herzlich willkommen zum Briefing aus der Hauptstadt – direkt von der Pioneer One.
Unsere Themen heute:
Parteiübergreifend bröckelt das Nein zu einer Impfpflicht. Wir haben uns umgehört.
Die EU sucht nach einem einheitlichen Umgang mit Booster-Impfungen.
Trotz der Rekordinfektionen in der Corona-Pandemie: Die meisten Länder wollen an der Präsenzpflicht an Schulen festhalten.
Die Ampel-Parteien schlagen neue Töne gegenüber Russland und China an. Wir kennen die Details aus dem Koalitionsvertrag.
Eine Hausärztin beklagt Politikversagen in der vierten Corona-Welle - und macht konstruktive Vorschläge.
Letzter Ausweg Impfpflicht
Es war lange eines der letzten Tabus in der Corona-Politik - doch nun scheint auch die Impfpflicht nicht mehr fern zu sein.
Bereits in den vergangenen Tagen mehrten sich die Fürsprecher aus den Reihen der Union: CSU-Chef Markus Söder ist dafür, Hessens Volker Bouffier ebenso, Schleswig-Holsteins Daniel Günther öffnet sich - und auch Sachsen-Anhalts Reiner Haseloff. Sie alle stellten sich gegen Noch-Gesundheitsminister Jens Spahn, der in den letzten Tagen seiner Amtszeit seine Haltung nicht mehr ändern will.
Und nun bewegen sich - langsam - auch FDP und SPD, die lange strikt dagegen waren.
Der Grund: Die stark steigenden Inzidenzen - gerade auch die steigenden Hospitalisierungsraten, also die Zahl der Corona-Patienten in den Kliniken.
Und eine aktuelle Studie, die am Dienstag in der Sitzung des Krisenstabs der Bundesregierung vorgestellt wurde. Sie zeigt, wie sehr die Wirksamkeit der meisten Impfstoffe schon nach weniger als einem halben Jahr nachlässt.
Eine Infografik mit dem Titel: Impfung: Wirksamkeit schwindet
Wirksamkeit der Impfung gegen Corona, in Prozent
Die aktuelle Lage lässt nun auch bei SPD und FDP die Stimmung - langsam - kippen.
Bei den Kollegen von Bild sagte SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach, man müsse sich "einer Impfpflicht nähern".
Ähnliches vernehmen wir aus den Bundesländern:
Niedersachsens Stephan Weil sagt:
Unter bestimmten Bedingungen kommt eine Impfpflicht in Betracht.
Weil, so erfuhren wir, fürchtet aber, dass eine Impflicht von den Gerichten kassiert werden könnte, sofern nicht zunächst die Effektivität aller anderen Maßnahmen ausgetestet werde. Man habe "nur einen Schuss", heißt es in Hannover uns gegenüber.
Ähnliche Ansichten vertreten die Kolleginnen und Kollegen aus den anderen SPD-geführten Ländern:
Andreas Bovenschulte aus Bremen sagt: „Eine Impfpflicht können wir für die Zukunft mit Blick auf die bundesweite Situation nicht ausschließen und wir müssen sehr ernsthaft darüber diskutieren.“
Hamburgs Peter Tschentscher sagt: "Ich halte eine Allgemeine Impfpflicht nicht für ausgeschlossen, wenn eine ausreichende Impfquote auf andere Weise nicht erreicht werden kann."
Mecklenburg-Vorpommerns Manuela Schwesig will zunächst eine Impfpflicht für bestimmte Einrichtungen: „Die Länder haben bei der MPK am letzten Donnerstag die Bundesregierung gebeten, schnellstmöglich eine Impfpflicht für alle MitarbeiterInnen in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen einzuführen. Ich halte es für wichtig, dass der Bund das jetzt schnell umsetzt.“
Die FDP hat die Wende vollzogen. Sie öffnet sich erstmals für eine Impfpflicht, die auf bestimmte Einrichtungen wie Pflegeheime bezogen wäre.
Vorausgegangen waren Debatten unter anderem mit der Ethikrat-Vorsitzenden Alena Buyx.
