Corona-Politik

Lauterbachs Wende

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Guten Morgen,

herzlich willkommen zur neuen Ausgabe Ihres Hauptstadt-Newsletters direkt von der Pioneer One.

Unsere Themen heute:

  • Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach wollte für Corona-Infizierte nur noch eine freiwillige Isolation. Auf Druck von allen Seiten nahm er den Plan zurück. Wir haben die Hintergründe rekonstruiert.

  • Der Rüstungskonzern KMW hat angeboten, 50 alte Flugabwehr-Kanonenpanzer in die Ukraine zu exportieren, falls politisch gewünscht. Wir wissen, woran es scheitert.

  • Neben den Ukraine-Flüchtlingen kommen auch Drittstaatler über das Land nach Deutschland - wir kennen die aktuelle Zahl.

  • Vor der Ministerpräsidentenkonferenz ist der Streit um die Übernahme der Flüchtlingskosten nicht gelöst. Wir haben die Details.

  • Ein deutscher Bundestagsabgeordneter war am Donnerstag in der Ukraine - mit einer Delegation des Europarats. Wir haben mit ihm über seine Eindrücke gesprochen.

  • Armin Laschet bekommt einen neuen Posten im Bundestag, wir kennen ihn bereits.

Die Quarantäne-Wende

Es ist sicher der kurioseste und wohl einer der größten Fehler seiner bisherigen Amtszeit: Gesundheitsminister Karl Lauterbach wollte, dass sich Corona-Infizierte bald nicht mehr verpflichtend in Isolation begeben müssen, sondern nur noch freiwillig.

Ein Plan, der keine 48 Stunden Bestand hatte.

Karl Lauterbach bei seiner Pressekonferenz am Mittwoch © Imago

Zusammen mit unserem Kollegen Rasmus Buchsteiner haben wir die Vorgänge rekonstruiert: Vom Austausch mit den Gesundheitsministern der Länder am Montag, einer turbulenten Fraktionssitzung am Dienstag im Plenarsaal des Bundestages, über Lauterbachs Fahrt ins Studio von Markus Lanz in Hamburg-Altona bis zum dann folgenden, nächtlichen Tweet des Ministers. Gepostet um 2:37 Uhr.

Der Wendepunkt vollzieht sich am Dienstag um 15 Uhr, die Sitzung der Bundestagsfraktion: Es geht um die Impfpflicht, der Gesundheitsminister berichtet von den Bemühungen um einen Kompromiss.

Bei der Aussprache meldet sich zunächst der Fürther Umweltpolitiker Carsten Träger. Er hinterfragt als erster offen die neue Regelung, begründet dies mit der Situation der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Wie sollen die sich in Zukunft verhalten, wenn eine Infektion nicht mehr als Grund gilt, der Arbeit fernzubleiben?

Katrin Budde aus Sachsen-Anhalt meldet sich. Sie habe große Bedenken, sagt Budde. Was solle sie ihren über 80 Jahre alten Eltern sagen, die nun im Supermarkt nicht mehr sicher sein könnten, dass nicht auch Corona-Infizierte neben ihnen einkaufen?

Die Stimmung kippt. Gegen 16.30 Uhr endet die Sitzung, aufgewühlte Abgeordnete verlassen den Plenarsaal des Bundestags, wo die Fraktion getagt hat.

Mit der Ankündigung für eine freiwillige Isolation bei Infektion brachte er ausgerechnet diejenigen in der SPD gegen sich auf, die sich gerade um einen Impfpflicht-Kompromiss bemühten.

Scheitert die Vereinbarung, welche die Pflicht-Impfung nur noch ab 60 Jahren vorsieht, an diesem Donnerstag im Bundestag, wäre es die nächste Niederlage für Lauterbach.

Lesen Sie hier die vollständige Rekonstruktion:

Die nächtliche Wende

Gesundheitsminister Lauterbach revidiert seine eigenen Corona-Regeln. Die Chronik einer Chaos-Woche.

