Die zwei Gesichter des Christian Lindner

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Guten Morgen,

unsere Themen heute:

  • Deutschland hui, die USA pfui: In Washington schlägt Finanzminister Christian Lindner ganz andere Töne als in der Heimat an.

  • Im kommenden Jahr drohen Tausende Helfer im Freiwilligendienst zu fehlen.

  • Vorratsdatenspeicherung: Hessische CDU-Minister stehen Nancy Faeser bei.

  • Das Umweltministerium in Erfurt will den Kommunen Kompetenzen entziehen. Aus Angst vor der AfD.

  • Der Vorsitzende des Forschungsausschusses will die Abhängigkeiten von China verringern.

Die zwei Gesichter des Christian Lindner

Dass Christian Lindner Attacke kann, ist bekannt. Dass er mitunter auch international auf Angriff schaltet, eher nicht. Auf dem Semafor World Economy Summit, einer Art US-Davos am Rande des Frühjahrstreffens des Internationalen Währungsfonds (IWF) in Washington, verteidigt er die wirtschaftliche Lage Deutschlands – und attackiert die USA.

Deutschland wachse zwar schwächer als die USA (und laut neuester IWF-Prognose auch als alle anderen G7-Länder). Aber dafür bekomme Europa die Inflation besser in den Griff. Die Preissteigerung in Deutschland bewege sich „Richtung zwei Prozent“. Ein Grund dafür: die restriktive Fiskalpolitik der Bundesregierung.

Die Preise in den USA stiegen dagegen hartnäckiger als erwartet. Lindner warnt auf der Bühne vor internationalem Fachpublikum daher offensiv vor den Folgen schuldenfinanzierter Konjunkturprogramme nach dem Vorbild der USA. „Der Inflation Reduction Act hat es nicht geschafft, die Inflation zu reduzieren“, sagt Lindner.

Die Folgen: Die US-Zentralbank Fed müsse kurzfristig auf Zinssenkungen verzichten. Die Europäische Zentralbank könne genau damit bald die europäische Wirtschaft stimulieren.

Christian Lindner vor Abflug in die USA © imago

Deutschland hui, die USA pfui: In Potsdam nannte er die Wirtschaftsprognose für Deutschland noch „peinlich und in sozialer Hinsicht gefährlich“. In Washington spricht er aber wie ein Handelsreisender, der Deutschland verteidigt – und als attraktiven Standort anpreist, beobachtet unser Kollege Christian Schlesiger vor Ort.

Lindners Argumente, warum Deutschland jetzt und künftig gar nicht so schlecht dasteht:

  • Die Krisenszenarien, die man für Deutschland wegen der Energiekrise 2022 prognostiziert habe, seien nicht eingetreten. „Deutschland ist resilient.“

  • Die Fiskalpolitik der Ampel habe dazu beigetragen, dass „Deutschlands Schuldenquote sinkt“ und die Steuerzahler entlastet würden.

  • Die strukturellen Reformen, die die Bundesregierung bald auf den Weg bringe, werden „die Produktivität der Wirtschaft anheben“.

  • Deutschland sei nicht der kranke Mann Europas. „Wir haben nur einen Kater.“ Bald würden die Deutschen wieder mehr arbeiten – wegen Reformen im Arbeitsmarkt.

  • Sobald die Regierung angebotsorientierte Reformen umgesetzt habe, „werden wir das Potenzialwachstum in den nächsten zwei bis drei Jahren auf ein Prozent verdoppeln“.

  • Lindners Angebot an globale Firmen: Kommt zu uns. „Die Leute sollten Spaß haben, Business in Deutschland zu machen. Weil sie hohe Gewinne erwarten können.“

Fazit: Hier spricht ein Mann mit zwei Gesichtern: Im Inland gibt Lindner den Warner, im Ausland den Werber. Die Wahrheit über die ökonomische Lage Deutschlands liegt wohl irgendwo dazwischen.

Tausende Stellen im Freiwilligendienst bedroht

Die Bundesregierung plant für 2025 im Freiwilligendienst eine Kürzung von 35 Millionen Euro.

