Die Zeitenwende in der Haushaltspolitik

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Guten Morgen,

herzlich willkommen zur neuen Ausgabe Ihres Hauptstadt-Newsletters direkt von der Pioneer One.

Unsere Themen heute:

  • In der Ampel bahnt sich ein neuer Großkonflikt um die Schuldenbremse an. Wir haben mit Haushaltsexperten aus Bundestag und Wissenschaft gesprochen.

  • Deutschland investiert 100 Milliarden Euro in die Bundeswehr. Wir sagen, welche konkreten Projekte geplant sind.

  • Ampel-Partner und Unionsfraktion wollen schon bald eine Enquete-Kommission und einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss zum missglückten Engagement in Afghanistan einsetzen. Wir kennen die Details.

  • Die Grünen schlagen ein Sondergericht zur Ahndung der russischen Aggression in der Ukraine vor. Wir sagen, was dahintersteckt.

Das verflixte Jahr 2023

An diesem Mittwoch ist Generaldebatte im Bundestag. Zunächst geht es um den Etat des Kanzleramts. Es ist traditionell die große Debatte, die Abrechnung über die Regierungsarbeit.

Olaf Scholz wird die Gelegenheit nutzen, ausführlich die Last-Minute-Einigung auf das 100-Milliarden-Euro-Sondervermögen für die Bundeswehr zu würdigen. Dem nächsten Streitthema der Ampel-Koalition dürfte der Kanzler in seiner Rede weniger Aufmerksamkeit widmen.

Olaf Scholz im Deutschen Bundestag © dpa

Es geht um die Frage, was im kommenden Jahr aus der Schuldenbremse wird. Sie steht im Grundgesetz und sieht vor, dass der Bund nicht mehr als 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts an neuen Krediten aufnehmen darf.

2023 wird für die Ampel zum verflixten Jahr. Um die Schuldenbremse einzuhalten, müsste Bundesfinanzminister Christian Lindner die Neuverschuldung von aktuell noch 138,9 Milliarden Euro auf zehn Milliarden Euro im kommenden Jahr zurückzufahren.

Der FDP-Chef hält weiter an dem Ziel fest. Am Dienstag twitterte er:

Die Rückkehr zur Schuldenbremse bedeutet, Druck von den Preisen zu nehmen, indem wir nicht immer mehr umverteilen und immer mehr Subventionen erfinden.

Pioneer-Chefkorrespondent Rasmus Buchsteiner hat Haushaltsexperten aus Koalition, Opposition und Wissenschaft zur Zukunft der Schuldenbremse befragt.

Erste Erkenntnis: Die Ampel-Koalition steuert bei diesem Thema auf einen neuen Großkonflikt zu. Zumal die Ausgabenwünsche steigen.

Gerade erst hat Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) ein soziales Klimageld vorgeschlagen verbunden mit deutlich höheren Leistungen in der Grundsicherung. Ein Milliarden-Programm, das Lindners bisherigen Finanzplan sprengen würde.

Die Grünen pochen darauf, die Schuldenbremse notfalls auch 2023 auszusetzen. Ihr Chefhaushälter Sven-Christian Kindler sagte uns:

Es ist klar, dass die Notfallregel der Schuldenbremse nicht zur Finanzierung neuer Daueraufgaben genutzt werden darf. Aber sollte der Inflationsdruck aufgrund des Krieges weiter hoch sein, dann sind natürlich zusätzliche Entlastungspakete auch über die Notfallklausel finanzierbar.

Reiner Holznagel, Präsident des Steuerzahlerbundes, hält dagegen. Die Schuldenbremse zwinge zu Prioritäten und Verzicht: „Doch gerade dieser Verzicht ist eine Notwendigkeit für Nachhaltigkeit und Generationengerechtigkeit“, sagte uns Holznagel.

Mehr zum Koalitionsstreit über die Schuldenbremse lesen Sie hier.

Lindners Not mit der Haushaltsnotlage

Der Finanzminister kämpft für ein Zurück zur Schuldenbremse. Ob er gewinnt, ist fraglich.

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Veröffentlicht von Rasmus Buchsteiner.

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Afghanistan-Aufarbeitung beginnt

Die Aufarbeitung der deutschen Afghanistan-Politik steht bevor.

Noch vor der Sommerpause will der Bundestag eine Enquete-Kommission zur Überprüfung des 20-jährigen deutschen Engagements am Hindukusch einsetzen und einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss zur Aufarbeitung der Evakuierung aus Afghanistan im Sommer 2021 einrichten.

Beide Antragsentwürfe liegen unserer Kollegin Marina Kormbaki vor. Die Pläne sollen noch in dieser Woche von den Ampel-Partnern und der Unionsfraktion vorgestellt werden.