Artikel lesen

Veröffentlicht von Rasmus BuchsteinerGordon Repinski .

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Abgeordneter nach Ukraine-Besuch: Butscha wohl nur Spitze des Eisbergs

Frank Schwabe in Lviv  © privat

Der SPD-Menschenrechtsexperte Frank Schwabe hält die Gräueltaten von Butscha nicht für einen Einzelfall.

„Die Befürchtung ist ja, dass das, was wir jetzt sehen, wirklich nur die Spitze des Eisberges ist“, sagte Schwabe in einem Gespräch mit unserem Kollegen Rasmus Buchsteiner. „Es wird davon berichtet, dass die Russen dort mobile Krematorien anfahren lassen, um am Ende auch Beweise zu vernichten.“

Der SPD-Bundestagsabgeordnete war am Mittwoch mit einer Delegation des Europarats zu Gast im westukrainischen Lviv. Zu befürchten sei, „dass wir viel, viel Schlimmeres noch aufdecken werden als das, was wir schon gesehen haben“.

Schwabe ist Chef der sozialistischen und grünen Fraktion der Parlamentarischen Versammlung des Europarats. In dessen Auftrag arbeitet er gerade an einem Bericht zu den Auswirkungen des Krieges.

In der Ukraine werde durchaus zur Kenntnis genommen, "dass wir helfen". Deutschland habe seine Position auch verändert, was Waffenlieferungen angehe. Die Bundesrepublik werde als zentraler Akteur in der Europäischen Union gesehen, wegen seiner politischen und seiner ökonomischen Stärke: "Deswegen gibt es schon massiven Druck, dass wir härter agieren - noch härter, als es bisher getan wurde."

Fehlende Munition: Auch daran scheitert ein Panzer-Deal

Der Rüstungskonzern Krauss-Maffei Wegmann (KMW) wartet auch Wochen nach einem Schreiben an die Bundesregierung zu möglichen Panzerausfuhren an die Ukraine auf eine offizielle Rückmeldung. Weder das Bundesministerium der Verteidigung (BMVg) noch das Wirtschaftsministerium (BMWK) haben sich in der Münchner Konzernzentrale gemeldet, bestätigte uns ein KMW-Sprecher.

Beide Ressorts seien über die Verfügbarkeit von rund 50 Flugabwehrpanzern des Typs Gepard unterrichtet. Konzernchef Ralf Ketzer gab in einem Interview zuletzt an, eine "ablehnende Haltung" registriert zu haben.

Die Panzer sind nicht schrottreif, sondern seien nach einer Instandsetzung „innerhalb weniger Wochen“ ausfuhrbereit, sollte dies vor dem Hintergrund des Ukraine-Krieges gewünscht sein.

Flugabwehrpanzer Gepard  © dpa

Die Ukraine fordert vehement schweres Kriegsgerät. Deutschland lehnt das bislang ab.

Die Koalitionslinie ist aber nicht mehr einheitlich: Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) sagte öffentlich, auch die Ausfuhr von Systemen, die bislang nicht erwogen wurden, gehöre debattiert.

Unser Reporter Christian Schweppe recherchierte, dass Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) vor Abgeordneten im Bundestag ihre Linie nun ebenso gezogen hat: keine deutschen Panzer, keine Flugzeuge für die Ukraine.

Der Export der nach 2012 bei der Bundeswehr ausgemusterten Panzer scheiterte bislang auch daran, dass sie KMW abgekauft und getestet werden müssten – dafür fehlt Munition.

Das BMVg verwies auf Nachfrage ans Wirtschaftsministerium. Dieses wiederum auf Geheimhaltung.

Mehr als 13.000 Flüchtlinge aus Drittstaaten

Die Bundesministerinnen Annalena Baerbock und Nancy Faeser begrüßen ukrainische Flüchtlinge, die aus Moldau nach Frankfurt ausgeflogen wurden. © Imago

Unter den aktuell rund 300.000 aus der Ukraine in Deutschland angekommenen Flüchtlingen haben sich auch 13.500 Personen mit anderen Staatsangehörigkeiten befunden.

