unsere Themen heute:
Die EU will nur einen Teil der russischen Vermögenswerte in die Ukraine umleiten. Es gibt Bedenken – und einen Plan.
Die FDP hat die Lust an Robert Habecks Resilienzbonus für die deutsche Solarwirtschaft verloren.
Sören Bartol soll neuer SPD-Landeschef in Hessen werden. Wir haben mit ihm gesprochen.
Die Kindergrundsicherung kommt wieder in Fahrt. Wir kennen Details.
Die für ihre Verbindungen zu Holocaust-Leugnern bekannte Doris von Sayn-Wittgenstein ist wieder AfD-Mitglied.
Lindner greift nach russischem Vermögen
Eine Einigung unter allen G7-Staaten gibt es noch nicht, obwohl die Beschlagnahmung russischer Vermögenswerte Top-Thema des G7-Finanzminister-Treffens am Rande des G20-Gipfels in São Paulo war.
Finanzminister Christian Lindner (FDP) präsentierte eine Lösung light: Man wolle allein die Erträge eingefrorener russischer Vermögenswerte für die Unterstützung der Ukraine nutzen. Vor allem die USA und Kanada wollen direkt an das russische Vermögen heran – und zwar an alles.
Doch die Europäer haben schlicht Bedenken:
1) Die rechtliche Dimension: Formal gehören die Vermögenswerte weiterhin Russland und sind damit immunitätsgeschützt. Die EU will deshalb nur die Erträge der Assets nutzen.
Die Idee: Auslaufende Staatsanleihen werden von den Banken in Europa neu angelegt. Die Erträge sollen dann für die Ukraine verwendet werden. Lindner sagt, das sei ein „realistischer, rechtlich sicherer und kurzfristig umsetzbarer Schritt“. Es gehe um einen einstelligen Milliardenbetrag.
Eine Infografik mit dem Titel: Die eingefrorenen Milliarden aus Russland
Eingefrorene Vermögenswerte der russischen Zentralbank, nach Ländern, in Milliarden US-Dollar
Prof. Christian Tietje, geschäftsführender Direktor des Instituts für Wirtschaftsrecht und Leiter des Transnational Economic Law Research Center (TELC) der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, sieht bei der Nutzung von russischem Eigentum am Kapitalmarkt „erhebliche rechtliche Unsicherheiten“. Er sagt uns:
Russlands Eigentum auf dem Kapitalmarkt einzusetzen, lässt sich rechtlich nicht ausschließen. Er würde allerdings eine starke Relativierung des Völkerrechts voraussetzen.
Dazu sieht der Rechtsexperte ein weiteres Risiko:
Sollte Deutschland Russlands Eigentum auf dem Kapitalmarkt einsetzen wollen, geht es ein hohes finanzpolitisches Risiko ein. Denn irgendwann muss das Geld an Russland zurückgegeben werden. Eine Fehlspekulation hätte also schwere Folgen.
2) Die politische Dimension: Sollte die EU eingefrorene Gelder missbrauchen, könnte dies Nachahmer finden. Andere Staaten könnten auf die Idee kommen, europäische Vermögenswerte zu beschlagnahmen – unter möglicherweise fadenscheinigen Begründungen. Auch wenn dies nur ein theoretisches Szenario ist, schließen die G7-Partner Frankreich, Italien, Japan und Deutschland das nicht aus.
3) Die volkswirtschaftliche Dimension: Ein konkretes Risiko betrifft die Währungspolitik der Nationen. Sollten die G7 russisches Vermögen einbehalten, könnten andere Investoren motiviert werden, Vermögen aus den USA, Japan und Europa abzuziehen. Die Regionen würden fortan nicht mehr als sichere Häfen gelten. Das würde die Währungen Dollar, Euro und Yen abwerten.
Finanzminister Christian Lindner und US-Finanzministerin Janet Yellen © ImagoDie EU soll nun „auf der fachlichen Ebene schauen, was rechtlich und finanziell möglich ist, um russische Vermögenswerte zu nutzen“, so erklärte es Lindner nach dem Treffen. Schon bald soll ein EU-Vorschlag folgen.
Solarpaket steht auf der Kippe
Das sogenannte Solarpaket I steht auf der Kippe, erfuhr unser Kollege Thorsten Denkler. Während es unter Grünen noch die Erwartung gibt, dass es in der kommenden Sitzungswoche des Bundestags endlich verabschiedet werden kann, wachsen in der FDP die Zweifel.
Wie wir aus der FDP-Spitze hören, hat es dort einen erheblichen Schwenk in der Bewertung des sogenannten Resilienzbonus für in der EU produzierte Solarpanels gegeben. Als relevant für solche Boni werde nur noch Spitzentechnologie wie die Halbleiterproduktion angesehen.
Für die Grünen hingegen zählt die komplette Produktionskette von Solaranlagen zu jenen Wirtschaftsbereichen, in denen die Abhängigkeit von China verringert werden müsse.
Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hatte noch am Montag an die Koalitionäre appelliert, zügig das Solarpaket I und damit den Resilienzbonus zu verabschieden.
Robert Habeck vor Solaranlage © Thorsten DenklerChinas Solar-Hersteller halten weltweit einen Marktanteil von gut 90 Prozent. Wegen massiver Überproduktionen sinken die Preise immer weiter, was die Produktion in Deutschland und Europa immer weniger rentabel macht.
