Der Anti-Corona-Plan der Ampel

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Guten Morgen,

herzlich willkommen zum Briefing aus der Hauptstadt – direkt von der Pioneer One.

Unsere Themen heute:

  • SPD, Grüne und FDP beschließen neue Corona-Maßnahmen, darunter eine 3G-Pflicht für Arbeitgeber. Die Kanzlerin drängt dennoch auf eine Ministerpräsidentenkonferenz.

  • Die Steuerschätzung sieht im kommenden Jahr 7,7 Milliarden Euro mehr als bisher geplant für die künftige Koalition vor. Wir kennen die Zahlen.

  • In den Bundesländern gibt es unterschiedliche Fortschritte bei den Booster-Impfungen. Berlin ist mit 18 Prozent der Über-60-Jährigen Spitzenreiter bei der Drittimpfung.

  • Die Grünen haben es nicht eilig, Olaf Scholz zum Kanzler zu machen. Sie wollen den Druck für mehr Klimaschutz aufrecht erhalten. Wir kennen die zeitlichen Planspiele.

  • Ronja Kemmer soll die neue Sprecherin der Jungen in der Unionsfraktion werden. Wir sagen, wer sie ist und gegen wen sie sich durchsetzte.

Ampel will 3G am Arbeitsplatz

Ungeimpfte, die sich nicht testen lassen wollen, haben künftig ein Problem im Job. Am Arbeitsplatz soll die 3-G-Regel gelten: Beschäftigte müssen in Zukunft dann entweder geimpft sein, genesen oder aktuell getestet.

Damit reagieren die potenziellen Ampel-Regierungspartner SPD, Grüne und FDP auf nie da gewesene Infektionszahlen.

Bei der 3G-Regel, die von den Gewerkschaften IG Metall und IG BCE mit Nachdruck gefordert war, kommt es stark auf die Ausgestaltung an.

Diese werde im parlamentarischen Verfahren konkretisiert, heißt es in Kreisen von SPD, Grünen und FDP. Geklärt werden muss unter anderem, wie mit Arbeitnehmern zu verfahren sei, die sich weigern, einen 3G-Nachweis vorzulegen. Droht dann eine Abmahnung?

Am Donnerstag wollen SPD, Grüne und FDP im Bundestag die Beratungen über eine Reform des Infektionsschutzgesetzes beginnen. Der Kern: Die epidemische Notlage nationaler Tragweite, die direkte Eingriffe des Bundes in die Freiheitsrechte ermöglicht, soll Ende November auslaufen.

Teil des Pakets ist aber auch eine Übergangsregelung bis zum 19. März 2022.

Die Ampel-Parteien wollen ihre Pläne an diesem Dienstag vorstellen.

Unserem Kollegen Rasmus Buchsteiner liegen sie bereits vor.

Die wichtigsten Punkte:

  • Verzicht auf Ausgangssperren

  • Künftig entscheiden die Länder über die Corona-Schutzmaßnahmen, u.a. Personen-Obergrenzen für Veranstaltungen

  • Maskenpflicht und Abstandsgebote bleiben (möglich)

  • Arbeitgeber müssen weiter Tests anbieten und ein Hygienekonzept haben

  • Schließung von Schulen, Heimen oder Kitas nur als ultima ratio

  • Schärfere Strafen für Täuschung und/oder Handel mit falschen Impfdokumenten - mit Freiheitsstrafen von bis zu fünf Jahren

In einem Schreiben an die Mitglieder der SPD-Bundestagsfraktion kündigt Fraktionsvize Dirk Wiese weitergehende Maßnahmen an:

  • verpflichtende Tests in bestimmten Einrichtungen wie Altenheimen

  • Zuschläge für Krankenhäuser, die Covid-Kranke versorgen

  • 3G am Arbeitsplatz

  • Eine Rückkehr zu kostenlosen Testmöglichkeiten

Auch ein Monitoring für die Boosterimpfungen im Heimen soll es künftig geben.

Der Anteil der Drittgeimpften an der Bevölkerung lag bundesweit bei 3,3 Prozent. 8,2 Prozent waren es bei den über 60-Jährigen.

Unsere Grafik zeigt aber erhebliche Unterschiede zwischen den Bundesländern. In Berlin haben bereits fast 20 Prozent der über 60-Jährigen ihre Auffrischungsimpfung erhalten, in Sachsen lag die Quote erst bei 5,1 Prozent.

