unsere Themen heute:
Die Union treibt die Regierung mit fünf weiteren Klagen in Karlsruhe vor sich her.
Frauen in der Politik sind weiterhin unterrepräsentiert.
FDP-Rebell Matthias Nölke spricht über höhere Schulden und die Rolle der FDP.
Unser Kollege Thorsten Denkler kommentiert die Regierungserklärung von Kanzler Olaf Scholz.
Das Redaktionsteam Hauptstadt – Das Briefing wächst.
Schlachtfeld Karlsruhe
Der größte Gegner der Bundesregierung sitzt aktuell in Karlsruhe. Das Bundesverfassungsgericht hat nicht nur die rechtswidrige Haushaltspraxis der Ampel kassiert, sondern es beschäftigt sich derzeit mit fünf weiteren Unions-Klagen gegen die Ampel. Sie alle haben das Potenzial, den Kanzler zu düpieren – eine auch, ihn zu stürzen.
CDU-Chef Friedrich Merz rief Olaf Scholz (SPD) deshalb gestern im Parlament zu: „Legen Sie sich diese Liste ganz oben auf den Schreibtisch.“ Er werde sie brauchen.
Wie unser Kollege Christian Schlesiger erfahren hat, wird die CDU-CSU-Bundestagsfraktion noch im Dezember eine neue Klage zur Wahlrechtsreform vorlegen. Sie unterstützt damit eine Initiative aus Bayern – und erhöht den Druck auf die Ampel.
Hier sind die fünf Karlsruhe-Klagen im Detail – und ihr Gefahrenpotenzial für die Regierung:
Die gefährlichste Klage: Die Opposition scheiterte 2023 im Bundestag mit ihrem Antrag, einen Cum-Ex-Untersuchungsausschuss einzusetzen. Dieser sollte die Rolle von Scholz als damaligen Ersten Bürgermeister von Hamburg beleuchten. Die Finanzbehörde hatte einst auf Steuermillionen der Warburg Bank verzichtet. Was wusste Scholz? Was verschweigt er? Die Unionsfraktion hat auf Einsatz des Ausschusses geklagt. Grünes Licht aus Karlsruhe könnte Scholz massiv schaden.
Die nachhaltigste Klage: Im März beschloss die Ampel eine Wahlrechtsreform. Mit der neuen Regelung kann es passieren, dass direkt gewählte Kandidaten unter Umständen nicht in den Bundestag einziehen. Millionen von Stimmen könnten so unter den Tisch fallen. Auch der Verein „Mehr Demokratie“ hatte dagegen geklagt.
Die teuerste Klage: Wegen mangelnder Beteiligung des Parlaments musste die Regierung das „Heizungsgesetz“ im Sommer 2023 um Monate verschieben. Dem Eilantrag des Bundestagsabgeordneten Thomas Heilmann folgt bald ein Grundsatzurteil. Der CDU-Mann hält den parlamentarischen Prozess nach wie vor für fehlerhaft. Karlsruhe könne so die gesamte Wärmepumpen-Förderung kippen.
Die peinlichste Klage: Ein scharfes Schwert der Opposition ist es, Fragen zu stellen. Und die hat die Bundesregierung zu beantworten. Weil das Bundesinnenministerium bei einer Kleinen Anfrage zur „Qualität der Gesetzgebungsverfahren“ zu lange gezögert hat, könnte eine Karlsruher Rüge folgen.
Die sanfteste Klage: Die Stimmabgabe zur Bundestagswahl im September 2021 endete in 431 Berliner Wahllokalen im Chaos. Stimmzettel fehlten, es kam zu Verzögerungen bei der Abgabe. Die Richter wollen am 19. Dezember dieses Jahres ein Urteil fällen, ob und in welchem Umfang die Wahl in Berlin wiederholt werden muss. Dass der Richterspruch die Regierungsmehrheiten kippt, gilt als unwahrscheinlich.
Frauen in der Politik
Frauen sind im Politikbetrieb nach wie vor unterrepräsentiert, vor allem in Spitzenposten. Das belegt eine Analyse der Quadriga Hochschule und des Magazins politik&kommunikation, die heute veröffentlicht wird.
Rund zwei Drittel der Entscheider-Positionen im Politikbetrieb sind männlich besetzt. Dabei gibt es große Unterschiede zwischen den Parteien: Während SPD und Grüne in Parteivorständen mit 54 und 50 Prozent (annähernde) Parität erreichen, sind FDP, CDU und besonders die AfD noch weit davon entfernt.
Eine Infografik mit dem Titel: Frauenquote im Parteivorstand
Anteil der Frauen im Parteivorstand, nach Parteizugehörigkeit, in Prozent
Ähnlich sieht es in den Bundestagsfraktionen aus:
Eine Infografik mit dem Titel: Frauenquote in den Bundestagsfraktionen
Anteil der Frauen in den Bundestagsfraktionen, nach Parteizugehörigkeit, in Prozent
Der Geschlechterausgleich bei SPD und Grüne resultiere „aus einer Mischung von Top-Down-Vorgaben und historisch gewachsener politischer Kultur“, so die Analyse. Seit mehreren Jahren gehören etwa paritätische Doppelspitzen zum allgemeinen Führungsverständnis beider Parteien.
