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Unsere Themen heute:
Die Zeit von Jens Spahn (CDU) als Gesundheitsminister neigt sich dem Ende zu. Für 2022 drohen nun höhere Kassenbeiträge. Wir haben die Details.
Christian Lindner und seine Liberalen stehen in den Ampel-Sondierungen vor einer heiklen Verhandlung. SPD und Grüne wollen am Soli festhalten.
Halbleiter sind Mangelware. Deutschlands Industrie schlägt deshalb Alarm. In einem Positionspapier verlangt der BDI jetzt, dass Europa sich unabhängiger macht.
Die bittere Realität der Krankenkassen
© imagoDie gesetzliche Krankenversicherung steuert 2022 auf ein Milliarden-Defizit zu. Wenn nicht bald etwas geschieht, geht eine mögliche Ampel-Koalition wohl mit schlechten Nachrichten an den Start. Millionen Arbeitnehmern und ihren Arbeitgebern drohen höhere Zusatzbeiträge.
„Den Kassenpatienten droht ein Beitragshammer direkt nach der Wahl. Der Bundesgesundheitsminister hat dies bewusst in Kauf genommen“, sagt FDP-Expertin Christine Aschenberg-Dugnus im Gespräch mit ThePioneer-Chefkorrespondent Rasmus Buchsteiner.
Christine Aschenberg-Dugnus © ImagoBereits jetzt ist klar: Sieben Milliarden Euro hat der Bund für 2022 als zusätzlichen Bundeszuschuss schon beschlossen. Doch Experten zufolge könnten nächstes Jahr noch einmal bis zu sieben Milliarden Euro fehlen.
Es ist nicht allein die Corona-Pandemie, die zu diesen Defiziten führt. Es sind insbesondere die Auswirkungen von Gesetzen, die seit 2018 von der großen Koalition beschlossen worden sind. Dabei geht es unter anderem um Zusatzvergütungen für schnellere Arzttermine, um mehr Personal in den Kliniken und um die Digitalisierung des Gesundheitswesens.
An diesem Mittwoch wird der Schätzerkreis beim Bundesamt für Soziale Sicherung seine Prognose verkünden. Erwartet wird eine klare Ansage, wie viele Milliarden zusätzlich benötigt werden, um die Finanzierungslücke bei den Kassen zu schließen.
Dem Schätzerkreis gehören Vertreter des Bundesgesundheitsministeriums, Experten des Amtes und des Spitzenverbandes der Krankenkassen (GKV) an. Spannend wird sein, ob Bund und Kassen die Lage ähnlich beurteilen und am Ende zu einem einheitlichen Votum kommen.
Das Bundesamt für soziale Sicherung © imagoEin Fehlbetrag von sieben Milliarden Euro wäre rechnerisch gleichbedeutend mit einer notwendigen Beitragssatzerhöhung um durchschnittlich 0,5 Prozentpunkte. Das entspricht für einen Durchschnittsverdiener rund 93 Euro mehr pro Jahr.
Es können im Einzelfall auch mehr oder weniger sein. Die Höhe einer möglichen Mehrbelastung hängt schließlich davon ab, bei welcher Kasse man versichert ist - und natürlich von deren Finanzlage.
Vermeiden lassen sich deutlich höhere Zusatzbeiträge durch einen - noch - höheren Bundeszuschuss. In der Haushaltsplanung sind bisher 21,5 Milliarden Euro vorgesehen.
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) muss bis zum 1. November den durchschnittlichen Zusatzbeitrag fürs kommende Jahr per Verordnung festlegen. Dabei handelt es sich um einen rechnerischen Richtwert für die Planungen der Kassen.
Angekündigt hat die Regierung bereits im Sommer, dass es wie 2021 bei 1,3 Prozent bleiben soll.
Hintergrund ist das Versprechen der Regierung, die Sozialbeiträge auch 2022 nicht über die 40-Prozent-Marke hinaus steigen zu lassen. Aktuell summieren sie sich auf 39,95 Prozent, inklusive eines durchschnittlichen Zusatzbeitrags von 1,3 Prozent.
Die Frage ist, ob das alles finanziell ausreichend abgesichert ist. Ob der Bund bereit ist, den Kassen mehr zu geben, und wenn ja, wie viel. Das wird sich bis Mitte November zeigen. Dann erhalten die Kassen Nachricht vom Bundesamt für Soziale Sicherung, wie viel Zuschuss 2022 tatsächlich fließen wird.
