Die schwierige Achse Berlin-Paris

Teilen
Merken
Wirtschaftsminister Robert Habeck trifft auf den EU-Kommissar Thierry Breton. © BMWK

Guten Morgen,

unsere Themen heute:

  • Vor dem Treffen von Robert Habeck und Bruno Le Maire: Dem deutsch-französischen Verhältnis fehlt die Energie.

  • Die Wirtschaftsweise Veronika Grimm macht die Regierung für den „schwierigen“ Aufschwung verantwortlich.

  • Das alles entscheidende Treffen: Wird die Kindergrundsicherung kommen?

  • Die Industrie fordert Klarheit zur Wasserstoff-Importstrategie der Bundesregierung.

  • Professoren-Tadel für Pistorius-Plan.

Die USA haben sich entschieden: Sie provozieren einen Handelskrieg mit China. Präsident Joe Biden vervierfacht die Strafzölle beim Import chinesischer Elektroautos auf 100 Prozent – und erhöht den Druck auf Europa. Die EU-Kommission prüft Ähnliches.

EU Kommissar für Binnenmarkt und Dienstleistungen: Thierry Breton © IMAGO / ABACAPRESS

Der Zollzoff überschattet das heutige Treffen von Wirtschaftsminister Robert Habeck und dem französischen EU-Kommissar Thierry Breton in Berlin. Nach außen herrscht Harmonie.

Doch hinter den Kulissen gibt es mindestens sieben Themen, bei denen es zwischen Deutschland und Bretons Heimat Frankreich knirscht, analysiert unser Kollege Christian Schlesiger.

BDI-Chef Russwurm, EU-Kommissar Breton und Wirtschaftsminister Habeck © Imago

Spannungsfeld 1: China

Offiziell lehnen beide Länder Strafzölle auf China-Cars ab. Inoffiziell hätte Paris weniger Probleme mit einem Handelsstreit. Deutsche Hersteller verkaufen jedes dritte Auto nach China. Französische Marken wie Renault, Peugeot oder Citroën sind in China nicht präsent. Die EU könnte sich auf die Seite Frankreichs schlagen.

Spannungsfeld 2: Rüstung

Vor wenigen Wochen einigten sich beide Seiten auf den Bau des „Kampfpanzers der Zukunft“. Doch der wird erst 2040 fertig. Sonst nur Ärger: Berlin kauft den US-Jet F-35 statt die Rafale (Dassault) und den US-Helikopter Chinook statt den NH 90 (Airbus).

Chinook-Transporthubschrauber © dpa

Spannungsfeld 3: Energie

Als Deutschland wegen der Energiekrise Gas aus Frankreich importieren wollte, stellte sich Paris lange quer. Der Streit wirkt nach. Paris ärgert sich nun über den hohen deutschen Kohleanteil – und über die Deutschen, die in Europa den öko-grünen Lehrmeister spielen.

Spannungsfeld 4: Schulden

Deutschland spart und fährt die Schulden runter. Die Staatsdefizitquote liegt bei 64 Prozent. Frankreich hingegen erhöht sein Defizit 2024 mal eben um 5,5 Prozent. Die Schuldenquote liegt bei 112 Prozent. Frankreichs Etatprobleme belasten die Beziehungen.

Spannungsfeld 5: Konjunktur

Auf den ersten Blick läuft es in Frankreich: Für 2024 prognostizieren Ökonomen ein Wachstum von 0,7 Prozent, in Deutschland nur 0,2 Prozent. Aber Paris erkauft sich Wachstum über Schulden. Unterm Strich liegen beide Länder unter ihren Möglichkeiten.

Spannungsfeld 6: Ukrainehilfe

Laut dem Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW) beläuft sich die französische Militärhilfe bislang auf 540 Millionen Euro, weit hinter 17,1 Milliarden Euro aus Deutschland. Paris hält die Rechnungen zwar für falsch. Aber es bleibt eine Diskrepanz.

Emmanuel Macron © dpa

Spannungsfeld 7: Selbstverständnis

Deutschland fordert ein Freihandelsabkommen mit den südamerikanischen Mercosur-Staaten, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron blockiert – aus Rücksicht vor den eigenen Bauern. Wenn immer möglich, sucht Paris die eigenen Vorteile: France first.