Dies geht aus den Erkenntnissen der Bundespolizei hervor, über die ein Vertreter des Innenministeriums am Mittwoch im Innenausschuss des Bundestags berichtet hat.

Demnach sind unter den Flüchtlingen wenige Afghanen, dafür zahlreiche andere Nationalitäten wie Personen aus Nigeria oder Nordafrika. Nach aktuellen Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden ist insgesamt nur eine geringe Anzahl Personen nach Deutschland eingereist, die eine kriminelle Vorgeschichte haben.

Vor MPK: Streit um Flüchtlingskosten

Unmittelbar vor der heute in Berlin stattfindenden Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) mit SPD-Bundeskanzler Olaf Scholz verhärtet sich der Streit zwischen den Ebenen um die Übernahme der Flüchtlingskosten.

Die Debatte begründet sich zwar mit der hohen Anzahl geflüchteter Menschen aus der Ukraine, doch der Streitpunkt ist aktuell auch, ob es eine Anschlussfinanzierung für Flüchtlinge aus der Migrationskrise 2015 geben soll. Die Leistungen dafür waren Ende des vergangenen Jahres ausgelaufen.

Olaf Scholz im Deutschen Bundestag © dpa

Der Bund lehnt eine Anschlussregelung ab. Kanzleramt und Finanzministerium begründen dies damit, dass das sonstige Flüchtlingsaufkommen zurückgegangen und die Finanzierung eigentlich Sache der Länder sei.

Die Beteiligung des Bundes sei vor allem darin begründet gewesen, dass 2015 die BAMF-Verfahren verzögert bearbeitet worden wären. Die Länder beharren dennoch auf eine Anschlussregelung, weil die Belastungen durch die neuen Flüchtlinge hoch seien.

Ebenfalls noch nicht geeint ist die Frage, ob und wann die Ukraine-FIüchtlinge durch das SGB II Unterhalt zugesprochen bekommen sollen. Zwar hat sich der Bund zu dieser - teureren - Lösung bereit erklärt, jedoch soll sie bevorzugt erst nach drei Monaten greifen.

Neben der Kostenfrage soll nach unseren Informationen bei der MPK auch über die Fragen von Energie und Versorgungssicherheit sowie über die Ernährungssicherheit debattiert werden.

Annalena Baerbock würdigt weißrussische Oppositionelle. Bei der Verleihung des Internationalen Karlspreises im Mai in Aachen wird die Außenministerin die Laudatio auf die Aktivistinnen Maria Kalesnikava, Swetlana Tichanowskaja und Veronica Tsepkalo halten, erfuhren wir.

Im Dezember - also vor dem Ukraine-Krieg - hatte das Karlspreis-Direktorium den Preis, der seit 1950 vergeben wird, damit begründet, dass "gerade an den Außengrenzen der Union die brüchige Kostbarkeit unserer Friedens- und Freiheitsordnung zutage" trete. Der Einsatz der drei Frauen gegen Unterdrückung und Willkür sei beispielhaft.

Mit dem Überfall Russlands auf die Ukraine ist der Krieg in Europa angekommen. Diskutiert wird, ob auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskij gesondert gewürdigt werden kann.

Im Bundestag wird der ehemalige Kanzlerkandidat der Union und inzwischen einfache Abgeordnete Armin Laschet (CDU) am heutigen Donnerstag einen neuen Posten erhalten. Um 8 Uhr konstituiert sich im Parlament der Unterausschuss für Abrüstung und Rüstungskontrolle, Laschet soll dabei zum Vorsitzenden ernannt werden. Der vorerst einzige Tagesordnungspunkt des Gremiums.

Künftig 1.250 Soldaten in Berlin-Schönefeld

SPD-Verteidigungsministerin Christine Lambrecht hat in einem Schreiben an Unions-Fraktionschef Friedrich Merz Verschiebungen bei der Stationierung von Bundeswehr-Einheiten erläutert, die in den nächsten Monaten umgesetzt werden sollen.