Die Bundeswehr bei ihrer Evakuierungsmission auf dem Flughafen in Kabul. © dpa

Demnach wird die Enquete-Kommission unter dem Titel „Lehren aus Afghanistan für das künftige vernetzte Engagement Deutschlands“ tagen. Ihre Aufgabe werde sein, "das gesamte deutsche außen-, sicherheits- und entwicklungspolitische Engagement in Afghanistan zwischen 2001 und 2021 umfassend aufzuarbeiten“, heißt es im Antrag.

Und weiter:

"Die selbst gesteckten Ziele sind teils nicht erreicht worden. Die Erfahrung des Afghanistan-Einsatzes ist deshalb auch ein schwerer Einschnitt für das internationale Handeln der Bundesregierung und den Grundsatz des vernetzten Ansatzes."

Der Kommission sollen zwölf Parlamentarier und zwölf Sachverständige angehören. SPD und Union benennen je drei Mitglieder, Grüne und FDP je zwei, AfD und Linke je ein Mitglied. Das Gremium soll spätestens nach der parlamentarischen Sommerpause 2024 seine Ergebnisse vorlegen.

Der Parlamentarische Untersuchungsausschuss soll wiederum die militärische Evakuierungsoperation im Sommer 2021 in den Blick nehmen. Er soll klären, was sämtliche beteiligte Ministerien und Behörden über die Sicherheitslage in Afghanistan wussten und ob Abzugsszenarien und Notfallpläne vorlagen.

Die Untersuchung soll sich auf den Zeitraum vom 29. Februar 2020 bis zum Ende der Evakuierungsmission am 30. September 2021 erstrecken.

Wegen 9-Euro-Ticket: Länder-Ärger über die Bahn

Deutsche Bahn © imago

Ab heute gilt das 9-Euro-Ticket für den Nah- und Regionalverkehr. Doch auf einigen Strecken, auf denen ansonsten Fahrkarten des Nahverkehrs anerkannt werden, gilt das neue Rabatt-Ticket nicht.

Dabei geht es unter anderem um folgende Strecken:

  • Bremen-Norddeich Mole

  • Elsterwerda-Berlin, Berlin-Prenzlau

  • Potsdam-Berlin-Cottbus

  • Dillenburg-Letmathe

  • Erfurt-Gera.

Bis zuletzt gab es zwischen der Bahn und den Ländern Gespräche über eine Lösung.

Ein Bahn-Sprecher sagte auf Anfrage, Baden-Württemberg habe das 9-Euro-Ticket für die so genannte Gäubahn Stuttgart-Singen-Konstanz bereits anerkannt: „Mit anderen Ländern laufen die Gespräche noch.“

Allerdings: Auf den allermeisten Strecken wird das 9-Euro-Ticket nicht anerkannt werden, wie eine Umfrage unseres Kollegen Rasmus Buchsteiner ergeben hat. Das gilt für die Verbindungen in Brandenburg, Berlin, in Niedersachsen und Bremen. Hessens Verkehrsministerium erklärte, von Gesprächen mit der Bahn sei nichts bekannt.

Bernd Althusmann © dpa

Es sei „irritierend“, dass die DB Fernverkehr als 100-prozentige Tochter des Bundes das 9-Euro-Ticket auf der Linie von Bremen nach Norddeich nicht anerkenne, obwohl dort Nahverkehrs-Fahrscheine akzeptiert würden, sagt uns Niedersachsens Verkehrsminister Bernd Althusmann (CDU).

Ähnlich äußerte sich Thüringens Infrastruktur-Ministerin Susanna Karawanskij. „Die Deutsche Bahn bewegt sich leider keinen Millimeter“, so die Linken-Politikerin. Thüringen zahle bereits einen hohen sechsstelligen Betrag dafür, dass auf der Strecke Reisende mit Nahverkehrs-Tickets mitfahren dürften.

Grüne fordern Sondergericht für russischen Angriffskrieg

Die Grünen fordern mehr Einsatz bei der strafrechtlichen Verfolgung russischer Kriegsverbrechen in der Ukraine.

"Der gravierende Rechtsbruch Wladimir Putins darf nicht straflos bleiben", sagte uns Boris Mijatović, menschenrechtspolitischer Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion.

"Wir Europäer sollten jetzt die Liechtensteiner Initiative unterstützen und die Einrichtung eines Sondergerichts voranbringen, das dieses Verbrechen der Aggression zu ahnden versucht", betonte Mijatović. Idealerweise wäre ein solches Gericht an die Vereinten Nationen angebunden, aber auch "eine rein europäische Lösung" sei denkbar.

