Kritik am Kinderbonus

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Guten Tag,

herzlich willkommen zu unserem Briefing aus der Hauptstadt - direkt von der Pioneer One. Schön, dass Sie wieder dabei sind!

Unsere Themen heute:

  • 200 Milliarden Euro lagen zwischenzeitlich als Konjunkturhilfen auf dem Tisch im Kanzleramt, dann begannen die Koalitionäre zu priorisieren. Heute geht es weiter.

  • Der Kinderschutzbund und die Kommunen mahnen zu einer stärkeren Unterstützung von bedürftigen Familien. Der geplante Familienbonus greife zu kurz.

  • Die Mieten in den Ballungsräumen explodieren, doch ein interner Bericht zeigt, dass die Zahl der Sozialwohnungen sogar nochmal gesunken ist.

Kommunen und Kinderschützer: Kinderbonus reicht nicht

Kindergeld soll einmalig erhöht werden © dpa

Die Kommunen warnen vor sozialen Ungerechtigkeiten beim geplanten Bonus für Familien. Sie fordern gezieltes Gegensteuern. „Gerade Geringverdiener sollten besser gestellt werden“, sagte uns Gerd Landsberg, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes. „Die hart arbeitende Krankenschwester sollte eine Prämie für ihre Kinder weitgehend ungeschmälert bekommen, wohingegen bei Gut- und Besserverdienenden der übliche Steuersatz zu berücksichtigen ist." Landsberg betonte, eine finanzielle Besserstellung von Familie könne ein wichtiger Beitrag zu mehr Konsum und damit zum Ankurbeln der Wirtschaft sein: „Man sollte allerdings darauf achten, ein Element des sozialen Ausgleichs zu berücksichtigen.“

Für Kinder und Ärmere gibt es Einmalzahlungen. Das kann nicht unser Anspruch sein.

Heinz Hilgers, Chef des Kinderschutzbundes

Der Präsident des Kinderschutzbundes, Heinz Hilgers, hält den einmaligen Kinderbonus in Höhe von bis zu 600 Euro für unzureichend. "Geld ist immer gut. Aber wenn Sie das mal vergleichen mit den Summen, die die Wirtschaft bekommt, stellt man sich schon Fragen nach der Prioritätensetzung", sagt Hilgers. "Bei den Forderungen der Wirtschaftsverbände wird das Steuersystem zugunsten der Wirtschaft verändert - und zwar dauerhaft. Für Kinder und Ärmere gibt es Einmalzahlungen. Das kann nicht unser Anspruch sein."

Laut Hilgers braucht es für Deutschland eine dauerhafte Grundsicherung für Kinder. Es könne nicht sein, dass eine Spitzenverdiener-Familie am Tegernsee die gleiche Zuwendung bekomme wie eine fünfköpfige Familie aus Bremerhaven, die von Hartz-IV lebt. Hilgers: "Ob Spitzenverdiener auch 300 Euro Kinderbonus brauchen? Da habe ich meine Zweifel.“

Betreuungen, Mittagessen, pädagogische Hilfsangebote - alles ist weggefallen. Arme Kinder sind die einzige Bevölkerungsgruppe, bei der der Staat Geld eingespart hat.

Heinz Hilgers

Statt Einmalzahlungen müsse der Staat stärker in die Strukturen investieren, in denen Kinder leben. „Wichtiger als Einmalzahlungen wäre es, dass Schulen und Kitas wieder zuverlässig geöffnet haben. Die Ausstattung der Schulen geht nicht voran, das ist alles ein Trauerspiel. Man muss sagen, dass der Staat in dieser Krise gerade bei armen Kindern Geld gespart hat. Betreuungen, Mittagessen, pädagogische Hilfsangebote - alles ist weggefallen. Arme Kinder sind die einzige Bevölkerungsgruppe, bei der der Staat Geld eingespart hat.“

Heinz Hilgers  © dpa

Weil eine einmalige Zahlung nicht helfen würde, brauche es eine neue, ernsthafte Debatte um eine Kindergrundsicherung, fordert der Präsident des Kinderschutzbundes. "SPD, Grüne und Linke haben sich alle schon dafür ausgesprochen, selbst die FDP sieht das Problem und spricht von einem Kinderchancengeld", so Hilgers. Nur die Union weigere sich bislang. CDU und CSU halten das Kindergeld, den Kinderzuschlag und die Leistungen aus dem Teilhabepaketen für bedürftige Kinder für ausreichend. Dennoch sind alleine 1,5 Millionen Kinder in Deutschland von Hartz-IV-Zahlungen abhängig. Hilgers: "Wenn wir diese Kindergrundsicherung jetzt mit der Corona-Krise im Rücken nicht einführen, dann wird uns das künftig auch nicht mehr gelingen."

