FDP: Die Kampfansage

Teilen
Merken

Guten Morgen,

unsere Themen heute:

  • Was passiert, wenn die FDP die Koalition sprengt? Ein Zeitplan und drei Szenarien.

  • FDP-Fraktionschef Christian Dürr ist sich „zu 100 Prozent“ sicher, die Koalition hält durch.

  • Nach der Kündigung der Cum-Ex-Chefermittlerin sorgt sich der Finanzexperte Fabio de Masi um die Ermittlungen.

  • Eigentümerverband will Aktionsplan des Bauministeriums nicht mittragen. Wir wissen, warum.

  • Die Union fordert flächendeckendes Satelliteninternet für den Iran.

Am 9. September 1982 schrieb Otto Graf Lambsdorff einen Brief an Kanzler Helmut Schmidt – und leitete mit seinem Konzept für eine Politik zur Überwindung der Wachstumsschwäche und zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit das Ende der einstigen sozial-liberalen Regierung ein.

Der damalige Wirtschaftsminister der FDP bekam von der SPD nicht das Reformprogramm, das er forderte. Und so wechselte die FDP das Lager – und machte am 1. Oktober 1982 den damaligen CDU-Chef Helmut Kohl zum Kanzler.

Gestern beschloss das FDP-Präsidium um Parteichef Christian Lindner ein 12-Punkte-Papier „zur Beschleunigung der Wirtschaftswende“. Darunter ein Moratorium für Sozialleistungen und ein Ende der Rente mit 63. Aber die Ampel-Partner, insbesondere die SPD, reagieren mit Unverständnis.

So schnell wie Anfang der 80er-Jahre wird die Ampel-Koalition jedoch nicht enden. Aber eine Eskalationsspirale in drei Stufen ist möglich:

Phase 1: Der Parteitag. Am Wochenende treffen sich die Mitglieder der FDP in Berlin, um über den Leitantrag (inklusive der 12 Punkte) abzustimmen. Die FDP re-fokussiert sich damit auf ihre Klassiker der Wirtschafts- und Steuerpolitik.

Phase 2: Die Verhandlungsrunden. Abseits der Öffentlichkeit verhandeln drei Staatssekretäre bis Juni ein Reformpaket, das die Wirtschaft ankurbeln soll: der Grüne Sven Giegold (Wirtschaftsministerium), SPD-Mann Jörg Kukies (Kanzleramt) und der Liberale Wolf Reuter (Finanzministerium). Die Forderungen der FDP: ähnlich.

Christian Lindner, Olaf Scholz und Robert Habeck © imago

Phase 3: Die Inszenierung. FDP-Chef Lindner muss die Punkte als „Wirtschaftswende“ verkaufen, auf die er sich mit Robert Habeck und Olaf Scholz hat einigen können – wenn es denn überhaupt zu einer Einigung kommt.

Die Zeitachse: Am 3. Juli soll der Haushalt beschlossen werden. Bis dahin muss ein für die FDP vermarktbares Wirtschaftswende-Paket beschlossen sein.

Was passiert, wenn die drei sich nicht einigen können?

Aus FDP-Parteikreisen hört unser Kollege Christian Schlesiger: Gewünscht ist ein Bruch mit der Ampel nicht, aber denkbar sei er schon.

Aus der Union hören wir, dass der Wille zur Zusammenarbeit durchaus ausgeprägt ist. Es gibt regelmäßig Austausch, auch auf höchster Ebene.

Allerdings gibt es auch Vertreter in der Union, die finden: Die Union müsste bei Wahlen für ein starkes Ergebnis und damit um jede FDP-Stimme kämpfen. Die Sorge in FDP-Führungskreisen: Die Union könnte den Koalitions-Exit zu mangelndem Verantwortungsbewusstsein umdeuten und im Wahlkampf gegen die FDP wettern.

Was passiert, wenn die FDP die Koalition verlässt? Drei Szenarien sind möglich, wie wir mit Politikwissenschaftler Florian Grotz von der Bundeswehr Universität in Hamburg besprochen haben.

Prof. Florian Grotz © Helmut-Schmidt-Universität

Szenario 1: Grüne und SPD bilden eine Minderheitsregierung. Parlamentarische Mehrheiten wären aber schwierig. Eher unwahrscheinlich.

Szenario 2: Die Union tritt in die Regierung ein – mit oder ohne Grüne. Als Juniorpartner müsste sie „Scholz im Amt belassen“, obwohl sie in Umfragen vorne liegt. Undenkbar.

