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Unsere Themen heute:
Die Haushaltspläne von Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) sollen am Mittwoch vom Kabinett auf den Weg gebracht werden. Sie zeigen, dass nicht mehr Geld für alles da ist. Der erste, der das zu spüren bekommt, ist der Gesundheitsminister.
Kehrtwende in der Koalition. In der neuen Datenstrategie sieht das Kanzleramt Daten als Chance für Wachstum und Wohlstand. Der Entwurf liegt uns exklusiv vor.
Drei ehemalige Parteichefs der SPD wollten bis kurz vor der Entscheidung Martin Schulz als Chef der Friedrich-Ebert-Stiftung verhindern und stattdessen Matthias Platzeck in die Position bringen.
Der Sparplan
Es ist ein Vorgeschmack auf das, was kommt. Eine düstere Vorahnung, dass nicht mehr für alles, was irgendwie wünschenswert erscheint, Geld da ist. An morgigen Mittwoch bringt das Kabinett den Entwurf von Finanzminister Olaf Scholz (SPD) für den Bundeshaushalt 2021 auf den Weg.
Darin ist eine Neuverschuldung von 96,2 Milliarden Euro vorgesehen. Die Schuldenbremse wird erneut vorübergehend außer Kraft gesetzt, mit Verweis auf die Corona-Pandemie. Was die Haushaltspolitik angeht, herrscht weiter Ausnahmezustand. Und die Milliardenausgaben für die Wirtschaftshilfen zwingen nun zunehmend, Prioritäten zu überdenken.
Ein erstes Anzeichen dafür ist, dass der Etatplan kein Geld für die Pflegeversicherung vorsieht. Das bestätigte Werner Gatzer, für den Haushalt zuständiger Staatssekretär im Bundesfinanzministerium, am Montag bei seinem Besuch auf unserem Redaktionsschiff Pioneer One. Der Verzicht auf einen neuerlichen Zuschuss aus dem Bundeshaushalt begrenzt die Spielräume von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) für die von ihm angekündigte Pflegereform. Ohne eine Beitragssatzerhöhung, die bei Arbeitgebern und beim CDU-Wirtschaftsflügel auf Widerstand stoßen würde, kann der CDU-Minister die Pflegereform nicht stemmen. Vor der Bundestagswahl dürfte die Reform daher wohl ausfallen.
Haushaltsstaatssekretär Werner Gatzer beim Interview auf der PioneerOne mit Michael Bröcker (links) und Rasmus Buchsteiner. © ThePioneerWerner Gatzer gilt als „Mr. Bundeshaushalt“. Seit 2005 ist der 61-jährige Beamte als Staatssekretär für den Haushalt zuständig. In dem Amt diente er den Ministern Peer Steinbrück (SPD), Wolfgang Schäuble (CDU) und nun Olaf Scholz. Niemand weiß so genau wie der Rheinländer, wie es um die Staatsfinanzen steht. Gatzer gilt als der Erfinder der "schwarzen Null", nun muss er Rekordschulden verantworten.
Im Gespräch, das hier in voller Länge nachzuhören ist, räumt Gatzer ein, dass für den ersten Etat nach der Bundestagswahl, den Haushalt 2022, ein „Handlungsbedarf“ von mehr als 10 Milliarden Euro besteht, um eine Rückkehr zur Schuldenbremse zu gewährleisten. Handlungsbedarf lässt sich hier frei übersetzen mit Haushaltsloch: eine Lücke, die sich letztlich nur mit Sparen oder Steuererhöhungen füllen lässt.
Schon jetzt zeichnet sich ab, dass der Verteilungskampf härter wird - und zum großen Thema im Bundestagswahlkampf werden dürfte. Schon im Frühjahr stellt das Finanzministerium die Eckwerte für den Etat 2022 auf.
Die Union fordert bereits einen Kassensturz. „Alles muss jetzt auf den Prüfstand“, sagt Eckhardt Rehberg, Chefhaushälter der Union im Bundestag. Steuererhöhungen erteilt der CDU-Mann ebenso eine Absage wie Überlegungen, die Schuldenbremse wieder aus dem Grundgesetz zu streichen.
1. Ex-Parteichefs wollten Schulz an FES-Spitze verhindern
Die drei ehemaligen kommissarischen SPD-Vorsitzenden Malu Dreyer, Thorsten Schäfer-Gümbel und Manuela Schwesig wollten bis kurz vor der Entscheidung Martin Schulz als neuen Vorsitzenden der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) verhindern und an dessen Stelle Matthias Platzeck in die Position bringen.
Dies bestätigten uns mehrere Quellen. Die endgültige Entscheidung für Schulz fiel erst am Freitagmorgen, 4. September, in kleiner Runde in Berlin. Bis in den Morgen lobbyierten die Platzeck-Befürworter für ihre Variante. Allerdings hatte sich Platzeck nie erkennbar bereit erklärt, den Posten zu übernehmen.
