unsere Themen heute:
Das Bundesverfassungsgericht muss besser vor Verfassungsfeinden geschützt werden – wir kennen Pläne und Ideen.
Die Zahl der illegalen Einreisen ist rückläufig. Ein Grund: Schleierfahndungen und Grenzkontrollen.
Die Ampel will den neuen Gruppen im Bundestag nur stark verminderte Rechte geben.
Politiker fordern Umbenennung der Straßen vor den Botschaften autoritärer Staaten – ein „Selenskyj-Platz“ soll Russland ärgern.
Brandbrief kritisiert Gesetzesentwurf von Bauministerin Klara Geywitz (SPD)
Grundgesetz: Bollwerk mit Schwächen
Zu den wichtigsten Aufgaben des Grundgesetzes gehört, Deutschland vor Autokraten und Diktatoren zu schützen. Ein Bollwerk zum Schutz der Demokratie soll es sein. Und möglichen Verfassungsfeinden selbst dann trotzen, wenn diese mit absoluter Mehrheit das Land regieren.
Inzwischen aber mehren sich Zweifel, ob das Bollwerk standhalten würde. Das Erstarken der AfD in Umfragen und Wahlen hat den Blick auf mögliche Schwachpunkte gelenkt.
Seit Wochen bereits wird im Bundestag unter der Hand über die Frage debattiert, was geändert werden muss, damit eine potenzielle Björn-Höcke- oder Alice-Weidel-Regierung nicht die Grundfeste der Republik ins Wanken bringen kann.
Kürzlich hat erstmals der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Johannes Fechner, öffentlich Reformen gefordert. Er hatte auf Polen verwiesen. Dort habe jeder sehen können, wie schnell ein Verfassungsgericht lahmgelegt werden könne.
Jetzt kommt langsam Bewegung in die Sache, hört unser Kollege Thorsten Denkler.
Dem Vernehmen nach trifft sich bereits eine informelle Ampel-Arbeitsgruppe, die sich mit diesen Fragen beschäftigt.
Möglichst schnell, auf jeden Fall noch in dieser Legislaturperiode, soll das Grundgesetz AfD-fest gemacht werden.
Die Ampelfraktionen haben zudem ihre Fühler bereits in Richtung Union ausgestreckt, hören wir.
Die Union werde nicht nur gebraucht, weil einige der möglichen Änderungen eine Zweidrittelmehrheit benötigen würden. Sondern auch, weil der Schutz der Demokratie als Gemeinschaftsaufgabe der demokratischen Parteien verstanden werde.
Die Union hat bereits signalisiert, dass sie offen für die Fragen sei.
Till Steffen, Grüne © dpaDer ehemalige Hamburger Justizsenator und Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen-Bundestagsfraktion, Till Steffen, sagte uns: „Ich bin froh, dass die Union hier jetzt gesprächsbereit ist.“
Und weiter:
Wir müssen die Stellschrauben des Grundgesetzes deutlich fester ziehen.
Die Parlamentarier beschäftigen zwei grundlegende Probleme:
Nach geltendem Recht kann eine Sperrminorität von einem Drittel der Stimmen die Wahl neuer Richter an das Bundesverfassungsgericht blockieren.
Das Bundesverfassungsgerichtsgesetz hingegen, das die Richterwahl regelt, lässt sich bereits mit einfacher Mehrheit ändern.
Eine rechtsextreme Regierung könnte mit diesen beiden Schwachstellen die Besetzung des Verfassungsgerichts und damit seine Rechtsprechung in ihrem Sinne manipulieren.
Zum ersten Problem sagt uns Steffen:
Verfassungsrichter müssen auch dann nachbesetzt werden können, wenn die nötigen Zweidrittelmehrheiten nicht zustande kommen. Da braucht es Auswege aus der Blockade und gleichzeitig weiterhin hohe Hürden.
Ein Ausweg könnte sein:
Im Fall einer Blockade schlägt das Bundesverfassungsgericht selbst Nachfolgekandidaten für ausscheidende Richter vor. Diese könnten dann etwa mit einfacher Mehrheit bestätigt werden.
Eine weitere Möglichkeit:
Falls der Bundestag blockiert ist, könnte der Bundesrat alleine mit Zweidrittelmehrheit über eine Nachbesetzung entscheiden.
Um hingegen das Bundesverfassungsgerichtsgesetz krisenfest zu machen, kommt eine Ergänzung im Grundgesetz in Betracht:
In der könnte festgelegt werden, dass Änderungen an dem Gesetz nur mit Zweidrittelmehrheit möglich wären.