Szenario 3: Der Kanzler stellt dem Bundestag die Vertrauensfrage. Wird diese abgeschmettert, kann er den Bundespräsidenten bitten, den Bundestag aufzulösen. Folgt dieser der Bitte, gäbe es innerhalb von 60 Tagen Neuwahlen. Der Bundespräsident kann den Kanzler und das Parlament allerdings auch geschäftsführend im Amt lassen. Grotz' Einschätzung:

Ich denke, erst würde Steinmeier die Spitzen der Fraktionen – insbesondere SPD, Grüne und Union – befragen und ausloten, wie man die Regierungsfähigkeit vielleicht doch wiederherstellen und Neuwahlen vermeiden kann.

Fazit: Die FDP ist als Ampel-Partner klein, aber mächtig. Umso größer ist für die Liberalen beim Austritt das Risiko der Selbstverzwergung. Lindner wird auch seinen nächsten Schritt mit Bedacht machen müssen.

FDP-Fraktionschef Dürr: Koalition hält „zu 100 Prozent“

Dazu passt: Gabor Steingart hat im Pioneer Podcast mit FDP-Fraktionschef Christian Dürr über die Koalitionspläne der FDP gesprochen. Er meint, die Koalition halte zu „100 Prozent“ bis zum Ende. Weiter:

Das Ziel war ja, als die FDP die Regierungsverantwortung 2021 im Dezember bekam, das Land zum Besseren zu verändern.

Christian Dürr, Fraktionsvorsitzender der FDP im Bundestag © dpa

Handlungsbedarf: Es habe „manche Streiterei“ in der Ampel gegeben. Am Ende habe man aber gute Lösungen gefunden. „An uns ist es jetzt, die Dinge zum Besseren zu wenden und deshalb das Thema Wirtschaft zu ändern.“ Dürr weiter:

Wenn alle erkennen, wir müssen beim Thema Wirtschaft etwas tun, dann ist meine Erwartungshaltung, dass diese Koalition auch liefert.

Dass drei Partner unterschiedlicher Auffassung sind, sei „absolut legitim“. Das ganze Gespräch hören Sie hier.

De Masi: Brorhilkers Abgang gefährdet Cum-Ex-Verfahren

Nach Kündigung der Cum-Ex-Chefermittlerin Anne Brorhilker sorgt sich der Finanzexperte Fabio de Masi um die Bekämpfung von Finanzkriminalität in Deutschland. „Es muss schnellstmöglich ein fähiger Ersatz für Brorhilker gefunden werden", sagt er unserem Kollegen Jan Schroeder.

Fabio de Masi © imago

Die Oberstaatsanwältin Brorhilker will sich zukünftig für die Bürgerbewegung Finanzwende weiter für die Aufklärung von Finanzkriminalität von Steuerhinterziehung einsetzen. Gerechtfertigt hatte sie den Rücktritt mit Kritik an der mangelnden Gerechtigkeit und Strafverfolgung von Finanzkriminalität in Deutschland.

„Brorhilker wurden vom grünen Justizminister in NRW, Benjamin Limbach, bei der Verfolgung von Finanzkriminalität und den Verstrickungen des Bundeskanzlers Olaf Scholz in die Cum-Ex-Affäre Steine in den Weg gelegt“, so de Masi.

Und weiter:

Es verdient Respekt, dass eine der mutigsten Staatsdienerinnen Deutschlands auf Amt und Geld verzichtet, um Finanzkriminalität mit einer NGO zu bekämpfen.

Der BSW-Politiker fordert:

Wir brauchen in Deutschland endlich Staatsanwälte, die nicht weiter politisch weisungsgebunden sind.

Der Spitzenkandidat des BSW für die Europawahl de Masi war bis Januar selbst Fellow bei Finanzwende.

Auch Patrick Schnieder, der für die CDU-CSU-Fraktion erfolglos für einen Cum-Ex-Untersuchungsausschuss im Bundestag gekämpft hat, bedauert den Rücktritt: Brorhilker habe sich „große Verdienste um die Aufdeckung dieses Steuerbetrugs und der Betrügernetzwerke erworben.“

Eigentümerverband kritisiert Vorgehen des Bauministeriums

Der Aktionsplan: 31 Maßnahmen hat das Bauministerium für die Bekämpfung von Wohnungslosigkeit zusammengefasst. Das Gesetz soll morgen im Kabinett verabschiedet werden.

Doch es gibt Kritik: Es sei „fast dysfunktional, was aufseiten der Bundesregierung passiert“, sagt Kai Warnecke, Chef vom Eigentümerverband Haus & Grund, welcher an dem Vorhaben beratend mitwirkt.

