herzlich willkommen zur Sommer-Ausgabe unseres Hauptstadt-Newsletters.
Unsere Themen heute:
Friedrich Merz reist nach Polen und setzt damit die Bundesregierung unter Druck, denn der Unmut in Warschau über fehlende Waffenlieferungen ist groß.
Eine Umfrage des Wirtschaftsprüfungsunternehmens PwC überrascht: 80 Prozent der Befragten sehen Russland als neue Bedrohung für Europa.
In seltener Solidarität mit Deutschland beschließt die EU ein Gas-Sparziel von 15 Prozent. Andreas Jung von der CDU traut dem Plan nicht ganz.
Das Selfie kommt heute von Sigrid Skarpelis-Sperk, die einst als große Kritikerin von Gerhard Schröders Agenda-Reformen auf sich aufmerksam machte.
Merz trifft Kritiker der Bundesregierung in Warschau
Es ist eine selbstbewusste Oppositionsstrategie.
Wo immer in Europa der Unmut über die deutsche Bundesregierung gerade besonders groß ist, reist CDU-Chef Friedrich Merz hin. So war es in Kiew, und nun trifft Merz an diesem Donnerstag in Polen zu politischen Gesprächen ein.
Die polnische Regierung hatte jüngst scharfe Kritik an der Bundesregierung geäußert, weil diese angeblich den geplanten Ringtausch zur Lieferung von schweren Waffen an die Ukraine unterlaufe.
Auf unsere Anfrage bestätigt der für die deutsch-polnischen Beziehungen zuständige Vize-Außenminister Szymon Szynkowski vel Sęk die Verärgerung in Warschau.
Deutschlands Angebot sei unzureichend, man werde nun auf modernes Gerät aus den USA und aus Großbritannien zurückgreifen. Angeblich hatte Deutschland Polen im Gegenzug zu deren Panzer-Lieferungen an die Ukraine 20 Panzer vom Typ Leopard 2A4 in Aussicht gestellt, die bis zum Frühjahr 2023 geliefert werden sollen.
Polens Regierung lehnte dies aber ab, die Panzer seien in einem Zustand, „dass sie nicht verwendet werden können“, sagte Verteidigungsminister Mariusz Błaszczak.
Erst in 12 Monaten seien die Panzer einsatzbereit. Auch habe man sich über die schrittweise Lieferung bis 2023 gewundert. In der polnischen Regierung wird gemutmaßt, dass die deutsche Regierung eigentlich gar nicht liefern wolle.
Polen selbst steht seit Beginn des Krieges entschieden auf der Seite der Ukraine. Polen hat rund 2 Millionen ukrainische Flüchtlinge aufgenommen und der ukrainischen Armee allein in zwei Monaten mehr als 200 Panzer zur Verfügung gestellt.
CDU-Chef Merz, der seit Wochen bei den Waffenlieferungen die Ampel unter Druck setzt, dürfte den Kurztrip erneut für solche Botschaften nutzen.
Jaroslaw Kaczynski, Vize-Ministerpräsident und ehemaliger Chef der PiS. © imagoNach unseren Informationen trifft Merz nicht nur den polnischen Ministerpräsidenten Mateusz Morawiecki, sondern auch den ehemaligen Regierungschef und langjährigen Vorsitzenden der Regierungspartei PiS, Jarosław Kaczyński.
Penibel achtet Merz auf parteipolitische Ausgewogenheit. Aus der Opposition ist ein Gespräch mit dem früheren EU-Ratspräsidenten Donald Tusk und dem Bürgermeister Warschaus Rafał Trzaskowski geplant. Beide gelten als mögliche Präsidentschaftskandidaten der Opposition bei den nächsten Wahlen 2025.
Das Verteidigungs- und das Außenministerium sind über Merz' Reisepläne informiert.
Habeck: „Bis zu 500.000 Zuwanderer nötig"
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hält angesichts des dramatischen Fachkräftemangels eine Zuwanderung im Umfang von 400.000 bis 500.000 Menschen pro Jahr für notwendig.
Das sagte der Grünen-Politiker kürzlich nach Angaben von Teilnehmern beim digitalen Mittelstandsgipfel mit rund 40 Vertretern von Wirtschaftsverbänden. Das Treffen fand zum zweiten Mal statt.
Sein Ministerium arbeite „mit aller Macht an dem Thema", versprach Habeck. Man müsse sich aber auch fragen, warum viele Zuwanderer nicht bleiben wollten und das Land wieder verlassen.
Außerdem kündigte Habeck an, eine „führende Rolle" bei den Verhandlungen für neue Freihandelsabkommen zu übernehmen. „Das sage ich fest zu", so Habeck. Er werde für Freihandel kämpfen.
Gaspreise: 1.000 Euro mehr für eine Familie realistisch
Bundeskanzler Olaf Scholz hat einer Familie eine Mehrbelastung von maximal 200 bis 300 Euro in Aussicht gestellt.
Experten im Wirtschafts- und Finanzministerium halten diese Zahl für äußerst ambitioniert, da die neue Gas-Zulage ab Oktober bis zu 2 Cent pro Kilowattstunde ausmachen soll und zusätzlich zu den von vielen lokalen Versorgern geplanten Preissteigerungen im Herbst von allen Verbrauchern bezahlt werden muss.