Die Union sieht hier allerdings die Gefahr, dass dies zu einer Sperrblockade für wünschenswerte Änderungen führen könnte.
Auf Ampel-Seite wird diese Gefahr als eher gering eingeschätzt: Im Gegensatz zur Nachbesetzung von Verfassungsrichtern gebe es eher selten die Notwendigkeit, das Bundesverfassungsgerichtsgesetz zu ändern.
Geht es nach den Grünen, müssen noch zwei weitere Stellschrauben neu justiert werden.
Till Steffen:
Es muss leichter werden, verfassungsfeindliche Richter anzuklagen. Da sind die Hürden zu hoch. Außerdem müssen wir problematische Schöffen leichter ablehnen können. Das gehen wir jetzt an.
Die Verhandlungen dazu laufen bereits.
Immer weniger illegale Einreisen
Nachdem Deutschland seit Oktober wieder Grenzkontrollen und Schleierfahndungen an den Grenzen einsetzt, geht den zweiten Monat in Folge die Zahl der illegalen Einreisen zurück. Das bestätigte das Innenministerium auf Nachfrage unseres Kollegen Jan Schroeder.
Während es im Oktober noch etwas mehr als 20.000 unerlaubte Grenzübertritte gab, sanken die Zahlen im November auf 7.851 beziehungsweise auf 7.497 im Dezember, wie Zahlen der Bundespolizei von Mitte Januar belegen. Auch im Vergleich zu den Vorjahresmonaten sank die Zahl der illegalen Übertritte leicht.
Der innenpolitische Sprecher der Union, Alexander Throm, sagt unserem Kollegen Jan Schroeder dazu:
Die Grenzkontrollen wirken. Wären sie früher eingerichtet worden, hätte viele irreguläre Migration nach Deutschland vermieden werden können.
Innenministerin Nancy Faeser (SPD) hatte am 16. Oktober die Kontrollen an den Grenzen zu Polen, Tschechien und der Schweiz eingeführt.
Innenministerin Nancy Faeser © imagoDie Kontrollen sollen bis mindestens Mitte Februar weiterlaufen. Die Union fordert, diese „auf unabsehbare Zeit“ zu verlängern, sagt Throm.
Insgesamt gab es im vergangenen Jahr 127.549 illegale Einreisen und damit deutlich mehr als in den Jahren zuvor.
Bundestag: Keine Tische für Linke und BSW
Die Linke und das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) sollen nach dem Willen der Ampel nur stark verminderte Oppositionsrechte bekommen.
Das geht aus den beiden Anträgen der Ampelfraktionen zur Gruppenanerkennung der Linken und des BSW hervor, die unserem Kollegen Thorsten Denkler vorliegen.
Die Anträge sollen an diesem Freitag im Bundestag beschlossen werden.
Demnach werden:
beide Gruppen nur jeweils zehn Kleine und Große Anfragen pro Jahr stellen können.
der Linken nur zwei und dem BSW nur eine Aktuelle Stunde pro Jahr zugebilligt. Normalerweise werden diese nicht fest zugeschrieben, sondern nach Fraktionsstärke verteilt.
beide Gruppen auf Plätze in der ersten Reihe des Bundestages sowie auf Pulte verzichten müssen. Hintergrund: der Symbolcharakter. Schon optisch soll deutlich werden, dass es keine vollwertigen Fraktionen sind.
Die Linke will mit einem Änderungsantrag erreichen, dass auch die Gruppen unbegrenzt Kleine und Große Anfragen an die Regierung stellen und Aktuelle Stunden entsprechend ihrer Größe beantragen können.
Der Union gehen die Vorschläge zu weit. Sie hat sich am Dienstag aus Sicht der Ampel „überraschend“ aus den Verhandlungen um die Anerkennungsanträge zurückgezogen.
Thorsten Frei, Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der Unionsfraktion im Bundestag. © imagoDer parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Fraktion, Thorsten Frei, sagte uns:
Gruppenbildung darf sich nicht lohnen. Die Gruppen sollen nicht mehr Rechte erhalten als ihnen nach der Verfassung zustehen. Deshalb sind die Vorschläge der Ampel nicht zustimmungsfähig.
Kiesewetter: Platz vor russischer Botschaft soll „Selenskyj“ heißen
Fraktionsübergreifend fordern Politiker, die Straßen vor Botschaften autoritärer Staaten nach politischen Gefangenen zu benennen. Der Forderung angeschlossen haben sich die Parlamentarier Anton Hofreiter (Grüne), Roderich Kiesewetter (CDU), Michael Roth (SPD) und Renata Alt (FDP).
