unsere Themen heute:
Lieferkettengesetz: Warum Marco Buschmann jetzt in die Defensive gerät.
Historiker Andreas Rödder im Hauptstadt-Podcast über Parallelen zwischen AfD und BSW.
Die FDP stellt sich gegen die Familien-Startzeit.
Das Chaos in der AfD Baden-Württemberg nimmt kein Ende.
Die Energiewirtschaft kritisiert die Ladesäulen-Pflicht für Tankstellen.
Lieferkettengesetz: Buschmann in Erklärungsnot
Für das geplante Lieferkettengesetz gibt es unter den EU-Staaten weiterhin keine Mehrheit. Auch, weil sich das einflussreichste Mitgliedsland Deutschland enthält – auf Drängen der FDP.
Wer Justizminister Marco Buschmann (FDP) in den vergangen Tagen und Wochen gefragt hat, wie es zum Nein der Liberalen kommen konnte, bekam immer diese Antwort: Das dürfe niemanden überraschen. „Rote Linien“ seien nicht eingehalten worden – konkret geht es um das Fehlen einer „Safe Harbour“-Klausel.
Das Papier
Unserem Kollegen Thorsten Denkler liegt jetzt aber eine in der Bundesregierung abgestimmte formelle Weisung an die deutschen EU-Lieferketten-Verhandler vor, die Buschmanns Argument in Zweifel zieht.
Das Brisante: In der Weisung vom 13. September 2023 wird die in einer Protokollerklärung vom November 2022 festgelegte deutsche Position einer zwingend nötigen Safe Harbour-Lösung zugunsten einer Art „Safe Harbour light”-Variante geräumt.
Die Minister Buschmann und Lindner lehnen das EU-Lieferkettengesetz in seiner jetzigen Form ab. © dpaDie ursprünglich geplante Regelung würde unter bestimmten Voraussetzungen Unternehmen von Haftungsverpflichtungen ausnehmen, falls in ihrer Lieferkette grobe Verstöße gegen die Vorgaben festgestellt werden. Etwa Menschenrechtsverletzungen.
Mit der Light-Version würde die Haftungsverpflichtung nicht automatisch entfallen, wie initial angedacht, sondern geprüft werden. In der Weisung heißt es explizit, dieser Vorschlag „ersetzt“ die bisherige Verhandlungsposition.
Die grüne Vorsitzende des Ausschusses für Binnenmarkt und Verbraucherschutz im Europaparlament, Anna Cavazzini, ist empört. Sie sagt uns:
Grünen-Europaabgeordnete Anna CavazziniBuschmann hat öffentlich den Eindruck vermittelt, er habe immer schon gesagt, ohne Safe Harbour nicht zustimmen zu wollen. Jetzt liegt der Beweis vor, dass das nicht stimmt.
Das Justizministerium bestätigt auf unsere Nachfrage, dass es das Kompromissangebot gab. Weil der „Fortgang der Verhandlungen gezeigt hat, dass eine Safe-Harbour-Regelung nicht durchsetzbar ist“.
Unsere Kollegin Claudia Scholz hört zudem aus Regierungskreisen, Deutschland habe zu keinem Zeitpunkt der Verhandlungen eine Zustimmung zu dem endgültigen Richtlinien-Text erklärt oder in Aussicht gestellt.
Der neue Streit
Gestritten wird nun, ob die Light-Version Eingang in das Trilog-Ergebnis gefunden hat. Das Justizministerium sagt: Der Kompromiss wurde „nur teilweise und lückenhaft“ aufgenommen. Deswegen erfülle es nicht die Ziele der Bundesregierung.
Dem widerspricht Finn Schufft, Referent für Unternehmensverantwortung bei Germanwatch. Er sagt uns, der alternative Kompromiss wurde „mehr oder weniger eins zu eins im Trilog-Text übernommen“, zum Teil wortgleich.
Aus Brüsseler Diplomatenkreisen hören wir ebenfalls, dies sei der Fall. Deutschland und damit auch Buschmanns Justizministerium seien zudem ständig über die Verhandlungen auf dem Laufenden gehalten worden. Nur habe sich die FDP irgendwann danach entschieden, „den Pfad der konstruktiven Zusammenarbeit zu verlassen“.