Träger und Politik schlagen Alarm: Sollte bei der Haushaltsplanung seitens der Regierung nicht eingelenkt werden, könnte ab September 2025 nur noch ein Viertel der bisherigen Stellen für das Freiwillige Soziale Jahr (FSJ) und den Bundesfreiwilligendienst (BFD) wegfallen. Das geht aus einer Berechnung der Johanniter hervor. Im vergangenen Jahr engagierten sich mehr als 80.000 Menschen in den Freiwilligendiensten.

Freiwilligendienstleistende beim Deutschen Roten Kreuz (DRK). © dpa

Die Folge: Fehlende Unterstützung in Kitas, Pflegeeinrichtungen und Krankenhäusern – warnt Monique Weigelt, Sprecherin des Bundesarbeitskreis Freiwilliges Soziales Jahr (BAK). Sie sagt unserer Kollegin Laura Block:

Gerade im sozialen Bereich werden dann helfende Hände fehlen.

Die Besonderheit: FSJ und Bundesfreiwilligendienst sind sogenannte überjährige Programme, da die Startzeit in der Regel im September beginnt und dann ein Jahr andauert. Der Haushalt wird aber jedes Jahr von Januar bis Dezember geplant.

Heißt: In der aktuellen Planung ist die Finanzierung für den Zyklus 2024 und 2025 zwar gesichert, aber nicht für das Folgejahr. Somit müssen die Träger, sollten sie ab September einstellen, die Plätze reduzieren, oder ein finanzielles Risiko gehen, da die Lohnzahlung nicht gesichert ist.

Erik von Malottki © imago

Kritik am Familienministerium kommt aus der Ampel selbst: SPD-Familienpolitiker Erik von Malottki sagt uns: „Unsere Bemühungen, die Absicherung der Freiwilligendienste umzusetzen, wurden bisher nicht angenommen. Ich erwarte von der Bundesregierung jetzt eine tragfähige Lösung.“

Ausgelöst wurde die Diskussion durch die geplante Gesetzesänderung zur Teilzeitmöglichkeit in den Freiwilligendiensten, die in der kommenden Woche in die letzte Beratung geht.

In einem Entschließungsantrag fordert die Union die Bundesregierung auf, die Ausfinanzierung der Freiwilligendienste sicherzustellen. Die familienpolitische Sprecherin der CDU, Silvia Breher, sagt uns:

Die Träger warten seit Monaten darauf, dass die Bundesregierung eine Lösung vorlegt. Wir brauchen endlich wieder Planungssicherheit im Bereich der Freiwilligendienste.

Vorratsdatenspeicherung: Hessische CDU-Minister unterstützen Faeser

Am Freitag wollen der hessische Justizminister, Christian Heinz, und der hessische Innenminister, Roman Poseck (beide CDU), ihren eigenen Vorschlag zur Vorratsdatenspeicherung im Bundesrat präsentieren. Das erfuhr unser Kollege Jan Schroeder aus dem hessischen Justizministerium.

Heinz sagt uns:

Wir wollen eine rechtssichere und anlasslose Mindestspeicherung von IP-Adressen von einem Monat zum Zwecke der Verfolgung schwerer Kriminalität.

Sowohl die CDU als auch SPD seien für diese weitreichendere Lösung, heißt es aus dem hessischen Justizministerium. Das Bundesinnenministerium reagierte auf Nachfrage nicht.

Innenministerin Nancy Faeser © imago

Der bisherige Quick-Freeze-Kompromiss der Ampelparteien, der den Ermittlungsbehörden nur bei konkretem Bedarf die Speicherung von IP-Adressen und Kommunikationsdaten ermöglichen soll, gehe nicht weit genug, so Heinz.

Unterstützung für Faeser und die Bundes-SPD: Die Landesminister intervenieren damit in den Streit der Ampelparteien und unterstützen die von Innenministerin Nancy Faeser präferierte Lösung. Faeser hatte am Sonntag den bisherigen Ampel-Kompromiss kritisiert und erneut auf die Vorratsdatenspeicherung gedrängt.