Jens Spahn © Anne HufnaglTheoretisch hat Spahn nun zwei Optionen: Entweder lässt er das Ganze auf sich beruhen und verzichtet darauf, noch einmal zusätzliche Milliarden für die Kassen zu erkämpfen. Oder er handelt mit Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) noch schnell einen Milliarden-Nachschlag aus.
„Sonst bleibt den Krankenkassen nichts anderes übrig, als die Zusatzbeiträge deutlich zu erhöhen“, sagt FDP-Expertin Aschenberg-Dugnus.
Klaus Holetschek (CSU), Gesundheitsminister in Bayern und aktuell Chef der Gesundheitsministerkonferenz der Länder, verlangte Verlässlichkeit bei der Finanzierung des Gesundheitswesens. Sein Vorschlag: Der Bund solle den Kassen endlich kostendeckende Beiträge für Hartz-IV-Empfänger überweisen. Dann könnten Beitragszahler und Arbeitgeber um bis zu neun Milliarden Euro jährlich entlastet werden.
1. Ampel-Unterhändler erwägen Festhalten am Soli
Ampel-Unterhändler Volker Wissing, Lars Klingbeil und Michael Kellner © ImagoIn den Sondierungen über eine mögliche Ampel-Koalition wird ein Festhalten am Solidaritätszuschlag in jetziger Form erwogen. Dies werde als eine mögliche Option diskutiert, wurde uns am Dienstag in mehreren Gesprächen aus Verhandlungskreisen bestätigt. SPD und Grüne hätten diese Überlegung eingebracht.
Für die Liberalen und ihren Vorsitzenden Christian Lindner, der in einer möglichen Bundesregierung mit SPD und Grünen das Amt des Finanzministers für sich beansprucht, wäre ein Soli-Zugeständnis eine heikle Operation.
„Wir Freie Demokraten wollen den Solidaritätszuschlag komplett abschaffen“, hatte sich die FDP in ihrem Wahlprogramm festgelegt. Den Soli weiter zu erheben sei nicht mehr zu rechtfertigen. Die sofortige Abschaffung zählt jedoch nicht zu den roten Linien, die Lindner immer wieder für eine Regierungsbeteiligung seiner Partei genannt hatte.
Christian Lindner, FDP-Chef. © imagoDie Liberalen hatten im vergangenen Jahr Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe eingelegt. Wann eine Entscheidung darüber fallen könnte, ist offen.
Seit Anfang 2021 sind 90 Prozent derer, die ihn vorher gezahlt haben, vom Soli befreit. Die verbleibenden Einnahmen belaufen sich auf rund zehn Milliarden Euro pro Jahr.
Die Sondierungsgespräche sollen nun auf die Zielgerade gehen. Bis zum Freitag haben die Generalsekretäre von SPD und FDP, Lars Klingbeil und Volker Wissing, sowie Michael Kellner als Grünen-Bundesgeschäftsführer den Auftrag, die bisherigen Beratungen zusammenzufassen.
Das Papier soll die Grundlage für die Entscheidung der Parteigremien über mögliche Koalitionsverhandlungen sein.
2. Biontech verlängert Haltbarkeitszeit
© dpaSeit dem 1. Oktober ist die Haltbarkeitsdauer für den Corona-Impfstoff von Biontech durch eine Erlaubnis der EU verlängert worden. Dies geht aus einem Schreiben von Biontech an Apotheker und Mediziner hervor, das uns vorliegt.
Die Haltbarkeitsdauer für gefrorene, sogenannte Durchstechflaschen wurde von sechs auf neun Monate verlängert. Die Lagerbedingungen bleiben unverändert. Diese Verlängerung um drei Monate gelte für Flaschen, die nach Erteilung der Genehmigung hergestellt wurden, heißt es in dem Schreiben. Sie kann aber auch drei Monate rückwirkend auf ältere Flaschen angewendet werden.
3. Motschmann: Frauen müssen sich breiter aufstellen
Die Chefin der Frauen Union in Bremen, die scheidende Bundestagsabgeordnete Elisabeth Motschmann, hat die Frauen in der Politik aufgefordert, sich thematisch breiter aufzustellen und auch Forderungen jenseits der Parteilinie zu kommunizieren, um ihren Bekanntheitsgrad zu steigern und anderen Frauen Mut zu machen.
