Friedenskanzler vs. Minister Kriegstüchtigkeit

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Guten Morgen,

unsere Themen heute:

  • Spannungsfall in der SPD: Kanzler und Verteidigungsminister.

  • G7-Streit: Wie Russlands Vermögen für die Ukraine genutzt werden kann.

  • Der Unmut über Ladesäulen-Pflicht für Tankstellen wächst.

  • Arbeitgeberverband will „Arbeitszeit innerhalb der Woche klüger verteilen“.

  • Inside Wahl-O-Mat: Wir bekommen Einblicke in die Nutzerzahlen.

Während Kanzler Olaf Scholz und die meisten SPD-Promis krampfhaft versuchen, das alte Image als Friedenspartei zu revitalisieren, fährt ihnen ein Sozialdemokrat dabei regelmäßig in die Parade: Mister Kriegstüchtigkeit, Verteidigungsminister Boris Pistorius.

Serap Güler (CDU) © dpa

Zumindest bis zu den Europa- und Kommunalwahlen im Juni scheint es aber eine interne Absprache zu geben, die pazifistische Reinkarnation der SPD nicht durch allzu martialische Wortwahl oder das Platzieren unbequemer Themen zu beeinträchtigen.

Doch danach könnten inhaltliche Differenzen zur Ausgestaltung der Zeitenwende aufbrechen. Für den parteiinternen Frieden gibt es vier tickende Zeitbomben.

#1 Wehrpflicht

Pistorius will die Wehrpflicht wiederbeleben. Sein Vorschlag war nicht abgesprochen mit der Partei-Spitze. Obwohl es in der Partei keine Mehrheit für eine verpflichtende Lösung des Personalproblems gibt, entwickelte sein Haus ein Konzept dafür. Ursprünglicher Vorstellungstermin: Ende April.

Verteidigungsminister Boris Pistorius © dpa

Doch vor den Europawahlen wird Pistorius nichts präsentieren, sagt uns ein Sozialdemokrat. Obwohl das Modell ausgearbeitet ist. Offenbar gibt es hier eine informelle Einigung, medienwirksame Vorstöße zum Thema Wehrfähigkeit bis dahin zurückzuhalten.

Dass Scholz das Personalproblem, das gemeinhin als die größte Herausforderung der Bundeswehr gilt, als „überschaubar“ banalisierte, kann durchaus als Seitenhieb gegen seinen Minister und dessen Performance gewertet werden.

#2 Litauen-Brigade

Auch der Vorschlag, dauerhaft knapp 5.000 deutsche Soldaten in den Baltikum-Staat zu entsenden, war in dieser Form nicht intern geeint. Er sei „vorgeprescht“, heißt es aus der SPD. Scholz sei damals dann von dem Auftritt und der Verkündung überrascht worden.

Im Verteidigungsministerium wird argumentiert, dass die Aufstellung der Brigade ohnehin beabsichtigt war und nun „lediglich“ die Kosten der Auslandsstationierung hinzukämen, knapp 800 Millionen Euro pro Jahr. Trotzdem fehlen auch noch die sechs bis neun Milliarden Euro für die Ausrüstung der Brigade.

Boris Pistorius nimmt an der Nato-Übung „Griffin Storm“ teil, bei der etwa 1000 Bundeswehrsoldaten zusammen mit der litauischen Armee die Verteidigung der Nato-Ostflanke trainieren. © dpa

#3 Die Geldfrage

Pistorius habe „große Teile der eigenen Fraktion bei seinem Vorhaben, die Bundeswehr personell und materiell gut aufzustellen, gegen sich“, sagt uns Verteidigungsexpertin Serap Güler (CDU). Pistorius will 3,8 Milliarden Euro mehr für die Ukraine-Hilfe und 6,5 Milliarden Euro mehr für die Bundeswehr.

Doch schon bei den Haushaltsverhandlungen für 2024 bekam er nur 1,7 Milliarden Euro mehr, gefordert hatte er zehn. Der Rückhalt für Pistorius wird sich am Ende darin manifestieren, wie viel er bekommt. „Beim Haushalt kommt es zum Schwur“, sagt ein Verhandler.

