Digitale Behörden: Alle Ziele verfehlt

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Guten Morgen,

unsere Themen heute:

  • Wie groß ist das Digitalisierungs-Chaos in der deutschen Verwaltung? Wir haben (erschreckende) Antworten.

  • Bundeswehr-Reform: Ob wirklich Posten eingespart werden, ist noch unklar.

  • Die Grünen haben kein Verständnis für die FDP-Kritik an der Kindergrundsicherung. Wir kennen die Gründe.

  • Ein FDP-Landesverband macht Druck bei den Themen Steuern und Schuldenbremse.

Das Fax ist tot: Bis Ende 2022 sollten eigentlich 575 Verwaltungsleistungen digitalisiert werden, etwa die Ummeldung, der Bau- oder Führerschein-Antrag. So wurde es 2017 von der GroKo im Onlinezugangsgesetz vorgeschrieben.

Lang lebe das Fax: Bundesweit wurde ein Jahr nach dem eigentlichen Fristende allerdings nur etwa ein Drittel der Verwaltungsleistungen flächendeckend digitalisiert, erfuhr unsere Kollegin Clara Meyer-Horn.

  • Landesvorreiter ist Hamburg mit 259 digitalisierten Leistungen – was allerdings immer noch weniger als der Hälfte der Zielsetzung entspricht. Darauf folgen Bayern und Hessen – die einzigen Bundesländer mit eigenständigem Digitalministerium – mit jeweils 250 und 240 Online-Leistungen.

  • Das Schlusslicht bilden Sachsen-Anhalt und das Saarland – beide mit 169 digitalen Angeboten.

Realitätsbewältigung? Wegen der lahmenden Umsetzung hatte das Innenministerium im vergangenen Mai 16 Verwaltungsleistungen formuliert, die mit besonderem Nachdruck schnell bundesweit digitalisiert werden sollen. Beispiele: Ummeldung, Bürgergeld und Wohngeld.

Nummer ziehen und setzen: Behördengänge sind weiterhin die Norm. © imago

Doch auch diese hat noch kein Bundesland durchdigitalisiert: Einen Wohnsitz anmelden oder einen Führerschein beantragen ist sogar im Vorreiter-Land Bayern noch nicht in allen Landeskreisen möglich.

Beispiel Baden-Württemberg: Dort können Bürger derzeit nur drei der Fokusleistungen – Elterngeld, Kfz-Zulassung und Baugenehmigung – online erledigen. Der Grund: Als Flächenland mit vielen kleinen Kommunen sei es besonders schwer, alle kommunalen Behörden an die vom Land bereitgestellten Onlinedienste anzubinden, sagt uns eine Sprecherin des Innenministeriums.

Beispiel Niedersachsen: Laut dem Dashboard Digitalisierung der Bundesregierung könne Elterngeld in allen 45 Kreisen online beantragt werden. Das niedersächsische Innenministerium gibt wiederum an, dieser Service sei lediglich „im Rollout“ – also noch nicht überall verfügbar.

Beispiel Saarland: Neun Fokusleistungen seien „in mindestens einer Kommune“ online verfügbar, sagt uns das zuständige Wirtschaftsministerium. Aber (sogar) im Saarland gibt es knapp 60 Kommunen. Die übrigen würden sich in der Vorbereitung befinden.

Warum kommt die Digitalisierung nicht voran?

Grund 1: Geldmangel. Insgesamt planen die Bundesministerien in ihren Haushalten für die Digitalisierung nur 18,8 Millionen Euro ein. Im Innenministerium wurde das Digitalisierungsbudget besonders radikal gekürzt: von 377 Millionen Euro in 2023 auf nur noch 3,3 Millionen Euro.

Nancy Faeser © imago

Grund 2: Fehlende Strategie. Ein Sprecher des Innenministeriums in NRW erklärt:

Mit der neuen Legislaturperiode (2022 – 2027) liegt der Fokus darauf, medienbruchfrei Verwaltungsleistungen „echt“ zu digitalisieren.

Davor wurde – wohlgemerkt vorsätzlich – nur vordergründig digitalisiert. Beispiel Bafög: Vor zwei Jahren wurde ein digitales Antragssystem für ganz Deutschland eingeführt. Allerdings müssen Sachbearbeiter die Online-Anträge trotzdem ausdrucken und manuell sortieren. Das Resultat: Mehraufwand.

Grund 3: Förderales Chaos: Der Bund schreibt keine spezifischen Softwares vor, was zu vielen inkompatiblen Softwarelösungen auf kommunaler Ebene führt. Dadurch müssen etwa Akten bei einem Studienplatzwechsel zwischen Bundesländern analog per Post versendet werden.

Fazit: Erst wurde sich strategisch verrannt, dann wurde der Geldhahn zugedreht. Um das hochgesteckte Ziel von 2017 (irgendwann) zu erreichen, braucht es zentrale Steuerung und Koordinierung, statt Maximalzerstückelung.