Nächtliche Beratungen im Kanzleramt © dpa

Die Spitzen der Koalition hatten gestern fast neun Stunden zum Konjunkturpaket im Kanzleramt beraten, waren aber ohne konkrete Zwischenergebnisse auseinandergegangen. Es habe eine "intensive Debatte über die konjunkturelle Wirkung der einzelnen Maßnahmen" gegeben, berichtete uns ein Teilnehmer. Kurz nach 23 Uhr tagten CDU und CSU sowie SPD noch getrennt voneinander. Es sei nichts geeinigt, bis nicht alles geeinigt sei. Heute morgen wollen die Beteiligten zunächst mit ihren Gremien beraten, bevor es nach der Kabinettssitzung im Koalitionsausschuss weiter geht.

Zwischenzeitlich lagen den Partei- und Fraktionsvorsitzenden sowie Kanzlerin Angela Merkel und Vizekanzler Olaf Scholz nach Angaben von Teilnehmern 60 Einzelmaßnahmen in einem Gesamtvolumen von 200 Milliarden Euro auf dem Tisch. Ziel sei aber ein Gesamtvolumen von maximal 100 Milliarden Euro. Die Familienförderung ist allerdings im Grundsatz bereits Konsens in der Koalition, offen sind die Details.

1. Gesetz gegen Manipulationen mit Passbildern

Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) will mit einem neuen Gesetz gegen gezielte Fälschungen mit Passbildern vorgehen. „Manipulationen bei der Passbeantragung und anschließende unerlaubte Grenzübertritte wird künftig dadurch entgegengewirkt, dass das Passbild ausschließlich digital von privaten Dienstleistern oder in der Behörde zu erstellen und zu übermitteln ist“, heißt es in einem Gesetzentwurf, der uns vorliegt und an diesem Mittwoch vom Bundeskabinett auf den Weg gebracht werden soll.

"Auf diese Weise manipuliert"

Das Innenministerium begründet die Initiative mit dem technischen Fortschritt bei der digitalen Bildbearbeitung, der inzwischen das so genannte „Morphing“ ermögliche. „Mit dieser Technik werden mehrere Gesichtsbilder zu einem einzigen Gesamtbild verschmolzen, das die Züge zweier oder mehrerer Gesichter in sich vereinigt“, heißt es in der Vorlage. „Ist ein auf dem Pass enthaltenes Lichtbild auf diese Weise manipuliert, kann nicht nur die Passinhaberin oder der Passinhaber, sondern unter Umständen auch eine dritte Person den Pass zum Grenzübertritt nutzen.“

Damit ist nach Einschätzung des Innenministeriums die Funktion des Passes als Dokument zur Identitätskontrolle im Kern bedroht: „Eine Überprüfung von Lichtbildern auf derartige Bearbeitungen ist nach dem gegenwärtigen Stand der Technik nicht zuverlässig möglich.“

2. Zahl der Sozialwohnungen in Deutschland sinkt weiter

Die Zahl der Sozialwohnungen in Deutschland ist zuletzt trotz des Engpasses auf dem Wohnungsmarkt in den Ballungszentren weiter gesunken. Das geht aus einem Bericht des Bundesbauministeriums hervor, der heute vom Bundeskabinett beraten wird und uns vorab vorliegt. Ende 2018 gab es bundesweit rund 1,18 Millionen Wohnungen mit Preisbindung. Das waren 42.898 weniger als ein Jahr zuvor - ein Rückgang um 3,5 Prozent. Zum Vergleich: Im Durchschnitt der vergangenen zehn Jahre hat sich die Zahl der Sozialwohnungen pro Jahr um 68.400 verringert.

Nach Angaben der Bundesregierung gab es vor allem in Berlin weniger Neubauten von Sozialwohnungen. Ein Anstieg gab es dagegen in Baden-Württemberg, Hamburg und Bremen. Der Bund fördert den Bau von Wohnungen für Geringverdiener jährlich mit einer Milliarde Euro. Zur Entlastung der Länder war die Summe während der Flüchtlingskrise zeitlich befristet um 500 Millionen Euro pro Jahr erhöht worden.

