herzlich willkommen zum Briefing aus der Hauptstadt – direkt von der Pioneer One.
Unsere Themen heute:
Die Gesundheitsminister tagen am Bodensee, die Ministerpräsidenten wohl nächste Woche mit dem Bund: Wir sagen, wie es im Kampf gegen Corona weitergeht.
Friedrich Merz buhlt um Unterstützer und wirbt dabei auch bei ehemaligen Vertrauten von Norbert Röttgen. Wir wissen, bei wem.
Die CDU muss unbequemer werden und Positionen jenseits des Zeitgeistes beziehen. Ein Gastbeitrag von der Chefin der Bremer Frauen Union, Elisabeth Motschmann.
Der Deutsche Juristinnenbund erwartet von den Ampel-Parteien mehr Einsatz für Gleichberechtigung. Wir kennen die Details.
Ein US-Ökonom rechnet mit Angela Merkels europäischer Finanzpolitik ab und bezeichnet das politische Erbe der Kanzlerin als nicht zukunftstauglich.
Plötzlich handeln die Länder bei Corona
Sie treffen sich in Lindau am Bodensee. Die Gesundheitsministerkonferenz kommt erstmals seit Langem wieder physisch zusammen. Es ist ein Krisentreffen.
Die Konferenz steht im Zeichen einer sich immer weiter verschärfenden Corona-Lage. Es geht um den Kurs für Herbst und Winter.
Die Rollenverteilung zwischen Bund und Ländern hat sich dabei verschoben.
Klaus Holetschek © ImagoAngela Merkel hat mit ihren Einlassungen zu einem Quasi-Lockdown für Ungeimpfte aufhorchen lassen. Doch Merkels Wort hat politisch schwindendes Gewicht: Die Bundesregierung ist ja nur noch geschäftsführend im Amt.
Dennoch: Es sind Äußerungen, bei denen sich selbst Regierungssprecher Steffen Seibert keine größere Mühe gibt, sie wieder einzufangen.
Er sagte am Mittwoch:
© imagoWenn sich die pandemische Lage vor allem in den Krankenhäusern regional weiter zuspitzt, sind weitere Beschränkungen nur bei den Nicht-Geimpften möglich. Das führt dann logisch zu 2G-Regeln, zumindest regional.
Die Initiative für neue Pandemie-Beratungen einer möglichen Corona-MPK mit dem Bund am kommenden Mittwoch, 10. November, geht zurück auf Hendrik Wüst (CDU), den neuen Regierungschef von Nordrhein-Westfalen. Die Vorarbeiten dafür sollen die Gesundheitsminister der Länder und des Bundes von heute an in Lindau leisten.
Hendrik Wüst © dpaIn einem Beschlusspapier, das uns vorliegt, heißt es:
Um einen hohen Schutz in Pflegeeinrichtungen in Herbst und Winter zu gewähren und dort gleichzeitig weiterhin soziale Kontakte zu ermöglichen, sind neben einer hohen Impfquote der Pflegebedürftigen und des Personals angemessene Testkonzepte angezeigt, die bereits in vielen Einrichtungen umgesetzt werden.
Geplant ist auch eine gezielte Kampagne bei den Auffrischungsimpfungen. Überlegungen des geschäftsführenden Bundesgesundheitsministers Jens Spahn (CDU) für eine Wiedereröffnung der Impfzentren stoßen bei den Ländern jedoch nicht auf ungeteilte Zustimmung.
Einige Landesregierungen sind unzufrieden mit den Plänen der möglichen Ampel-Koalitionspartner für das geplante Auslaufen der epidemische Notlage nationaler Tragweite zum 24. November 2021.
Bei SPD, Grünen und FDP wird jedoch argumentiert, ihr Ausstiegsplan garantiere den Ländern alle Möglichkeiten, die sie für den Anti-Corona-Kampf benötigen, wie unser Kollege Rasmus Buchsteiner erfahren hat.
Marco Buschmann, Parlamentarischer Geschäftsführer der FDP im Bundestag, sagte ihm:
Das Eckpunkte-Papier bietet den Ländern effektives und grundrechtsschonendes Instrumentarium, um Corona zu bekämpfen. Darüber hinaus ist es wichtig, die Impfquoten zu verbessern, die Booster-Impfungen für vulnerable Gruppen zu beschleunigen und in Infektions-Hotspots wie etwa Altenheimen engmaschiger zu testen.
