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Unsere Themen heute:
In der Ampel wollen sie künftig mehr miteinander reden. Wir wissen, welche Formate dafür aktuell in Frage kommen. Viele sind es nicht.
Die Grünen wollen bei personellen Länderproporzentscheidungen künftig mitreden. Das könnte weitreichende Konsequenzen haben.
In der Union gibt es erheblichen Widerstand gegen die Bürgergeld-Pläne von Arbeitsminister Hubertus Heil. Eine Einigung im Bundesrat ist nicht in Sicht.
Die EU-Kommission hat am Mittwoch einen Gesetzentwurf für saubere Luft präsentiert. Den Grünen reichen die Vorgaben nicht aus.
Den Ampelfraktionen liegt eine Gesetzentwurf für die erste Stufe der Gaspreisbremse vor. Wir wissen, was drin steht.
Ampel: Wiederannäherung dringend gewünscht
Der Dienstagabend nach der Wahl in Niedersachen. Wichtige Ampel-Vertreter machen sich auf zu einem ungewöhnlichen Treffen. An jenem Abend kommen alle drei Fraktionsvorstände zu einem bis heute geheim gehaltenen Abendessen zusammen.
Es war lange geplant. Jetzt endlich konnte es stattfinden.
Einfach nur so. Ohne Tagesordnung. Ohne Programm. Schlicht, um sich mal kennenzulernen. Eine Premiere.
In der Einladung, die unserem Kollegen Thorsten Denkler vorliegt, bitten die Fraktionschefs Rolf Mützenich (SPD), Christian Dürr (FDP) und deren grüne Kolleginnen Britta Haßelmann und Katharina Dröge zu 19:30 Uhr in den Kaisersaal der Deutschen Parlamentarischen Gesellschaft.
„Wir freuen uns auf einen entspannten Austausch“, schreiben sie. Mitarbeiter nicht zugelassen.
Gutes Essen gab es, guten Wein. Mehr wollen die Teilnehmer über den Abend nicht berichten. Ein Thema wird gewesen sein: Wie geht es weiter in der Ampel, nachdem die FDP in Niedersachsen aus dem Landtag geflogen ist?
© ThePioneerDer Redebedarf ist enorm, sagen uns Koalitionäre. Energiekrise, Atom-Streit, Krieg in der Ukraine – die Streit-Liste war und ist lang. Ein Kanzler-Machtwort soll nicht noch einmal nötig werden.
Auf parlamentarischer Ebene ist vielen klar, so kann es nicht weitergehen. Es brauche eine Wiederannäherung.
Bisher sind Gelegenheiten zum informellen Austausch rar. Es gibt nur den Lebensstern. In der gleichnamigen Bar im Stammhaus des Café Einstein treffen sich vier- bis fünfmal im Jahr Abgeordnete von Grünen und FDP. Darunter Wirtschaftsstaatssekretär Michael Kellner und Grünen-Fraktionsvize Konstantin von Notz. Auf FDP-Seite Stephan Thomae, Verkehrsstaatssekretär Michael Theurer (FDP) und die Abgeordnete Linda Teuteberg (FDP).
Vor einem Jahr waren zumindest FDP und Grüne weiter. Legendär das erwartungsfrohe Selfie von Robert Habeck, Annalena Baerbock, Christian Lindner und Volker Wissing nach ihren geheimen grün-gelben Zitrus-Gesprächen.
Selfie: Volker Wissing (FDP), Annalena Baerbock (Grüne), Christian Lindner (FDP), Robert Habeck (Grüne) © Instagram/robert.habeckHeute hören wir aus den Lagern von Habeck und Lindner, dass sie jeweils große Schwierigkeiten haben, ihr Gegenüber zu verstehen. Das Ergebnis: Misstrauen statt Vertrauen.
Treffen, wie jüngst das im Kaisersaal, soll es jetzt öfter geben. Termine stehen noch aus. Aber: „Es ist gut und wichtig, sich gelegentlich zu treffen und sich auszutauschen“, sagt uns Grünen-Fraktionschefin Haßelmann.
Grüne wollen bei Länderproporzen mitbedacht werden
Nach der faktischen Entscheidung für die saarländische SPD-Ministerpräsidentin Anke Rehlinger als neue deutsch-französische Kulturbeauftragte und der Entscheidung gegen den Konkurrenten Winfried Kretschmann wollen die Grünen künftig bei den Länderproporzentscheidungen bei derartigen Posten mitbedacht werden. Dies hören wir aus Länderkreisen.