Fazit: Der deutsch-französische Motor läuft schon lange nicht mehr. Er müsste dringend geölt und dann wieder auf Touren gebracht werden.

Grimm macht Regierung für „schwierigen“ Aufschwung verantwortlich

„Wir kommen nicht so richtig aus dem Quark“, kommentiert die Wirtschaftsweise Veronika Grimm die Lage der Wirtschaft mit Blick auf das gestern vom Sachverständigenrat veröffentlichte Frühjahrsgutachten 2024.

Bundesregierung in der Verantwortung: „Die Koalition ist sich nicht einig, wie sie die Wirtschaft wiederbeleben will“, sagt Grimm zu Gabor Steingart. „Die einen wollen mehr gestalten, einen stärker dirigistischen Ansatz, die anderen wollen mehr Marktwirtschaft, die Innovationskraft mehr entfesseln.“ Grimm:

Es ist schwierig, in dieser Konstellation die Wirtschaft wieder in Gang zu bringen.

Wirtschaftsweise Prof. Dr. Veronika Grimm © imago

Das Gutachten: Für 2024 erwarten die Wirtschaftsweisen nur ein Mini-Wachstum von 0,2 Prozent. Damit revidieren sie ihre Prognose vom letzten Herbst nach unten – da gingen sie noch von einem Wachstum von 0,7 Prozent aus.

Die Einschätzung der Wirtschaftsweisen Grimm:

  • Finanzpolitik: Es sei richtig, „dass man die Inflation durch fiskalpolitische Maßnahmen nicht zusätzlich anheizt“. Grimm erwartet allerdings im Sommer eine Zinssenkung.

  • Priorisierung: Es sei nicht genug Geld da, um alle gewollten Subventionen zu realisieren. Deswegen sei es „jetzt wichtig, Entscheidungen zu treffen.“

  • Weniger Sozialstaat: Expansion sei nicht der richtige Weg: „Das ist teuer und es schafft zusätzliche Bürokratie“, sagt Grimm.

  • Mehr unpopuläre Maßnahmen: Stattdessen sollte die Politik sich klarer auf „Infrastruktur, Energieversorgung, das Bildungssystem und die Digitalisierung“ fokussieren.

Zum Download: Frühjahrsgutachten des Sachverständigenrats

Die Kindergrundsicherung kämpft ums politische Überleben

Wie es mit dem Vorzeigeprojekt Kindergrundsicherung von Familienministerin Lisa Paus nach all den Auseinandersetzungen weitergehen soll, darüber beraten heute die stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden von Grünen, SPD und FDP. Das hört unsere Kollegin Laura Block.

Familienministerin Lisa Paus © imago

Das Treffen, das auf Wunsch der Grünen stattfindet, zeigt, wie verzwickt die Lage ist. Eigentlich beraten in diesem Stadium des Gesetzgebungsverfahrens die Berichterstatter (BE) der Ampel-Parteien.

Doch unter ihnen herrsche Funkstille. Schon seit zwei Wochen habe es kein BE-Treffen mehr gegeben. Ein inhaltliches Vorankommen: aussichtslos.

Die Fraktions-Vizes Andreas Audretsch (Grünen), Dagmar Schmidt (SPD) und Gyde Jensen (FDP) sollen Klarheit schaffen. Aus Sicht der FDP und SPD sei aber nicht mehr sonderlich viel zu retten, hören wir. Nun müsse darüber entschieden werden, ob die Ampel an dem Projekt festhalte oder neue Wege gefunden werden.

Aus Regierungskreisen heißt es dazu: „Lieber ein Ende mit Schrecken, als ein Schrecken ohne Ende.“

Warten auf die Wasserstoff-Importstrategie

Die deutsche Wasserstoffwirtschaft fordert Klarheit über die künftigen Wasserstoffimporte. Dafür brauche es schnell die im Sommer 2023 angekündigte Importstrategie.