Tatsächlich lassen die geplanten Anschlussregelungen weiterhin 2G-Regelungen in den Ländern zu. Zuletzt hatten Bayern, Baden-Württemberg und Sachsen ihre Schutzmaßnahmen in diese Richtung verschärft.
Wir haben in weiteren Ländern nachgefragt, in welchem Maße dort bereits auf 2G-Modelle gesetzt wird, beziehungsweise deren Ausweitung geplant ist.
Aus Hamburg hörten wir, dass über die bestehende 2G-Option hinaus, die Betriebe und Geschäfte der täglichen Versorgung ausschließt, keine Verschärfungen geplant sind. In Schleswig-Holstein sind 2G-Zugangsmodelle bislang nicht Teil der Corona-Verordnungen. Sie sind auch nicht geplant, heißt es in Kiel.
Das Saarland sieht ebenfalls (noch) keinen Anlass, verstärkt auf 2G zu setzen. Thüringen, Brandenburg und Sachsen-Anhalt setzen bisher auf die freiwillige Anwendung von Zugangsmodellen allein für Genesene und Geimpfte. Berlin prüft derzeit Verschärfungen - allerdings auch für Geimpfte.
Die Beispiele zeigen: Die Länder legen weiter Wert darauf, selbst zu entscheiden. Bisher jedenfalls.
1. Der Fahrplan der Gesundheits-Verhandler
Die Gesundheitsgruppe der Ampel-Gespräche wird sich laut Vorab-Tagesordnung in den nächsten Verhandlungstagen schwerpunktmäßig dem Thema Versorgung widmen. Das Dokument liegt uns vor.
Demnach werden entweder heute oder am Samstag unter anderem die Themen Krankenhaus-Strukturreform, ländliche Räume, Telemedizin, Apotheken, Geburtshilfe und Hospiz/Palliativ-Versorgung debattiert.
Ausriss Tagesordnung Gesundheit © ThePioneerAm Freitag soll es laut Planung um die Themen psychische Gesundheit, Gesundheitsberufe Ausbildung und um die Steigerung der Attraktivität der Berufe gehen. Am kommenden Montag wird demnach das Thema Patientenorientierung verhandelt.
Der Dienstag ist reserviert für verschiedene Themen und die offenen Punkte. Am Mittwoch folgt die Schlussredaktion.
Zu Beginn der Gruppenarbeit am 28.10. wollte die Gruppe unter anderem die Themen Vorsorge und Gesundheitsförderung besprechen, am Folgetag die Digitalisierung.
2. Juristinnen rufen Ampel zu Rechts-Reform auf
Der Deutsche Juristinnenbund erwartet von SPD, Grünen und FDP umfassende rechtspolitische Reformen.
„Moderne Gesellschaftspolitik kommt nicht ohne Gleichstellung aus: Gewaltschutz, soziale Sicherheit, Entgeltgleichheit, Parität – um diese Ziele zu erreichen, braucht es politischen Willen und gesetzliche Maßnahmen“, sagte uns Prof. Maria Wersig, Präsidentin des Deutschen Juristinnenbundes, der sich für die Gleichberechtigung und Gleichstellung von Frauen einsetzt.
Prof. Maria Wersig, Präsidentin des Deutschen Juristinnenbundes © ImagoKonkret fordert der DJB diese vier Punkte:
die effektive Ahndung geschlechtsspezifischer Gewalt, etwa durch die Einführung von verpflichtenden Fortbildungen für Justiz, Polizei und Staatsanwaltschaft
die Abschaffung von §219a StGB, damit Ärztinnen und Ärzte darüber informieren dürfen, dass und in welcher Form sie Schwangerschaftsabbrüche durchführen
ein "diskriminierungsfreies Abstammungsrecht", das es unabhängig vom Geschlecht ermöglicht ohne den Umweg einer Stiefkindadoption als zweites Elternteil rechtlich anerkannt zu werden
die Abschaffung des Ehegattensplittings beziehungsweise der Lohnsteuerklasse V und weiterer „Hindernisse" für die eigenständige finanzielle Absicherung von Frauen
Bei den Koalitionsverhandlungen gehe es nun darum "gleichstellungspolitische Ziele" als Querschnittsaufgaben bei der Modernisierung des Landes mitzudenken, sagte DJB-Präsidentin Wersig.
Die Rechtswissenschaftlerin betont:
Ein paritätisch besetztes Kabinett ist ein notwendiges Signal in diese Richtung.