Winfried Kretschmann (Grüne) und Anke Rehlinger (SPD). © Imago / The PioneerDies könnte weitreichende Konsequenzen haben, weil bisher die Länder in A-Seite (SPD-geführte Länder plus Thüringen) und B-Seite (unionsgeführte Länder plus Baden-Württemberg) in zwei Blöcke aufgeteilt waren. Würde neben A- und B-Seite tatsächlich ein „G-Lager“ entstehen, wäre Kretschmann sein eigener Proporzblock. Allerdings dürfte Kretschmann eher eine Lösung im Kreise der unionsgeführten Länder anstreben.
Bis zur kommenden Ministerpräsidentenkonferenz Anfang November ist Nordrhein-Westfalens Staatskanzleichef Nathanael Liminski damit befasst, eine mögliche Berücksichtigung eines eigenen Grünen-Blocks auszuarbeiten.
Thüringens Linken-Ministerpräsident Bodo Ramelow fühlt sich übrigens nach unseren Informationen wohl auf der A-Seite und zeigt keinerlei Wunsch nach Veränderungen, so hören wir.
Widerstand gegen Bürgergeld
Gegen das von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) auf den Weg gebrachte Bürgergeld formiert sich Widerstand aus den Unions-Reihen. Auf Seiten der Länder entzündet sich die Kritik nicht nur an den anfallenden Kosten, sondern auch am Gesetz insgesamt.
Hubertus Heil © imagoVersuche aus dem Arbeitsministerium, einzelne B-Länder aus dem Block der Gegner herauszulösen, sind bisher gescheitert. Insbesondere aus Bayern vernehmen wir massive Kritik. Die Unionsseite will die Front aufrechterhalten, indem möglichst kein Gesamtpaket geschnürt wird, bei dem noch andere relevante Themen wie die Aufteilung der Flüchtlingskosten verhandelt werden.
Am kommenden Freitag ist das Gesetz zur ersten Lesung im Bundesrat, im November entscheidet sich, ob es eine Zustimmung in der nächsten Bunderatssitzung gibt oder der Vermittlungsausschuss angerufen werden muss.
Neue EU-Grenzwerte für Stickoxide bleiben hinter WHO zurück
Die europäischen Grünen lehnen den am Mittwoch präsentierten Vorschlag der EU-Kommission für saubere Luft als zu schwach ab. Der umweltpolitische Sprecher der Grünen im EU-Parlament, Michael Bloss, sagte unserem Kollegen Thorsten Denkler: „Die Kommission betreibt Rosinenpickerei, wenn sie die Grenzwerte der WHO zur Luftverschmutzung nur teilweise übernehmen will.“ Die Kommission gefährde damit „die Gesundheit der Bürgerinnen und Bürger Europas“.
Michael Bloss © imagoDie Kommission schlägt etwa vor, den Grenzwert für Stickoxide von 40 auf 20 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft im Jahresmittel zu halbieren. Die Weltgesundheitsorganisation WHO empfiehlt hingegen 10 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft.
Nach jüngsten Daten des Umweltbundesamtes würde es aktuell an verkehrsreichen Standorten in Städten problematisch werden, den vorgeschlagenen Grenzwert einzuhalten. In ländlichen und vorstädtischen Räumen hingegen wird die Marke von 20 Mikrogramm seit 2019 bereits durchgehend unterschritten.
Autoabgase © dpaNach Daten der EU war Luftverschmutzung 2019 für rund 350.000 vorzeitige Todesfälle mitverantwortlich. 97 Prozent der städtischen Bevölkerung in der EU leben demnach in Gebieten mit schlechter Luftqualität.
Auch Emissionsforscher Robert Wegener vom Forschungszentrum Jülich hätte sich einen schärferen Grenzwert gewünscht. 20 Mikrogramm seien „wenig ambitioniert und werden über die Zeit schon mit der natürlichen Flottenerneuerung erreicht“, sagte er uns. Ein Grenzwert bei 15 Mikrogramm hätte einen „größeren Push auch zu mehr Elektromobilität gegeben“.