Bundeswehr-Reform: Posten-Einsparung noch unklar

Abbau von Doppelstrukturen: Durch seine Bundeswehr-Reform will Verteidigungsminister Boris Pistorius bei der Truppe Stäbe abbauen. Konkret: Die Organisationsbereiche Sanität und Streitkräfte-Basis sollen in einem Unterstützungskommando zusammengeführt werden, das Einsatzführungskommando (bislang für Auslandseinsätze zuständig) und das Territoriale Führungskommando (Landesverteidigung) sollen in einem Kommando aufgehen.

Theoretisch könnten durch die Zusammenlegung zwei Drei-Sterne-Generalsposten (Besoldungsstufe B9, 13.200 Euro im Monat) abgebaut werden.

Wehrmutstropfen: Doch ob es durch die neue Struktur auch weniger Spitzen-Verdiener geben wird, kann das Ministerium bislang nicht beantworten. Eine Sprecherin des Verteidigungsministeriums sagt uns, dass die Planung innerhalb der nächsten Monate erfolgen soll. Weiter heißt es:

Zu konkreten personellen und standortbezogenen Auswirkungen können daher zum jetzigen Zeitpunkt noch keine Aussagen getroffen werden.

Sönke Neitzel © Kai Bublitz Fotoproduktion

Militärhistoriker Sönke Neitzel sieht den Verteidigungsminister hier in der Pflicht. Zu uns sagte er:

Es ist zu hoffen, dass sich bei der Ausplanung eine signifikante Personaleinsparung ergibt, um die überdimensionierten Stäbe endlich zu reduzieren.

Ob die Reform in der Praxis die gewünschte Wirkung entfaltet, hängt von einer beherzten Umsetzung ab.

Kindergrundsicherung: Auch Grüne sind „irritiert“

Der Streit um die Kindergrundsicherung geht weiter: Wolfgang Strengmann-Kuhn, Berichterstatter für die Kindergrundsicherung der Grünen im Bundestag, sagt unserer Kollegin Laura Block:

Ich bin irritiert über die Diskussion.

Der Hintergrund: Die FDP läuft seit Tagen Sturm gegen das Prestige-Projekt von Familienministerin Lisa Paus. Der Gesetzesentwurf sei „nicht zustimmungsfähig“, heißt es unisono. Haupt-Streitpunkt: 5000 zusätzliche Stellen. FDP-Sozialpolitiker Jens Teutrine zeigte sich im Tagesspiegel-Interview „irritiert“.

FDP-Kritik komme verzögert: Die 5000 Stellen hätten vorher nie eine Rolle gespielt, sagt Strengmann-Kuhn. Die Zahl sei schon seit Oktober vergangenen Jahres bekannt. Die Kommunikation der FDP sei „nach Außen eine andere als nach Innen“. Denn in internen Gesprächen hätte sich die FDP bisher dazu nie kritisch geäußert und sei ansonsten konstruktiv.

Grünen-Politiker Wolfgang Strengmann-Kuhn  © IMAGO / Future Image

Zudem käme diese Zahl nicht von Paus, sondern von der Bundesagentur für Arbeit. Es steht auch „implizit im Gesetzesentwurf, der von der gesamten Regierung verabschiedet wurde“, sagt Strengmann-Kuhn. Gemeint sind damit die 500 Millionen Euro Verwaltungskosten. Der größte Teil davon wird für Personalkosten draufgehen.

Nachbesserungsbedarf gibt es trotzdem: Der Verwaltungsaufwand müsse überprüft werden, sagt uns Strengmann-Kuhn. „Durch Digitalisierung könnte die Zahl der benötigten Stellen mittelfristig verringert werden.“

Zudem wären die Grünen bereit, den Zugang zur Kindergrundsicherung weiter zu „vereinfachen und noch unbürokratischer zu gestalten“.

Da bin ich auf Vorschläge der FDP gespannt, die es bisher nicht gibt.

FDP-Parteitag: Druck bei Steuern und Schuldenbremse

Der Druck steigt: Der Landesverband Baden-Württemberg fordert in einem zugelassenen Antrag für den Parteitag Ende April (liegt uns vor) von Parteichef und Finanzminister Christian Lindner einen „soliden Haushalt ohne neue Steuern und Schulden“. Die Details:

  • Steuern: Die Antragsteller machen klar, dass sie neue oder höhere Steuern „konsequent" ablehnen.

  • Schulden: Für ein „erneutes Aussetzen der Schuldenbremse“ sehen die FDPler keine Grundlage, heißt es. Argumentiert wird auch mit dem „Schutz politischer und finanzieller Handlungsspielräume der jungen und der nachkommenden Generationen“.

  • Ausgaben: Die Delegierten stellen zudem das Gebäudeenergiegesetz der Ampel infrage. Es sei zu hinterfragen, ob es Aufgabe des „Staates ist, den besten Weg zum Klimaschutz aufzuzeigen und diesen zu finanzieren.“ Alternativ vorgeschlagen wird die Ausweitung des Europäischen Emissionshandels und die Auszahlung eines Klimageldes (was die Koalition ursprünglich einmal geplant hatte).

