Die Corona-Rechnung

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Guten Tag,

herzlich Willkommen zum ersten Newsletter Hauptstadt- Das Briefing direkt aus dem Newsroom der Pioneer One. Wir recherchieren ab heute für Sie in den Kulissen der Berliner Republik, berichten über geplante Gesetze, Machtkämpfe und Vorgänge, die eigentlich verborgen bleiben sollen. Heute und morgen gibt es das neue Format kostenfrei zum Kennenlernen.

Unsere Themen von heute:

  • Die Corona-Pandemie wird teuer: Milliarden-Hilfen für Unternehmen, Steuereinnahmen brechen weg, die Sozialkassen leeren sich. Interne Berechnungen sind alarmierend.

  • Kaum eine Debatte hat die Bundesregierung so gescheut wie die um bewaffnete Drohnen. Heute lädt Staatssekretär Peter Tauber zur Diskussion - wir erklären, was er plant.

  • Andrea Nahles schmiss vor gut einem Jahr in der SPD alles hin. Jetzt hat ihr Vertrauter Olaf Scholz ihr einen neuen Job besorgt. Wir verraten, wohin es geht.

Wenn sich heute im Bundesgesundheitsministerium in der Berliner Friedrichstraße Jens Spahn und die Vertreter der Krankenkassen treffen, dann eint die Teilnehmer der Gesprächsrunde eine Sorge: Die Folgekosten der Corona-Krise werden immer unkontrollierbarer - und sie betreffen längst nicht mehr nur den Gesundheitssektor.

Fast 1,2 Billionen Euro beträgt das staatliche Hilfsprogramm für die deutsche Wirtschaft bislang, es ist das größte der Geschichte: Es umfasst Kredite, Garantien, Zuschüsse und Mindereinnahmen. Doch was hinter den abstrakten Zahlen steckt, wird erst jetzt klar. Die Rücklagen der Sozialkassen schmelzen. Die Reserve des Gesundheitsfonds in Höhe von 10 Milliarden Euro wird in diesem Jahr schwinden, ließ Gesundheitsminister Spahn intern durchblicken. Düster sieht es auch bei Rente, Pflege und Arbeitslosenversicherung aus.

Dem Fiskus drohen historische Steuermindereinnahmen, von 100 Milliarden Euro, heißt es in Regierungskreisen. Schon jetzt ist ein Nachtragshaushalt verabschiedet. Doch dieser müsse "nicht das letzte Wort sein", sagt Steuerschätzer Jens Boysen-Hogrefe. Er fürchtet, dass der Staat der Corona-Krise im kommenden Jahr "hinterhersparen" muss, sollten nicht noch Rücklagen geschaffen werden. Sparrunden gab es in der Bundesregierung seit einem Jahrzehnt nicht mehr - seit ein gewisser Karl-Theodor zu Guttenberg aus finanziellen Erwägungen die Wehrpflicht aussetzte.

Auch bei großen systemrelevanten Unternehmen muss der Staat zuschießen. Rund fünf Milliarden Euro dürften für das Stopfen der Löcher bei der Deutschen Bahn fällig werden, etwa zehn Milliarden sind für die Lufthansa im Gespräch. Den Report über die finanziellen Folgen der Corona-Krise von ThePioneer-Chefkorrespondent Rasmus Buchsteiner lesen sie hier.

1. Teure Masken

Das Bundesgesundheitsministerium hat für Schutzmasken verschiedener Anbieter mehrere Millionen Euro zu viel bezahlt. Der chinesische Weltmarktführer BYD unterbreitete parallel ein günstigeres Angebot, das zwar an das Ministerium verschickt wurde, dort aber unterging.

Nach eigenen Angaben hat das Haus von Jens Spahn (CDU) seit März etwa 330 Millionen Stück bestellt, darunter OP-Masken (Typ FFP2) und einfache Mund-Nase-Masken. Für FFP2-Masken seien bis zu sechs Euro pro Stück bezahlt worden, teilte ein Sprecher des Gesundheitsministeriums mit. Die Preise für die einfachen Schutzmasken lagen bei 35 bis 80 Cent pro Maske. Damit Qualität und Schnelligkeit gewährleistet sind, wurden die Aufträge im so genannten "Open House Verfahren" vergeben. Heißt: Die Anbieter mussten mindestens 25.000 Stück der jeweiligen Produkte liefern können, einen Mindeststandard garantieren und die Lieferung verantworten. Das verspreche "faire und feste Preise", sagte Spahn am 29. April. Von günstig sprach er indes nicht.