Aus Sorge vor AFD: Thüringen will Kommunen Windkraft-Kompetenz entziehen

In der Landesregierung von Thüringen gibt es Pläne, den Kommunen und Landräten nach den Kommunalwahlen am 26. Mai die Zuständigkeit für die Genehmigung von Windrädern zu entziehen.

Auslöser AfD: Wie unser Kollege Thorsten Denkler hört, sei das für den Fall vorgesehen, dass die AfD nach der Wahl viele Bürgermeister- und Landratsämter besetzen kann.

Windräder bei Sonnenaufgang © dpa

Die Sorge im grün geführten Umweltministerium: Von der AfD geführte kommunale Behörden könnten die Energiewende vorsätzlich verschleppen und Genehmigungsanträge nicht bearbeiten oder unnötig in die Länge ziehen.

Es könne aber ohnehin der bessere Weg sein, die Genehmigungsstruktur in eine Hand zu legen. Damit könnten die Prozesse – wie in anderen Ländern auch – professionalisiert und beschleunigt werden.

Die Geschwindigkeit, mit der in Landratsämtern Windanlagen genehmigt werden, sei schon heute höchst unterschiedlich, wird uns gesagt. Als mögliche neue Genehmigungsbehörde komme das Thüringer Landesamt für Umwelt, Bergbau und Naturschutz in Betracht.

Widerstand einkalkuliert: Wie wir hören, bereitet sich das Ministerium auf großen medialen Widerstand gegen die Pläne vor. Mit den kommunalen Verbänden aber habe es über die Pläne schon positive Gespräche gegeben. Für den Entzug der Genehmigungskompetenz reicht nach Ansicht des Umweltministeriums eine Ministerverordnung.

Gehring: China-Abhängigkeiten in der Forschung verringern

Deutschland müsse „Knowhow-Spionage“ aus China verhindern, „indem wir die Awareness für Probleme steigern und China-Kompetenzen ausbauen“, sagt uns der Vorsitzende des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Kai Gehring (Grüne). Er fordert:

Gleichzeitig müssen wir Abhängigkeiten verringern und Kooperationen mit Wertepartnerländern stärken, etwa den ASEAN-Staaten und im globalen Süden.

Kai Gehring (Grüne) © imago

Klimakrise, Artensterben oder Gesundheitsrisiken könne man allerdings nur bewältigen, wenn Wissenschaft weltweit vernetzt Lösungen erarbeitet. Es ginge also darum, eine „starke Außenwissenschaftspolitik“ zu gestalten, die „maximale Wissenschaftsfreiheit garantiert und zugleich Schutz- und Wettbewerbsinteressen stärker akzentuiert“, so Gehring.

Mehr Austauschstudenten aus China: Im Wintersemester 22/23 waren laut DAAD 38.743 Studenten aus China an deutschen Hochschulen eingeschrieben. 2016/17 waren es erst 32.618. Zwischen 2000 und 2022 haben laut einem Recherchenetzwerk in mindestens 349 Veröffentlichungen Forscher an deutschen Hochschulen mit Kollegen aus Militäreinrichtungen in China zusammengearbeitet.

Was sind die größten Probleme in Deutschland? Knapp die Hälfte der Deutschen sagt: die Wirtschaft. Das ist das Ergebnis des aktuellen RTL/ntv-Trendbarometers. Etwas mehr als ein Fünftel hält das soziale Gefälle, die Politik der Bundesregierung und die mit Zuwanderung verbundenen Probleme für wichtig. Der Ukrainekrieg hingegen rutscht in seiner Bedeutung für die Deutschen indes ab.

Eine Infografik mit dem Titel: Wirtschaft: Deutschlands größtes Problem

Offene Umfrage unter Bundesbürgern, welche die größten Probleme in Deutschland sind, in Prozent

Kriegsmüde? Die Mehrheit der Bundesbürger ist zudem der Ansicht, der Westen solle die ukrainische Regierung dazu bringen, Verhandlungen mit Russland zur Beendigung des Krieges aufzunehmen.