Deswegen beglückte Pistorius die Koalition via Handelsblatt mit der Idee, die Schuldenbremse neu zu „interpretieren“. Dabei hatte der Kanzler dazu bereits ein Machtwort gesprochen: In dieser Legislaturperiode sollte es keine Änderung geben.

#4 Die Popularität

Nicht nur in der öffentlichen Wahrnehmung, auch unter Amtskollegen wird Pistorius geschätzt. Bei Besuchen – wie etwa gestern im Baltikum – wird er mit „Boris“ angesprochen und damit eine gewisse Nähe signalisiert. Auch wenn viele in der SPD seine Meinung nicht teilen, sorgte der SPD-Fraktionschef von Nordsachsen Heiko Wittig für Aufmerksamkeit, als er Pistorius am Wochenende seine „Nummer eins“ der Partei nannte.

Olaf Scholz und Boris Pistorius © imago

Während die Eiszeit zwischen Scholz und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron ein offenes Geheimnis ist, zelebrierten Pistorius und sein französischer Amtskollege erst kürzlich bei einem Paris-Trip ihre gute Zusammenarbeit.

Pistorius wird zwar als absolut loyal beschrieben. Er würde Scholz nicht angreifen, heißt es. Doch den Kanzler kann diese Außenwirkung, die diametral zu seiner steht, nicht dauerhaft unbeeindruckt lassen.

Fazit: Pistorius will die Zeitenwende, überfordert mit seiner Dynamik und seinem Tatendrang aber nicht nur die eigene Partei, sondern stört auch die Wahlkampf-Inszenierung der Friedenssicherung.

Neue Debatte um Russland-Vermögen

Eigentlich haben sich die EU-Minister gestern in Brüssel darauf verständigt, die Zinserträge aus eingefrorenem Vermögen der russischen Zentralbank zur Finanzierung von Militärhilfen für die Ukraine zu nutzen. So würden rund vier Milliarden Euro aktiviert.

Doch am Donnerstag wird erneut diskutiert: „Der Umgang mit eingefrorenen russischen Vermögenswerten wird auch Thema beim Treffen der G7-Finanzminister und -Notenbankgouverneure in Stresa sein“, heißt es aus dem Finanzministerium (BMF).

Janet Yellen © imago

US-Finanzministerin Janet Yellen will sich offenbar für einen G7-Kredit einsetzen, der sich aus den Zinserträgen speist und gehebelt wird. So könnten der Ukraine bis zu 50 Milliarden Dollar zufließen, heißt es.

Das BMF steht den Plänen der USA skeptisch gegenüber. Jede Lösung müsse „rechtlich tragfähig sein“. Das EU-Modell habe „den Vorteil“, dass bereits jetzt mehrere Milliarden Euro für den ukrainischen Wiederaufbau generiert würden. Der Bestand des russischen Zentralbankvermögens bleibe unberührt. „Damit bleiben grundlegende völkerrechtliche Prinzipien wie die Staatenimmunität gewahrt.“

Unmut über Ladesäulen-Pflicht für Tankstellen wächst

Wirtschaftsverbände haben bis zum 23. Mai Zeit, sich zum Referentenentwurf des Gebäude-Elektromobilitätsinfrastruktur-Gesetzes und der darin enthaltenen Ladesäulen-Pflicht an Tankstellen zu äußern. Konzerne mit mehr als 200 öffentlichen Tankstellen müssen an jeder Tankstelle ab Januar 2028 mindestens einen Schnellladepunkt mit einer Ladeleistung von mindestens 150 Kilowatt betreiben, so sieht es der Entwurf des Verkehrsministeriums vor.

Unmut wächst: Mehrere Wirtschaftsverbände teilen unserer Kollegin Claudia Scholz mit, dass sie „planwirtschaftliche Einflussnahme“ ablehnen und den Entwurf in seiner jetzigen Ausführung nicht unterstützen werden. Der Mineralölverband UNITI beispielsweise lehnt die Verpflichtung in Gänze ab. Auch rechtliche Schritte werden in der Mineralölwirtschaft nicht ausgeschlossen, sollte der Entwurf Gesetz werden, hören wir.