In einem Szenario muss eine vierköpfige Familie mit einem Verbrauch von 20.000 Kilowattstunden pro Jahr demnach 1.000 Euro mehr bezahlen. Scholz hatte als Entlastung angekündigt, das Wohngeld zu reformieren.
Studie: 80 Prozent sehen Russland als Bedrohung
Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine hat Folgen für das deutsch-russische Verhältnis.
78 Prozent der Deutschen sehen die EU inzwischen durch Russland bedroht und befürchten gewaltsame Handlungen, Cyberangriffe und andere Destabilisierungsversuche. Nur 16 Prozent sehen keine Bedrohung durch Russland.
Das geht aus einer repräsentativen Befragung der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft PwC hervor. Die Studie wird in diesen Tagen vorgestellt.
Fast jeder vierte Befragte hat demnach seine Sicht auf die Nato zum Positiven verändert, die Bundeswehr erfreut sich bei 54 Prozent der Befragten einer positiven Wahrnehmung.
Mehr als die Hälfte befürwortet zudem eine Präsenz der Bundeswehr an der Ostflanke der Nato und 65 Prozent setzen sich für höhere Verteidigungsausgaben ein.
Zum Vergleich: Vor zehn Jahren waren laut Daten des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr nur 19 Prozent der Deutschen für einen höheren Verteidigungshaushalt.
„Der Stimmungswandel begann 2014 mit der Annexion der Krim durch Russland und dem Krieg in der Ostukraine“, sagt PwC-Sicherheitsexperte Wolfang Zink.
64 Prozent der Bürger sind bereit zu persönlichen Einsparungen bei Heizenergie und Benzin, um gegenüber Russland eine harte Position einzunehmen.
Allerdings: Eine Wiedereinführung der Wehrpflicht findet nur bei 19 Prozent Anklang, 35 Prozent befürworten immerhin eine reformierte Wehrpflicht für Frauen und Männer.
Kommandeur Andrä mit Soldaten in Litauen © BundeswehrGrößere Zustimmung würde die Einführung eines verpflichtenden Sozialdienstes erfahren, wie es der Bundespräsident und Teile der CDU vorschlagen.
61 Prozent der Befragten sprechen sich für einen verpflichtenden Sozialdienst aus, 30 Prozent lehnen ihn ab.
Europa zeigt Gas-Solidarität mit Deutschland
Manchmal geht es sehr schnell in der Europäischen Union. Vergangenen Mittwoch erst hat die EU-Kommission vorgeschlagen, dass die Mitgliedsländer pauschal 15 Prozent ihres Gas-Verbrauchs einsparen. An diesem Dienstag schon haben die EU-Energieminister den Plan in einer Sondersitzung beschlossen. Fast einstimmig. Nur Ungarn ist mal wieder ausgeschert.
Das Einsparziel bezieht sich auf den Zeitraum 1. August bis zum 31. März des kommenden Jahres. Bemerkenswert: Es beteiligen sich auch Länder, die auf russisches Gas nicht angewiesen sind. So viel Solidarität „gab es noch nie", twitterte Sven Giegold, Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, nach der Sitzung.
Im Moment gilt noch Freiwilligkeit. Sollte aber der Europäische Rat auf Vorschlag der EU-Kommission eine Gas-Notlage beschließen, wird aus dem Einsparziel ein Pflichtprogramm.
Die Union im Bundestag begrüßt den Beschluss im Prinzip. „Mit nationalen Reflexen" sei die Energiekrise nicht zu meistern", sagt der energiepolitische Sprecher von CDU und CSU, Andreas Jung, unserem Kollegen Thorsten Denkler. „Sondern nur mit europäischer Solidarität". Der Notfallplan der EU sei deshalb ein wichtiger Schritt, „aber nur die halbe Miete".
Andreas Jung © imagoJung sagt, nur mit Beistandsverträgen könne die Solidarität im Ernstfall greifen. Solche Abkommen aber gebe es bisher nur mit Dänemark und Österreich. Gelinge es nicht kurzfristig, mehr solcher Verträge abzuschließen, „kann man den Aachener Vertrag mit dem Versprechen engster Partnerschaft auch gleich in Schnipseln über dem Rhein verstreuen".
CDU-Parteitag: Ohne Merkel, mit Söder
Altkanzlerin Angela Merkel wird offenbar nicht zum Bundesparteitag der CDU Anfang September in Hannover kommen, erfuhren wir in CDU-Kreisen.
Eine Anfrage im Büro der Altkanzlerin blieb unbeantwortet. Als Ehrengast werde Merkel selbstverständlich eingeladen, hieß es in der CDU. Sein Kommen in Aussicht gestellt hat dagegen CSU-Chef Markus Söder.
Der Parteitag findet vom 9. bis 10. September in Hannover statt und ist das erste physische Treffen der CDU-Delegierten nach Ausbruch der Pandemie.