Soll Kurt Beck bei der FES folgen: Ex-SPD-Chef Martin Schulz © dpaIn der SPD kursiert die Erzählung, dass eine länger bestehende Verbindung zwischen dem jetzigen FES-Vorsitzenden Kurt Beck und Martin Schulz aus dem Zusammenschluss "Nürnberger Mitte" des Jahres 2001 Ausschlag für Schulz gegeben haben könnte. Dem politisch zentristischen Zusammenschluss des Parteitages des Jahres 2001 gehörten sowohl Beck als auch Schulz, aber auch Ex-Parteichef Sigmar Gabriel an. Der Kreis gilt heute abseits der bestehenden Freundschaften als inaktiv.
Nicht durchsetzen konnten sich Beck und Schulz mit ihrer Vorstellung, die ehemalige Thüringer Landesministerin Heike Taubert als Stellvertreterin zu installieren. Die Entscheidung wirkte zahlreichen anderen Sozialdemokraten zu rückwärtsgewandt. An Tauberts Stelle setzte sich dann die Leipziger Bundestagsabgeordnete Daniela Kolbe durch.
2. Grundfreibetrag steigt 2021 stärker als bislang geplant
Der steuerliche Grundfreibetrag wird im kommenden Jahr auf 9.744 Euro steigen. Das geht aus dem neuen Existenzminimumbericht des Bundesfinanzministeriums hervor, der uns vorliegt und der an diesem Mittwoch vom Kabinett beschlossen werden soll. Die Erhöhung fällt damit um 48 Euro höher aus als bislang von der Regierung vorgesehen.
Derzeit beträgt der Grundfreibetrag 9.408 Euro. Er stellt sich sicher, dass das Existenzminimums nicht durch fällig werdende Steuern gemindert wird.
Laut Kabinettsvorlage steigt der Grundfreibetrag 2022 dann auf 9.984 Euro. Der Kinderfreibetrag wird 2021 um 288 Euro auf 5.460 Euro angehoben.
3. Neue Mobilfunkgesellschaft: Grüne erhöhen Druck auf Scheuer
Die Grünen erhöhen im Streit um die staatliche Mobilfunkgesellschaft den Druck auf Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU). Warum die Bundesregierung die Gründung der Gesellschaft trotz deutlicher Kritik des Bundesrechnungshofes am Vorgehen und an der Wirtschaftlichkeit der neuen Behörde weiter vorantreibe, „erschließt sich nicht“, heißt es in einem Schreiben von Chefhaushälter Sven-Christian Kindler.
Die Regierung verstoße gegen die Bundeshaushaltsordnung, da sie bisher nicht habe nachweisen können, dass die Mobilfunkgesellschaft für den Bund wirtschaftlich ist.
Grünen-Haushälter Kindler fordert in dem Schreiben, die einschlägigen Verträge gegenüber dem Haushaltsausschuss des Bundestages offenzulegen.
Nach dem Willen des Verkehrsministeriums soll die bereits gegründete Gesellschaft den weiteren Mobilfunkausbau in Deutschland koordinieren. Der Rechnungshof hatte zuletzt in einem Prüfbericht erklärt, es seien noch „Fragen offen“. So würden „Ziele und Kriterien für eine haushaltsrechtskonforme Erfolgskontrolle“ bisher fehlen.
© ThePioneerKehrtwende in der großen Koalition? Das Bundeskanzleramt legt eine neue Datenstrategie vor, und bezeichnet in dem ersten Entwurf die (wirtschaftliche) Nutzung der Daten als Chance für eine nachhaltige Wachstumsstrategie. Eine neue Datenkultur soll etabliert und der Staat digitaler Vorreiter werden, heißt es in dem bisher unveröffentlichten Arbeitspapier.
Neue Töne in einer Koalition, die bisher vor allem den Datenschutz betonte. Man sei sich der Sorgen angesichts der zunehmenden globalen Datenflüsse bewusst. Stichworte: Diskriminierung, Verlust der Privatsphäre. Der Datenschutzstandard in Europa biete ein Fundament, um Datensouveränität, Selbstbestimmtheit und Wahlfreiheit zu gewährleisten.
"Vor allem aber ist die Datenstrategie eine nachhaltige Wachstumsstrategie."
Das Kanzleramt, vor allem der Digital-Antreiber, Kanzleramtschef Helge Braun (CDU), will die Chancen einer datengetriebenen Ökonomie offenbar nicht vorbei ziehen lassen. "In einer Zeit, in der die deutsche Wirtschaft wegen der Corona-Pandemie massiv an Wachstum eingebüßt hat, ist es zentral, die langfristigen Grundlagen für Produktivität und Wachstum zu stärken."
Vier Arbeitsfelder hat das Kanzleramt identifiziert, darunter eine bessere Datenbereitstellung und Vernetzung der bestehenden Dateninfrastrukturen, etwa in der Wissenschaft (Open Science Clouds). Zweitens sollen datengetriebene Geschäftsmodelle erleichtert werden, etwa das Datenschutzrecht entschlackt werden.
