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Unsere Themen heute:
Die FDP ringt mit den politischen Folgen der steigenden Corona-Infektionszahlen. Wir beschreiben das liberale Dilemma.
Die Pläne der Ampel-Parteien für 3G in Bus und Bahn stoßen auf Vorbehalte und Kritik bei Verkehrsunternehmen in ganz Deutschland.
Der einstige Vertraute von Armin Laschet, Staatskanzlei-Chef Nathanael Liminski tritt für den Landtag in NRW an - hat aber zwei Gegenkandidaten.
Die CDU bereitet die dritte Staffel der Parteivorsitzenden-Suche vor. Wieder treten ein Kandidat des Establishments und Norbert Röttgen und Friedrich Merz an. Wir haben uns in der CDU umgehört, wer die meisten Unterstützer hat.
SPD-Politiker Helge Lindh kritisiert Polen in der Flüchtlingskrise an der Grenze zu Belarus.
Der liberale Realitätstest
„Corona verändert alles?“, stand auf dem FDP-Plakat bei der NRW-Kommunalwahl vor gut einem Jahr. Jetzt - in der vierten Welle - hat Corona für die FDP vieles verändert.
Seit der Bundestagswahl sind die Liberalen nie so stark in die Defensive geraten wie jetzt - angesichts der rasant steigenden Corona-Zahlen.
Die Frage ist: Wie passt der liberale Freiheitsbegriff zu den nun anstehenden Verschärfungen der Politikmaßnahmen?
Für die FDP ist es ein bitteres Rendezvous mit der Pandemie-Realität.
FDP-Wahlplakat im NRW-Kommunal-Wahlkampf 2020 © Imago„Es droht keine systemische Überlastung des öffentlichen Gesundheitssystems mehr“, hatte Fraktionsgeschäftsführer Marco Buschmann am 27. Oktober gesagt.
Am Wochenende machte die FDP nun Zugeständnisse, die einer Partei schwerfallen, die sich zu allererst als Kämpferin für die Freiheit sieht.
Die Corona-Unterhändler der Ampel: Marco Buschmann (FDP), Katrin Göring-Eckardt (Bündnis 90/Die Grünen) und Dirk Wiese (SPD). © ImagoPlötzlich gibt sie grünes Licht für allgemeine Kontaktbeschränkungen, und für eine mögliche Schließung von Kultur- und Freizeiteinrichtungen - vor allem für Ungeimpfte.
Reisen zu verbieten, Hotels und Gaststätten zu schließen, bleibt jedoch tabu. Es ist also keine 100-Prozent-Kehrtwende, die von den Liberalen vollzogen wird, aber schon ein bedeutender Kurswechsel.
Bemerkenswert, zumal die Verhandlungen darüber von brachialen Interviewäußerungen begleitet worden waren.
Wie viele Unternehmen werden die Pandemie überstehen? © dpaWährend FDP-Vize Wolfgang Kubicki mahnte, Ungeimpfte nicht zu benachteiligen, bezweifelte Christian Lindner im TV die Wirksamkeit von Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen. Später fühlte sich der Parteichef missverstanden, bat um Verzeihung.
Die Beispiele zeigen: Die Liberalen haben einen weiten Weg hinter sich.
Sie wissen um die Erwartungen der eigenen Basis - keine neuen Grundrechtseinschränkungen, keine Ausgangssperren. Und sie kennen auch die Corona-Sorgen der Jungwähler, die bei der Bundestagswahl ihr Kreuz bei der FDP gemacht haben.
© imagoEiner aus der Führung sagt, dass ein Teil des FDP-Erfolgs eben auch die Haltung zum Umgang mit Corona gewesen sei.
Einerseits habe man eine klare Trennlinie zu Querdenker-Positionen gezogen, andererseits den Wert der Freiheit und die Verhältnismäßigkeit von Auflagen und Verboten betont. Das habe Erwartungen geweckt, die man nun eben nicht einfach in den Wind schlagen dürfe.
Die Dynamik in der Ampel sieht jedoch anders aus: Der nächste Schritt könnte eine Impfpflicht für Berufsgruppen sein - etwa für das Personal in Kitas und Pflegeheimen.