Die Lösungschancen
Das Fenster für eine Einigung wird immer kleiner. Am Mittwoch ergab eine Abfrage, dass 14 EU-Mitgliedsstaaten zu einer Enthaltung oder Ablehnung der Richtlinie tendierten. Doch das Stimmungsbild könnte sich wieder erheblich ändern, wenn sich Deutschland doch auf ein Ja festlegen würde, wird uns signalisiert. Aber das gilt als unwahrscheinlich.
Eine Infografik mit dem Titel: Keine ausreichende Mehrheit für Lieferkettengesetz
Stimmungsbild unter den 27 EU-Mitgliedsländern zum Lieferkettengesetzesentwurf nach Anteil der EU-Bevölkerung, in Prozent
Zwei Möglichkeiten kristallisieren sich gerade heraus, das Gesetz noch zu retten: Entweder, ein extra auf Deutschland zugeschnittenes Gesetz wird verhandelt. Oder der Gesetzgebungsprozess wird eingefroren und erst weit nach der Europawahl im Juni wieder aufgetaut. Aber ob nach der Wahl noch die nötige Mehrheit für eine Verabschiedung da ist, steht in den Sternen.
Zur tieferen Einsicht stellen wir hier das Trilog-Ergebnis zum Download bereit. Die angesprochenen deutschen Kompromisslinien sind gelb hervorgehoben:
Rödder: BSW bedient gleiches Politik-Modell wie AfD
Im Hauptstadt-Podcast benennt Historiker Andreas Rödder die aus seiner Sicht „erheblichen Gemeinsamkeiten“ von AfD und dem Bündnis Sahra Wagenknecht:
Das Interessante ist, dass sie ein Modell bewirtschaftet, das einerseits national und andererseits sozial argumentiert.
Das sei das gleiche Politikmodell, das die AfD auch bediene. „Und das liegt quer zu der klassischen Auseinandersetzung zwischen, sagen wir, den Grünen und der Union.“
„Wagenknecht denkt stark in Kollektiven, genauso wie das die AfD tut.“ Auch die Putin-Unterstützung sei eine Parallele zwischen beiden Parteien.
Prof. Andreas Rödder © dpaDas ganze Interview hören Sie in der neuen Folge des Hauptstadt-Podcasts. Außerdem sprechen The Pioneer-Chefkorrespondentin Politik, Karina Mößbauer, und Jörg Thadeusz über:
Taurus-Lieferungen und die neu entfachte Debatte um Bodentruppen.
Im Zwischenruf spricht Hans-Ulrich Jörges über die Remigrations-Pläne der AfD.
Im kürzesten Interview der Berliner Republik: Florian Harms, Chefredakteur von t-online.
Ampel streitet über Finanzierung der Familienstartzeit
Die im Koalitionsvertrag der Ampel vereinbarte Familienstartzeit kommt nicht voran. Denn: Die Finanzierung ist ungeklärt. Das Gesetz hängt in der Ressortabstimmung, wie unser Kollege Thorsten Denkler hört.
Für die Familienstartzeit sollen Eltern in den ersten beiden Wochen nach einer Geburt bezahlten Urlaub nehmen können. Bisher war der Plan, dass dies über erhöhte Arbeitgeberanteile zur Krankenversicherung finanziert werden soll. Die Kosten: etwa 550 Millionen pro Jahr.
Lisa Paus unterhält sich mit Kindern © imagoAus der FDP-Spitze hören wir mit Blick auf die Familienstartzeit: „Das wird nicht kommen.“
In der FDP wird auf das Belastungsmoratorium für Unternehmen verwiesen, dass das Ampel-Kabinett 2023 beschlossen hat. FDP-Chef Christian Lindner will verhindern, dass Unternehmen weiter belastet werden.
Grüne und SPD pochen auf die Einhaltung des Koalitionsvertrages, in dem die Familienstartzeit verabredet wurde. Sie sollte ursprünglich seit Januar gelten.
FDP-Vorstandsmitglied Gyde Jensen sagt uns:
Die Freien Demokraten streben eine gesetzliche Regelung an, die in der aktuellen Konjunkturlage umsetzbar ist.
Und weiter: „Eine denkbare Alternative zu Unternehmensumlage wäre, die Familienstartzeit über Steuergelder, also aus dem Haushalt, zu finanzieren – der Vorschlag dafür müsste aus dem Familienministerium kommen.“
Die Gegenforderung lautet also, dass Familienministerin Lisa Paus (Grüne) den Betrag aus ihrem Haushalt stemmen soll. Paus lehnt dies ab. Ihr Budget gebe das nicht her.