3. Motschmann: Die CDU muss unbequemer werden
Die Vorsitzende der Frauen Union Bremen, die ehemalige Bundestagsabgeordnete Elisabeth Motschmann, fordert eine Neuaufstellung der CDU mit einer Frau im Spitzenteam.
"Ohne Frauen an der Spitze ist Erneuerung nicht glaubhaft" schreibt Motschmann in einem Gastbeitrag für ThePioneer.de.
Die Partei müsse sich aber auch inhaltlich profilieren, ohne dabei nach "rechts" zu schwenken. "Das Defizit liegt ganz sicher nicht in der sozialen oder liberalen Wurzel" schreibt Motschmann. Die Partei müsse auch wieder Positionen beziehen, die unbequem seien und für die die Partei Gegenwind bekommt.
"Die Zeichen der Zeit muss man verstehen, dem Zeitgeist jedoch öfter einmal widerstehen."
4. Renten-Experte pocht auf geringere Rentenerhöhung
Der Bochumer Sozialexperte Martin Werding erwartet von der möglichen Ampel-Koalition Abstriche bei der Rentenerhöhung 2022, die mehr als fünf Prozent betragen könnte.
Werding sagte uns:
Diese Rentenanpassung fällt zu hoch aus. Die Kosten überfordern die Beitragszahler auf Dauer. Es wäre an der Zeit, zurückzukehren zur Normalität und den Nachholfaktor wieder einzuführen. Noch ist dafür genügend Zeit.
Der Nachholfaktor war von der großen Koalition befristet bis 2025 ausgesetzt worden. In diesem Jahr, so Werding, hätten die Renten eigentlich sinken müssen, weil 2020 die Löhne wegen Corona gesunken waren.
„Der Nachholfaktor hätte für eine spürbare Dämpfung künftiger Rentenerhöhungen gesorgt“, so Werding. „Im konkreten Fall wären es dann nicht fünf, sondern vielleicht 3,5 oder vier Prozent mehr Rente gewesen.“
2020 hatte die FDP noch die Wiedereinführung des Nachholfaktors gefordert. Auf Anfrage wollten sich die Ampel-Unterhändler nicht äußern.
Sozialexperte Werding, der zuletzt im Auftrag der FDP eine Expertise zur Aktienrente eingeführt hatte, sagte, SPD, Grüne und FDP würden mit ihrem Sondierungspapier „überzogene Erwartungen“ wecken.
„Sie sagen, das Renteneintrittsalter muss nicht erhöht werden - und es bleibt bei einem Rentenniveau von mindestens 48 Prozent“, so Werding.
„Dass das ganz automatisch bedeutet, dass die Beiträge erhöht werden müssen, darüber spricht niemand.“
Friedrich Merz treibt seine Kandidatur für den Bundesvorsitz offenbar weiter voran und buhlt auch im Lager des möglichen Konkurrenten Norbert Röttgen um Unterstützer.
Nach unseren Informationen aus Parteikreisen soll Merz in den vergangenen Tagen Kontakt zur rheinland-pfälzischen CDU-Landtagsabgeordneten Ellen Demuth aufgenommen haben.
Ellen Demuth © imago imagesDie 39-Jährige war Anfang des Jahres beim Wettbewerb um den Parteivorsitz als Chefstrategin im Team von Röttgen angetreten, soll sich von ihrem einstigen Förderer aber inzwischen distanziert haben. Ob sie nun Merz unterstützt, ist offen. Einen Kommentar zu den Personalspekulationen wollte sie nicht abgeben.
Am Donnerstag, 11. November 2021, tagt der Bundestag wieder. Das Parlament wird sich mit dem Gesetz zum Ausstieg aus der epidemischen Notlage befassen. Und der Bundestag wird einen Hauptausschuss einsetzen, der bis zum Ende der Regierungsbildung die Beratung von Gesetzesvorlagen gewährleisten soll. Das Gremium wird, wie wir erfahren haben, am gleichen Tag erstmals zusammenkommen.
lHeute - im Ältestenrat des Bundestages - soll über die Größe des Ausschusses entschieden werden. Die möglichen Ampel-Partner SPD, Grüne und FDP wollen, wie wir hören, ein Gremium mit 30 Mitgliedern, die Union pocht dagegen auf 40. Am 15. November 2021 soll es im Ausschuss eine Anhörung zur geplanten Pandemie-Gesetzgebung geben.
