsten Punkte:

  • Bis zur Hälfte: Überschreitet die Verschuldung einer Kommune den Betrag von 100 Euro pro Einwohner, kann der Bund „maximal 50 Prozent“ dieser „übermäßigen Liquiditätskredite“ übernehmen. Dazu zählen Kredite, die etwa nicht zur Finanzierung von Investitionen verwendet werden.

  • Mitwirkungspflicht: Soll der Bund Altschulden der Kommunen übernehmen, müssen die Länder bei der Entschuldung mithelfen. Die Entlastung der Kommunen erfolge „in einer gemeinsamen, einmaligen Kraftanstrengung“.

  • Indirekte Schuldenbremse: Der Bund übernimmt nur dann die Altschulden der Kommunen, wenn die Länder sich verpflichten, „einen erneuten Aufbau kommunaler Liquiditätskredite zu verhindern“.

  • Opposition muss mitmachen: Für die Beteiligung des Bundes an den Entschuldungsprogrammen der Länder muss das Grundgesetz geändert werden. Teile der Opposition müssen also mitziehen – und Länderregierungen auch.

Zum Download: Bericht über Eckpunkte des BMF für Altschuldenregelung

Scharrenbach schließt Wüst als Kanzlerkandidat nicht aus

Im September wollen CDU und CSU ihren Kanzlerkandidaten ernennen. Bisher stehen Parteichef Friedrich Merz und NRW-Minister Hendrik Wüst in der engeren Wahl. Traditionell obliegt dem Parteichef der Vortritt, doch darauf möchte sich die CDU für die kommende Wahl nicht festlegen.

The-Pioneer-Journalistin Laura Block mit NRW-Bauministerin Ina Scharrenbach © Laura Block

NRW-Bauministerin Ina Scharrenbach, die auch CDU-Präsidiumsmitglied ist und somit eng an der Seite von Friedrich Merz arbeitet, schließt eine Kandidatur von Hendrik Wüst nicht aus. Zum aktuellen Zeitpunkt würde sich die Partei allerdings „um Lösungen kümmern und nicht um Personalfragen“, sagt Scharrenbach unserer Kollegin Laura Block.

Zur „gegebenen Zeit“ würde die CDU über die Frage des Kandidaten beraten. Und bis dahin, so Scharrenbach, werde noch viel passieren.

Wüst ist aktuell auf Dienstreise in Kalifornien. Gestern besuchte er in Los Angeles unter anderem das Weltraum-Forschungsinstitut Jet, das von der NASA finanziert wird. Wir begleiten ihn auf dem Trip.

Klimaschutz: BEE-Chefin begrüßt Einigung

Der Bundesverband Erneuerbare Energien (BEE) begrüßt die Einigung der Ampel zum Klimaschutzgesetz und zum Solarpaket I. BEE-Präsidentin Simone Peter sagte unserem Kollegen Thorsten Denkler:

Mit dem Solarpaket I in Verbindung mit dem Klimaschutzgesetz wurde endlich der politische Knoten durchschlagen, um weiter Bürokratieabbau und administrative Hemmnisse beim Solarenergieausbau zu beseitigen – von Mieterstrom über Gewerbedächer bis Agri-PV.

Das sei angesichts der ambitionierten Ziele „dringend erforderlich“ gewesen, sagt Peter. Sie sei erfreut, dass auch Maßnahmen für Wind- und Bioenergie im Paket enthalten seien.

Simone Peter, Präsidentin des Bundesverbandes Erneuerbare Energie © imago images

Enttäuscht zeigte sie sich über den Wegfall der Förderinstrumente für die heimische Solarwirtschaft: „Leider ist der Resilienzbonus zum Opfer gefallen“, sagt Peter. Jetzt müssten „schnell andere Maßnahmen den Technologieerhalt 'made in Germany' sichern“.

Beifall auch aus der FDP-Fraktion: Energiepolitiker Konrad Stockmeier sagt uns, mit der Einigung mache die Ampel „Handwerker, Hauseigentümer und Mieter in der Energieversorgung unabhängiger“. Balkonkraftwerke und Mieterstrom „werden endlich von umständlicher Bürokratie befreit“.

Konrad Stockmeier, FDP © imago

Stockmeier reklamiert als seinen Erfolg, dass das Grünen-geführte Wirtschaftsministerium von Robert Habeck jetzt „sehr bald eine verbindliche Energiespeicherstrategie vorlegt“. Derzeit werde überflüssiger Wind- und Solarstrom teuer subventioniert.