  • Kann-Weg-Liste: Die Antragsteller nennen eine Reihe von Maßnahmen, „die für viel Geld wenig positive Wirkung entfalten“, wie Steuervergünstigungen für Elektro-Dienstfahrzeuge, Zuschüsse für private Ladeinfrastruktur, Filmförderung, Zuschüsse für Flugplätze oder die Videospielbranche.

Michael Theurer, Vorsitzender der FDP Baden-Württemberg © dpa

Wie viel Geld bekommen die Parteien? Die AfD finanziert sich prozentual deutlich mehr aus staatlichen Zuwendungen als andere Parteien – das geht aus dem Rechenschaftsbericht der Bundestagsparteien hervor. Vor allem aber, weil sie nur geringe Einnahmen aus Mitgliederbeiträgen verbuchen kann.

Vergleicht man die Gesamteinnahmen steht die AfD auf dem letzten Platz, noch hinter den Linken und der CSU. Die meisten Einnahmen verbucht die SPD – besonders durch die Mitgliederbeiträge.

Eine Infografik mit dem Titel: SPD vorn, AfD hinten

Einnahmen der politischen Parteien in 2022, in Millionen Euro

  • Ampel: Bei Caren Miosga hat sich FDP-Finanzminister Christian Lindner nicht gegen den Verbleib seiner Partei in der Ampel ausgesprochen. Allerdings hat er offengelassen, ob die Ampel-Koalition bis zum Ende der Legislatur regieren werde:

Es gibt keinen Blanco-Check in der Politik. Dann wäre ich doch erpressbar.

  • Gaza: Die israelische Armee hat ihren Einsatz im Süden des Gazastreifens beendet und den Großteil der Soldaten abgezogen. Die Hamas-Brigaden vor Ort sollen zerschlagen worden sein. Truppen verbleiben aber in anderen Teilen des Gebiets. CIA-Direktor William Burns und Hamas-Vertreter sind gestern in Kairo außerdem zu Gesprächen über eine Waffenruhe eingetroffen.

  • Wahl in der Slowakei: Bei der Stichwahl um das Präsidialamt gewann Peter Pellegrini, der Kandidat des russlandfreundlichen Regierungschefs Robert Fico, mit 53 Prozent der Stimmen überraschend klar.

  • Geburtstag: Gestern wurde Gerhard Schröder 80 Jahre alt. Im Pioneer Podcast spricht Gabor Steingart mit seinem ehemaligen Kanzleramtsminister Bodo Hombach über die Verdienste und Irrungen des Altkanzlers.

Altkanzler Gerhard Schröder in seiner Kanzlei in Hannover © dpa

Wer befindet sich heute wo und welche Termine sind noch relevant?

  • In Alzey, Rheinland-Pfalz, findet der Spatenstich für eine neue Fabrik des Pharmakonzerns Eli Lilly and Company statt. Bundeskanzler Olaf Scholz, Gesundheitsminister Karl Lauterbach und Forschungsministerin Bettina Stark-Watzinger nehmen teil.

  • Der Kanzler trifft sich außerdem mit den Redakteuren und Lesern der VRM-Verlagsgruppe.

  • Verteidigungsminister Boris Pistorius verabschiedet das Vorkommando der künftigen Brigade Litauen. Rund 20 Soldaten sollen Voraussetzungen für die Verlegung weiterer Soldaten schaffen.

  • Wirtschaftsminister Robert Habeck reist nach Paris für das dritte deutsch-französisch-italienische Wirtschaftsministertreffen und für ein Treffen mit dem französischen Premierminister Gabriel Attal.

Auf – Carsten Linnemann. Der CDU-Generalsekretär absolvierte gestern mit seinem Team den Berliner Halbmarathon. Den eigenen Schweinehund überwinden und mit der Energie haushalten – viele Voraussetzungen für einen gelungenen Langstrecken-Lauf kann man auch in der Politik gebrauchen. Und hat nebenbei noch was fürs Teambuilding getan.

Ab – Klara Geywitz. Die Bauministerin macht es Kritikern einfach: Erneut stieg die Zahl der Menschen in Deutschland, die in beengten Wohnverhältnissen leben, wie aus einer kleinen Anfrage des BSW hervorging. Auf 11,3 Prozent der Bevölkerung (rund 9,5 Millionen Menschen) trifft das zu. 2021 waren es noch 10,6 Prozent. Dass Geywitz bei der Bekämpfung der Wohnungsnot nicht vorwärts kommt, ist keine neue Erkenntnis. Dafür umso bitterer.

Heute gratulieren wir herzlich:

Christian Heldt, deutscher Botschafter in Lettland, 61

Heike Raab, Staatssekretärin in der Staatskanzlei Rheinland-Pfalz, 59

Wir wünschen Ihnen einen elanvollen Start in diesen Donnerstag!

Herzlichst,

Ihre

Pioneer Editor, Leiterin „Hauptstadt – Das Briefing“
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