Eine Infografik mit dem Titel: So boostern die Länder

Anteil der Drittimpfungen an der Bevölkerung und in Relation zu den Über-60-Jährigen.

Mit ihrem Corona-Vorstoß lassen die Ampel-Partner Unions-Regierungschefs wie die Ministerpräsidenten von Bayern und Nordrhein-Westfalen, Markus Söder (CSU) und Hendrik Wüst (CDU), vorerst ins Leere laufen.

Die beiden fordern eine rasche Ministerpräsidentenkonferenz mit dem Bund. Auch die Bundeskanzlerin wirbt angeblich für eine neue Bund-Länder-Konferenz.

Die einheitlichen Corona-Maßnahmen der Länder seien in der jetzigen Phase wichtig für das Vertrauen der Bevölkerung, heißt es in Regierungskreisen.

Der CSU-Gesundheitspolitiker Stephan Pilsinger begründet dies so:

"Die Leute verstehen nicht mehr, wenn sie durch Deutschland reisen und in jedem Bundesland gilt etwas anderes. Wenn die Überlastung der Krankenhäuser droht, brauchen wir 2G für Gastronomie und Veranstaltungen und eine Impfpflicht für Ärzte und Pflegepersonal.“

Der Bonner Virologe Hendrik Streeck hat die Politik aufgefordert, das Testen der besonders gefährdeten Gruppen zu beschleunigen.

Er sagte uns:

Wichtig ist es, die Impflücke bei den Über-60-Jährigen zu schließen, vulnerable Personen mit einer dritten Impfung zu boostern und vor allem das Testen massiv auszuweiten, damit wir wieder einen Überblick über das Pandemiegeschehen bekommen.

Hendrik Streeck, Virologe an der Universität Bonn © dpa

Das gesamte Interview mit dem Bonner Virologen lesen Sie hier.

1. Ampel-Verhandlungen: Grüne spielen auf Zeit

Noch vor wenigen Wochen hieß es bei den Ampel-Parteien, Olaf Scholz solle „in der Nikolaus-Woche“ im Bundestag zum Kanzler gewählt werden.

Inzwischen aber gilt die Woche ab Montag, dem 6. Dezember, bei den Grünen als „Pufferwoche“, hören wir aus Verhandlerkreisen. Im Klartext: Es könnte noch länger dauern.

Es wäre ausreichend, wenn Scholz kurz vor dem Europäischen Rat am 16. Dezember gewählt würde, hieß es aus den Reihen der Grünen gegenüber unserer Kollegin Marina Kormbaki.

Zwischen der Präsentation des Koalitionsvertrages und der Kanzlerwahl müssten ohnehin mindestens zehn Tage liegen - so viel Zeit erfordert die digitale Urabstimmung der Grünen-Basis über den Koalitionsvertrag.

Zudem ist für die Woche vom 6. Dezember bisher keine Bundestagssitzung geplant.

Christian Lindner, Annalena Baerbock, Olaf Scholz © dpa

Grünen-Bundesgeschäftsführer Michael Kellner hatte kürzlich unter Verweis auf zu wenig substanziellen Fortschritt den bisherigen Zeitplan infrage gestellt.

Am Montag sprach Baden-Württembergs Verkehrsminister Winfried Hermann von erheblichen Differenzen zwischen SPD, Grünen und FDP bei den Themen Klimaschutz und Verkehr und warnte vor Neuwahlen.

Parteiintern stieß Hermanns Vorstoß auf Kritik. Es handele sich um eine "Einzelmeinung", hieß es. Kellner wies Hermanns Äußerung als „Spekulation“ zurück. An diesem Mittwoch sollen die 22 Arbeitsgruppen der Fachpolitiker bis 18 Uhr ihre Abschlusspapiere an die Parteiführungen übermitteln. Die regulären Verhandlungen übernehmen ab Donnerstag das Sechserteam der SPD um Olaf Scholz sowie die zwei Zehnerteams von Grünen und FDP.

2. Steuerschätzer: Ampel hat 7,7 Milliarden mehr als geplant

Die künftige Bundesregierung kann infolge des Aufschwungs in den nächsten Jahren mit deutlich mehr Steuermehreinnahmen als bisher geplant rechnen.