"Drittens wollen wir die Datenkompetenz erhöhen und eine neue Datenkultur in Deutschland etablieren." Und viertens soll der Staat einen Rahmen schaffen, damit Bürger und zivilgesellschaftliche Organisationen die Chancen der Digitalisierung nutzen und Unternehmen ihre Wettbewerbsfähigkeit mit innovativen datenbasierten Geschäftsmodellen ausbauen können. In der Online-Konsultation zur Datenstrategie haben 60 Prozent der Teilnehmenden Open Data als wichtigste Maßnahme benannt.
Von einer "europäischen Vision des Datenzeitalters", schreiben die Experten im Kanzleramt. Mutige Botschaften, doch die Ressortabstimmung kommt noch nicht. Die Justiz- und Verbraucherschutzministerin hat das Dokument bisher nicht gesehen.
Zwei Mal hat Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in diesem Jahr bisher eine Regierungserklärung im Deutschen Bundestag abgegeben, zwei Mal hat sie dem Parlament in der Fragestunde Rede und Antwort gestanden.
Morgen in einer Woche, am 30. September, wird sie es erneut tun. Es geht um den Etat des Kanzleramts, um Einzelplan 04, wie es im Parlamentsdeutsch heißt. Und in dieser so genannten Generaldebatte ist es üblich, dass die Kanzlerin im Plenum redet. Allzu oft wird Merkel dies als Regierungschefin übrigens nicht mehr tun.
© ThePioneerAuf - Bijan Kaffenberger ist 31 Jahre alt, seit zwei Jahren für die SPD Abgeordneter des hessischen Landtags - und der erste Politiker in einer derartigen Rolle, der am Tourette-Syndrom leidet. Kaffenberger geht offen mit der Erkrankung um, will aber nicht in seiner Politik darauf reduziert werden. "Ich will nicht Inklusionsbeauftragter werden", sagte er bei einem Besuch von SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil in seinem Darmstädter Wahlkreis. Und dennoch wisse er, dass es sich wohl nicht vermeiden lasse, dass er "der mit dem Tourette" sei. Für so viel Lockerheit bei einem ernsten Thema geht es bergauf.
Ab - Theresa May will dem Brexit-Premierminister Boris Johnson in die Parade und sein neues Binnenmarktgesetz, mit dem er die EU-Verträge mit Nordirland teilweise aushebeln will, am Mittwoch im Parlament blockieren. Gratismut, nennt man das wohl. Denn May kann das Gesetz wohl nicht mehr aufhalten, und ihre plötzlichen moralischen Bedenken gegen die EU zu agieren, werfen Fragen auf. May war Premierministerin, sie hätte einen fairen Brexit-Deal für alle Beteiligte verhandeln können oder ihr Wahlvolk von der Mitgliedschaft in der EU überzeugen können. Beides ist nicht passiert. Ihr Widerstand gegen den Brexiteer Johnson kommt zu spät.
Am Montag waren sie wieder einmal im Kanzleramt zusammen, bei einem Termin zur Bildungspolitik: Angela Merkel und Saskia Esken, die Vorsitzende der SPD. Nico Fried, der Berliner Büroleiter der Süddeutschen Zeitung, beschreibt eine bemerkenswerte Arbeitsbeziehung. "Angela Merkel und Saskia Esken verstehen sich nach einem Dreivierteljahr gemeinsamen Regierens so gut, dass es mittlerweile nicht nur engen Mitarbeitern aufgefallen ist, sondern auch führende Koalitionspolitiker darüber staunen", schreibt der Kollege, der in den Lebensläufen der beiden so einige Parallelen erkannt hat. Ein lesenswertes Stück, hier finden Sie den Text!
Heute gratulieren wir herzlich zum Geburtstag:
Christine Aschenberg-Dugnus, FDP-Bundestagsabgeordnete, 61
Jan Kuhlmann, Historiker und Journalist, Nahost-Experte, 49
Alev Doğan, ThePioneer-Chefreporterin, 31
In Göttingen gibt es eine Favoritin auf die interne Nachfolge für Bundestagsvizepräsident Thomas Oppermann, der am Ende der Wahlperiode aufhören will. Die 30-Jährige Amina Yousaf bewirbt sich, muss aber noch nominiert werden.
In Hessen kommt es zu einer Kampfabstimmung: Der Vorsitzende der SPD im Bezirk Hessen-Süd, Kaweh Mansoori will im Wahlkreis 183 in Frankfurt in den Bundestag einziehen - und fordert Ulli Nissen heraus.
Ein spannendes Gesicht gibt es zudem bei der SPD in Rheinland-Pfalz: In Trier tritt Unternehmerin Verena Hubertz erstmals an, um in den Bundestag einzuziehen.
© ThePioneer„Wir müssen ein bisschen aufpassen, dass wir uns nicht alle daran gewöhnen, dass wir ohne Arbeit leben können“, sagte Friedrich Merz, CDU, der Bild. „Wir müssen zurück an die Arbeit.“ Merz spielte auf die Verlängerung der Kurzarbeit bis ins Jahr 2021 an - und löste damit eine kontroverse Debatte aus.
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