Das Gender-Problem im Innenausschuss

Am 25. Mai traf sich der Innenausschuss des Bundestags zu seiner 92. Sitzung - das Thema war die Wahlrechtsreform. Wir erhielten Einblick in das vorläufige Protokoll der Sitzung - und gleich zu Beginn machte die Ausschussvorsitzende Andrea Lindholz aus der Unionsfraktion auf ein Problem der besonderen Art aufmerksam: Alle Experten, die sich mit dem komplexen Thema befassten und eingeladen wurden, waren Männer. Sie wolle sich deshalb zu Beginn bei den "ausnahmslos - Herren Sachverständigen bedanken", sagte Lindholz. Hier der Wortlaut der Einleitung:

Protokoll Ausschuss Wahlrecht © ThePioneerBotschafterin Quinville und Parteichefin Kramp-Karrenbauer  © ThePioneer

Auf - „In Abwesenheit des Botschafters wird die Gesandte zur Geschäftsträgerin.“ Was formell klingt, ist eine bedeutende Personalie. Robin Quinville ist die neue US-Botschafterin in Deutschland, sie folgt auf den gestern zurückgetretenen Richard Grenell. Robin S. Quinville arbeitet seit Sommer 2018 als Gesandte der Botschaft in Berlin. Die 63-Jährige hat eine klassische Außenamts-Karriere hinter sich und führt als Stellvertreterin bereits seit Mitte Februar die Geschäfte, weil Grenell vorübergehend zum Geheimdienstkoordinator nach Washington berufen wurde. Quinville ist nun die Chefin von 1500 US-Amerikanern, die in Botschaften und Konsulaten in Deutschland ihre Heimat vertreten. Die Historikerin gilt als vernetzt, erfahren und sie spricht fließend deutsch. Ihren Präsidenten wird sie selbstbewusst vertreten, jüngst äußerte sie scharfe Kritik an China, dessen autoritärem Regime sie Lügen vorwirft. Nach Stationen in Wien, Brüssel, auf Zypern und in Athen war Quinville ein Jahr Stabschefin des US-Botschafters in Bagdad. Ihre Abschlüsse in europäischer Geschichte hat sie von der Columbia University in New York. Wir wünschen viel Erfolg - das transatlantische Verhältnis bedarf derzeit intensiver Betreuung.

Ab - In der Reihe der Politiker-Phrasen hat es CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer gestern zu neuen Weihen gebracht. "Ein Kraft-Paket für Deutschland!", "neue Kraft für starke Familien", eine "zukunftsfähige Wirtschaft", "sichere Jobs & echte Innovationen", und dann der bedeutungsschwere Höhepunkt: "eine gute Zukunft für alle Menschen in Deutschland". Das sei nun die Aufgabe der Koalition, betonte die CDU-Chefin in einem einzigen Tweet und sie zeigte damit, wie viele Worte es zuweilen brauchen kann, um nichts zu sagen. Nicht sprechen, wo es so viel zu besprechen gibt? Dann lieber gar kein Tweet.

Noch zwei Sitzungswochen bis zur Sommerpause. Doch die Chefs der Koalitionsfraktionen, CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt, SPD-Fraktionsvorsitzender Rolf Mützenich und CDU-Fraktionschef Ralph Brinkhaus wollen einen letzten Versuch zur Reform des Wahlrechts starten und sich angeblich schon kommende Woche erneut zu dem Thema treffen.

Die Reform ist nach einem Verfassungsgerichtsurteil von 2012 notwendig, da zu viele Überhangmandate "den Charakter der Wahl als Verhältniswahl" beeinträchtigen, wie die Richter damals urteilten. Seither wird gestritten und gerungen, doch ein Konsens ist noch nicht gefunden. Mit 709 Abgeordneten ist der Deutsche Bundestag das zweitgrößte Parlament der Welt.

Was habt ihr uns da nur eingebrockt?

Ein Unionsabgeordneter zum neuen Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts

Im Gespräch ist nun eine Version, die eine moderate Reduzierung der Wahlkreise ebenso vorsieht wie eine Reduzierung der Ausgleichsmandate ab einer bestimmten Zahl von Überhangmandaten. Dies hatte Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) schon früher in ähnlicher Variante vorgeschlagen. 2021 könnte zunächst "eine Notfallsystematik" greifen, damit der Bundestag nicht weiter anwächst, für die Legislaturperiode ab 2025 soll ein dauerhafter Mechanismus gefunden werden.