Schreiben Lambrecht Merz © The Pioneer

Unter anderem erläutert Lambrecht, mit welchen Folgen die Flugbereitschaft künftig in Berlin-Schönefeld stationiert sein wird. Die Anzahl der an den alten Standorten in Köln und in Berlin stationierten Soldaten verschiebt sich.

In Köln werden dann 6.670, in Berlin 1.250 Soldaten eingesetzt sein. Ebenfalls kündigt Lambrecht an, dass ab dem Jahr 2023 in Schwarzenborn in Nordhessen die Fernspähkompanie 1 stationiert sein wird. Hierzu werden die Soldaten aus den Standorten Lebach und Seedorf zusammengeführt.

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Auf - Markus Lanz. Der König der politischen Talkshow hatte den richtigen Riecher. Zur nächtlichen Stunde verkündete Gesundheitsminister Karl Lauterbach in der ZDF-Sendung die Kehrtwende bei der Corona-Isolation. Und er tat dies spontan, wie Teilnehmer berichten. Nur Olaf Scholz wusste Bescheid. Dabei nahm Lanz den SPD-Mann ordentlich in die Zange, so wie er es lustvoll immer wieder bei seinen Gästen macht. Doch selbstbewusste Politiker wie Lauterbach nutzen die Bühne inzwischen bewusst, um ihre Politik zu erklären und damit Massen zu erreichen. Für Lanz ist das der Ritterschlag. Die mutigen Politiker und Politikerinnen kommen zu ihm. Und die, die etwas zu sagen haben.

Ab - Andrij Melnyk, ukrainischer Botschafter in Deutschland, hat so früh und klarsichtig wie kaum jemand in diesem Land vor russischer Aggression in der Ukraine gewarnt. Sein Drängen für mehr Unterstützung für die Ukraine muss gehört und respektiert werden. Aber bei aller Solidarität: Melnyks jüngste Behauptung, wonach "alle Russen" Feinde seien, trifft nicht zu und wird dem Mut russischer Oppositioneller nicht gerecht. Heute unser Absteiger.

"Das Chaos in der Corona-Politik ist wieder einmal perfekt", schreibt Eva Quadbeck, stellvertretende Chefredakteurin und Leiterin im Hauptstadtbüro des RND, in ihrem Kommentar. "Während in der vergangenen Wahlperiode das Chaos um die Corona-Entscheidungen in schöner Regelmäßigkeit in den Ministerpräsidentenrunden mit der Kanzlerin verursacht wurde, wollte die Ampel die Entscheidungen in den ,parlamentarischen Raum' verlegen. Da kann man eigentlich nur noch mit Zynismus reagieren: Feine Sache – jetzt tobt der Irrsinn eben im Parlament und im Gesundheitsministerium." Wir sagen: Auf den Punkt!

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hat die Bundesnetzagentur als Treuhänderin des deutschen Ablegers von Gazprom eingesetzt – "nun muss er auch offen über die Finanzlange des Unternehmens sprechen", fordert Thomas Sigmund, Leiter des Handelsblatt-Hauptstadtbüros. Habeck und Bundesnetzagentur-Chef Klaus Müller sollten für schnelle Transparenz sorgen. "Denn sie hantieren mit dem Geld des Steuerzahlers. Auch hier sind sie Treuhänder." Lesenswerter Kommentar!

Heute gratulieren wir herzlich:

Axel Voss (CDU), Mitglied des Europäischen Parlaments, 59

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Wir wünschen Ihnen einen elanvollen Start in diesen Donnerstag!

Herzlichst,

Ihre

Pioneer Editor, Gründungs-Chefredakteur The Pioneer
Pioneer Editor, Ex-Stellvertretender Chefredakteur The Pioneer
  1. , Pioneer Editor, Gründungs-Chefredakteur The Pioneer
  2. , Pioneer Editor, Ex-Stellvertretender Chefredakteur The Pioneer

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