© IMAGO / Jürgen Heinrich

Knackpunkt Mietrecht: Warnecke und seine Verbandskollegen kritisieren vor allem Punkt 15 des Plans. Darin heißt es: „Umsetzung im Koalitionsvertrag vereinbarter mietrechtlicher Maßnahmen (insbesondere Verlängerung der Mietpreisbremse).“ Warnecke sagt uns:

Das wird Wohnungslosen überhaupt nicht helfen.

Auch andere Teilnehmer beschweren sich: Das habe im Aktionsplan gegen Wohnungslosigkeit „nichts zu suchen“. Mietrechtliche Verschärfungen behinderten die erforderlichen Investitionen in den Neubau. Ohne Ausweitung des Wohnungsbestandes könne sich die Situation für Wohnungs- und Obdachlose nicht verbessern.

Politisches Kalkül? Haus & Grund würde sich nicht durch „die Hintertür für die Mietpreisbremse verhaften lassen.“ In der jetzigen Fassung sei der Verband nicht bereit, das Papier mitzutragen, sagt Warnecke.

Ganz ehrlich: Wenn die Bundesregierung nicht vernünftig arbeiten kann, werden wir auch dieses Papier nicht unterschreiben.

Zusammen mit dem Zentralen Immobilien Ausschuss, Die Wohnungswirtschaft, Bundesverband Freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen waren Haus & Grund an den Beratungen zu dem Aktionsplan beteiligt.

Union will Starlink für den Iran

„Effektiv sanktionieren“: CDU und CSU bringen diese Woche einem Antrag in den Bundestag ein, in dem sie in einigen Bereichen mehr Bemühungen von der Regierung einfordern, um das Regime im Iran stärker zu sanktionieren und die Revolutionsbewegung zu unterstützen. Die Forderungen:

  • Die EU-weite Listung der Revolutionsgarden als terroristische Vereinigung.

  • Einreisesperren und Einfrieren von Vermögenswerten von Mitgliedern der Revolutionsgarden und des Regimes.

  • Ausweitung der EU-Sanktionen auf iranische Proxy-Organisationen (Hisbollah) in der Region.

  • Entkopplung des Luft- und Raumfahrtsektor (inklusive Transportkapazitäten des iranischen Regimes) im Iran vom internationalen Markt.

  • Schließung des „Islamischen Zentrums Hamburg“ als Drehscheibe der Operationen des Regimes in Deutschland.

  • Flächendeckendes Satelliteninternet für den Iran, zum Beispiel über Starlink.

Julia Klöckner, wirtschaftspolitische Sprecherin der Unionsfraktion © dpa

Die wirtschaftspolitische Sprecherin der Fraktion, Julia Klöckner, hat das Thema Wirtschaftsbeziehungen Deutschland-Iran sowie Export von Dual-Use-Gütern auf die Tagesordnung des Wirtschaftsausschusses setzen lassen. Uns sagt sie:

Dual-Use-Güter dürfen nicht mehr in den Iran gelangen. Auch müssen wir genau hinschauen, welche Güter beim Bau von Drohnen verwendet werden.

Die EU hatte vergangene Woche neue Sanktionen gegen den Iran beschlossen. Der Fokus: Unternehmen, die an der Herstellung von Drohnen und Raketen für den Iran beteiligt sind. Eine weitere Sanktionierung der Revolutionsgarden würde derzeit juristisch geprüft, heißt es aus Regierungskreisen.

Antrag der Unionsfraktion

Die Zeitenwende findet nicht nur in Deutschland statt: Im vergangenen Jahr hat die Welt sieben Prozent mehr Geld in die Aufrüstung investiert als noch im Vorjahr. Das geht aus den neuesten Zahlen des SIPRI-Instituts hervor.

  • Der größte prozentuale Anstieg für 2023 – um 105 Prozent – wurde in der Demokratischen Republik Kongo verzeichnet, wo ein langjähriger innerstaatlicher Konflikt ausgetragen wird.

  • Die Militärausgaben Israels stiegen um 24 Prozent.

  • Japan und Taiwan haben ihre Ausgaben auch jeweils um elf Prozent erhöht.

Eine Infografik mit dem Titel: Die Welt rüstet auf

Weltweite Militärausgaben, nach Regionen, in Milliarden US-Dollar

Eine Infografik mit dem Titel: USA: Unangefochtene Rüstungs-Spitze

Anteil der 8 Länder mit den höchsten Militärausgaben im Jahr 2023 an den weltweiten Militärausgaben, in Prozent

Das war gestern und in der Nacht los:

  • Spionage: Die Bundesanwaltschaft hat drei Deutsche wegen des Verdachts auf Spionage für einen chinesischen Geheimdienst festnehmen lassen. Die Personen sollen etwa Informationen zu militärisch nutzbaren innovativen Technologien beschafft haben.