Alena Buyx © Anne Hufnagl„Wir Freie Demokraten stellen uns der Diskussion um eine Impfpflicht", sagte uns dazu FDP-Gesundheitsexpertin Christine Aschenberg-Dugnus. Eine allgemeine Impfpflicht sieht sie kritisch, allerdings halte sie "eine partielle Impfpflicht für den medizinischen Bereich für denkbar".
FDP-Fraktionsvize Michael Theurer setzt auf boostern und testen:
„Eine Flankierung dieser Maßnahmen mit einer Impfnachweispflicht für Hochrisikobereiche wäre sinnvoll.“
Am Dienstag debattierten die FDP-Bundestagsabgeordneten Pro und Contra in einer dreistündigen Fraktionssitzung. Nachher hörten wir, dass die Liberalen zwei Bedingungen für eine einrichtungsbezogene Impfpflicht unbedingt erfüllt sehen: Es müsse „eine zeitliche Begrenzung“ geben - und die „Einbettung in eine breite Impfkampagne“.
Auf dieser Grundlage soll es nun Gespräche mit den Ampel-Partnern SPD und Grünen geben.
1. Unklarheiten um europäischen Impfpass
Auf europäischer Ebene gibt es Unklarheiten darüber, wie mit dem europäischen Impfpass in Anbetracht der Booster-Impfungen umgegangen werden soll. Bisher gilt Reise- und Testfreiheit für vollständig Geimpfte. Eine europäische Vereinheitlichung der zusätzlichen Impfung wird nun gesucht.
© imagoBei einem Treffen des Rates am Dienstag haben sich die zuständigen Minister der Länder über die unterschiedlichen Ansätze zunächst ausgetauscht. Problematisch ist, dass in manchen Ländern wie Frankreich bereits umfassend geboostert wird, in Belgien etwa aber bisher nur besonders vulnerable Gruppen die Impfung erhalten.
Am Donnerstag will die Kommission eine Empfehlung zu dem Thema vorlegen, hören wir aus Brüssel. Das Ziel ist eine Regelung zum anstehenden Weihnachtsverkehr zwischen den Ländern.
2. Corona: Fast alle Länder bleiben bei Präsenzpflicht in Schulen
Schutzmaßnahmen Corona © dpaDie meisten Länder wollen in der vierten Corona-Welle weiter an Präsenzunterricht in den Schulen festhalten. Das ergab eine Umfrage unseres Kollegen Rasmus Buchsteiner in den zuständigen Ministerien der Länder.
Brandenburgs Bildungsministerin Britta Ernst (SPD), derzeit Chefin der Kultusministerkonferenz, hatte am Dienstag überraschend erklärt, die Präsenzpflicht an den hiesigen Schulen solle ausgesetzt werden. Dies sei Wunsch vieler Eltern. Zudem will Ernst den Beginn der Weihnachtsferien um drei Tage vorziehen.
In Sachsen gibt es in den Schulen angesichts der verheerenden Corona-Lage seit einiger Zeit keine Präsenzpflicht.
Aus Bremen, Berlin, Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und Hamburg hörten wir dagegen, es solle beim Unterricht in der Schule bleiben.
© dpaAllerdings werde die Entwicklung der Corona-Zahlen in den Schulen "fortlaufend und entsprechend der geltenden Schutzmaßnahmen bewertet", heißt es etwa aus Hamburg.
„Wenn sich die Inzidenzen weiter so negativ entwickeln, kann die erneute Aufhebung der Präsenzpflicht sinnvoll sein.“
Auch in Rheinland-Pfalz und Thüringen werden Veränderungen nicht ausgeschlossen. Es werde derzeit über mögliche Neuregelungen in vielen gesellschaftlichen Bereichen diskutiert und beraten. „Ob und wie der Bereich Schule dann eventuell davon betroffen ist, kann ich nicht vorhersagen“, so ein Sprecher des Bildungsministeriums in Erfurt.
Anders dagegen positioniert sich die Landesregierung in Hessen. „Politik und Gesellschaft haben das klare Versprechen an die Bürgerinnen und Bürger gegeben, dass die Schulen dauerhaft offen sind und Präsenzunterricht stattfindet“, so das Kultusministerium in Wiesbaden. Schulen seien in der Pandemie „vermutlich die Einrichtungen mit den höchsten Hygiene- und Sicherheitsstandards“.