Laut Steuerschätzung kann der Bund im Vergleich zur Mai-Schätzung im kommenden Jahr mit 7,7 Milliarden Euro mehr in der Kasse rechnen, bis einschließlich 2025 summieren sich die Mehreinnahmen alleine für den Bund auf 66,5 Milliarden Euro.

Bund, Länder und Kommunen können in den nächsten vier Jahren zusammen mit einem Plus von 170,8 Milliarden Euro gegenüber der Mai-Schätzung rechnen. Das Bundesfinanzministerium wird am Donnerstag die Steuerschätzung veröffentlichen und dabei parallel zur Vorlage der Steuerschätzer eine eigene Planung vorlegen.

Der frühere Chef der Wirtschaftsweisen und Host des Pioneer-Podcasts Feld & Haucap, Lars Feld, sieht ausreichend finanziellen Spielraum für die künftige Bundesregierung.

„Die Bäume wachsen zwar nicht in den Himmel. Aber das sind gute Nachrichten für die Ampel“, sagte uns der Direktor des Walter-Eucken-Instituts in Freiburg.

Die Handlungsspielräume für die künftige Koalition seien größer als lange angenommen. „Es ist genügend Geld da, um einen Großteil dessen zu finanzieren, was sich SPD, Grüne und FDP an Investitionen in Digitalisierung und Klimaschutz vorgenommen haben“, sagte er. „Aber die Mittel werden nicht ausreichen, um alle Sozialausgaben zu finanzieren, die sich Teile von SPD und Grünen noch zusätzlich wünschen.“

In Regierungskreisen heißt es, das Geld müsse in Klimaschutzmaßnahmen, Bekämpfung der Kinderarmut und digitale Investitionen fließen.

3. So soll der Hauptausschuss im Bundestag aussehen

An diesem Donnerstag soll der Deutsche Bundestag einen Hauptausschuss einsetzen, der bis zur Bildung einer Regierungskoalition die parlamentarische Beratung von Gesetzentwürfen sicherstellen wird.

Allerdings: Über die Größe des Gremium gibt es weiter Streit.

Bärbel Bas © picture alliance

Die Union will beantragen, dass dieser mindestens 39 Mitglieder haben soll, aus Sicht von SPD, Grünen und FDP wären 31 ausreichend. Der Hauptausschuss soll von Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) geleitet werden und am Donnerstag zu einer ersten Sitzung zusammenkommen.

SPD-Sprecher in dem Gremium soll Fraktionsgeschäftsführer Carsten Schneider werden, die Sozialdemokraten werden im Ausschuss außerdem mit den Abgeordneten Heike Baehrens, Sören Bartol, Sabine Dittmar, Katja Mast, Susanne Mittag, Dennis Rohde sowie Dirk Wiese vertreten sein.

Die FDP schickt Partei- und Fraktionschef Christian Lindner sowie ihre Parlamentarischen Geschäftsführer Marco Buschmann, Bettina Stark-Watzinger und Florian Toncar.

Für die Union sollen unter anderem Fraktionsgeschäftsführer Michael Grosse-Brömer (CDU) sowie die CSU-Politiker Stefan Müller und Stephan Stracke Mitglieder werden.

Die Grünen entsenden die Abgeordneten Katharina Dröge, Oliver Krischer, Konstantin von Notz, Agnieszka Brugger und Maria Klein-Schmeink.

Die Linksfraktion will am Mittwoch ihre zwei Mitglieder für den Ausschuss benennen.

Die Junge Gruppe der Unionsfraktion soll künftig von der schwäbischen CDU-Bundestagsabgeordneten Ronja Kemmer geführt werden.

Darauf laufe es bei der Neuwahl an diesem Mittwoch hinaus, erfuhren wir in der Fraktionsführung. Bisher wird die Gruppe kommissarisch von der CSU-Abgeordneten Emmi Zeulner koordiniert.

In dem Gremium versammeln sich die Unionsabgeordneten, die zum Zeitpunkt der Bundestagswahl 35 Jahre oder jünger sind.

Ronja Kemmer, CDU-Bundestagsabgeordnete und Obfrau der CDU/CSU-Fraktion im Ausschuss für Digitales © imago

Kemmer, 32-jährige Volkswirtin aus Esslingen am Neckar, sitzt seit 2014 im Bundestag. Der ebenfalls als möglicher Bewerber genannte rheinland-pfälzische CDU-Bundestagsabgeordnete Johannes Steiniger und der CDU-Politiker Philipp Amthor hatten ihre ursprünglichen Ambitionen zwischenzeitlich aufgegeben.