Damit muss Schluss sein. Strom speichern und dann nutzen, wenn er gebraucht wird: Das ist die Zukunft.

Was genau in der Einigung steht und welche Folgen sie hat, hat Thorsten Denkler hier aufgeschrieben:

Was in der Ampel-Einigung zu Solarpaket und Klimaschutzgesetz steht

Klima-Durchbruch der Ampel: Was die neuen Gesetze bringen.

Artikel lesen

Veröffentlicht von Thorsten Denkler.

Artikel

Dazu passt: Eigentlich hätte Verkehrsminister Volker Wissing bis spätestens Mitte Juli Klimaschutz-Maßnahmen entwickeln müssen. Denn sein Sektor verfehlt das Klimaziel. Durch das heute beschlossene Klimaschutzgesetz kommt er nun drum rum – die einzelnen Sektorenziele werden abgeschafft.

Ein Blick auf die Zahlen hilft zur Einordnung der Lage:

Eine Infografik mit dem Titel: Verkehrssektor gefährdet Klimaziele

Prozentualer Anteil des Verkehrs an den Gesamtemissionen steigt

Das war gestern und in der Nacht außerdem los:

  • Israel berät nach dem Angriff des Iran weiterhin über mögliche Gegenschläge. Deutschland, die USA, aber auch Russland warnten vor einer Eskalation der Lage.

  • Abtreibung: In einem Brief an die Bundesregierung fordern über 100 Frauen und Männer aus Politik, Wirtschaft und Kultur die Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen. Auch die von der Bundesregierung eingesetzte Expertenkommission hat das empfohlen.

  • Donald Trump wurde gestern zum ersten ehemaligen US-Präsidenten, der sich vor einem Gericht in Manhattan verantworten musste – wegen Schweigegeldzahlungen an einen Pornostar. Unsere Kollegen Julius van de Laar, Chelsea Spieker und Clara Meyer-Horn haben die Bedeutung des historischen Prozesses in der neuen Folge Race to the White House analysiert.

Klick aufs Bild führt Sie zum Podcast. 

Wer befindet sich heute wo und welche Termine sind noch relevant?

  • Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier empfängt den Präsidenten Estlands, Alar Karis, mit militärischen Ehren. Anschließend sprechen sie gemeinsam mit Vertretern der estnischen und der deutschen Wirtschaft über „Advancing Technology for Democracy“.

  • Außenministerin Annalena Baerbock empfängt ihren jordanischen Kollegen Ayman Safadi.

  • Finanzminister Christian Lindner und Justizminister Marco Buschmann sprechen auf dem FDP-Wirtschaftskongress.

  • Anschließend fliegt Lindner anlässlich des Frühjahrskongresses von IWF und Weltbank nach Washington.

  • Bauministerin Klara Geywitz besichtigt das Wohnquartier „Wohnen in Soltau" und spricht mit Vertretern der Wohnungswirtschaft.

  • Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell lädt die Außenminister der EU nach dem Angriff des Iran zu einer Videokonferenz ein.

Auf – Xabi Alonso. Deutscher Meister war (vor)gestern – jetzt soll sogar eine Straße in Leverkusen nach dem Trainer ernannt werden, der seinem Verein zum ersten Mal in der Geschichte zum Meister-Titel verholfen hat. Die Verwaltung der Stadt prüft die Voraussetzungen für eine offizielle Benennung. Ikonisch!

Ab – Lisa Paus. Die Kritik an ihrem Kindergrundsicherungs-Plan bricht nicht ab. Es geht – wie so oft – nicht um das Was, sondern das Wie: Die leichtere Zugänglichkeit des Sozialprojekts würde an „komplexen Rechts- und Verwaltungsstrukturen“ scheitern, meint der Chef des Normenkontrollrats, Lutz Goebel, im Handelsblatt. In der Union fordert man schon ihren Rücktritt. Paus braucht dringend ein politisches Wunder.

Niklas Wagener, Grünen-Bundestagsabgeordneter, 26

Steffen Eckold, Staatssekretär im Justizministerium von Sachsen-Anhalt, 55

Wir wünschen Ihnen einen elanvollen Start in diesen Donnerstag!

Herzlichst,

Ihre

Pioneer Editor, Leiterin „Hauptstadt – Das Briefing“
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