© Michael BassewitzMichael Roth sagt unserem Kollegen Michael Bassewitz:
Die Zahl politischer Gefangener hat weltweit deutlich zugenommen. Ihr Schicksal und das ihrer Angehörigen verdient viel mehr öffentliche Aufmerksamkeit, deswegen unterstütze ich die Umbenennung der Plätze und Straßen vor den Botschaften von Diktaturen.
Anton Hofreiter sagt uns, das Ziel autokratischer Regime sei es, „ihre politischen Gegner mundtot zu machen“. Mit einer Umbenennung der Plätze könnten sie mehr Sichtbarkeit bekommen.
Renata Alt erklärt, es sei „wichtig, dass wir Demokraten durch die Umbenennung ein starkes Zeichen setzen“.
Auch Roderich Kiesewetter schließt sich den Forderungen an. Zudem fordert er, die künftige Adresse der russischen Botschaft in Berlin müsse „Wolodymyr Selenskyj Platz“ lauten.
Damit schließen sich die Abgeordneten einer Petition der Axel Springer Freedom Foundation zur Umbenennung von Straßen vor Botschaften autoritärer Staaten zu den Namen von politischen Gefangenen an. Gestern organisierte die Foundation ein Treffen mit den Abgeordneten und Angehörigen von Dissidenten.
Verbände kritisieren Geywitz: Geplantes Baurecht taugt nichts
Der Deutsche Mieterbund und die Bundesarchitektenkammer kritisieren den ersten Gesetzentwurf zur Änderung des Baugesetzbuches (BauGB) von Bauministerin Klara Geywitz (SPD). In einem Brief der Verbände an die Regierung, der unserer Kollegin Laura Block vorliegt, heißt es:
An diesem Gesetzentwurf sind derart viele Aspekte problematisch, dass wir uns als Unterzeichner:innen klar gegen die Einführung des neu eingebrachten Paragraphen ‚246e BauGB' aussprechen.
Geywitz will mit der bis 2026 gültigen Sonderregelung potenzielle Bauflächen in Kommunen leichter bebauen lassen. Dafür soll von bestimmten Vorschriften des BauGB größtenteils abgewichen werden können.
Bernhard Daldrup, SPD © picture allianceBernhard Daldrup, baupolitischer Sprecher der SPD, zeigt Sympathien für die Verbände:
Ich habe großes Verständnis für die Kritik an der Reform.
Die Unterzeichner des Brandbriefes sehen mit den geplanten Änderungen die Probleme nicht gelöst:
Allein 2022 habe es in Deutschland 900.000 sogenannte Bauüberhänge gegeben. Das sind genehmigte, aber nicht fertiggestellte Wohnungen. Es läge nicht an den Vorschriften, dass nicht gebaut werde, sondern an zu hohen Zinsen und Baukosten, heißt es in dem Papier.
Daldrup hofft jetzt auf Änderungen: „Kein Entwurf verlässt das Parlament so, wie es eingebracht wurde.“
Unterstützung bekommt Geywitz hingegen aus der FDP. Deren baupolitischer Sprecher Daniel Föst sieht in den Plänen eine Möglichkeit, schneller und günstiger zu bauen.
Die Entscheidung, die Sonderregel anzuwenden, liege allein bei den Kommunen. Sie hätten damit „ein explizites Vetorecht“, sagt Föst. Die Regel sei außerdem allein Kommunen mit einem angespannten Wohnungsmarkt vorbehalten.
Nach den deutschlandweiten Protesten gegen Rechtsextremismus verliert die AfD an Wählerstimmen: 19 Prozent würden die AfD wählen – Ende 2023 waren es noch 23 Prozent. Das zeigen die neuesten Zahlen des Meinungsforschungsinstituts Forsa.
Der FDP droht ein ganz anderes Schicksal: Mit lediglich drei Prozent der Wählerstimmen driftet sie immer weiter weg von der Fünf-Prozent-Hürde. Die Union hingegen kann sich über Wählerzuwachs freuen.
Eine Infografik mit dem Titel: CDU hoch, AfD runter, FDP raus
Durchschnittliche Zustimmungswerte der Parteien seit Oktober 2023, in Prozent
Gleichzeitig ist das Vertrauen in die Parteien auf einem Tiefpunkt: 59 Prozent der Deutschen trauen keiner Partei politische Kompetenz zu. So wenig wie zuletzt Mitte 2022.