Der Frauenanteil in der neuen Legislaturperiode sei mit 34 Prozent nur um 3 Prozent gestiegen.
"Das zeigt: Geschlechtergerechtigkeit in der deutschen Politik gibt es (noch) nicht. Das ist völlig inakzeptabel", schreibt Motschmann in einem Gastbeitrag.
Elisabeth Motschmann. © dpa"So wichtig die sogenannten ,weichen' Themen auch sind, Frauen müssen sich thematisch auf alle Felder der Politik begeben. Nur so können sie die Konkurrenz zu den männlichen Kollegen langfristig bestehen", schlägt die CDU-Politikerin vor, die als kulturpolitische Sprecherin der Unionsfraktion in der zurückliegenden Legislaturperiode fungierte.
"Wenn Frauen Themen setzen, die neu, ungewöhnlich, vielleicht auch nicht 100-prozentig im Mainstream der Partei oder der Öffentlichkeit sind, werden sie interessant für die Presse."
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4. Das neue Security Briefing
5. Industrie verlangt sichere Lieferketten für Halbleiter
Eine Halbleiterfabrik in Dresden © ImagoDie deutsche Industrie verlangt sichere Lieferketten für Halbleiter. „Deutschland und Europa müssen in der Lage sein, ihren industriellen und staatlichen Akteuren in Konflikt- und Krisensituationen ein hohes Maß an unabhängiger Handlungsfähigkeit zu gewährleisten“, heißt es in einem Positionspapier des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), das uns vorliegt. Halbleiter und Mikroelektronik müssten „integraler Bestandteil der nationalen und europäischen Industriestrategie“ sein.
Konkret fordert der Verband, dass sichergestellt wird, „kritische mikroelektronische Komponenten krisenfest beziehen zu können – sei es aus eigener Produktion oder durch Lieferketten, die nicht politisch oder anderweitig manipulierbar sind“. Dafür seien eine enge Kooperation und ein Zugang aller Branchen zu Produktionskapazitäten notwendig.
Europa hat aktuell einen Anteil von zehn Prozent an der weltweiten Halbleiter-Produktion. Die EU hat sich vorgenommen, diesen bis 2030 zu verdoppeln. Angesichts des Wachstums des Weltmarkts müsste die Herstellung in Europa laut BDI mehr als verdreifacht werden.
6. Morning Briefing: Nadine Schön
Die Juristin Nadine Schön zählt zu den jungen Köpfen, die in der CDU für den Neubeginn stehen sollen. Durch den Mandatsverzicht von Annegret Kramp-Karrenbauer und Peter Altmaier darf sie - trotz rückläufiger Ergebnisse in ihrem Wahlbezirk - nun doch in den Bundestag zurückkehren.
In Steingarts Morning Briefing Podcast äußert sie sich dankbar gegenüber den Parteikollegen, die nun vom Bundestag in den Ruhestand wechseln:
Das war schon ein starkes Zeichen der beiden.
Zusammen mit dem Bundestagsabgeordneten Thomas Heilmann und anderen hat sie das Buch Neustaat verfasst. Dort analysiert sie, dass der Staat in eine Komplexitätsfalle geraten sei und der Volkswirtschaft in diesem Zustand keinen wirklichen Dienst mehr erweisen könne.
Um Antworten auf globale Herausforderungen zu finden, müsse die CDU zu ihren inhaltlichen Leitplanken zurückkehren: "Wir müssen die globalen Herausforderungen mit dem angehen, was uns als Union auszeichnet. Dazu zählt der Subsidiaritätsgedanke, dass jeder sich mit seinen Fähigkeiten einbringen kann. Und auch das Prinzip, dass der Staat nicht alles regeln und vorschreiben muss”, sagt Schön.
Klick aufs Bild führt zur Podcast-PageDie Europapartei Volt will bei der Generalversammlung 2021 von Volt Europa am 16. und 17. Oktober in Lissabon einen neuen Vorstand wählen und ihre Strategie für die kommenden drei Jahre festlegen. Dabei sollen die Weichen gestellt werden für einen Erfolg bei der Europawahl 2024: Dort muss die Partei mindestens 25 Sitze aus sieben EU-Mitgliedstaaten gewinnen, damit Volt eine eigene Fraktion in der Versammlung bilden kann.