Werner Diwald, Vorstandsvorsitzender des Deutschen Wasserstoff-Verbands (DWV), sagt unserer Kollegin Claudia Scholz:

Die Importstrategie muss deutlich machen, woher, wann, wie viel grüner Wasserstoff in welcher Form importiert werden soll, damit die Abnehmerseite sicher ist, dass genügend grüner Wasserstoff bereitstehen wird.

Werner Diwald © DWV

Regierungsplan: 2030 sollen rund 50 bis 70 Prozent des Wasserstoffbedarfs pro Jahr importiert werden. Das deutsche Ziel von zehn Gigawatt (GW) Elektrolyseleistung wird nicht ausreichen, um den deutschen Bedarf zu decken.

Bisher bekannt ist, dass Wasserstoff und seine Derivate bis 2030 laut der Nationalen Wasserstoffstrategie größtenteils per Schiff und mehrheitlich in Form von Ammoniak importiert werden soll.

Diskrepanz: Dies gehe am Bedarf und den nachhaltigen volkswirtschaftlichen Interessen Deutschlands vorbei, kritisiert Diwald. Denn bis 2030 werde grüner Wasserstoff vor allem in seiner elementaren Form im Industriebereich beispielsweise bei der Stahlerzeugung und im Schwerlastverkehr gebraucht. „Der Aufbau von Infrastrukturen zur Umwandlung von importierten Derivaten zu elementarem Wasserstoff wäre kostenintensiv und gesamtsystemisch ineffizient.“

Am Braker Hafen wird eine Anlage für die Produktion von Wasserstoff gebaut. © DPA

Die Ressortabstimmung zur Importstrategie sollte „zeitnah erfolgen“, schreibt das Wirtschaftsministerium. Die Strategie skizziere Rahmenbedingungen für Produktion, Anwendung und Transportwege von elementarem Wasserstoff und Wasserstoffderivaten. Aufgabe der Strategie sei es nicht, konkrete Mengen aus konkreten Ländern zu beziffern, „das ist Aufgabe des Marktes und der Unternehmen“.

Professoren-Watsche für Pistorius-Plan

Boris Pistorius fordert mehr Geld für die Bundeswehr und will den Wehretat an der Schuldenbremse vorbeischleusen. Laut Medien argumentiert der Verteidigungsminister, die Schuldenbremse habe verfassungsrechtlich keinen Vorrang. Die Sicherheit des Landes sei höher einzuordnen.

Thiess Büttner © imago

Professor Thiess Büttner hält das für ausgeschlossen: „Ohne Änderung des Grundgesetzes kann der Verteidigungshaushalt nicht von der Schuldenbremse ausgenommen werden“, sagt der Ökonom der Uni Erlangen-Nürnberg unserem Kollegen Christian Schlesiger.

Büttner nennt andere Möglichkeiten:

Option 1: Die Regierung könne „in einer akuten Bedrohungslage das Parlament zur Feststellung einer Notlage aufrufen, die eine außerordentliche Kreditaufnahme ermöglicht“.

Option 2: Die Regierung könne „auf die Opposition zugehen und mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit des Parlaments einen erneuten Sonderfonds einrichten, der durch Kredite finanziert wird, die nicht auf die Schuldenbremse angerechnet werden.“

Fazit: „Beide Möglichkeiten stehen der Regierung offen, wenn die russische Aggression nicht gestoppt werden kann.“

Insolvenzen nehmen in Deutschland weiter zu. Über 18.000 Unternehmen mussten 2023 Konkurs anmelden, 23 Prozent mehr als im Vorjahr und der höchste Wert seit acht Jahren.

Auch in anderen europäischen Ländern steigt die Anzahl der Pleiten seit Ende der Pandemie. Treiber dieser Tendenz sind laut Creditreform die Inflation, gestiegene Zinsen und hohe Energiekosten.

Eine Infografik mit dem Titel: Insolvenzen: Unternehmen müssen kämpfen

Entwicklung der Unternehmensinsolvenzen pro 10.000 Unternehmen, 2019 bis 2023.

