unsere Themen heute:
Attacken, Geld- und Nachwuchssorgen: Die Kommunalpolitik steckt in der Krise.
CDU-Vize Karin Prien: Die Abgrenzung der CDU zur AfD ist „so klar wie nie zuvor“.
Unser Kommentar zum Parteitag: Die Merz-CDU ist relativ gesehen so mittig wie die Merkel-CDU.
Nach EuGH-Urteil: Die Ampel streitet erneut über Vorratsdatenspeicherung. Wir kennen die Details.
Zu analog: Es gibt Kritik an den Doppelstrukturen beim BAföG.
Rund einen Monat vor den Kommunalwahlen in neun Bundesländern häufen sich die Angriffe auf Politiker aller Parteien. Die Bilanz der vergangenen sieben Tage:
3. Mai: Der sächsische Europa-Spitzenkandidat der SPD, Matthias Ecke, wird beim Aufhängen von Wahlplakaten angegriffen und schwer verletzt. Er muss operiert werden.
7. Mai: Ein Mann verletzt die Berliner SPD-Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey in einer Bibliothek.
7. Mai: In Dresden wird Grünen-Politikerin Yvonne Mosler beim Aufhängen von Wahlplakaten attackiert.
9. Mai: Vor dem Landtag in Stuttgart werden zwei AfD-Politiker leicht verletzt.
Doch die Probleme in der Kommunalpolitik sind vielschichtiger. 50 Prozent der Bürgermeister sind mit den Rahmenbedingungen ihrer Arbeit unzufrieden – das ist das Ergebnis einer Forsa-Umfrage im Auftrag der Körber-Stiftung. Auch, aber nicht nur aus Sorge vor Angriffen. Unser Kollege Jan Schroeder hat drei Gründe analysiert:
#1 Attacken
2023 gab es den Zahlen der Landeskriminalämter zufolge insgesamt 2790 verbale und körperliche Angriffe gegen Politiker. 2022 waren es noch 1157.
Mit Abstand am meisten beleidigt und bedroht wurden die Politiker der Grünen (947 Fälle in 2023).
Politiker der AfD wurden am häufigsten Opfer von körperlicher Gewalt (86 Fälle).
Eine Infografik mit dem Titel: Viele Angriffe auf Politiker
Angriffe auf Parteirepräsentanten (vorläufige Zahlen) in Deutschland 2023, nach Parteien
Anfang des Jahres wurde das Haus des thüringischen Kommunalpolitikers Michael Müller (SPD) von Unbekannten angezündet. Unserer Kollegin Laura Bock berichtet er:
Seit letztem Jahr wird die Stimmung zunehmend aggressiver.
Vor jeder Veranstaltung trifft Müller nun Vorsichtsmaßnahmen. „Die letzte haben wir gar nicht öffentlich gemacht“, aus Angst vor ungebetenen Gästen. Früher hätte er an so etwas niemals gedacht. Müller berichtet: Im Ortsverband machen sie keinen Haustürwahlkampf mehr alleine.
Michael Müller vor der SPD-Parteizentrale in Waltershausen (Thüringen) © Laura BlockWir sind jetzt immer zu zweit unterwegs.
#2 Nachwuchs
Zwischen 2020 und 2022 ist die Zahl der Ehrenamtlichen in Deutschland in Politik, Sport und anderen gemeinnützigen Vereinen von 17,2 Millionen auf 15,7 Millionen Menschen gesunken. Ein Rückgang um 8,2 Prozent.
71 Prozent der Bürgermeister befürchten der oben genannten Forsa-Studie zufolge, dass sie keinen geeigneten Nachfolger für ihr Amt finden.
#3 Gehalt
Von den mehr als 11.470 Bürgermeistern in Deutschland sind nur etwa 3.440 hauptamtlich tätig. Der Großteil – 8.030 – engagiert sich laut Landeszentrale für politische Bildung in Nordrhein-Westfalen ehrenamtlich als Bürgermeister.
Sie erhalten lediglich eine Aufwandsentschädigung. Je nach Gemeindegröße liegt die zwischen 320 Euro (bis 500 Einwohner) und 2.120 Euro (bei mehr als 10.000 Einwohnern).
Das führt dazu, dass zwei Drittel der Bürgermeister noch einer weiteren Beschäftigung nachgehen müssen. 46 Prozent der Bürgermeister arbeiten „neben“ der Politik in Vollzeit.