SPD und Grüne sind bereits dafür. Im Kreise der SPD-Ministerpräsidenten wurde dies bereits mehrheitlich befürwortet, es könnte in einem separaten Gesetz kommen.
In diese Richtung steuert die Koalition
In welche Richtung es zunächst mit der Corona-Politik der Ampel geht, das wurde am Montag nach mehreren Gesprächen noch detaillierter klar:
Weihnachtsmärkte sollen nur noch für Geimpfte und Genesene offen sein - ein aktueller Corona-Test ist trotzdem Pflicht.
3G soll nicht nur auf der Arbeit, sondern auch im ÖPNV und im Fernverkehr kommen.
Erwartet wird eine Stiko-Empfehlung für die Booster-Impfung noch am Donnerstagmorgen vor der Ministerpräsidentenkonferenz.
Eine Impfpflicht für die pflegenden Berufe gilt als denkbar. SPD und Grüne sind dafür.
1. 3G in Bus und Bahn: Verkehrsbetriebe sehen Probleme bei Umsetzung
Öffentlicher Nahverkehr in Zeiten der Pandemie © dpaDie Pläne der Ampel-Parteien für 3G in Bus und Bahn stoßen auf Vorbehalte und Kritik bei Verkehrsunternehmen. Das ergab eine Umfrage unseres Kollegen Rasmus Buchsteiner.
Eine Sprecherin der ÜSTRA, der Hannoverschen Verkehrsbetriebe, sagte, laut Studien gebe es „kein erhöhtes Infektionsrisiko“ in Bus und Bahn: „Bei der diskutierten Einführung einer 3G-Regelung ist es schwer vorstellbar, wie diese bei den täglich Tausenden von ein-, aus- und umsteigenden Fahrgästen kontrolliert werden soll.“
Auch bei der Rheinbahn in Düsseldorf gibt es Bedenken. Hohe Fahrgastzahlen, häufige Fahrgastwechsel und zahlreiche Haltestellen in kurzen Abständen würden eine Überprüfung einer 3G-Regel schwierig und sehr aufwändig machen, so ein Sprecher.
Beim Münchner Verkehrs- und Tarifverbund (MVV) hieß es, Kontrollen seien nur stichprobenhaft denkbar. Sie seien Aufgabe der Ordnungsbehörden.
Details der Vorgaben für Kontrollen und Bußgelder in Zusammenhang mit 3G in Bussen und Bahnen wurden am Montag noch in der geschäftsführenden Regierung geprüft.
2. SPD-Innenexperte kritisiert Polens Grenzpolitik
SPD-Innenexperte Helge Lindh hat die Rolle Polens in der Grenz- und Migrationskrise mit Weißrussland kritisiert. Es sei einerseits richtig, dass der Druck auf Lukaschenko erhöht werde und an diesem Montag ein neues Sanktionsinstrument beschlossen werde, sagte uns Lindh. Wichtig sei aber auch:
Wir dürfen dem Menschrechtsdumping an Europas Außengrenzen keinen Vorschub leisten. Die polnischen Pushbacks verletzen internationales Menschenrecht, die Flüchtlingskonvention sowie EU-Recht.
Frontex und Hilfsorganisationen müssten sich einen Überblick über die Lage verschaffen und helfen dürfen, forderte der Wuppertaler Bundestagsabgeordnete. Zugleich forderte er eine humanitäre Lösung für die Flüchtlingskrise. "Wenn die EU tatenlos dabei zusieht, wie Menschen an ihren Grenzen sterben, gewinnt nicht die EU, sondern der Diktator in Minsk", sagte Lindh. Eine nachhaltige Lösung sei nur dann zu erwarten, wenn es der EU endlich gelinge, eine gemeinsame Flucht- und Migrationspolitik zu erarbeiten.
3. CDU-Kreise nominieren Merz und Röttgen
Die Vorstandsmitglieder der CDU-Kreisverbände Hochsauerland und Rhein-Sieg haben gestern Abend jeweils einstimmig Friedrich Merz und Norbert Röttgen zu ihren Kandidaten für den CDU-Vorsitz nominiert.