Der Grund: Die Branche befürchtet Wettbewerbsverzerrungen, wenn Tankstellenunternehmen auch an Standorten Schnellladesäulen aufbauen müssen, an denen der Betrieb unwirtschaftlich ist oder Konkurrenz in unmittelbarer Nähe durch das vom Bund geförderte Schnellladenetz besteht.

Aral-Tankstelle: Unternehmen bauen bereits an vielen Standorten Ladesäulen auf. © Claudia Scholz

Die Idee zu einer Versorgungsauflage für Tankstellen sei im Kanzleramt entstanden, hören wir aus Fraktionskreisen. „Olaf Scholz zieht das knallhart durch und setzt damit Verkehrsminister Volker Wissing unter Druck“, heißt es von Koalitionären. Keiner in der FDP wolle das Gesetz, hören wir. Selbst bei Teilen der SPD und Grünen sehe man die Notwendigkeit einer Ladesäulenpflicht nicht gegeben.

Zum Download: Referentenentwurf zur Versorgungsauflage an Tankstellen

Arbeitgeberverband will „Arbeitszeit innerhalb der Woche klüger verteilen“

Acht-Stunden-Tag abschaffen: Nach dem Vorstoß aus der FDP fordert nun auch der Arbeitgeberverband (BDA) eine Reform der Arbeitszeitregelungen.

Steffen Kampeter © imago

Unserem Kollegen Michael Bassewitz sagte BDA-Hauptgeschäftsführer Steffen Kampeter: „Man kann nicht von moderner Arbeit reden und die Arbeitszeit im System des 19. Jahrhunderts organisieren.“ Seine Forderung:

Es geht darum, wie wir die Arbeitszeit innerhalb der Woche klüger verteilen als mit dem alten 5×8-Modell.

Flexibilität für gute Arbeit: Gerade im Zeitalter der Digitalisierung brauche es die Flexibilität der Arbeitszeit „nicht nur für Schreibtischjobs, sondern auch für Tätigkeiten an Maschinen“, sagt Kampeter.

Damit folgt der BDA-Geschäftsführer der Forderung des FDP-Fraktionsvizes Lukas Köhler. Der sprach sich gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland auch für eine Abschaffung des Acht-Stunden-Arbeitstages aus.

3,7 Millionen nutzen Wahl-O-Mat vor Europawahl

Bisher haben bereits 3,7 Millionen Menschen den Wahl-O-Mat als Entscheidungshilfe für die Europawahlen genutzt. Wahl-O-Mat-Redakteur Martin Hetterich sagt unserem Kollegen Jan Schroeder:

Wir wollen aktivieren und die Auseinandersetzung mit den Programmatiken der Parteien fördern. Nicht mehr und nicht weniger.

Martin Hetterich (Redakteur bpb) © Privat

Die Macher: Hinter dem Online-Angebot steht die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb). Mehr als 30 Personen gehören der Redaktion an, die die Thesen und Parteiprofile ausarbeitet: junge Menschen bis zum 25. Lebensjahr, Redakteure der bpb und ein Team von Politikwissenschaftlern.

Für die hohe Beliebtheit des Wahl-O-Mats nennt Hetterich vor allem zwei Gründe:

  • Neutralität des Angebots: „Die Parteien werden aus ihrem Selbstverständnis heraus vorgestellt.“ Im Vorfeld finde eine intensive Absprache mit jeder teilnehmenden Partei statt.

  • Durch die Teilnahme der Kleinparteien am Wahl-O-Mat werde der politische Wettbewerb spannender. „Ohne den Wahl-O-Mat würden sich viele wahrscheinlich nicht so intensiv mit der Programmatik der Parteien auseinandersetzen. Mit dem Wahl-O-Mat dringt die Politik ins Leben ein.“

So funktioniert’s: Der Wahl-O-Mat fragt die Haltung zu 38 Thesen zu aktuellen politischen Streitpunkten ab. Nutzer können ihre Ergebnisse im Anschluss mit der Programmatik aller an der jeweiligen Wahl teilnehmenden Parteien vergleichen. Der Wahl-O-Mat dränge die Nutzer dabei keineswegs in eine politische Richtung:

Knapp 92 Prozent der Nutzer kommen beim Wahl-O-Mat da raus, wo sie sich politisch ungefähr auch selbst verorten.