Masken für 1,95 Euro pro Stück

Wohl aus gutem Grund. Zwei Tage vorher wandte sich der weltweit größte Atemschutzmasken-Produzent BYD Auto Industry aus Shenzen mit einem konkreten Angebot an das Ministerium. In dem Brief, der uns vorliegt, bietet der Konzern FFP-Masken für 1,95 Euro pro Stück bei einer Mindestabnahme von einer Million Stück und einfache Mund-Nase-Masken für 30 Cent pro Stück. Rund zehn Prozent unter dem Preis, den das Ministerium als Untergrenze nennt.

Bei dem Großauftrag des Ministeriums hätte man demnach mehrere Millionen Euro Steuerzahlergeld sparen können. An der Seriosität des Unternehmens kann es nicht gelegen haben. BYD beliefert auch Länder wie Italien, Schweiz und Japan. Das Unternehmen erwirtschaftete zuletzt einen Umsatz von 13 Milliarden Euro, Miteigentümer sind Samsung und der Investor Warren Buffet. BYD war Teil des Open House Verfahrens und damit berechtigt, Deutschland Masken zu liefern. Warum die Chinesen nicht zum Zuge kamen, dazu gab es im Ministerium keine Informationen.

2. Kampfdrohnen-Debatte mit Hindernissen

Nach einem vergeblichen Anlauf will Verteidigungsstaatssekretär Peter Tauber (CDU) am heutigen Montag im Berliner Bendlerblock mit einer Expertendiskussion die Bevölkerung auf den Einsatz von Kampfdrohnen in der Bundeswehr vorbereiten. Bei der wegen der Corona-Pandemie zunächst verschobenen und nun stark verkleinerten Diskussionsrunde sollen politische, ethische und rechtliche Aspekte des Einsatzes mit Fachleuten und Vertretern der Parteien debattiert werden.

Tauber wehrt sich gegen den schlechten Ruf von Kampfdrohnen in der Bevölkerung. "Eine bewaffnete Drohne bedeutet nicht die automatische Freigabe im Einsatz. Die Bekämpfung und Tötung von Einzelzielen ohne unmittelbare Bedrohung oder gar außerhalb des jeweiligen Einsatzkontext bleiben explizit ausgeschlossen", sagt Tauber. "Und es wird immer ein Mensch über den Einsatz entscheiden und keine künstliche Intelligenz.“

Wegen der Corona-Krise werden immer mehr Steuerzahlungen gestundet - oder Vorauszahlungen herabgesetzt. Laut einer internen Übersicht der Bundesregierung sind fällige Zahlungen von Einkommen-, Körperschaft- und Gewerbesteuer zuletzt um rund vier Milliarden Euro verringert worden. Die Zahlen beziehen sich auf 15 Länder und Stadtstaaten. Aus Nordrhein-Westfalen liegen zu geminderten Vorauszahlungen noch keine Daten vor. Stundungen von Einkommensteuer summieren sich den Angaben zufolge auf bundesweit 809 Millionen Euro.

Steuerstundungen und gekürzte Zahlungen wegen Corona © Bundesministerium für Wirtschaft und Energie

Auf - Seit fünf Monaten ist Ursula von der Leyen jetzt Präsidentin der EU-Kommission, die erste deutsche Politikerin im Spitzen-Job in Brüssel. Die 61-Jährige scheut sich nicht, notfalls auch mal gegen Deutschland zu entscheiden. So auch jetzt im Streit um das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum EZB-Anleihekaufprogramm. "Das letzte Wort zum EU-Recht hat immer der Europäische Gerichtshof in Luxemburg", schaltet sich die CDU-Politikerin per Brief in die Debatte ein. Starkes Zeichen von Unabhängigkeit!

Ab - Man hätte denken können, dass der thüringische FDP-Fraktionschef Thomas Kemmerich nach seinem historischen "Ja" zur Wahl als Ministerpräsident von AfD-Gnaden demütiger auftritt und in der Öffentlichkeit auf die Bremse tritt. Doch der Fraktionschef der Liberalen in Thüringen nahm an einer Demonstration teil, an der auch Verschwörungstheoretiker und AfD-Bundestagsabgeordnete teilnahmen - und dann auch noch ohne Maske. So viel Rebellion gegen die Obrigkeit ist nicht "Maß und Mitte", wie Kemmerich erklärte, sondern fragwürdig für einen FDP-Fraktionsvorsitzenden. Die Vizechefin der Bundespartei, Marie-Agnes Strack-Zimmermann, forderte den Mann zum Parteiaustritt auf.

Erstmals seit Beginn der Corona-Pandemie gibt es in dieser Woche wieder drei Sitzungstage im Bundestag. Auf dem Programm stehen folgende Themen:

  • Am Donnerstag entscheiden die Abgeordneten über das „Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ - und damit über die geplante Pandemie-Prämie für Pflegekräfte und Geld für mehr Corona-Tests.