Nach einer internen Berechnung des Familienministeriums müssten Unternehmen mit zehn Mitarbeitern mit Mehrkosten von zusammen etwa zehn Euro pro Monat rechnen.
Chaos in der AfD Baden-Württemberg nimmt kein Ende
Nach dem chaotischen Landesparteitag der AfD Baden-Württemberg in Rottweil am vergangenen Wochenende ist der interne Machtkampf trotz eines eindeutigen Votums für das Lager um die Bundesvorsitzende Alice Weidel nicht vorbei.
Das unterlegene Lager um die ehemaligen Landesvorstandsmitglieder Martina Böswald, Christof Deutscher, Reimond Hoffmann, Taras Maygutiak, Günther Schöttle und Severin Köhler will mit einer Klage die Rechtmäßigkeit des Parteitags in Rottweil anzweifeln. Das erfuhr unser Kollege Jan Schroeder aus Parteikreisen.
Dem Weidel nahestehenden Landesvorstand um Emil Sänze und Markus Frohnmaier wird „undemokratische Wahlbeeinflussung und illegaler Stimmenfang“ vorgeworfen. Weidel selbst wird in internen Telegram-Chats, die uns vorliegen, als „Diktatorin“ bezeichnet – ganz zu schweigen von weiteren, nicht-zitierfähigen Invektiven.
Alice Weidel © dpaDas Weidel-Lager verbreitet seinerseits professionell produzierte Videoclips in internen Telegram-Gruppen, in denen die Opposition des parteischädigenden Verhaltens bezichtigt wird.
Die Konfliktlinien innerhalb der Partei, bei denen es in der Vergangenheit auch schon zu tätlichen Angriffen gekommen sein soll, verlaufen dabei nicht entlang politischer Positionen. Stattdessen scheint es um Geld zu gehen. Den Landesvorsitzenden Sänze und Frohnmaier wird unter anderem vorgeworfen, befreundete Mitglieder zum Schein zu beschäftigen.
Außerdem geht es vor dem Landgericht Stuttgart um zwei Rechtsstreitigkeiten um Immobilien, die der Partei vererbt wurden. In beiden Fällen steht dabei der Vorwurf im Raum, dass einflussreiche Mitglieder versucht hätten, einem Familienmitglied oder sich selbst über einen Strohmann eine Partei-Immobilien weit unter Marktpreis zu verkaufen.
Die Parteiopposition spricht in ihren internen Telegram-Gruppen von einer „Beutegemeinschaft“ der Weidel-Anhänger. Auf Nachfrage bezeichnete der Landesvorsitzende Frohnmaier die Vorwürfe als „falsch“.
Kritik an Ladesäulen-Pflicht für Tankstellen
Der Uniti Bundesverband Energie Mittelstand lehnt Pläne, Tankstellen zur Bereitstellung von Schnelllademöglichkeiten zu verpflichten, ab.
Der Uniti-Vorsitzende Udo Weber sagt unserer Kollegin Claudia Scholz:
Der Vorsitzende des Uniti-Verbandes Udo WeberEine solche Verpflichtung würde einen Eingriff in die unternehmerische Freiheit darstellen. Viele Unternehmen der Tankstellenbranche beteiligen sich heute schon am Aufbau eines öffentlichen Ladenetzes.
Entsprechende Investitionen basierten auf freien unternehmerischen Entscheidungen und würden wirtschaftlichen Erwägungen unterliegen. „Wo eine ausreichende Nachfrage vorhanden ist, werden entsprechend Ladepunkte an Tankstellen errichtet", sagt Weber.
Dem Verkehrsministerium reicht der bisherige Ausbau nicht, weswegen Minister Volker Wissing (FDP) ab dem 1. Januar 2028 Tankstellenunternehmen verpflichten will.
Der Referentenentwurf, der sich derzeit in der Ressortabstimmung befindet, liegt uns vor. Tankstellenkonzerne mit mehr als 200 öffentlichen Tankstellen müssen an jeder Tankstelle mindestens einen Schnellladepunkt mit einer Ladeleistung von mindestens 150 Kilowatt betreiben.
Aral-Tankstelle: Unternehmen bauen bereits an vielen Standorten Ladesäulen auf. © Claudia ScholzLaut des Entwurfs entstehen für die Wirtschaft Kosten von rund 430,56 Millionen Euro. Durch die Versorgungsauflage sollen bundesweit rund 9.000 Möglichkeiten zum Schnellladen von E-Autos geschaffen werden.
