Die zweite Welle

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© The Pioneer / Henning Schmitter

Guten Tag,

herzlich willkommen zu unserem Briefing aus der Hauptstadt - direkt von der Pioneer One. Schön, dass Sie wieder dabei sind!

Unsere Themen heute:

  • Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hält die vollständige Öffnung aller Schulen nach den Sommerferien für möglich, einige Länder sind schon weiter.

  • Wie profitieren Privathaushalte von der geplanten Mehrwertsteuerabsenkung? Die FDP hat Modelle errechnen lassen und kommt zu einem ernüchternden Ergebnis.

  • Grünen-Chefin Annalena Baerbock besucht die Hauptstadt-Redaktion und spricht unter anderem über ihr Verhältnis zu den USA.

Corona: Deutschland öffnet sich

Es ist ein ritualisierter Termin in Berlin geworden: Immer am Montagnachmittag schalten sich die Chefs der Staatskanzleien der Länder mit Kanzleramtschef Helge Braun in einer Videokonferenz zusammen und beraten die drängenden Fragen der Corona-Krise. Am vergangenen Montag brachte Braun die Runde in Sachen Tracing-App auf den neuesten Stand, auch die anstehenden Veränderungen bei den Einreisen aus dem Ausland debattierten die Teilnehmer.

Die Ländervertreter nutzten die Gelegenheit, wichtige Punkte vorzubringen. Es wäre eine gute Gelegenheit für die Vertreter Thüringens gewesen, anzukündigen, was am Dienstag öffentlich werden sollte: Das weitgehende Ende der Kontaktbeschränkungen in dem Bundesland. Aber es fiel kein Wort dazu.

Entsprechend überrascht waren die Vertreter der anderen Bundesländer am Dienstagvormittag, als Thüringens Gesundheitsministerin Heike Werner (Linkspartei) mitteilte, dass sich ihr Bundesland bereits in dieser Woche öffnen wolle. Das Kabinett beschloss eine neue Grundverordnung, in der lediglich empfohlen wird, sich nur mit einem weiteren Haushalt oder mit maximal zehn Menschen zu treffen. Nicht nur Kontaktbeschränkungen enden damit, auch Festivals und Volksfeste sollen in bestimmten Fällen wieder möglich sein. Die neue Verordnung setze "auf mehr Eigenverantwortung" der Bürger, sagte Werner.

Spahn kündigt Regelbetrieb in Kitas und Schulen an

Es ist der Anfang einer zweiten Welle der Öffnungen, die in dieser Woche in zahlreichen Bundesländern beschlossen werden. Dabei beschränkt es sich nicht nur auf Thüringen. Brandenburg will schon ab 15. Juni die Kitas wieder für alle Kinder öffnen. Das Land Berlin beendet bereits an diesem Mittwoch die Sperrstunde in Restaurants und Kneipen, die Kitas in der Hauptstadt sind bereits zurück im Normalmodus und nach der Sommerpause soll dies auch für alle Schulen gelten. Hessen will heute bekanntgeben, welche Maßnahmen umgesetzt werden. Grundschulen in NRW unterrichten alle Schüler bereits wieder ab 15. Juni.

Und auch im Bund deuten sich Verschiebungen an. "Wenn sich das Infektionsgeschehen so fortsetzt über den Sommer, würde ich sagen, kann auch nach den Sommerferien der Regelbetrieb in Kitas und Schulen wieder starten", sagte uns Gesundheitsminister Jens Spahn im Gespräch auf der Pioneer One. Der 40-jährige CDU-Politiker wünscht sich mehr "Corona-Patriotismus" im Land. Man könne stolz sein auf das, was man bei der Bekämpfung der Pandemie und ihrer Folgen geschaffen habe. Auch die Grünen-Vorsitzende Annalena Baerbock drängt auf Lockerungen für die betroffenen Eltern und lädt heute Fachleute zu einem digitalen Bildungs- und Kindergipfel ein.