Die Zahl der politisch motivierten Straftaten auf Höchststand: Die Polizei registrierte 2023 60.028 Delikte. Knapp zwei Prozent mehr als Vorjahr. 1.927 dieser Taten gelten als antisemitisch, der Großteil davon wurden ab dem 7. Oktober begangen.

Innenministerin Nancy Faeser stellte die Statistik des Bundeskriminalamts gestern vor. Sie sagte:

Wir müssen unmissverständlich zeigen, dass der Rechtsstaat diese Gewalt nicht hinnimmt.

Eine Infografik mit dem Titel: Politisch motivierte Gewalt nimmt weiter zu

Entwicklung der Fallzahlen nach Jahren und politischer Richtung

Das war gestern und in der Nacht außerdem los:

  • EU-Wahl: Die französische Partei Rassemblement National (RN) will ihre Zusammenarbeit mit der AfD zur nächsten Legislaturperiode beenden. Damit droht der AfD die Fraktionslosigkeit im Europaparlament. Grund der Distanzierungen sind laut RN die Äußerungen des AfD-Spitzenkandidaten Maximilian Krah zur NS-Vergangenheit Deutschlands.

  • Reichsbürger: Am Oberlandesgericht Frankfurt ist der Gerichtsprozess gegen die unter Terrorverdacht stehende Reichsbürger-Gruppe um Heinrich XIII. Prinz Reuß gestartet. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm ein „hochverräterisches Unternehmen gegen den Bund“ vor. Aufgrund der Größe des Netzwerkes wird ein langes Verfahren erwartet.

Bei einer Razzia gegen sogenannte „Reichsbürger“ führen vermummte Polizisten nach der Durchsuchung eines Hauses Heinrich XIII. Prinz Reuß zu einem Polizeifahrzeug.  © dpa

Wer befindet sich heute wo und welche Termine sind noch relevant?

  • Das Kabinett befasst sich mit einem Gesetzentwurf von Gesundheitsminister Karl Lauterbach, der bessere Arbeitsbedingungen für Hausärztinnen und Hausärzte vorsieht.

  • Außenministerin Annalena Baerbock trifft sich in Weimar mit ihren Amtskollegen aus Frankreich und Polen. Im Zentrum der Gespräche wird die europäische Sicherheitslage stehen.

  • Finanzminister Christian Lindner besucht das 23. Symposium des Humboldt-Forum Wirtschaft e.V.

  • Verteidigungsminister Boris Pistorius setzt seine Reise in Lettland und Litauen fort.

Auf – Annalena Baerbock. Die Außenministerin tauchte gestern überraschend in der Ukraine auf und forderte internationale Unterstützung für deren Luftverteidigung. Um das Land vor dem russischen Raketen- und Drohnenhagel zu schützen, brauche es dringend mehr Luftabwehr, sagte die Grünen-Politikerin in Kiew. Für ihren Einsatz überreichte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj ihr sogar einen Verdienstorden – stark!

Ab – Olaf Scholz. Nach dem Tod des iranischen Präsidenten Ebrahim Raisi hat der Bundeskanzler der Regierung in Teheran sein Beileid mitgeteilt. Ein kritisches Wort in Richtung Unterdrückerregime der Mullahs? Fehlanzeige – Diplomatie muss nicht unterwürfig und anbiedernd sein.

Heute gratulieren wir herzlich:

Helmut Holter (Linke), Minister für Bildung, Jugend und Sport in Thüringen, 71

Antje Töpfer (Grüne), Staatssekretärin im brandenburgischen Ministerium für Soziales, Gesundheit, Integration und Verbraucherschutz, 56

Stefan Traumann, deutscher Botschafter in Angola, 63

Gesine Schwan, Vorsitzende der SPD-Grundwertekommission, 81

Wir wünschen Ihnen einen elanvollen Start in diesen Donnerstag!

Herzlichst,

Ihre

Pioneer Editor, Leiterin „Hauptstadt – Das Briefing“
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