Grünen-Politiker Boris Mijatović.  © Michael Wiedemann

Mijatović, der in der Vergangenheit für den Internationalen Strafgerichtshof tätig war, sieht die Institution am Limit ihrer Möglichkeiten.

Zwar habe der Strafgerichtshof Ermittlungen wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit aufgenommen, und auch der Frage eines Völkermords werde er nachgehen können.

"Aber beim Grundübel Putins Auslösung und Durchführung des Angriffskriegs sind dem Internationalen Strafgerichtshof rechtlich die Hände gebunden", so der Grüne. "Diese empfindliche Lücke sollten die Europäer schließen helfen, zur Unterstützung der Ukraine und zur Durchsetzung des Völkerstrafrechts."

Comeback der Wehrpflicht?

Seit ziemlich genau elf Jahren müssen Männer in Deutschland keinen Wehrdienst mehr erbringen. Sie sei sicherheitspolitisch nicht weiter zu begründen, lautete 2011 der Grund für die Aussetzung der Wehrpflicht.

Doch mit dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine und die dadurch stark veränderte Sicherheitslage flammt die Debatte wieder auf. Befürwortern einer “allgemeinen Dienstpflicht für alle" geht es dabei um Katastrophenschutz, die Personalnot der Bundeswehr, aber auch um Gleichberechtigung.

Eine Dienstpflicht für Frauen sei jedoch alles andere als gerecht, sagt Elisabeth Motschmann in ihrer Kolumne für The Pioneer.

Lesen Sie den ganzen Beitrag hier:

Allgemeine Dienstpflicht – ein Streitthema

Warum eine Dienstpflicht für Frauen alles andere als gerecht wäre. Von Elisabeth Motschmann.

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Veröffentlicht in The Pioneer Expert von Elisabeth Motschmann .

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Die 100-Milliarden-Liste

Am Tag nach den Debatten in den Fraktionen kursierte in Berlin die Liste mit den konkreten Projekten, für die das Sondervermögen von 100 Milliarden Euro ausgegeben werden sollen. Auffällig: die hohe Beachtung der Luftwaffe bei den Projekten, wir berichteten.

Hier als Service aus unserem Pioneer-Hauptstadt-Team die Liste zum Download:

Übersicht Projekte Sondervermögen

Mario Brandenburg © Imago

Mario Brandenburg wird neuer Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und Forschung.

Der 38-jährige FDP-Politiker und gelernte Wirtschaftsinformatiker aus Rheinland-Pfalz ist seit 2017 Mitglied des Bundestages und gehört nun zum Team von Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger.

Brandenburg folgt im Ministerium auf Thomas Sattelberger, der sich kürzlich überraschend aus Regierung und Parlament zurückgezogen hatte.

In NRW haben CDU und Grüne Koalitionsverhandlungen aufgenommen und diese prominenten Bundespolitiker verhandeln mit:

Aufseiten der CDU ist die Rechtsausschuss-Vorsitzende Elisabeth Winkelmeier-Becker Teil des fünfköpfigen Steuerungsteams von Hendrik Wüst. Die Leitung der Arbeitsgruppe Klimaschutz, Energie, Wirtschaft hat Jens Spahn. Die frühere Bildungsministerin Anja Karliczek leitet die AG Wissenschaft, Digitalisierung und Innovation. Der frühere Innen-Staatssekretär Günter Krings ist Vize-Chef der AG Haushalt, Personal und Finanzen zu der auch Ex-Fraktionschef Ralph Brinkhaus gehört. Der Ex-Start-up-Beauftragte Thomas Jarzombek leitet die AG Schule und Bildung, und in der AG Migration, Integration, Flucht, Europa und Internationales sind Serap Güler und der frühere Generalsekretär Paul Ziemiak.

Mona Neubaur (Grüne) und Hendrik Wüst (CDU).  © Imago

Auf grüner Seite sitzt Wirtschaftsstaatssekretär Oliver Krischer in der von Spitzenkandidatin Mona Neubaur geführten AG Klimaschutz, Energie, Wirtschaft sowie in der AG Umwelt und Verbraucherschutz. Der neu in den Bundestag gewählte Sozialpolitiker und Landeschef Felix Banaszak leitet die AG Haushalt. Sein Stellvertreter: Wirtschaftsstaatssekretär Sven Giegold. Die Erste Parlamentarische Geschäftsführerin Irene Mihalic ist Teil der AG Innen und Recht, Fraktionsvize Maria Klein-Schmeink zählt zur AG Arbeit, Gesundheit und Soziales. Familien-Staatssekretär Sven Lehmann verhandelt in der AG Gleichstellung mit.