Wie wir hören, hat Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) ein großes Interesse daran, dass die Verpflichtung kommt und Druck auf seinen Minister Wissing ausgeübt.
Die Gehälter in Deutschland sind 2023 um sechs Prozent gestiegen. Um diesen Betrag werden im Juli auch die Abgeordnetendiäten steigen. So sieht es das Gesetz vor. Der Bund der Steuerzahler protestiert. Der Bundestag könnte die Erhöhung, wenn er wollte, noch stoppen.
Eine Infografik mit dem Titel: Rekord-Diätenerhöhung für Abgeordnete
Höhe des steuerpflichtigen Einkommens der Bundestagsabgeordneten über die Jahre, in Euro
Das war gestern und in der Nacht außerdem los:
Lage der Nation: Gestern hielt Kreml-Chef Putin seine obligatorische Rede zur Lage der Nation. Sollten die westlichen Unterstützer ihre Lieferungen an die Ukraine weiter ausbauen, werde damit ein „Konflikt mit Atomwaffen riskiert, was die Zerstörung der gesamten Zivilisation bedeutet“.
Inflation: Die Teuerungsrate fiel auf den tiefsten Stand seit zweieinhalb Jahren und liegt im Februar in Deutschland bei 2,5 Prozent.
Streik: Im Tarifkonflikt bei der Deutschen Bahn drohen neue Streiks. Die Lokführergewerkschaft GDL habe die Gespräche abgebrochen, teilte die Bahn mit.
Wer befindet sich heute wo und welche Termine sind noch relevant?
Kanzler Olaf Scholz (SPD) reist nach München, um am Spitzengespräch der deutschen Wirtschaft teilzunehmen. Im Anschluss besucht er die Handwerksmesse.
Im Anschluss fliegt der Kanzler nach Rom, wo er sich mit Italiens Staatspräsident Sergio Mattarella trifft. Am Samstag empfängt ihn Papst Franziskus zu einer Audienz.
Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne) besucht in Thüringen das Sozialprojekt Gesundheitskiosk.
Familienministerin Lisa Paus (Grüne) nimmt an einer Paneldiskussion auf der fünften Tagung der Initiative Klischeefrei teil.
In Moskau findet heute die Beerdigung des Kreml-Kritikers Alexej Nawalny statt.
Auf - Donald Tusk. 137 Milliarden Euro aus EU-Töpfen gab die Kommission gestern formell an die polnische Regierung frei. Es ist vor allem auch ein Vertrauensvorschuss an den europafreundlichen Tusk, denn die geforderten Gesetzesänderungen gab es noch gar nicht – nur eine Ankündigung. Ein großer Erfolg in Tusks viermonatiger Amtszeit. Sein Kurs zahlt sich aus!
Ab - Klara Geywitz (SPD). Nachrichten aus der Baubranche sind geprägt von Superlativen. In diesem Fall: Die Baugenehmigungen fallen auf den niedrigsten Stand seit 2012. Im vergangenen Jahr wurden nur 260.100 Wohnungen genehmigt. Ziel waren eigentlich 400.000. Vor Geywitz liegt – immer noch – eine Menge Aufbauarbeit!
Heute gratulieren wir herzlich:
Ariane Fäscher, SPD-Bundestagsabgeordnete, 56
Axel Knoerig, CDU-Bundestagsabgeordneter, 57
Matthias Veltin, deutscher Botschafter in der Elfenbeinküste, 63
Rainer Genilke (CDU), Minister in Brandenburg für Infrastruktur und Landesplanung, 56
Klaus Uwe Benneter, ehemaliger SPD-Generalsekretär, 77
Am Samstag gratulieren wir herzlich:
Inge Gräßle, CDU-Bundestagsabgeordnete, 63
Hannes Walter, SPD-Bundestagsabgeordneter, 40
Josefine Paul (Grüne), Familienministerin von Nordrhein-Westfalen, 42
Thomas von Sarnowski, Vorsitzender der Grünen in Bayern, 37
Am Sonntag gratulieren wir herzlich:
Wolfgang Kubicki, FPD-Vize-Vorsitzender, 72
Katja Leikert, CDU-Bundestagsabgeordnete, 49
Andreas Schwarz, SPD-Bundestagsabgeordneter, 59
Wir wünschen Ihnen einen elanvollen Start in diesen Donnerstag!
Herzlichst,
Ihre