3. Hausärztin: "Die Politik hat versagt"
Die Brandenburger Hausärztin Margit Inacker hat im Gespräch mit uns die Politik scharf für die Versäumnisse der vergangenen Wochen kritisiert. Und sie fordert eine Einbeziehung der Fach- und Zahnärzte sowie der Apotheken in die Impfkampagne.
"Alle Ärzte sollen mitimpfen, also auch die Fachärzte und Zahnärzte. Ebenfalls Apotheker und alle, die es können. Es war zu kurzsichtig, die Impfzentren zu schließen", sagte Inacker.
Das kommunikative Chaos zwischen den Gesundheitsministern und der Ständigen Impfkommission (Stiko) sei verheerend, sagt die Ärztin aus Kleinmachnow in der Nähe von Berlin.
"Mit Ansteigen der Covid-Zahlen werden wir Hausärzte von Patienten als Sündenbock der Politik behandelt. Meine Mitarbeiterinnen und ich werden in aggressivster Art und Weise dafür angegriffen, dass wir den Patienten nicht sofort Ihren Covid-Wunsch-Impftermin zur Verfügung stellen."
Hier lesen Sie das gesamte Interview.
4. Security Briefing: Die Außenpolitik der Ampel
Wenn SPD, Grüne und FDP heute ihren Koalitionsvertrag vorstellen, dürften einige Passagen aus den Kapiteln zur Außen- und Sicherheitspolitik für Aufsehen sorgen.
In der neuen Ausgabe unseres Security Briefing berichten wir, wie die Ampel gegenüber Russland und China auftreten will, wie der Kompromiss im Streit um das Zwei-Prozent-Ziel der Nato aussieht, warum sich die neue Ampel-Koalition besonders um Polen kümmern will und wie sich Deutschland gegen Atomwaffen einsetzen will - ohne die befreundeten Nato-Atommächte USA, Frankreich und Großbritannien zu verärgern.
Im mitgliederstarken CDU-Bezirksverband Mittelrhein mit rund 14.000 Mitgliedern droht eine Kampfkandidatur um den Vorsitz.
Der bisherige Vorsitzende, der Europa-Abgeordnete Axel Voss, will angeblich erneut antreten, doch gibt es in Teilen der Partei im Köln-Bonner-Raum Kritik an seinem bisherigen Auftreten. Zu wenig präsent, heißt es. Zu wenig Profil. Als möglicher Kandidat gilt nun auch der NRW-Landtagsabgeordnete Björn Franken.
Zu dem Bezirksverband gehört auch Norbert Röttgen, der Kandidat für den Bundesvorsitz.
Der Kandidat für den CDU-Bundesvorsitz Helge Braun sieht die Oppositionsrolle auch als Chance für seine Partei, um mehr Profil zu zeigen.
„Weil wir in 16 Jahren in der Regierung oft unsere Position im Kompromiss nicht mehr erkennen und erklären konnten, ist auch die Opposition eine Chance für uns als Partei“, heißt es in einem Mitgliederbrief Brauns, der uns vorliegt.
Die CDU müsse, um wieder mehrheitsfähig zu werden, große Teile der Gesellschaft überzeugen. "Das gilt besonders bei Frauen und jungen Leuten, die sich bei dieser Bundestagswahl in großer Zahl abgewandt haben“, so Braun weiter. Der geschäftsführende Kanzleramtschef hatte seine Kandidatur am Montag bekanntgegeben.
Das Bundeskabinett beschäftigt sich an diesem Mittwoch noch einmal mit der bereits beschlossenen Pflicht zum Einbau fernablesbarer Zähler oder Heizkostenverteiler in unseren Häusern und Wohnungen.
Bis zum 31. Dezember 2026 müssen entsprechende Nachrüstungen erfolgt sein. Wo neue Geräte bereits eingebaut sind, sind Eigentümer ab dem 1. Januar 2022 verpflichtet, monatlich Verbrauchsinformationen mitzuteilen.