Der allgemeine Frauenanteil im Bundestag ist durch das gute Abschneiden von SPD und Grünen nach der vergangenen Wahl leicht gestiegen. Nach der Wahl 2017 – durch den Einzug von AfD und FDP – war er erstmals gefallen.
Eine Infografik mit dem Titel: Frauen im Bundestag
Entwicklung des Frauenanteils in den Legislaturperioden seit 2013, in Prozent
Rangliste der Politik
Nicht vergessen: Stimmen Sie ab für Ihre Politikerinnen und Politiker des Jahres! Welche Landespolitiker haben überzeugt, wer ist ein Rising Star? Hier geht es zur Abstimmung:
FDP-Rebell: Immer mehr wollen „raus aus der Ampel“
Der Kassler FDP-Kreisvorsitzende Matthias Nölke hat die Mitgliederbefragung initiiert, mit der er und andere einen Austritt der FDP aus der Ampel erzwingen wollen. Auf der Pioneer One sprach er über die Folgen des Karlsruher Urteils und die Rolle der FDP.
Herr Nölke, Sie sammeln weiter Unterschriften für den Ausstieg der FDP aus der Ampel. Wie ist der Wasserstand?
Wir nähern uns der 1000er-Marke. Die 500, die wir für eine Mitgliederbefragung brauchen, haben wir längst. Wir prüfen die Unterschriften jetzt noch und wollen die Liste dann bald der Bundespartei übergeben.
FDP-Rebell Matthias Nölke im Mai 2020 im Gespräch mit Parteichef Christian Lindner. © imagoDas Karlsruher Urteil hat das Land in eine Haushaltskrise gestoßen. Der Kanzler hat das in seiner Regierungserklärung noch mal deutlich gemacht. Kommt der Staat um höhere Schulden noch herum?
Höhere Schulden müssen vermieden werden, das war für die FDP eigentlich immer unverhandelbar. Der Staat muss endlich Ausgaben senken, dafür ist es höchste Zeit.
Der Staat könnte für mehr Einnahmen sorgen.
Mehr Einnahmen heißt am Ende mehr Steuern, mehr Abgaben. Wir haben schon mit die höchste Steuer- und Abgabenbelastung in Europa. Wir sollten das Gegenteil machen: Die Menschen entlasten, damit sie das Geld für Investitionen haben.
Und wenn die FDP Ihrem Rat nicht folgt, wäre das ein Minikonjunkturprogramm für Ihr Anliegen, oder?
Ich kann bestätigen: Seit klar ist, dass die Schuldenbremse auch für dieses und womöglich auch für nächstes Jahr ausgesetzt wird, haben sich deutlich mehr Mitglieder gemeldet, die rauswollen aus der Ampel.
Point of View: Das war zu wenig, Herr Scholz!
Unser Kollege Thorsten Denkler kommentiert die Regierungserklärung von Bundeskanzler Olaf Scholz:
Krieg in der Ukraine, in Nahost. Wirtschaftliche Destabilität. Klimakatastrophe.
Und dann noch eine veritable Haushaltskrise in der drittgrößten Volkswirtschaft der Erde.
Bundeskanzler Olaf Scholz redet im Bundestag. © dpaEs sind Zeiten, die hätten eine große Rede des Kanzlers an die Nation verdient. Eine Ruck-Rede. Eine neue Zeitenwende-Rede vielleicht, wie von CDU-Fraktionschef Friedrich Merz gefordert.
Stattdessen hat der Kanzler die immensen Herausforderungen in üblicher Stoik weggescholzt.
Es gibt nichts zu sehen, gehen Sie weiter, wir kümmern uns. Das war die Kern-Botschaft der Regierungserklärung, die er am Dienstag vor dem Bundestag gehalten hat.
Die Problem-Gebirge aber, die sich mit dem jüngsten Urteil des Bundesverfassungsgerichtes aufgeschichtet haben, sie sind nicht zu übersehen.
60 Milliarden Euro im Klima- und Transformationsfonds hat das Gericht gestrichen. Der 200 Milliarden Euro schwere Wirtschafts- und Stabilitätsfonds ist Geschichte.
Die Bundesregierung hat sämtliche Zukunftsprojekte in diese Sondervermögen verschoben. Jetzt steht die Zukunft dieser Projekte auf dem Spiel.
SPD und Grünen wollen den Geldhahn aufdrehen und den Reichen ans Portemonnaie. Die FDP will weder an die Schuldenbremse noch Steuern erhöhen.
Die Ampel-Partner blockieren sich gegenseitig. Und Scholz kann nicht erklären, wie er die Blockade auflösen will.
Wenn er glaubt, das sei Führung, dann irrt er.