Eine Infografik mit dem Titel: Mehrheit: Keine Partei ist kompetent
Entwicklung der den Parteien zugeschriebenen politischen Kompetenz seit Januar 2021 bis 29. Januar 2024*, in Prozent
Das war am Tag und in der Nacht außerdem los:
Verdi-Streik: Die Gewerkschaft hat an Flughäfen zu einem Warnstreik aufgerufen. Bereits am Donnerstag sollen Luftsicherheitskräfte ihre Arbeit niederlegen. Betroffen sind unter anderem die Standorte Berlin, Frankfurt und Düsseldorf.
Letzte Generation: Die Aktivistinnen und Aktivisten der Letzten Generation haben ein Ende der Straßenblockaden angekündigt – protestieren wollen sie nun auf andere Weise.
AI Act: Die Bundesregierung wird dem EU AI Act in der Ratsabstimmung am 2. Februar nun doch zustimmen. Das von Volker Wissing (FDP) geführte Digitalministerium hat den Widerstand gegen das Gesetz aufgegeben, wurde am Dienstag bekannt. Im Zentrum der Kritik von Wissing standen unter anderem aufgeweichte Bedingungen für die biometrische Überwachung.
Wer befindet sich heute wo und welche Termine sind noch relevant?
Im Zuge der Haushaltswoche hält Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) vor dem Plenum eine Rede in der Generaldebatte.
Der Deutsche Bundestag gedenkt ab 10 Uhr im Plenarsaal der Opfer des Holocausts. Es wird zwei Gastredner geben: Eva Szepesi, die als Kind das Vernichtungslager Auschwitz überlebt hat. Und der Journalist Marcel Reif, der für die sogenannte zweite Holocaust-Generation spricht und dessen Vater die Schoa überlebte.
Familienministerin Lisa Paus (Grüne) spricht auf dem 14. Forum Frauen in die Aufsichtsräte (FidAR) über die Gleichberechtigung von Frauen in Führungspositionen.
Für eine gezieltere Klimapolitik
Freiwillige Verpflichtungen zu Klimaschutzmaßnahmen, wie zuletzt definiert bei der UN-Klimakonferenz in Dubai, bleiben eben das: freiwillig. Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph E. Stiglitz, Scott Barrett, Professor für die Wirtschaft natürlicher Ressourcen von der Columbia University, und Noah Kaufman, Wirtschaftswissenschaftler am Columbia Center on Global Energy Policy, plädieren daher für gezielte Handelsabkommen:
Die Klimavereinbarungen sollten sich auf einzelne Sektoren konzentrieren, Verpflichtungen sollten mit dem Zugang zum Handel verknüpft werden und die ‚gemeinsame, aber unterschiedliche' Rolle der reichen und armen Länder in internationalen Verhandlungen sollte berücksichtigt werden.
Ihre gesamte Einschätzung, wie die Chance, einen schnellen und gerechten Übergang zu Netto-Null-Emissionen zu erzielen, erhöht werden kann, lesen Sie hier.
Auf – Rainer Schlegel. Der Präsident des Bundessozialgerichts spricht Klartext: Die Ampel gebe vor, alles im Griff zu haben. Aber „für den Sozialstaat bedeutet Russlands Überfall auf die Ukraine eine Zäsur“, sagt Schlegel in der FAZ. Sein Vorschlag: Anreize für Teilzeitbeschäftigungen sollten abgeschafft, das Bürgergeld im rechtlichen Rahmen gekürzt werden. Ein Plädoyer für mehr Eigenverantwortung.
Ab – Olaf Scholz. In einem Brandbrief fordern die Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft von Kanzler Scholz ein „kräftiges Aufbruchssignal“. Dem Wirtschaftsstandort Deutschland ginge es schlecht, die Politik müsse unter den Unternehmern wieder mehr Vertrauen aufbauen. Es brauche etwa einen „Befreiungsschlag“ im Bürokratieabbau und eine Steuerreform. Bitte übernehmen, Herr Kanzler!
Heute gratulieren wir herzlich:
Sarah Ryglewski (SPD), Staatsministerin für Bund-Länder-Beziehungen im Kanzleramt, 41
Achim Tröster, deutscher Botschafter in Bangladesch, 65
Jan Hofer, RTL-Nachrichtenmoderator, 74
Christian Schoppik, Ministerialdirektor im Bayerischen Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales, 59
Wir wünschen Ihnen einen elanvollen Start in diesen Donnerstag!
Herzlichst,
Ihre