Was muss sich ändern? Die stellvertretende Generalsekretärin und Zuständige für Kommunalpolitik in der CDU, Christina Stumpp, findet, Gremienarbeit müsse zeitgemäßer werden, um sie attraktiver zu machen. Sie sagt uns:
Endlose Gemeinderatssitzungen bis in die späten Nachtstunden sind für junge Menschen in der „Rushhour des Lebens“ beziehungsweise mit kleinen Kindern zu Hause häufig nicht leistbar.
Sie fordert: verbesserte Möglichkeiten zur digitalen Teilnahme, klare Sitzungszeitbegrenzungen sowie Kinderbetreuungsangebote während der Sitzungen. Außerdem müsste man den enormen Mehrwert klarer in den Vordergrund stellen.
Noch eine Idee: „Einige Universitäten fördern Ehrenämter mittels Anerkennung durch Creditpoints.“ Dies könnte ausgeweitet werden, so Stumpp.
Fazit: Die Kommunalpolitik als Beruf steckt in der Krise. Auch Michael Müller denkt über das Hinschmeißen nach. Wenn sich die Stimmung weiter zuspitze, würde es ihm „schon schwerfallen, in Deutschland zu bleiben“. Zeit für eine dringend notwendige Reform.
Prien: Abgrenzung zur AfD „so klar wie nie zuvor“
Die stellvertretende Parteivorsitzende der CDU, Karin Prien, sagt in der neuen Folge des Hauptstadt-Podcasts:
Karin Prien © ImagoDie Abgrenzung gegenüber der AfD ist bei Friedrich Merz und der CDU heute so stark und so klar wie nie zuvor.
Im neuen Grundsatzprogramm würden die Themen neu durchdekliniert, entsprächen der „veränderten geopolitischen Lage, in der weltweit die liberale Demokratie unter Druck steht. In einer Welt, in der wir mit Russland und China zwei Gegner haben, die unsere Art zu leben infrage stellen“.
„Aber wir machen das mit Maß und Mitte“, sagt Prien. Deshalb sieht sie darin auch eine Kontinuität zum bisherigen Kurs.
Es ist sicherlich konservativer geworden, weil die Zeit eine konservativere ist, weil die Themen konservative sind.
Und weiter: „Wir reden über Verteidigung der Freiheit, wir reden über Verteidigung der Sicherheit – außen und innen. Und wir reden über den Erhalt unseres Wohlstandes. Klassische CDU-Themen.“
Das gesamte Interview hören Sie in der neuen Folge des Hauptstadt-Podcasts. Außerdem sprechen The-Pioneer-Chefkorrespondentin Politik, Karina Mößbauer, und Jörg Thadeusz über:
den Parteitag der CDU und die Neu-Positionierung, den Besuch des chinesischen Präsidenten Xi Jingping in Frankreich, Serbien und Ungarn und die Reise von Außenministerin Annalena Baerbock in die Indopazifik-Region.
Im Zwischenruf: Hans-Ulrich Jörges über die Kultur-Förderpolitik der Grünen.
Im kürzesten Interview der Berliner Republik: Mariam Lau, Politik-Redakteurin bei Die Zeit.
Kommentar: Der neue Mitte-Kurs der CDU
Auch wir waren beim CDU-Parteitag dabei. Der Kommentar von Karina Mößbauer:
Der „Mitte-Kurs“ von Angela Merkel wird vielfach als „Erfolgsrezept“ gepriesen – und oftmals im Kontrast gesehen zur CDU unter Friedrich Merz, der der Partei wieder ein konservatives Gesicht und den entsprechend inhaltlichen Unterbau gegeben hat.
Die Freiheit ist der zentrale Fixpunkt des neuen Grundsatzprogramms. Darum herum findet eine Schwerpunktverlagerung statt. Themen wie Sicherheit sowie bürgerliche Werte wie Eigenverantwortung und Pflichten des Einzelnen spielen bei der Merz-CDU wieder eine größere Rolle. Stichwort: Gesellschaftsjahr und Wehrpflicht. Mit diesen konservativen Elementen bewegt sich die CDU im Koordinatensystem der Parteien klar nach rechts.
Zieht man allerdings die Gesellschaft als Referenzpunkt heran, so verläuft die Neu-Kalibrierung der CDU parallel zu Verschiebungen in der Bevölkerung. Während CDU, FDP, Freie Wähler und AfD bei den Landtagswahlen 2013 in Hessen „nur“ 47 Prozent erreichten, waren es bei der Wahl im vergangenen Jahr bemerkenswerte 62 Prozent. Ähnlich in Bayern: Hier nahm der Zulauf zu den oben genannten Parteien von 60 auf 70 Prozent zu. Der Zeitgeist während der Blütezeit von Merkels Kanzlerschaft war offenbar linker.