Gesetzentwurf für erste Stufe der Gaspreisbremse liegt vor
Den Ampelfraktionen liegt eine Formulierungshilfe vor, mit der sie die erste Stufe der Gaspreisbremse scharf stellen können. Mit dem Papier, das wir erhalten haben, würde das ERP-Wirtschaftsplangesetz geändert. Dies ermöglicht es der Bundesregierung, den Gasversorgern die Erstattung des Dezember-Abschlags für ihre Gaskunden zurückzuzahlen.
Gasflamme © imagoDas Geld dafür kann dann aus dem 200-Milliarden-Euro-Doppelwumms-Topf kommen, dem neu ausgerichteten Wirtschaftsstabilisierungsfonds.
Der Entwurf regelt auch, wie genau die Rückzahlung berechnet wird. Grundlage wird der 12. Teil des Jahresverbrauchs eines Kunden sein. Der Dezember 2022 muss dabei Teil der Berechnung sein. Für den zu erstattenden Preis wird als Stichtag der 1. Dezember 2022 gewählt.
Laut der Formulierungshilfe werden Fernwärmekunden ähnlich berücksichtigt. Vermieter und Hausverwalter werden verpflichtet, die Einsparung an ihre Mieter und Kunden weiterzugeben. Gaslieferanten können die Kosten für die Erstattung des Dezemberabschlags über ein Antragsverfahren von der Deutschen Bundesbank zurückfordern.
In einer zweiten Stufe soll nach den derzeitigen Plänen ab frühestens März 80 Prozent des Verbrauchs zu einem Preis von maximal 12 Cent je Kilowattstunde berechnet werden. Der Rest zum Marktpreis. Es wird davon ausgegangen, dass diese Bremse den Preisanstieg für Gas auf eine Verdoppelung begrenzt.
Die Übernahme des Dezemberabschlags wird den Staat laut Gesetzentwurf 12 Milliarden Euro kosten. Für Länder und Kommunen entstehen keine Kosten.
Worst-Case-Szenarien: Zu starker Fokus auf Cyberbedrohungen
Was passiert, wenn plötzlich das Licht ausgeht? Nur eine stromlose Sekunde kann in Krankenhäusern verheerende Schäden anrichten und die Produktion ganzer Konzerne lahmlegen. Gerade diese kritischen Infrastrukturen müssen also für den Fall eines Blackouts gewappnet sein. Über die akute Bedrohung, die von einem Blackout ausgeht, berichtet der Vorstandsvorsitzende des Bundesverbands für den Schutz Kritischer Infrastrukturen, Holger Berens, in seinem neuen Gastbeitrag.
In Worst-Case-Szenarien greift das für Betreiber kritischer Infrastrukturen verpflichtende Business Continuity Management ein. „Expertinnen und Experten in diesen Bereichen sind es gewohnt, in Bedrohungsszenarien zu denken“, so Berens. In der Regel seien die Betreiber von kritischen Infrastrukturen verpflichtet, ein Business Continuity Management einzurichten.
Kritisch merkt er allerdings an, dass es in den letzten Jahren ein Ungleichgewicht beim Aufbau der Managementsysteme gegeben habe: „Hier wurden überwiegend Cyberbedrohungen in den Fokus gesetzt und die physischen Angriffe vernachlässigt.“ Ein ausgefeiltes Cyber-Security-System könne bei gekappten Stromkabeln oder Bombenabwehr allerdings recht wenig bezwecken.
Berens' Fazit:
Es muss also ein ganzheitliches, proaktives und reaktives Managementsystem implementiert und gedacht werden, das digitale und physische Angriffe gleichermaßen berücksichtigt.
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Vier Ländervertreter verhandeln Startchancen-Programm
Für das von der Ampel-Koalition angekündigte Startchancen-Programm haben die Bundesländer ein vierköpfiges Verhandlungsteam gebildet, um die Gespräche mit dem Bundesbildungsministerium zu vereinfachen. Dieses setzt sich aus den Staatssekretären Urban Mauer (CDU) aus Nordrhein-Westfalen, Dorit Stenke (parteilos) aus Schleswig-Holstein, Bettina Brück (SPD) aus Rheinland-Pfalz sowie dem Hamburger Staatsrat Rainer Schulz (SPD) zusammen, wie unser Kollege Maximilian Stascheit aus Länderkreisen erfuhr. Somit sind jeweils zwei Länder der A- und der B-Seite in der Gruppe vertreten.