Als neulich ein hochrangiger Unionsabgeordneter in Berlin-Mitte auf den neuen Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Stephan Harbarth, traf, war das Wahlrecht sofort Thema. "Was habt ihr uns nur eingebrockt?", scherzte der Unionsabgeordnete. "Es war nicht mein Senat", entgegnete Harbarth, der seit 2018 dem Ersten Senat vorsitzt. Das Wahlrechts-Urteil hatte 2012 der Zweite Senat des obersten Gerichts in Karlsruhe gesprochen.

Unsere Leseempfehlungen für heute:

Rund drei Prozent der Frauen in Deutschland wurden in der Zeit der Kontaktbeschränkungen zu Hause Opfer körperlicher Gewalt, 3,6 Prozent wurden von ihrem Partner vergewaltigt. In 6,5 Prozent aller Haushalte wurden Kinder gewalttätig bestraft. Dies zeigt eine erste repräsentative Umfrage zu häuslicher Gewalt während der Corona-Pandemie. Janina Steinert, Professorin für Global Health an der TU München, und Cara Ebert vom Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung haben rund 3.800 Frauen zwischen 18 und 65 Jahren nach ihren Erfahrungen befragt. Die Studie ist hinsichtlich Alter, Bildungsstand, Einkommen, Haushaltsgröße und Wohnort repräsentativ für Deutschland. Ein schmerzhafter Blick der Technischen Universität München in ein erschreckendes Dunkelfeld. Lesenswert!

Angesichts der Corona-Pandemie und den Rassenunruhen in den USA geht das Gedenken an Walter Lübcke etwas unter. Der Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten vor einem Jahr hat Narben und Fragezeichen hinterlassen. Andreas Förster hat sich dem Fall für die Frankfurter Umschau gewidmet und bisher Unbekanntes recherchiert: Walter Lübcke hatte sich früh gegen Rechtsextremismus engagiert – und stand auf der Gegner-Liste des NSU. Der Grund dafür könnte Lübckes Arbeit in Thüringen in den 1990ern gewesen sein, wo sich der CDU-Mann in politischer Bildung von Jugendlichen und gegen rechte Strukturen engagierte. Spannende Lektüre!

Heute gratulieren wir zum Geburtstag:

Stephan Albani, Bundestagsabgeordneter (CDU), 52

Serdar Somuncu, Satiriker, Autor, Kabarettist und Podcaster ("Blaue Stunde"), 52

Margot Käßmann, evangelisch-lutherische Theologin und Pfarrerin, 62

Axel Vogel, Landwirtschaftsminister Brandenburgs (Grüne), 64

Evonik-Chef wird Vizepräsident im BDI

Der Titel Ruhrbaron hat mit dem Abstieg der Kohle- und Stahlkonzerne in Nordrhein-Westfalen an Glanz verloren, einflussreiche Industriemanager gibt es trotzdem noch im Ruhrgebiet. Der Mächtigste unter ihnen ist Evonik-CEO Christian Kullmann aus Essen. Der frühere Pressesprecher des Spezialchemiekonzerns ist der Zögling des verstorbenen früheren Evonik-Aufsichtsratschefs Werner Müller und wie Müller bestens in Politik und Wirtschaft vernetzt. Früh setzte Kullmann beispielsweise auf den Draht zum damaligen CDU-Oppositionspolitiker im Land, Armin Laschet, der inzwischen NRW-Ministerpräsident ist und CDU-Chef werden könnte. Kullmann sprach sich unlängst öffentlich für Laschet als CDU-Vorsitzenden aus.

Christian Kullmann  © dpa

Kullmann musste in der Corona-Krise zwar den Gewinn für Evonik korrigieren, doch ließ der 50-jährige Manager Anfang des Jahres rechtzeitig den Zukauf des US-Unternehmens Pewroxychem abschließen. Die Firma aus Philadelphia produziert Desinfektionsmittel - in der Corona-Pandemie ein Kassenschlager. Kullmanns Sichtbarkeit in Berlin dürfte im laufenden Jahr noch wachsen. Präsident des mächtigen Chemieverbands VCI ist er schon, im November soll der Aufstieg im Industrieverband BDI folgen. Kullmann soll zum Vize-Präsident gewählt werden.

Schauspieler Tyron Ricketts © ThePioneerIhre Informationen für uns © Media Pioneer

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Pioneer Editor, Gründungs-Chefredakteur The Pioneer
Pioneer Editor, Ex-Stellvertretender Chefredakteur The Pioneer
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