Das war gestern und in der Nacht außerdem los:

  • Kabinett: Die Bundesregierung hat die umstrittene Krankenhausreform gebilligt. Das zentrale Vorhaben von Gesundheitsminister Karl Lauterbach sieht eine Abschaffung der Fallpauschale vor. Krankenkassen und Länder kritisieren das Gesetz.

  • Bundestag: In einer Aktuellen Stunde musste sich Wirtschaftsminister Robert Habeck heftiger Kritik zum Kernkraft-Aus stellen. So urteilte der CDU-Abgeordnete Jens Spahn:

Sie haben unserem Land mit der Entscheidung, die Kernkraftwerke abzuschalten, schweren Schaden zugefügt.

  • Fico-Angriff: Laut slowakischen Medien wurden vier Schüsse auf den slowakischen Regierungschef Robert Fico abgegeben, als dieser eine Regierungssitzung verließ. Fico befindet sich in Lebensgefahr, wie die Nachrichtenagentur Reuters berichtet.

  • Niederlande: Dem rechtspopulistischen Politiker Geert Wilders ist die Bildung einer Koalition gelungen. Fast sechs Monate nach der Wahl konnte sich der Parteichef der PVV auf eine Koalition mit drei rechten Parteien einigen.

Geert Wilders, Vorsitzender der niederländischen PVV © dpa
  • Migration: Die Bundesregierung hat die Verhandlungen über ein Migrationsabkommen mit Kenia beendet. Die Vereinbarung soll Anfang September unterzeichnet werden. Der erste Schritt soll eine Job-Messe in Nairobi sein.

Wer befindet sich heute wo und welche Termine sind noch relevant?

  • Russlands Präsident Wladimir Putin trifft den chinesischen Staats- und Parteichef Xi Jinping in Peking. Es ist die erste Auslandsreise Putins in seiner fünften Amtszeit.

  • Präsident Frank-Walter Steinmeier trifft im Rahmen der Veranstaltung „Begegnungen in Bellevue“ den iranischen Schriftsteller Salman Rushdie.

  • Kanzler Olaf Scholz besucht in Mannheim die Verabschiedung von SAP-Gründer Hasso Plattner.

  • Finanzminister Christian Lindner, Wirtschaftsminister Robert Habeck und Umweltministerin Steffi Lemke nehmen in Berlin an der Jahreskonferenz des „ZVEI eSummit“ teil.

Auf – Anthony Blinken. Bei seinem Besuch in Kiew konnte der US-Außenminister nicht nur auf der politischen Bühne überzeugen. Nach einem Treffen mit dem ukrainischen Präsidenten Selenskyj griff der Chefdiplomat am Abend in einer Untergrund-Bar selbst zur Gitarre und begeisterte das Publikum mit Neil Youngs „Rockin' in a Free World“. Rührend!

Ab – Iris Spranger. Ausgerechnet die Berliner SPD-Innensenatorin muss bei Polizei und Feuerwehr so richtig sparen, um den Vorgaben des CDU-geführten Finanzsenats gerecht zu werden. Dabei hat sie in der Stadt mit der zweithöchsten Kriminalitätsrate in Deutschland (knapp hinter Frankfurt) sowieso schon keinen leichten Job. Jeweils vier Millionen Euro weniger für den Polizei-Fuhrpark und die Schutzausstattung. Bitter für sie – gefährlich für alle Berliner.

Heute gratulieren wir herzlich:

Tessa Ganserer, Grünen-Bundestagsabgeordnete, 47

Martin Gassner-Herz, FDP-Bundestagsabgeordneter, 39

Jens Spahn, CDU-Bundestagsabgeordneter, 44

Wir wünschen Ihnen einen elanvollen Start in diesen Donnerstag!

Herzlichst,

Ihre

Pioneer Editor, Leiterin „Hauptstadt – Das Briefing“
Pioneer Editor, Leiterin „Hauptstadt – Das Briefing“
  1. , Pioneer Editor, Leiterin „Hauptstadt – Das Briefing“
  2. , Pioneer Editor, Leiterin „Hauptstadt – Das Briefing“

Abonnieren

Abonnieren Sie den Newsletter Hauptstadt – Das Briefing