Auf - Christian Lindner. Man sieht ihm gelegentlich in den Talkshows an, wie er sich zusammenreißen muss, um nicht seine rhetorische Schärfe und die alten Reflexe gegen die früheren politischen Gegner, die Grünen oder die Roten, auszupacken. Doch der FDP-Chef hat den Schritt zum verantwortungsvollen Staatspolitiker, der ruhig, aber bestimmt liberale Grundsätze in die politische Debatten bringt, geschafft. Und damit neue Popularität gewonnen. In einer aktuellen Spiegel-Umfrage schafft er es auf Platz eins der Politiker, die laut einer Umfrage Bundesminister werden sollen. Das Finanzministerium ist Lindner kaum noch zu nehmen. Unser Aufsteiger.
Ab - Berlins grüne Wirtschaftssenatorin Ramona Pop zieht sich aus der Landespolitik zurück. Der nächsten Regierung werde sie nicht mehr als Senatorin zur Verfügung stehen, teilte Pop gestern mit, die schon zur Abgeordnetenhauswahl im September nicht mehr angetreten war. Als Wirtschaftssenatorin wirkte Pop weit über das Grünen-Milieu hinaus - in der Berliner Startup-Szene erarbeitete sich die Politologin mit rumänischer und deutscher Staatsbürgerschaft durchaus Respekt. Dem linken Grünen-Landesverband blieb die Realpolitikerin suspekt: Trotz Pops Prominenz und ihrer zwei Jahrzehnte zurückreichenden Erfahrung in der Landespolitik verweigerten ihr die Berliner Grünen die Spitzenkandidatur für die Abgeordnetenhauswahl. Pop fehlt es an Rückhalt in der eigenen Partei. Wie es für sie weitergeht, lässt sie offen. Unsere Absteigerin.
Harte Kritik an Kanzlerin Merkel und ihrer Amtszeit kommt vom konservativen US-Ökonomen Peter Morici. In seinem Kommentar für das Dow Jones Finanzportal MarketWatch lobt er Merkels Krisenmanagement, sie hinterlasse aber auch ein Land, das nicht auf die Zukunft vorbereitet sei. "In großen strukturellen Fragen war sie eine Inkrementalistin - sie scheute große Reformen und hielt sich an den fiskalischen Konservatismus, soweit es die Umstände zuließen", schreibt er. Merkel habe "die grundlegenden Ungereimtheiten in der Währungsunion des Euro" ignoriert. "Anstatt den Geldsegen für öffentliche Investitionen auszugeben, die die Modernisierung, die Importe aus dem Süden und ein ausgewogeneres Wachstum auf dem gesamten Kontinent hätten ankurbeln können, häufte Merkel Handels- und Haushaltsüberschüsse an und ließ die PIGS mit der Finanzierung ihres öffentlichen Sektors und der Modernisierung kämpfen." Lesenswert!
Das US-Magazin The Atlantic macht sich Sorgen um Europas Stabilität nach dem Rückzug von Angela Merkel. Der Europa-Korrespondent Tom Mac Tague analysiert den fehlenden Mut Deutschlands, ökonomische und sicherheitspolitische Interessen deutlich zu machen, und rät US-Präsident Joe Biden zu einer neuen Allianz mit den G20. "Auch nach Merkel bleibt Europa wohlhabend, erfolgreich und mächtig auf der Weltbühne. Die Spaltungen in Europa sind jedoch real und schwerwiegend, und es geht um existenzielle Fragen der Rechtsstaatlichkeit und der Demokratie" schreibt Tague. In Europa blieben die "großen strategischen Berechnungen" unbeantwortet, während sich die Welt verändert. Hier geht es zu seiner Analyse.
Mimik sagt mehr als Tausend Worte, unser Gesicht verrät oft unsere wahren Emotionen. ThePioneer Expert Dirk Eilert zeigt Ihnen im Video, wie Sie die Gesichtsausdrücke ihres Gegenübers richtig deuten können.
Heute gratulieren wir herzlich:
Daniel Bahr, früherer FDP-Politiker und ehemaliger Bundesgesundheitsminister, 45
Katrin Staffler, CSU-Bundestagsabgeordneter, 40
Werner Gatzer, Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen, 63
Virginijus Sinkevicius, EU-Kommissar für Umwelt und Ozeane und ThePioneer-Expert, 31
Laura Welch Bush, Ehemalige First Lady der Vereinigten Staaten, 75
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier gab gestern ein Ehrenmittagessen für den früheren Fußball-Bundestrainer Joachim Löw. Dabei betonte er Löws Rolle für das Land, die weit über eine gute Taktik für eine Fußballmannschaft hinausgehe.
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