Merz begründete seine Kandidatur Teilnehmern zufolge mit der schwierigen Lage der Partei und den Herausforderungen in der Opposition. Er könne dabei eine gute Rolle für die CDU spielen. Er werde eine Mannschaft präsentieren, die die Themen der CDU inhaltlich und personell breit abdeckten, versprach Merz.
Heute will Merz in Berlin sein Team vorstellen, dazu gehören mehrere Stellvertreterinnen und eine Generalsekretärin.
Merz berichtete, dass er im Vorfeld mit vielen Parteifreunden gesprochen und auch Rückendeckung von einstigen Gegnern bekommen habe.
Es habe eine große Sehnsucht in der Partei nach einer einvernehmlichen Lösung gegeben, diese sei aber mit Norbert Röttgen nicht möglich gewesen, so Merz. Im Hochsauerland sind rund 4500 Mitglieder organisiert.
Norbert Röttgen wurde in seinem Kreisverband Rhein-Sieg ebenfalls einstimmig nominiert. Der Kreisverband ist mit 5000 Mitgliedern der größte der CDU bundesweit.
Der geschäftsführende Kanzleramtsminister Helge Braun hatte bereits am vergangenen Freitag die Nominierung seines Kreisverbands Gießen erhalten.
Wer hat nun die besten Chancen?
Wir haben uns in verschiedenen Gliederungen und Landesverbänden umgehört und mit fast 50 Funktionären gesprochen, wer welchen Kandidaten unterstützt.
Die Ergebnisse lesen Sie hier.
4. Berliner Forscher schlägt tägliche Testpflicht für alle vor
Der Berliner Wirtschaftswissenschaftler Thomas Kotulla schlägt als Maßnahme gegen die steigenden Infektionszahlen auch bei Geimpften eine Testpflicht für alle vor - die so genannte 1G-Regel.
"Für die hochinfektiöse Delta-Variante ist der Immunisierungsgrad in Deutschland zu niedrig. Das liegt nicht nur an der Impfquote von zurzeit rund 67 Prozent, sondern auch daran, dass die Immunisierung der Geimpften schneller und stärker nachlässt als erwartet", schreibt der Professor der University of Europe in Berlin in einem Gastbeitrag für ThePioneer.
"Die Politik hat wichtige Maßnahmen versäumt, zum Beispiel die Testpflicht für Geimpfte oder rechtzeitige Booster-Impfungen. Als Folge davon stecken sich nun immer mehr Geimpfte an und geben das Virus weiter, auch wenn sie selbst keine Symptome zeigen."
Eine ausschließliche "Pandemie der Ungeimpften" gebe es nicht, so Kotulla. Deshalb sei ein flächendeckendes Testregime für alle effektiver. "Im Vergleich zu 2G+ wäre 1G effektiver und sozial gerecht. Es würde uns besser durch die Pandemie bringen – gesundheitlich, psychologisch und auch grundrechtlich."
Lesen Sie hier seinen Beitrag.
SPD-Politikerin Katarina Barley drängt es zurück in die Bundespolitik. In mehreren internen Unterhaltungen habe die stellvertretende Parlamentspräsidentin bei der EU deutlich gemacht, dass sie sich eine Rolle im Bundeskabinett sehr gut vorstellen könne und sie in Brüssel politische Sichtbarkeit vermisse, hören wir aus mehreren Gesprächen.
Katarina Barley (SPD), Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments. © ImagoBarley war Bundesjustiz- und Familienministerin. Zu Beginn der Großen Koalition wäre sie gerne Außenministerin geworden, dies jedoch stieß auf wenig Zuneigung der damaligen Parteichefin Andrea Nahles. Zur Spitzenkandidatur für die Europawahl 2019 musste sie auch getragen werden. Lange haderte Barley mit der Rolle, schlug dann aber unter größer werdendem Druck ein.
Nathanael Liminski war der engste Vertraute des früheren NRW-Ministerpräsidenten und Unions-Kanzlerkandidaten Armin Laschet. Nun will der Chef der Staatskanzlei für seine Heimat St. Augustin für den NRW-Landtag antreten.