Eine Infografik mit dem Titel: Verhandlungen mit Russland

Umfrage unter Bundesbürgern zum Verhalten des Westens zum Ukrainekrieg

Das war gestern und in der Nacht außerdem los:

  • EU-Gipfel: Bundeskanzler Olaf Scholz hat die EU-Staaten aufgefordert, mehr Waffen an die Ukraine zu liefern. Auch Außenministerin Annalena Baerbock und Verteidigungsminister Boris Pistorius haben die Verbündeten in einem Schreiben zu einer besseren und raschen Unterstützung der Ukraine mit Luftabwehrsystemen aufgefordert.

  • Krisendiplomatie: Außenministerin Annalena Baerbock warnte in Jerusalem nach dem iranischen Angriff auf Israel vor einer „Eskalationsspirale“.

Annalena Baerbock in Israel  © picture alliance/dpa/AP | Leo Correa
  • Terror: Die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt hat eine weitere Anklage gegen einen Unterstützer der „Vereinten Patrioten“ erhoben, die laut Anklage geplant hatten, Gesundheitsminister Karl Lauterbach zu entführen und die Regierung zu stürzen.

  • Haushalt: Der Bund der Steuerzahler hat eine Analyse des Bundeshaushalts („bedrohliche Schieflage“) sowie 30 Einsparvorschläge veröffentlicht – etwa im Hinblock auf das Personal, Förder- und Entwicklungsprojekte sowie Sozialpolitik.

Zum Download: BdSt Sparbuch 2024

Wer befindet sich heute wo und welche Termine sind noch relevant?

  • Kanzler Olaf Scholz reist nach Brüssel für eine Sondertagung des Europäischen Rates. Themen sind: Zukunft des Binnenmarkts, europäische Wettbewerbsfähigkeit, EU-Türkei-Beziehungen.

  • Finanzminister Christian Lindner und Entwicklungsministerin Svenja Schulze sind in Washington, D.C. auf der Frühjahrstagung des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank.

  • Die G7-Außenminister beraten auf Capri über weitere Sanktionen gegen den Iran.

  • Verkehrsminister Volker Wissing nimmt an einer Podiumsdiskussion beim Ludwig-Erhard-Gipfel am Tegernsee teil.

  • Justizminister Marco Buschmann nimmt an einer Veranstaltung an der Universität Göttingen zum Thema 75 Jahre Grundgesetz teil.

  • Bauministerin Klara Geywitz ist in Rostock unterwegs auf dem Unternehmertag Ostsee.

  • Der Thüringer AfD-Vorsitzende Björn Höcke steht in Halle vor Gericht wegen der Verwendung verbotener Parolen der SA.

Auf – Nini Tsiklauri, Spitzenkandidatin von Volt Österreich. Der österreichische Ableger der Kleinstpartei Volt sammelt Unterstützungserklärungen, um an der bevorstehenden Europawahl teilnehmen zu können – dabei helfen soll ihnen Taylor Swift. Unter allen eingesandten Unterstützungserklärungen werden zwei Konzerttickets für die ausverkaufte Show der Pop-Ikone in Wien verlost. Das Ziel: Mehr junge Menschen für die Europawahl begeistern. Kreativ.

Ab – Irakli Kobakhidze. Die unbeliebte Regierung des georgischen Premierministers will ein von der Opposition so genanntes „russisches Gesetz“ durchdrücken – dafür stimmte gestern fast die gesamte Regierungspartei. Konkret sollen mit dem Vorhaben ausländische (meist westliche) NGOs staatlich kontrolliert werden. Pro-Europäer fürchten, dass sich das Land zu weit von Europa und einem möglichen EU-Beitritt entfernt. Quo vadis, Georgien – EU oder Putin?

Heute gratulieren wir herzlich:

Christian Dürr, FDP-Fraktionsvorsitzender, 47

Gerald Heere (Grüne), niedersächsischer Finanzminister, 45

Gabriela Heinrich, stellv. SPD-Fraktionsvorsitzende, 61

Ina Lepel, deutsche Botschafterin in Indonesien, 62

Wir wünschen Ihnen einen elanvollen Start in diesen Donnerstag!

Herzlichst,

Ihre

Pioneer Editor, Leiterin „Hauptstadt – Das Briefing“
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