Unter anderem soll bei dem Treffen die Frauenquote beschlossen und es sollen Anträge verabschiedet werden, die sich mit der Energiekrise und einem Gesellschaftsjahr für Schulabgängerinnen und Schulabgänger befassen.
Details zu Merkels Plänen lesen Sie hier.
Zahlreiche Spitzenpolitikerinnen und -politiker besuchen im Sommer die Gamescom in Köln, die weltweit größte Messe für Computer- und Videospiele. Zum Auftakt am 24. August werden Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) an der Eröffnung und am offiziellen Rundgang teilnehmen.
Einen Tag später sind beim Talk-Format „Debatt(l)e Royale" Mario Czaja (CDU), Emily Büning (Grüne) und Bijan Djir-Sarai (FDP) dabei. Am 26. August hat sich die Staatsministerin für Kultur und Medien, Claudia Roth (Grüne), angekündigt.
Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger musste ihre für diese Woche geplante Sommertour aufgrund einer Corona-Infektion kurzfristig absagen. Die Reise, auf der sie verschiedene Forschungsstandorte besuchen möchte, soll laut Angaben des Ministeriums jedoch nachgeholt werden.
Auf - Susanne Szech-Koundouros. Die EU-Staaten wollen gemeinsam Gas sparen und haben sich nach langem Ringen am Dienstag auf einen Plan geeinigt, wie das gelingen soll. Offiziell kam die Einigung durch ein Sondertreffen der für Energie zuständigen Minister zustande, im Hintergrund verhandelte auf deutscher Seite jedoch vor allem die EU-Botschafterin maßgeblich mit. Unsere Aufsteigerin!
Ab - Gerhard Schröder. Der Alt-Kanzler wollte eigentlich nur für ein paar Tage nach Moskau reisen, weil dies eine „schöne Stadt ist". Doch das war nur die halbe Wahrheit. Seine Ehefrau So-yeon Schröder-Kim sagte dem Spiegel nun, dass ihr Gatte in Russland sei, um „Gespräche über Energiepolitik" zu führen. Was denn nun? Für den Kreml-treuen Ex-Kanzler geht es daher mal wieder bergab.
Normalerweise träten die Deutschen in der Europäischen Union aus einer Position der Stärke auf, nun aber seien sie die Schwachen – das ist die Analyse des Brüssel-Korrespondenten der Süddeutschen Zeitung, Josef Kelnberger. „Die selbsternannten Mustereuropäer sind vielen auf die Nerven gegangen mit ihrem Beharren auf Haushaltsdisziplin", schreibt er. Daher wäre es eigentlich nur verständlich, wenn gerade die südeuropäischen Länder nun auf die Idee kommen würden, alte Rechnungen zu begleichen. Sein Fazit: „Vielleicht ist es ja, im europäischen Maßstab, für die Deutschen auch ganz lehrreich, einmal auf die Hilfe der anderen angewiesen zu sein." Spannender Kommentar!
Die Ostseepipeline Nord Stream 2 ist nie in Betrieb gegangen und trotzdem mit 350 Millionen Kubikmeter Gas gefüllt. Mit 105 bar steht sie zudem unter gehörigem Druck. Normalerweise würden ein halbes Dutzend Mitarbeiter in der Anlandestation in Lubmin an sieben Tagen die Woche und rund um die Uhr dafür sorgen, dass alles in Ordnung ist.
Nord Stream 2 aber hat alle Mitarbeiter entlassen. Die Station in Lubmin ist menschenleer, wie unser Kollege Thorsten Denkler recherchiert hat. Was passieren kann, wenn die Pipeline weiter unbeaufsichtigt in der Ostsee herumliegt und wie die deutschen Behörden damit umgehen, erfahren Sie in seinem Artikel.
Heute gratulieren wir herzlich:
Adis Ahmetovic, SPD-Bundestagsabgeordneter, 29
Norbert Altenkamp, CDU-Bundestagsabgeordneter, 50
Silke Gebel, Grünen-Fraktionsvorsitzende im Abgeordnetenhaus von Berlin, 39
Sebastian Gemkow (CDU), sächsischer Wissenschafts-Staatsminister, 44
Anja Kohl, ARD-Börsenexpertin, 52
Ich freue mich, dass wir anfangen, die Fehler der Agenda 2010 systematisch zu reparieren.
Sigrid Skarpelis-Sperk war 1980 bis 2005 Mitglied des Deutschen Bundestags und eine der führenden Kritikerinnen der Agenda 2010. Die 77-Jährige wohnt mittlerweile in Bonn. Mit Kanzler Olaf Scholz, während der Agenda SPD-Generalsekretär, hat sie ihren Frieden geschlossen. Er befinde sich mit dem Krieg in der Ukraine in einer „außergewöhnlich schwierigen Situation", sagt Skarpelis-Sperk.
Nach ihrer Arbeit im Bundestag war sie noch lange Präsidentin der Vereinigung der Deutsch-Griechischen Gesellschaften. Noch heute ist sie Ehrenpräsidentin und kümmert sich um ökologische und Ausbildungsprojekte in Griechenland.
Wir wünschen Ihnen einen elanvollen Start in diesen Donnerstag!
Herzlichst,
Ihre