Armin Laschet und Nathanael Liminski © dpaDoch dort haben mit dem Kommunalpolitiker Matthias Schmitz und dem Fraktionschef der CDU im Stadtrat St. Augustin, Sascha Lienesch, bereits zwei Politiker ihren Hut in den Ring geworfen. Die Mitglieder des Kreises wählen am 1. Dezember ihren Landtagskandidaten in einer Online-Veranstaltung.
Liminski ist in St. Augustin-Hangelar aufgewachsen und im Bonner Collegium Josephinum zur Schule gegangen. In einem Schreiben an die Mitglieder wirbt Liminski für einen Kurs der Mitte: "Es geht um viel: Wird unsere Heimat auch in Zukunft von einer bürgerlichen Koalition der Mitte regiert? Oder wird Nordrhein-Westfalen wieder zum rot-grünen Schlusslicht-Land?" Er wolle neue Impulse setzen in der Familienpolitik, in der Sicherheitspolitik sowie im Klima- und Umweltschutz.
Der Zeitplan des Deutschen Bundestages für 2022 © BundestagDie Terminplanung des Bundestages sieht für das kommende Jahr 21 Sitzungswochen vor: Die erste findet vom 10. bis 14. Januar statt, die letzte vom 12. bis 16. Dezember.
Der Bundestag hatte in der vergangenen Woche noch letzte Änderungen vorgenommen: Anders als zuvor geplant tagt das Parlament nun nicht in der Woche ab dem 2. Mai 2022, sondern in der Woche ab dem 9. Mai 2022.
© ThePioneerAuf - Manuela Schwesig. Die SPD-Frau bleibt Ministerpräsidentin in Mecklenburg-Vorpommern. Direkt im ersten Wahlgang erhielt die 47 Jahre alte frühere Bundesfamilienministerin die nötige Mehrheit für eine zweite Amtszeit. In den kommenden Jahren wird sie mit den Linken regieren, schon im Wahlkampf hatte Schwesig offen gelassen, ob sie mit der CDU weitermacht. Schwesig tritt zwar nicht als Parteivorsitzende im Bund für die SPD an, doch sie ist längst die mit Abstand erfolgreichste und mächtigste Sozialdemokratin. Und heute unsere Aufsteigerin.
Ab - Boris Palmer. In der Öffentlichkeit war es ruhig geworden um den Grünen-OB in Tübingen, doch seine umstrittenen Äußerungen und Auftritte der Vergangenheit hat der Landesvorstand der Grünen in Baden-Württemberg offenbar nicht vergessen. Nun wurde der Parteiausschluss in einem 33-seitigen Antrag der Kreisschiedskommission zugestellt. Er habe "vorsätzlich und erheblich gegen die Grundsätze sowie die Ordnung unserer Partei verstoßen", heißt es in dem Antrag. Das Drama Grüne vs. Boris Palmer geht also in die nächste Runde. Fürs Erste ist Palmer unser Absteiger.
Zeit-Politikchef Bernd Ulrich hat Verständnis dafür, dass die Ampel-Verhandlungen inzwischen auch zu öffentlichen Konflikten führen und dass die Grünen beim Thema Klimaschutz unter Druck kommen. Es gehe schließlich bei der Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft um gigantische Herausforderungen, schreibt er in einem Kommentar. "Die fast schon spielerische Präzision und Professionalität aus den Tagen von Vorsondierung und Sondierung haben überdeckt, mit welcher politischen Erblast und mit welchen gewaltigen Aufgaben es diese mögliche neue Konstellation zu tun bekommt." Hier geht es zu dem Text.
Wohin steuert die Europäische Union? Welche außenpolitischen Schwerpunkte folgen auf die Ära Angela Merkel? Und wie entwickelt sich die Achse Deutschland-Frankreich? Antworten darauf gibt der Journalist und langjährige USA- und Brüssel-Korrespondent Ralph Sina unserer Kollegin Alev Doğan in ihrem Gesellschaftspodcast Der 8. Tag. Hörenswert.
Heute gratulieren wir herzlich:
Norbert Lammert, CDU-Politiker und Vorsitzender der Konrad-Adenauer-Stiftung, 73
Gökay Akbulut, Linken-Bundestagsabgeordnete, 38
Hakan Demir, SPD-Bundestagsabgeordneter, 37
Christina Stumpp, CDU-Bundestagsabgeordnete, 34
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