Jens Spahn im Interview auf der Pioneer One mit Gordon Repinski und Michael Bröcker © Anne Hufnagel

Die Zahlen geben den Öffnungspolitikern durchaus recht. Denn tatsächlich sind Kinder sehr viel seltener von Covid-19-Infektionen betroffen. Von aktuell insgesamt knapp 185.000 Fällen in Deutschland sind laut Robert-Koch-Institut nur rund 3500 Kinder im Alter von unter 14 Jahren betroffen. Unter den 8711 Todesfällen im Zusammenhang mit der Lungenerkrankung Covid-19 waren bundesweit drei Kinder. In zwei Drittel aller Todesfälle, rund 63 Prozent, waren die Opfer über 80 Jahre alt.

1. Senkung der Mehrwertsteuer bringt wenig

Die vorübergehende Absenkung der Mehrwertsteuer wird nach Ansicht des FDP-Wirtschaftspolitikers Christian Dürr keinen wesentlichen Effekt auf den Konsum haben. „Ein Beispiel: Selbst wenn der reduzierte Steuersatz zu 100 Prozent bei den Verbrauchern ankommt, werden die Menschen kaum etwas davon im Portemonnaie spüren. Wer rund 350 Euro im Monat für Lebensmittel ausgibt, wird im besten Fall knapp sechs Euro sparen", sagt Dürr.

FDP-Wirtschaftspolitiker Christian Dürr © dpa

Der FDP-Bundestagsabgeordnete aus Niedersachsen hat die möglichen Wirkungen für einen laut Statistischem Bundesamt beispielhaften Mehr-Personen-Haushalt mit privaten Konsumausgaben von 2517 Euro pro Monat berechnet. Darin sind Ausgaben für Wohnung und Energie (897 Euro), Auto und Bahn (348 Euro), Lebensmittel (348 Euro), Kleidung (110 Euro), Telekommunikation (64 Euro), Gesundheit (98 Euro), Innenausstattung (140 Euro), Ausgehen und Kultur (259 Euro), Bildung (18 Euro) sowie Restaurants und Gaststätten (146 Euro) enthalten.

Fazit: Selbst wenn die Unternehmen die bis Ende 2020 befristete Absenkung des normalen Mehrwertsteuersatzes von 19 auf 16 Prozent (bzw. von 7 auf 5) vollständig an die Verbraucher weitergeben, bleibt für diesen Haushalt nur eine monatliche Ersparnis von 30,69 Euro übrig. Wenn die Unternehmen nur ein Drittel der Entlastung weitergeben würden, sinkt die Ersparnis auf rund zehn Euro. Für das halbe Jahr blieben bei einer vollständigen Weitergabe der Entlastung 184 Euro, bei einer 33-prozentigen Weitergabe wären es 60 Euro (siehe Grafik).

Eine Infografik mit dem Titel: So könnte die MWSt-Senkung wirken

Gesamtersparnis bis Ende 2020 in € bei jeweils unterschiedlicher Weitergabe der MWSt-Absenkung an den Verbraucher.

Dafür lohne sich der Aufwand nicht, schlussfolgert der FDP-Politiker Dürr, der auch Stellvertreter von Christian Lindner in der Bundestagsfraktion ist. "Die Unternehmen müssen im Juli und zum 1. Januar einen massiven Aufwand betreiben, um die Änderungen bei der Mehrwertsteuer umzusetzen und später wieder rückgängig zu machen. Diese Maßnahme der Großen Koalition ist ein Beispiel von gut gemeint, aber schlecht gemacht." Besser wäre es gewesen, die Menschen direkt zu entlasten, sagt Dürr. "Die Abschaffung des Soli beispielsweise hätte mit einem Knopfdruck im Finanzamt umgesetzt werden können. Bei der Mehrwertsteuersenkung müssen sich nun Millionen Unternehmer auf einen Berg an Bürokratie einstellen.“

Die Bundesregierung will die geplante Absenkung der Mehrwertsteuer noch an diesem Freitag im Kabinett beschließen. Der Bundesrat könnte in einer Sondersitzung kommende Woche die Maßnahme abnicken.