  • Iran-Angriff: Israel hat einem Medienbericht zufolge ursprünglich einen umfassenderen Angriff gegen den Iran geplant. Nach Appellen aus den USA, Deutschland und Großbritannien habe sich Israel letztendlich für einen begrenzten Schlag entschieden.

Ali Chamenei © imago

Wer befindet sich heute wo und welche Termine sind noch relevant?

  • Die Verhandlung des Bundesverfassungsgerichts über die Wahlrechtsreform beginnt. Oppositionsführer Friedrich Merz hat sich angekündigt.

  • Bundeskanzler Olaf Scholz hält eine Eröffnungsrede am 23. Deutschen Bankentag. Auch Christian Lindner, Carsten Linnemann und Joachim Nagel sind vor Ort.

  • Später trifft er Vertreter der Klima-Allianz Deutschland im Vorfeld des Petersberger Klimadialoges und Berliner Neuntklässlerinnen im Vorfeld des Girls Days.

  • Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck ist beim Spatenstich für ein klimaneutrales Zementwerk in Schleswig-Holstein.

  • Die OECD-Wissenschafts- und Forschungsminister treffen sich in Paris.

  • Landwirtschaftsminister Cem Özdemir nimmt an der Sitzung des wissenschaftlichen Beirats zum Nationalen Aktionsplan Pflanzenschutz teil. Und er nimmt an der „Better Future Earth Week“ der Welt am Sonntag teil.

  • Bauministerin Klara Geywitz hält die Eröffnungsrede beim Handelsimmobilienkongress Deutschland 2024.

  • Außenministerin Annalena Baerbock und Familienministerin Lisa Paus besuchen das ehemalige Konzentrationslager nahe Oranienburg im Rahmen des Programms „Jugend erinnert“.

  • Arbeitsminister Hubertus Heil spricht auf der Veranstaltung „75 Jahre Tarifvertragsgesetz des DBG“.

  • Björn Höcke soll sich vor Gericht zu den Vorwürfen äußern, eine verbotene SA-Losung verwendet zu haben.

Auf – Antonio Scurati. Der italienische Schriftsteller wollte eine Rede über den heutigen Faschismus im italienischen Fernsehen vortragen. Doch sein Beitrag wurde von regierungsnahen Journalisten aus dem Programm gekickt. Nachdem sich daraus kurzerhand ein Medienskandal zusammenbraute, greifen Künstler und Politiker den Text nun im ganzen Land auf – sogar Georgia Meloni teilte ihn, um Zensurvorwürfen entgegenzuwirken.

Ab – Joe Biden. Papua-Neuguineas Premierminister James Marape ist erzürnt über den US-Präsidenten. Denn der erzählte kürzlich, dass sein Onkel auf der Insel abgestürzt war und womöglich von Kannibalen gegessen wurde. Dabei versucht das Land schon lange, das lästige Kannibalen-Image loszuwerden. Die USA solle besser dafür sorgen, die Kriegsüberreste zu beseitigen, kontert Marape. Das nennt man wohl: communication gone wrong.

Heute gratulieren wir herzlich:

Johannes Arlt, SPD-Bundestagsabgeordneter, 40

Joachim Bleicker, Ständiger Vertreter der Bundesrepublik Deutschland bei den UN-Organisationen in Rom, 66

Monika Fuhr, Beauftragte der Ministerpräsidentin für jüdisches Leben und Antisemitismusfragen in Rheinland-Pfalz, 67

Dieter Kürten, ehemaliger Sportreporter, 89

Sylvia Lehmann, SPD-Bundestagsabgeordnete, 70

Andreas Lenz, CSU-Bundestagsabgeordneter, 43

Martina Stamm-Fibich, SPD-Bundestagsabgeordnete, 59

Bernhard Stengele, Minister für Umwelt, Energie und Naturschutz in Thüringen, 61

Wir wünschen Ihnen einen elanvollen Start in diesen Donnerstag!

Herzlichst,

Ihre

Pioneer Editor, Leiterin „Hauptstadt – Das Briefing“
Pioneer Editor, Leiterin „Hauptstadt – Das Briefing“
  1. , Pioneer Editor, Leiterin „Hauptstadt – Das Briefing“
  2. , Pioneer Editor, Leiterin „Hauptstadt – Das Briefing“

Abonnieren

Abonnieren Sie den Newsletter Hauptstadt – Das Briefing