Erweitertes Hauptstadt-Team
Die The Pioneer-Politik-Redaktion wird größer und stellt sich noch kompetenter auf. Pioneer-Wirtschaftschef Christian Schlesiger wird künftig über die Finanz- und Wirtschaftspolitik der Bundesregierung berichten. Außerdem leitet er zusätzlich das Ressort Politik.
Christian Schlesiger © Anne HufnaglUnser Reporter Thorsten Denkler wird ab sofort als Chefkorrespondent Kanzleramt dem Bundeskanzler und dem sonstigen Spitzenpersonal der Bundesregierung noch genauer auf die Finger schauen. Er bleibt Experte für Energiepolitik und Die Grünen.
Thorsten Denkler © Anne HufnaglSie haben Fragen, Anregungen, Informationen? Sie erreichen die beiden unter c.schlesiger@mediapioneer.com und t.denkler@mediapioneer.com.
Boris Pistorius auf der Berliner Sicherheitskonferenz
Boris Pistorius © Anne HufnaglHeute und morgen findet die 22. Berliner Sicherheitskonferenz im Vienna House by Wyndham Andel's Hotel in Berlin statt. Die Veranstaltung wird vom ehemaligen Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses, Wolfgang Hellmich (SPD), geleitet.
Morgen Vormittag werden Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) und seine niederländische Amtskollegin Kajsa Ollongren durch einen Impulsvortrag den zweiten Tag der Konferenz eröffnen. Auch die Parlamentarische Staatssekretärin im Verteidigungsministerium, Siemtje Möller (SPD), wird an einer Paneldiskussion gemeinsam mit Amtskolleginnen aus Spanien und Rumänien teilnehmen.
Auf - Annalena Baerbock. Beim Nato-Außenministertreffen in Brüssel konnte die Ministerin trotz Haushaltskrise verkünden, dass Deutschland das Zwei-Prozent-Ziel gegenüber der Nato im nächsten Jahr einhalten werde. Die Verbündeten freuen sich. Die Frage nach dem Wie muss dann der Kollege Verteidigungsminister beantworten.
Ab - Benjamin Limbach. Der NRW-Justizminister soll bei der Besetzung des Präsidentenpostens am Oberverwaltungsgericht – eines der wichtigsten Justiz-Stellen in NRW – eine Bekannte bevorzugt haben. Deswegen wird ihm Vetternwirtschaft vorgeworfen. Schon drei Mal musste der Grünen-Politiker im Rechtsausschuss sein Vorgehen rechtfertigen. Bislang ohne Erfolg. Jetzt droht ihm ein Untersuchungsausschuss.
In einem Interview mit dem Kriegsreporter Paul Ronzheimer äußert sich Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu zu Israels Plänen, den Kampf gegen die Hamas fortzuführen und die Zukunft des Gazastreifens nach dem Krieg zu gestalten. Sein Land sei nach dem Geisel-Deal weiterhin entschlossen, „militärische Anstrengungen zu Vernichtung der Hamas“ zu unternehmen. Nach einem Sieg seien für Netanjahu zwei Dinge besonders wichtig: Den Gazastreifen zu „entmilitarisieren“ und die Bevölkerung vor Ort zu „entradikalisieren“. Pflichtlektüre!
Die zögerliche Politik des Bundeskanzlers wirkt sich an der Ukraine-Front zusehends verheerend aus, warnt der Welt-Autor und pensionierte General Klaus Wittmann. In der Ampel-Koalition seien viele – vermutlich auch Verteidigungsminister Boris Pistorius – für Waffenlieferungen. Das einzige nachvollziehbare Motiv von Scholz, nicht mehr zu liefern, sei „die Rücksichtnahme auf Präsident Putin.“ Wittmann warnt: „Der Ukraine läuft die Zeit davon, und die Bereitschaft zu militärischer Unterstützung bröckelt zunehmend. Hüten wir uns vor self-fulfilling prophecies!“ Hier geht es zum Beitrag.
Heute gratulieren wir herzlich:
Jo Brauner, ehemaliger Tagesschau-Sprecher, 86
Kerstin von der Decken (CDU), Ministerin für Justiz und Gesundheit in Schleswig-Holstein, 55
Barbara Hahlweg, Journalistin und Moderatorin der ZDF-heute-Nachrichten, 55
Maximilian Kall, Sprecher der Bundesinnenministerin und Leiter des Pressereferats im Bundesinnenministerium, 40
Anja Pfeffermann, Pressesprecherin der Vertretung des Landes Nordrhein-Westfalen beim Bund, 44
René Rock, FDP-Fraktionsvorsitzender im Hessischen Landtag, 56
Götz Schmidt-Bremme, Ständiger Vertreter Deutschlands bei den Vereinten Nationen und anderen Internationalen Organisationen in Wien, 65
Jörg Wontorra, Fernsehmoderator und Fernsehproduzent, 75
Wir wünschen Ihnen einen elanvollen Start in diesen Donnerstag!
Herzlichst,
Ihre