Auf - Serap Güler. Die ehemalige Integrations-Staatssekretärin in NRW ist die Überraschungskandidatin im Team von Helge Braun für den CDU-Vorsitz. Die 41-jährige Kölnerin überzeugte die Hauptstadt-Presse bei der Vorstellung des Teams am Dienstag mit einem leidenschaftlichen und engagierten Auftritt. Güler ist eine Liberale, aber in der Integrations- und Flüchtlingspolitik vertritt sie durchaus konservative Positionen und wirbt für eine klare Umsetzung des Rechtsstaats auch an der EU-Außengrenze. Güler geht ungern einem guten Diskurs aus dem Weg, sei es mit den Erdogan-Fans in der türkisch-deutschen Community oder dem CDU-Wirtschaftsflügel bei Twitter. Und sie kann sich korrigieren. Dass sie den rhetorisch ebenfalls gerne zupackenden Hauptgeschäftsführer der Mittelstandsunion, Thorsten Alsleben, nach einem Streit vor einiger Zeit bei Twitter blockte, hob sie nun wieder auf. Als mögliche Generalsekretärin muss man integrieren können. Unsere Aufsteigerin!
Ab - Erfurts Oberbürgermeister Andreas Bausewein ist als Politiker eigentlich eher für das Aufstellen von Regeln zuständig als für das Unterlaufen, aber, na gut, jetzt ist es halt mal anders gelaufen. Eigentlich dürfen im von der Pandemie besonders geplagten Thüringen im Außenbereich nur noch Veranstaltungen mit bis zu 2.000 Personen stattfinden. Doch weil Bausewein den Weihnachtsmarkt in seiner Stadt lieber mit bis zu 6.000 Personen ermöglichen wollte, hat er das Gelände kurzerhand in drei Teile gestückelt und eröffnet am kommenden Dienstag nun drei aneinander grenzende Schunkelmärkte. Parallel wird in Thüringer Krankenhäusern die Triage vorbereitet, weil die Intensivstationen sich der Belastungsgrenze nähern. Wer erleben will, wie Politik in Ausnahmekrisen ihre eigene Glaubwürdigkeit unterläuft, der ist in diesen Tagen in Erfurt gut aufgehoben. Für Bausewein geht es bergab.
Joachim Sauer, der Ehemann von Noch-Kanzlerin Angela Merkel, äußert sich so gut wie nie zu aktuellen Themen. Nun hat der Quantenchemiker im Gespräch mit der italienischen Zeitung La Repubblica zur niedrigen Impfquote in Deutschland Stellung bezogen. "Es ist erstaunlich, dass ein Drittel der Bevölkerung nicht den wissenschaftlichen Erkenntnissen folgt. Zum Teil liegt das an einer gewissen Faulheit und Bequemlichkeit der Deutschen", so Sauer. "Die andere Gruppe sind Menschen, die einer persönlichen Überzeugung folgen, einer Art ideologischer Reaktion auf das, was sie für eine Impfdiktatur halten." Hier ist das kurze, aber knackige Gespräch mit Sauer nachzulesen.
Die rot-grün-roten Koalitionsverhandlungen in Berlin standen im Schatten der Ampel-Gespräche im Bund. FAZ-Korrespondent Markus Wehner hat sich das wohl künftige Berliner Regierungsbündnis genauer angeschaut und schreibt: "Sollen große Immobilienunternehmen in der Hauptstadt enteignet werden? Die Frage hätte die rot-grün-roten Koalitionsverhandlungen in Berlin sprengen können." Nun habe man sich auf einen Kompromiss verständigt - und der "besteht darin, dass das Problem weiter vertagt wird – allerdings mit verbindlichen Regelungen. Interessante Einblicke!
Heute gratulieren wir herzlich:
Hermann Otto Solms, FDP-Politiker und früherer Bundestagsvizepräsident, 81
Wiebke Papenbrock, SPD-Bundestagsabgeordnete, 42
Sie sind ein Insider und haben einen vertraulichen Tipp, den Sie mit der Redaktion teilen wollen? Oder eine sensible Neuigkeit? Schicken Sie uns Ihre Informationen! Lesen Sie hier mehr darüber, wie sie mit uns Kontakt aufnehmen können.
Starten Sie gut in den Tag!
Herzlichst,
Ihre