Das Startchancen-Programm ist für die laufende Legislaturperiode das bildungspolitische Leuchtturmprojekt der Bundesregierung, mit dem 4000 Schulen – also etwa jede zehnte Schule in Deutschland – zusätzlich gefördert werden sollen. Es soll eine Laufzeit von zehn Jahren haben und wissenschaftlich begleitet werden. Das Ministerium plant derzeit mit einem Start zum Schuljahr 2024/25.
Wie wir hören, dürfte vor allem die Auswahl der Schulen und die Verteilung der Gelder für Diskussionen unter den Ländern sorgen. Der Königsteiner Schlüssel gilt in diesem Fall als ungeeignet, da durch das Programm Schulen mit einem besonders hohen Anteil sozial benachteiligter Schülerinnen und Schüler gefördert werden sollen.
Die nächste Ministerpräsidentenkonferenz soll am Mittwoch, dem 2. November, ab 15 Uhr im Bundeskanzleramt tagen. Die parteiübergreifende Vorbesprechung der Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten ist für den Vormittag geplant, die internen Vorbesprechungen von A- und B-Seite sollen am Dienstagmorgen stattfinden.
Die für die Vorbereitung bedeutende Runde der Chefinnen und Chefs der Staatskanzleien findet am Vortag als Videoschaltkonferenz statt.
Auf - Jürgen Trittin. Der Grünen-Politiker hat seine Fraktion am Mittwoch vor dem Bundesverfassungsgericht vertreten. Und eigentlich Selbstverständliches erreicht: Die Bundesregierung muss das Parlament auch in EU-Fragen aktiv beteiligen, urteilten die Richter. Wurde auch Zeit. Unser Aufsteiger!
Ab - Robert Habeck. Und wieder konnte er sich nicht gegen den Kanzler durchsetzen. Der Wirtschaftsminister hätte es – zusammen mit dem halben Kabinett – lieber gesehen, wenn sich die Chinesen gar nicht am Hamburger Hafen beteiligen. Aber Scholz wollte es anders. Eine weitere Kröte für den grünen Superstar. Unser Absteiger!
Mit ihrer Kritik an Lauterbachs erstem Eckpunktepapier zur Cannabis-Legalisierung hätten Grüne und FDP „der längst überfälligen Entkriminalisierung“ einen Bärendienst erwiesen, schreibt RND-Redakteur Tim Szent-Ivanyi. Schließlich müssten die EU-Kommission und der Europäische Gerichtshof noch der Interpretation der Bundesregierung folgen, „wonach nur ein staatlich regulierter Cannabis-Markt den Gesundheitsschutz gewährleisten kann.“ Nun bestehe die Gefahr, dass das Legalisierungsvorhaben enden könnte wie das Märchen vom Fischer und seiner Frau: „Wer zu viel will, steht am Ende mit leeren Händen da.“ Lesenswerter Kommentar!
„Wir brauchen nicht weniger, sondern mehr EU-Richtlinien“, schreiben die Grünen-EU-Parlamentarierinnen Terry Reintke und Anna Cavazzini in einem Gastbeitrag für die Welt und entgegnen damit einem Vorstoß von CDU-Chef Friedrich Merz und seinem Parteikollegen Daniel Caspary. Diese hatten an selber Stelle für ein „Belastungsmoratorium“ plädiert, da die krisengeplagte Wirtschaft durch EU-Gesetzesvorhaben zusätzlich unter Druck gesetzt würde. Doch es sei mehr denn je an der Zeit, den europäischen „Green Deal“ voranzutreiben, entgegnen die beiden Grünen-Politikerinnen. Die Stärke der EU sei es, „dass wir in kleinen Schritten die Integration unseres Kontinents vorantreiben und grenzüberschreitend Probleme lösen“ – zuletzt beispielsweise durch einheitliche Ladekabel. Hier lesen Sie den Artikel.
Heute gratulieren wir herzlich:
Natascha Kohnen, Abgeordnete im bayerischen Landtag und ehem. Vorsitzende der BayernSPD, 55
Henning Otte, CDU-Bundestagsabgeordneter, 54
Nina Stahr, Grünen-Bundestagsabgeordnete, 40
Wolfgang Streeck, deutscher Soziologe und Direktor emeritus am Max-Planck-Institut, 76
Nora-Vanessa Wohlert, Gründerin von Edition F, Podcasterin, 38
Wir wünschen Ihnen einen elanvollen Start in diesen Donnerstag!
Herzlichst,
Ihre