Gleichzeitig hat sich die CDU auf anderen Feldern wie der Familienpolitik modernisiert. Die Standortbestimmung orientiert sich hier an neuen Realitäten wie der wachsenden Zahl von Alleinerziehenden und Patchwork-Familien.
Friedrich Merz nach Verabschiedung vom neuen Grundsatzprogramm © IMAGO / dts NachrichtenagenturRelativ gesehen – also vor dem Hintergrund dieser gesellschaftlichen Verlagerung – ist die Merz-CDU mit ihrem Kurs also etwa so mittig, wie die Merkel-CDU es einmal war. Nur nimmt die CDU diesmal nicht den Sozialdemokraten Themen weg (asymmetrische Demobilisierung), sondern im besten Fall den Demokratie-Feinden der AfD.
Dafür muss sie nur noch einen Weg finden, nach Jahren des Regierens Vertrauen zurückzugewinnen und glaubhaft zu vermitteln, den jetzigen Kurs auch in einer Koalition mit anderen umzusetzen. Das dürfte die größte Herausforderung bleiben.
Dass es nun in der Mitte wieder zwei deutlich unterscheidbare Parteien gibt, ist aber bereits ein Gewinn und wird die Demokratie revitalisieren.
Karina Mößbauer © Michael BassewitzAmpel streitet erneut um Vorratsdatenspeicherung
Nachdem der Europäische Gerichtshof die Vorratsdatenspeicherung grundsätzlich für zulässig erklärt hat, rüttelt die SPD erneut am Ampel-Kompromiss in der Sache. Der innenpolitische Sprecher der SPD, Dirk Wiese, sagt unserem Kollegen Jan Schroeder:
Dirk Wiese © ImagoDie Entscheidung des Gerichts stellt klar, dass eine Pflicht zur Speicherung von IP-Adressen zur Verbrechensbekämpfung nicht nur ausdrücklich zulässig ist, sondern auch zwingend erforderlich, damit im Internet keine rechtsfreien Räume entstehen.
Trotz Kanzler-Machtwort: SPD-Mann Wiese stellt sich mit seiner Forderung an die Seite von Innenministerin Nancy Faeser und gegen den von Kanzler Olaf Scholz und Justizminister Marco Buschmann ausgehandelten Kompromiss. Der sieht vor, dass Daten nur bei konkretem Verdacht gespeichert werden dürfen.
Am 30. April hatte der EuGH in einem Urteil allerdings erklärt: „Die allgemeine und unterschiedslose Vorratsspeicherung von IP-Adressen stellt nicht zwangsläufig einen schweren Eingriff in die Grundrechte dar.“
Bei den Grünen trifft der erneute Vorstoß der SPD auf Unverständnis. Marcel Emmerich, Grünen-Obmann im Innenausschuss, sagt uns:
Das aktuelle EuGH-Urteil ändert nichts an unserer kritischen Haltung und es ist und bleibt klar: Staatliche Überwachung ohne Maß und Mitte darf es nicht geben.
Kritik an Doppelstrukturen beim BAföG
Doppelstrukturen: Das BAföG, die staatliche finanzielle Unterstützung für Studenten, kann online sowie händisch ausgefüllt werden – das kritisiert der Ring Christlich-Demokratischer Studenten (RCDS). Gegenüber unserem Kollegen Michael Bassewitz sagt der RCDS-Vorsitzende Lukas Honemann:
Lukas Honemann © longstoryshortconceptsJeden Tag werden 52 Bäume für den deutschen Papier-Bürokratie-Wahn gefällt. Anstatt jetzt den (verspäteten) Sprung ins digitale Zeitalter zu machen, ist die Beantragung des BAföG weiterhin nicht ‚digital only‘.
Wie aus einer uns vorliegenden Antwort zu einer Kleinen Anfrage der Union hervorgeht, will die Regierung an dem doppelten BAföG-Zugang festhalten. Das Bildungsministerium erklärt uns auf Anfrage, sie wolle so „möglichst viele Auszubildende und deren Eltern zu erreichen“.
Honemann sieht das anders: „Das Argument, man wolle mit Papier möglichst viele erreichen, widerspricht sich mit der neuen Studien-Starthilfe – diese ist direkt ‚digital only‘.“
Zum Download: Kleine Anfrage – Geplante Reform des Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG)
Parteitag beendet, K-Frage offen? Friedrich Merz ist die Kanzlerkandidatur für die Union nicht zu nehmen, betonen CDU-Politiker häufig. Dürfte nicht der Parteichef, sondern die Wähler entscheiden, würden allerdings andere Kandidaten vor Merz rücken.