Am Dienstag, 16. November, ist Deutschlands Politik-Elite zu Gast beim Arbeitgebertag im Berliner Estrel-Hotel. Es wird ein Schaulaufen der Ampel-Führungsriege. Der wahrscheinliche künftige Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat sich ebenso angekündigt wie Grünen-Chefin Annalena Baerbock und FDP-Chef Christian Lindner.

Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel wird wohl ein letztes Mal vor den Vertretern der Wirtschaft sprechen.

Erstmals seit der Bundestagswahl sollen auch Noch-CDU-Chef Armin Laschet und der CSU-Vorsitzende Markus Söder auf einer Bühne aufeinandertreffen.

Auf - Lars Klingbeil. Er steht nun in der Tradition von August Bebel, Otto Wels und Willy Brandt. Von Letzterem hängt bei Lars Klingbeil im Büro auch ein großes Foto. Nun soll der 43-jährige Politikwissenschaftler, Digitalexperte und ehemalige Gitarrist der Crossover-Band Sleeping Silence, neuer SPD-Vorsitzender werden. Nach dem erfolgreichen Wahlkampf war Klingbeil, der schon 2018 für den Vorsitz kandidieren wollte, aber keine adäquate weibliche Partnerin für die Doppelspitze fand, Favorit. Der Niedersachse ist anschlussfähig in beide Flügel. Mitglied der konservativen Seeheimer, aber mit Kevin Kühnert befreundet und von Saskia Esken gelobt. Den Pragmatismus und die Finessen der Macht lernte Klingbeil als studentischer Mitarbeiter im Wahlkreisbüro von Gerhard Schröder, mit dem Ex-Kanzler ist er immer noch eng verbunden. Klingbeil gilt als differenzierter und kooperativer als manche seiner Parteifreunde. Zum Amtsantritt als Generalsekretär sagte Klingbeil 2019: "Die Zeit der Testosteron-Männer ist hoffentlich vorbei.“ Als neuer Parteichef muss er indes mehr bringen als einen neuen Stil. Die Partei programmatisch als moderne Volkspartei zu reanimieren, ohne dem regierenden SPD-Kanzler Scholz zu widersprechen, ist herausfordernd. Unser Aufsteiger.

Ab - Jens Spahn. Keine einfachen Zeiten für den Hoffnungsträger a.D. in der CDU. Jens Spahn muss aller Voraussicht nach seinem einstigen Widersacher Friedrich Merz die Spitze der CDU überlassen, und auch in der Pandemie bekommt der geschäftsführende Gesundheitsminister weiter Kritik ab. Dass manche in der politischen Republik vor Monaten das Ende der pandemischen Notlage forderten und Spahn heute genau dafür kritisieren, gehört zum politischen Spiel. Die Ampel-Vertreter attackieren den Minister für angeblich fehlende Pandemie-Planungen, CSU-Chef Markus Söder wettert aus München, das Auslaufen der Notlage sei "völlig absurd". Im Volk sinken derweil Spahns Popularitätswerte. Im Moment kann es der CDU-Minister keinem recht machen.

Der eine war unter anderem Vorstandsreferent für die Grünen-Fraktion, der andere außenpolitischer Referent in der CDU-Parteizentrale. Nun arbeiten Michael Wedell und Alexander Gruber für das Berliner Büro der Unternehmensberatung Brunswick. In einem Gastbeitrag für ThePioneer fordern die beiden eine systematische Nachfolgeplanung in der Politik und haben dabei vor allem die CDU-Kanzlerin im Blick. "Es liegt im Interesse von Amtsinhabern, nicht nur eine einzige starke Persönlichkeit für die Nachfolge aufzubauen, sondern am besten eine ganze Mannschaft; und am allerbesten sehr divers zusammengesetzt", schreiben sie. Hier geht es zu dem Text.

Heute gratulieren wir herzlich:

Björn Engholm, früherer SPD-Vorsitzender, 82

Joachim Riecker, Journalist, Sprecher der Kulturstaatsministerin Grütters, 59

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Pioneer Editor, Gründungs-Chefredakteur The Pioneer
Pioneer Editor, Ex-Stellvertretender Chefredakteur The Pioneer
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