  • Ebenfalls am Donnerstag soll das Parlament über die Ausweitung der Kurzarbeiterregeln abstimmen.

  • Am Freitag steht die Drucksache 19/18473 auf der Tagesordnung. Dahinter verbirgt sich das Grundrentengesetz von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD). Prognose: In der Debatte dürften die Differenzen in der GroKo offen zu Tage treten.

Drei Texte der Kollegen möchten wir Ihnen besonders ans Herz legen:

In der New York Times rechnet Außenpolitik-Chefkolumnist Thomas Friedman mit Donald Trumps Corona-Politik ab. Er spricht von einem doppelten Versagen: Trump habe die Pandemie verschlafen und nun auch noch einen Bürgerkrieg im Land: „Der Präsident bringt Instabilität und Konfusion ins Land.“ - "If you feel dizzy from watching Trump signal left - issuing guidelines for how states should properly emerge from pandemic lockdowns - while turning right - urging people to liberate their states from lockdowns, ignore his own guidelines and even dispute the value of testing — you’re not alone."

In der FAZ schreibt Mona Jaeger in ihrem Leitartikel über die eigentliche Herausforderung für die Politik in der Corona-Krise: „Das Wiederhochfahren ist auch kommunikativ deutlich schwieriger als das Runterfahren. Dass über den richtigen Weg diskutiert und gestritten wird, ist natürlich richtig”, schreibt Jaeger. „Sprachgewinn ist Machtgewinn.“ Spannende Analyse über die Frage, warum gerade jetzt die politische Kommunikation so wichtig ist.

Das könnte eine neue Debatte in der Union werden. Die Unions-Bundestagsfraktion stellt sich beim Klimaschutz gegen die Linie von Kanzlerin Angela Merkel (CDU). Eindringlich fällt die Warnung einiger führender Bundestagsabgeordneter vor einer Erhöhung des CO2-Reduktionsziels von 40 auf 50 oder 55 Prozent aus. Das Papier zum "Green Deal" der EU-Kommission, über das Eva Fischer und Klaus Stratmann an diesem Montag im Handelsblatt schreiben, soll diese Woche von der Fraktion beschlossen werden.

Heute haben Geburtstag:

Sascha Lobo, Netz-Kolumnist, 45

Eva Menasse, österreichische Schriftstellerin, 50

Tina Hassel, Leiterin des ARD-Hauptstadtstudios, 56

Christiane Arp, Chefredakteurin der deutschen Vogue, 59

Prof. Hans-Günter Henneke, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Landkreistages und Honorarprofessor an der Universität Osnabrück, 63

Thomas Middelhoff, ehemaliger deutscher Manager, 67

Vor knapp einem Jahr kündigte Andrea Nahles ihren Rückzug als Partei- und Fraktionsvorsitzende der SPD an. 25 Jahre hatte die Maurer-Tochter aus der Nähe von Mayen zuvor an führender Stelle in der Sozialdemokratie gewirkt - von der Juso-Chefin bis zur Parteivorsitzenden.

Doch nach dem historisch schlechten Abschneiden bei der Europawahl und der zermürbenden Kritik aus den eigenen Reihen, kündigte sie am 2. Juni 2019 ihren Abschied an. Vizekanzler Olaf Scholz, ihr Verbündeter und Vertrauter, zeigte sich getroffen: "Das Land und die SPD haben Andrea Nahles viel zu verdanken." Nun kann sich Nahles bei Scholz bedanken, denn der Parteifreund hat der 49-Jährigen einen neuen Job besorgt. Spätestens im Sommer soll Nahles Präsidentin der Bundesanstalt für Post und Telekommunikation werden, einer Unterbehörde des Finanzministeriums.

Andrea Nahles bei einem Vortrag in der Eifel im August 2019.  © dpa

Das Amt kümmert sich unter anderem um die Versorgung der Beamten der ehemaligen Staatsunternehmen Post und Telekom sowie die Beihilfe-Anträge. Der Job ist gut dotiert: Rund 150.000 Euro soll Nahles bekommen. Nebeneffekt: ein Konservativer muss dafür den Posten räumen.

Der bisherige Präsident Andreas Hermes, bis 1998 persönlicher Referent von Bundeskanzler Helmut Kohl, soll weichen und mit einem neuen Posten im Berliner Ministerium versorgt werden. Auch privat hat der Deal Vorteile für Nahles: von ihrer Heimat in der Eifel sind es nur knapp 50 Minuten bis nach Bonn.

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