Am kommenden Donnerstag tagt im Kanzleramt die Ministerpräsidentenkonferenz.

Anders als früher geht es nicht nur um Corona. Aber auch. Das Kanzleramt will einen Beschlussvorschlag erarbeiten, mit dem festgelegt wird, welche Vorbereitungen für den kommenden Herbst/Winter getroffen werden.

Auch die Beschlüsse der letzten Gesundheitsministerkonferenz dürften diskutiert werden. Die B-Länder könnten vom Kanzleramt einfordern, dass ein ausgearbeiteter Masterplan für den Herbst und Winter vorgelegt wird. Auch über eine mögliche erneute Anpassung des Infektionsschutzgesetzes könnte debattiert werden.

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Auf - Boris Rhein. Der CDU-Mann ist neuer hessischer Ministerpräsident. Die mit nur einer Stimme Mehrheit regierende schwarz-grüne Koalition sprach dem Frankfurter ihr Vertrauen aus. Nach zwölf Jahren Volker Bouffier beginnt in Hessen eine neue Ära für die CDU, und Rhein hat die Chance, ihr neben Daniel Günther und Hendrik Wüst ein modernes Image zu geben. Aufsteiger.

Ab - Ursula von der Leyen. Fast ein Monat verging zwischen der Ankündigung der Kommissionschefin für ein EU-Ölembargo gegen Russland und dem Beschluss dazu. Zudem ist die Einigung löchrig; Ungarn schert aus. Die EU droht, ihr zu Beginn des Krieges erarbeitetes Image als starker Staatenbund zu verspielen. Das ist nicht allein von der Leyen anzulasten aber auch sie konnte Viktor Orbán nichts entgegensetzen. Es geht bergab.

Das EU-Öl-Embargo gegen Russland ruft breite Kritik hervor:

SZ-Brüssel-Korrespondent Josef Kelnberger schreibt, die EU habe Putin mit dem Öl-Embargo die Grenzen ihrer Einigkeit gezeigt sie „(...) liegen zunächst einmal dort, wo die handfesten Interessen von Viktor Orbán beginnen“. Nicht vor den Verhandlungen wenigstens die Grundzüge eines Kompromisses mit Ungarn, Tschechien und der Slowakei abgeklärt zu haben, sei geradezu eine Einladung an Orbán gewesen, die EU zu erpressen. Lesenswert!

Spiegel-Redakteur Ralf Neukirch kommentiert, dass auf dem EU-Gipfel ein sehr grundsätzliches Problem deutlich geworden sei: „das Fehlen von Führung auf allen Ebenen der EU“. Von der Leyen wirft er vor, ihren Sanktionsvorschlag nicht sorgfältig genug ausgearbeitet und ihn ohne ausreichende Rücksprache mit den Mitgliedstaaten vorgelegt zu haben. Es gebe unter den Staats- und Regierungschefs niemanden, der die Union in dieser schwierigen Phase zusammenhalten könne. Spannende Analyse!

Die Brüssel-Korrespondentin der Wirtschaftswoche, Silke Wettach, fordert ein härteres Vorgehen der EU im Umgang mit Ländern wie Ungarn: „Die Gemeinschaft braucht härtere Mittel gegen Länder, die blindwütig Eigeninteressen vertreten.“ Sie rät: „Die Androhung eines Rauswurfes aus der Gemeinschaft und der Verlust der damit verbundenen Mittel wäre indes ein scharfes Instrument, das europäische Werte stärken würde.“ Hier geht es zu dem Kommentar.

Heute gratulieren wir herzlich:

Bernhard Daldrup, SPD-Bundestagsabgeordneter, 66

Marc Henrichmann, CDU-Bundestagsabgeordneter, 46

Lennard Oehl, SPD-Bundestagsabgeordneter, 29

Kassem Taher Saleh, Grünen-Bundestagsabgeordneter, 29

Katharina Graca Peters, Spiegel-Redakteurin, 40

Britta Stuff, Spiegel-Ressortleiterin, 43

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Der SPD-Generalsekretär zu der Entscheidung von CDU/CSU, sich bei der Abstimmung über den 12 Euro Mindestlohn zu enthalten.

Wir wünschen Ihnen einen elanvollen Start in diesen Donnerstag!

Herzlichst,

Ihre

Pioneer Editor, Gründungs-Chefredakteur The Pioneer
Pioneer Editor, Ex-Stellvertretender Chefredakteur The Pioneer
  1. , Pioneer Editor, Gründungs-Chefredakteur The Pioneer
  2. , Pioneer Editor, Ex-Stellvertretender Chefredakteur The Pioneer

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