Eine Infografik mit dem Titel: K-Frage: Söder vorn
Antworten auf die Frage: „Mit welchem Kandidaten würden CDU und CSU bei der nächsten Bundestagswahl die meisten Stimmen erhalten?“, in Prozent
Das war gestern und in der Nacht außerdem los:
Ukraine-Unterstützung: Verteidigungsminister Boris Pistorius hat bei seinem USA-Besuch die Lieferung von drei HIMARS-Raketenwerfersystemen an die Ukraine angekündigt. „Die stammen aus Beständen der US-Streitkräfte und werden von uns bezahlt.“ Pistorius' US-Kollege Lloyd Austin lobte Deutschland:
Ob bei der Abschreckung gegen eine Aggression des Kremls oder der Stärkung der Stabilität im Indo-Pazifik, unsere zwei stolzen Demokratien sind im Gleichschritt.
Gaza-Krieg: US-Präsident Joe Biden kündigte im Fernsehsender CNN an, die Vereinigten Staaten würden keine Waffen für eine Militäroffensive in Rafah bereitstellen. Israels Präsident Benjamin Netanjahu konterte, Israel kämpfe zur Not auch alleine.
Europatag: Bundeskanzler Olaf Scholz und die Präsidentin des Europäischen Parlaments, Roberta Metsola, haben anlässlich des gestrigen Europatages zur Teilnahme an der Europawahl aufgerufen.
Ukraine: Unmittelbar nach der Ankunft von Entwicklungsministerin Svenja Schulze in Kiew wurde der für Wiederaufbau zuständige Vizeregierungschef Olexander Kubrakow gestern vom Parlament gefeuert. Die beiden wollten eigentlich die Wiederaufbaukonferenz am 11. und 12. Juni in Berlin vorbereiten.
Wer befindet sich heute wo und welche Termine sind noch relevant?
Justizminister Marco Buschmann nimmt am G7-Justizministertreffen in Venedig teil.
Bauministerin Klara Geywitz ist in Miami und besichtigt Projekte zu klimaresilienten Städten und Schutz vor Naturkatastrophen.
Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger nimmt an den Blutfreitags-Feierlichkeiten in Weingarten, Kreis Ravensburg teil. Es werden bis zu 2.000 Reitern mit Pferden erwartet.
Auf – Pinchas Goldschmidt. Der Chef der Europäischen Rabbinerkonferenz erhielt gestern den Karlspreis. Goldschmidt fördert seit Jahren den Dialog zwischen Muslimen, Christen und Juden. Besonders in Zeiten, in denen der Hass – in Israel, in Palästina und auch in Europa – wächst, ein wichtiges Zeichen. Der Rabbiner warnte eindringlich: „Das Judentum in Europa – eine Gemeinschaft, die vor hundert Jahren aus über zehn Millionen Menschen bestand und heute weniger als eineinhalb Millionen zählt – ist erneut existenziell gefährdet“.
Ab – Lena Schilling. Auch in Österreich gibt es einen Skandal vor der Europawahl: Die österreichische Spitzenkandidatin der Grünen soll laut dem „Standard“ fälschlich behauptet haben, dass eine ihrer Freundinnen von ihrem Ehemann verprügelt werde und dadurch eine Fehlgeburt erlitten habe. Außerdem soll sie Gerüchte über Affären gestreut haben. Demnach musste sie sogar schon eine Unterlassungserklärung unterschreiben – mit solchen Schlagzeilen gewinnt man keine Wahlen.
Heute gratulieren wir herzlich:
Gitta Connemann, CDU-Bundestagsabgeordnete, 60
Am Samstag gratulieren wir herzlich:
Tina Hassel, Leiterin ARD-Hauptstadtstudio, 60
Am Sonntag gratulieren wir herzlich:
Daniela Behrens, niedersächsische Innenministerin, 56
Marcel Emmerich, Grünen-Bundestagsabgeordneter, 33
Miriam Hollstein, Chefreporterin Hauptstadtbüro Stern, 54
Rasha Nasr, SPD-Bundestagsabgeordnete, 32
Bettina Stark-Watzinger, Bundesministerin für Bildung und Forschung, 56
Wir wünschen Ihnen einen elanvollen Start in diesen Donnerstag!
Herzlichst,
Ihre