Annette Widmann-Mauz ist Staatsministerin im Bundeskanzleramt - noch. Die CDU-Politikerin aus Baden-Württemberg ist auch Vorsitzende der Frauen Union, sie wurde im August im Amt bestätigt. Nun hat sie eine Verbands- und Mandatsträgerinnenkonferenz ihrer Organisation angekündigt, die sich mit der Neuaufstellung der CDU beschäftigen soll. Wann das Ganze stattfinden soll, blieb unklar. Ein anderer Termin steht dagegen fest: Für kommenden Dienstag, den 19. Oktober 2021, hat Widmann-Mauz alle neuen weiblichen CDU-Bundestagsabgeordneten eingeladen - zu einer Gesprächsrunde ins Kanzleramt.
Auf - Die Grünen-Europaabgeordnete Hannah Neumann treibt die Sicherheitsdebatte im Europäischen Parlament voran - und mutet dabei auch ihrer Partei einiges zu. Gestern hat Neumann ein Konzept für eine besser abgestimmte, dem Frieden verpflichtete Waffenexportkontrolle auf EU-Ebene vorgestellt. Bisher werden Ausfuhrentscheidungen für in der EU hergestellte Waffen auf nationaler Ebene getroffen - und oft genug kommt es dabei vor, dass ein Staat Exporte aufgrund politischer Bedenken ablehnt und ein anderer aus Profitinteresse einspringt. Neumann schlägt nun eine Risikobewertung im Vorfeld vor - durch ein EU-Gremium. Sie bringt damit Schwung in die erlahmte Debatte um Rüstungsexporte und profiliert die Grünen in bisher nicht gerade heimischem Terrain, der Sicherheitspolitik. Unsere Aufsteigerin.
Ab - Als Aletta von Massenbach Anfang des Monats die Leitung des Berliner Pannen-Flughafens BER übernahm, äußerte die bisherige Finanzchefin die Hoffnung: "Wir wollen ein normaler Flughafen werden." Von Normalität kann jedoch in diesen Ferientagen am Berliner Airport keine Rede sein. Die Zustände waren zuletzt chaotisch. An den Schaltern bildeten sich sehr lange Schlangen, offenbar wegen Personalengpässen und aufwendigeren Check-ins. Zwischenzeitlich bat die Lufthansa die Reisenden, vier Stunden vor Abflug vor Ort zu sein. Auch nach seiner Eröffnung hält die Pannen- und Peinlichkeiten-Serie des BER an, und Aletta von Massenbach ist nun dessen neues trauriges Gesicht. Unsere Absteigerin.
FAZ-Redakteur Daniel Deckers sieht SPD, Grüne und FDP auf gutem Weg in ein Regierungsbündnis. "Gut zwei Wochen nach der Bundestagswahl scheint die Bildung einer Regierung aus SPD, Grünen und Freien Demokraten nur eine Frage der Zeit zu sein", schreibt Deckers. "Denn die Harmonie, die die Unterhändler der drei Parteien seit dem Wahlabend mit Bildern und Worten zu verströmen versuchen, ist keineswegs gekünstelt, vor allem nicht die zwischen Grünen und FDP." Sicher werde es zwischen Sozialdemokraten und jeweils einem der beiden kleineren Parteien zu Konflikten kommen. "Ob FDP und Grüne sich dann spalten lassen, wird eine der spannendsten Fragen sein", kommentiert Deckers hier.
Über eine "intellektuelle Zumutung ohne Erfolgsgarantie" schimpft hingegen Welt-Korrespondent Thorsten Jungholt und meint damit die inhaltlich leeren Pressekonferenzen der Sondierer. "Dieser Ansammlung von Phrasen zu lauschen, dargeboten von den drei bemitleidenswerten Generalsekretären, ist nur für die Betreiber von Synonymlexika erhellend. Den an politischen Konzepten für die Zukunft des Landes Interessierten lässt sie eher frustriert zurück", kommentiert Jungholt. Warum er das Prozedere letztlich dennoch "politisch klug" findet, ist hier nachzulesen.
Heute gratulieren wir herzlich:
Elisabeth Motschmann, CDU-Bundestagsabgeordnete, 69
Rita Schwarzelühr-Sutter, SPD-Bundestagsabgeordnete, 59
Susanne Hennig-Wellsow, Linken-Abgeordnete im Thüringer Landtag, 44
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