2. Klöckner lockert Corona-Regelung für Erntehelfer

Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) will die Corona-Regelungen für Erntehelfer ab kommendem Dienstag lockern. „Saisonarbeitskräfte aus den EU-Mitgliedstaaten und den assoziierten Schengen-Staaten können sowohl auf dem Landweg als auch mit dem Flugzeug ohne die bisherigen Beschränkungen nach Deutschland einreisen“, heißt es in einem Eckpunktepapier von Klöckner, das uns vorliegt und an diesem Mittwoch im Bundeskabinett beraten werden soll. „Saisonarbeitskräfte aus Drittstaaten können im Rahmen der geltenden Einreisebestimmungen einreisen.“

© dpa

Angesichts der Corona-Pandemie hatte die Regierung die Zahl der ausländischen Saisonarbeitskräfte, die in den Monaten April und Mai 2020 nach Deutschland einreisen konnten, auf 80.000 beschränkt. „Bis zum 3. Juni 2020 sind inzwischen 38.967 Saisonarbeitskräfte eingereist“, heißt es im Papier der Agrarministerin.

"Bei Erkrankung das gesamte Team isolieren"

Klöckner konkretisiert nun die Hygiene-Vorgaben für Saisonarbeitskräfte. „Es gilt der Grundsatz: Zusammen arbeiten, zusammen wohnen“, heißt es in der Vorlage. Die Einteilung in feste Teams von Anfang an helfe, das Ausbreitungsrisiko zu minimieren. „Im Fall einer Erkrankung ist das gesamte Team sofort zu isolieren“, so das Landwirtschaftsministerium. Die Arbeitgeber hat die Arbeitsaufnahme seiner Saisonarbeitskräfte laut Agrarressort vorab bei der örtlichen Gesundheits- und der Arbeitsschutzbehörde anzuzeigen. Die Neuregelung soll vom 16. Juni an bis Ende des Jahres gelten.

3. Regierung will Pflicht-Fonds für Reiseveranstalter

Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) will Touristen vor den Folgen von Pleitefällen in der Reisebranche schützen. „Vorgesehen ist, dass die Absicherung der Kundengelder und eine notwendige Rückbeförderung von Reisenden im Insolvenzfall künftig nicht mehr über eine Versicherung oder eine Bürgschaft, sondern zwingend über einen Fonds erfolgt“, heißt es in der Kabinettsvorlage.

© The Pioneer

Die Mitgliedschaft im Fonds soll von einer bonitätsabhängigen Sicherheitsleistung abhängig sein - etwa einer Versicherung oder Bankbürgschaft. „Reiseveranstalter, die nicht über den Fonds abgesichert sind, können keine Pauschalreisen anbieten“, so das Justizministerium.

Mit den Eckpunkten zur Insolvenzsicherung im Reiserecht reagiert die Bundesregierung unter anderem auf die Thomas-Cook-Pleite im vergangenen September. Damals waren zehntausende Urlauber an ihren Ferienorten gestrandet und drohten ihr Geld zu verlieren, da die Insolvenz-Absicherung des Reiseveranstalters nicht ausreichte. Jetzt heißt es in dem Regierungspapier: Die Absicherung sämtlicher Risiken angefangen mit den Vorauszahlungen bis hin zu allen Kosten, die im Fall einer Insolvenz des Veranstalters nach Reiseantritt entstehen, sei "nur durch Einzahlungen in einen Pflichtfonds möglich".

VS Einsatzbericht © VS Einsatzbericht

Seit Jahrzehnten herrscht in Westafrika ein Territorialkonflikt um das Gebiet Westsahara, das Marokko für sich beansprucht. Die Uno versucht zu vermitteln, ein Referendum soll den Weg in eine friedliche Zukunft bahnen.

Was kaum einer weiß: Mit einer kleinen Beratungsmission von insgesamt drei Personen ist auch die Bundeswehr vor Ort vertreten. Doch der Beratungsauftrag kann momentan nicht vollzogen werden - wegen der Corona-Pandemie. Ein internes Dokument erklärt, warum dies so ist.

Dietmar Bartsch und Volker Herres  © ThePioneer

Auf - Die politische Linke tut sich gelegentlich mit der Institution Polizei schwer. In der Debatte um Polizeigewalt verschwimmen schnell die Unterschiede zwischen den USA und Deutschland, die Sprache wird grob, die Urteile werden scharf. Nun ist es der Fraktionschef der Linkspartei, der zur Mäßigung mahnt. “Die Polizei unter den Generalverdacht des Rassismus zu stellen, ist falsch. Polizistinnen und Polizisten verdienen mehr Anerkennung”, twitterte Dietmar Bartsch. Nebenbei verpasste er damit SPD-Chefin Saskia Esken einen unerwarteten linken Haken. Die SPD-Vorsitzende hatte zuvor in der Polizei "latenten Rassismus" diagnostiziert. Wir sagen: Respekt, Herr Bartsch!

Ab - Volker Herres ist Programmdirektor der ARD, er hat gerade den 70. Geburtstag seiner Fernsehanstalt gefeiert und zu diesem Anlass der Bild am Sonntag ein Interview gegeben. Darin lobte er den “bestens und vielfältig” besetzten Show-Bereich des Senders und nannte als Beispiele dafür Guido Cantz, Florian Silbereisen, Eckart von Hirschhausen, Kai Pflaume und Jörg Pilawa. Frauennamen fielen Herres nur auf Nachfrage ein, der von Ausnahmetalent Eva Schulz etwa fehlte ganz. Herrje, Herr Herres.

Kassenärzte und Krankenkassen hatten sich im März darauf geeinigt, angesichts der Corona-Pandemie Videosprechstunden-Angebote ausweiten. Bislang war diese Form der Beratung ausschließlich „zum Zweck der Verlaufskontrolle“ möglich, und bei streng definierten Krankheitsbildern und Indikationen.

Eine weitere Bedingung lautete: Der Patient musste in den beiden zurückliegenden Quartalen mindestens einmal persönlich in der Praxis gewesen sein. Diese Beschränkungen waren in der Corona-Pandemie weitgehend aufgehoben worden. Folge: Laut Kassenärztlicher Bundesvereinigung (KBV) gab es in diesem Jahr bereits 25.000 Videosprechstunden. Nächste Woche wollen Kassen und Kassenärzte gemeinsam über eine mögliche Fortsetzung der zum 30. Juni auslaufenden Corona-Sonderregelung beraten.

Unsere Leseempfehlungen für heute:

Er ist einer der wichtigsten Berater von Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) - und er passt eigentlich gar nicht in den sozialdemokratisch geprägten Beamtenapparat. Doch der frühere Deutschland-Chef der internationalen Investmentbank Goldman Sachs, Jörg Kukies, hat sich als Staatssekretär im Ministerium gut eingefügt und ist bei den Beamten anerkannt. Er verhandelte die Lufthansa-Rettung oder die Start-up-Reform, auch Teile des Konjunkturpakets gehen auf seine Initiativen zurück. Die Financial Times würdigt seine Rolle in diesem lesenswerten Portrait.

Das Musterhaus der Deutschen heißt „Flair 152 RE“. Es ist das meist gebaute Haus von der Stange und Henning Sussebach von der Zeit hat sich einmal angeschaut, welche Marktforschung und welches Menschenbild der Planer dahintersteckt. Was Immobilien über uns aussagen, lässt sich in diesem Text wunderbar verstehen. Spannende Lektüre.

Heute gratulieren wir zum Geburtstag:

Anke Plättner, Moderatorin der TV-Sendung "Phoenix Runde", 57

Rüdiger Kruse, CDU-Bundestagsabgeordneter, 59

Albert Rupprecht, CDU-Bundestagsabgeordneter, 52

Der Vorsitzende des Landwirtschaftsausschusses des Deutschen Bundestags, Alois Gerig, will offenbar nicht mehr für die kommende Wahlperiode kandidieren. Dies hörten wir aus verschiedenen Quellen in Parlament und Fraktion.

Der 64-jährige CDU-Politiker, der 1988 den elterlichen Landwirtschaftsbetrieb im Nordosten Baden-Württembergs übernahm und zu einem Ferienbauernhof umbaute, ist seit 2009 Mitglied des Bundestags.

Annalena Baerbock © ThePioneer

Die Grünen-Vorsitzende Annalena Baerbock war am Montagnachmittag zu Gast auf unserem Redaktionsschiff Pioneer One. Das gesamte Gespräch können Sie an diesem Mittwoch im Morning Briefing-Podcast von Gabor Steingart hören und hier nachlesen.

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Herzlichst, Ihre

Pioneer Editor, Gründungs-Chefredakteur The Pioneer
Pioneer Editor, Ex-Stellvertretender Chefredakteur The Pioneer
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