Der Hersteller Meyer Burger will im April sein einziges deutsches Werk in Freiberg, Sachsen, schließen. Aus dem Wirtschaftsministerium hören wir, die Schließung könne womöglich noch verhindert werden, wenn der Resilienzbonus wie in der Regierung verabredet kommt. Der Bonus ist allerdings auch in der Solarbranche umstritten. Großinstallateure wie 1Komma5° und Enpal fürchten höhere Preise für ihre Kunden, wenn Billig-Panels aus China benachteiligt werden.
Sören Bartol bald mit Doppelfunktion in Hessen
Am 9. März soll beim SPD-Landesparteitag in Frankfurt eine neue Parteispitze gewählt werden. Auf Nancy Faeser soll Sören Bartol folgen. Auch er will, wie seine Vorgängerin, im Falle eines Sieges seinen Posten in Berlin nicht aufgeben.
Der 49-Jährige ist Parlamentarischer Staatssekretär im Bauministerium. Gegenkandidaten bei der Wahl gibt es bisher keine. Unsere Kollegin Laura Block hat mit Bartol gesprochen.
Sören Bartol © imagoIhre Kollegen bezeichnen Sie als „Macher und Teamplayer“. Was würden Sie als neuer Hessen SPD-Chef konkret machen?
Das sind 1. schmeichelhafte und 2. anspruchsvolle Zuschreibungen. Ich verstehe das aber auch als Auftrag meiner politischen Arbeit. Machen und Mitnehmen. Das will ich natürlich auch als Landesvorsitzender einer mitgliederstarken Partei. Mir ist wichtig, alle mitzunehmen.
Damit meine ich, dass wir als SPD in Hessen gemeinsam handeln. Die Partei, die Fraktion in Wiesbaden, die hessischen Bundestagsabgeordneten, unsere Regierungsmitglieder und unsere zahlreichen SPD-Mitglieder in ganz Hessen. Gemeinsam können wir dafür sorgen, dass die großen Alltagsprobleme der Menschen in den Mittelpunkt der hessischen Landespolitik rücken. Ich werde zuhören und nahe bei den Hessinnen und Hessen sein.
Welche Lehren ziehen Sie aus den schlechten Ergebnissen auf Landes- und Bundesebene für Ihre Partei?
Wir müssen besser werden. Unser Selbstverständnis als Volkspartei bleibt von dem desaströsen Ergebnis unberührt. Aber die Art und Weise, wie wir kommunizieren, unsere Idee von einer sozialen und gerechten Gesellschaft vermitteln und den Fokus auf Menschen und ihre konkreten Alltagssorgen richten, das alles muss besser werden. Das ist mir sehr wichtig.
Deutschland befindet sich gerade in einer dramatischen Wohnungskrise. Sie sind einer der Staatssekretäre von Bauministerin Klara Geywitz. Können Sie diese Aufgabe guten Gewissens zurücklassen und nach Wiesbaden gehen?
Die Frage, ob ich etwas zurücklasse, stellt sich nicht. Die Schaffung von gutem, bezahlbarem Wohnraum ist eine der größten und drängendsten Herausforderungen unserer Zeit. Wir sind da als Bundesregierung auf einem guten Weg, den ich weiter fortsetzen möchte. Daher werde ich mich auch als hessischer SPD-Vorsitzender weiterhin zusammen mit Klara Geywitz als Parlamentarischer Staatssekretär und Bundestagsabgeordneter für Marburg-Biedenkopf für Verbesserungen auf dem Wohnungsmarkt einsetzen.
Gesetzgebung zur Kindergrundsicherung kommt in Bewegung
Das Arbeits- und das Familienministerium haben sich offenbar auf einen gemeinsamen Vorschlag geeinigt, mit der die Kindergrundsicherung im parlamentarischen Verfahren mehrheitsfähig werden soll. Das erfuhr unserer Kollege Thorsten Denkler. Der Vorschlag soll den Berichterstattern der Ampel-Fraktionen zu Beginn der nächsten Sitzungswoche am 11. März vorgelegt werden. Es wurde etwa:
eine Regelung gefunden, wie Jugendliche, die Bürgergeld bekommen, leichter auch die Kindergrundsicherung erhalten.
den kommunalen Jobcentern und den Familienkassen des Bundes ermöglicht, über Antragsmöglichkeiten der jeweils anderen Behörde zu informieren.
vereinbart, dass die Verfahren in Abstimmung mit den Kommunen so digitalisiert werden, dass über die Behördengrenzen hinweg kein Papier bewegt werden muss.
klargestellt, dass das Gesetz ein Jahr nach der Verabschiedung im Bundestag in Kraft treten soll, um der Arbeitsagentur genug Zeit zu geben, ihre Systeme umzustellen.
Unklar ist, ob die Verabschiedung bis zur Sommerpause gelingen kann. Zu den großen offenen Fragen gehören der geplante Aufwuchs der Familienkassen um 5.000 Stellen und die dafür nötigen Verwaltungskosten von geschätzt 500 Millionen Euro. Die FDP sieht dafür im Gegensatz zu Grünen und Sozialdemokraten keine Notwendigkeit.
AfD-„Fürstin“ wieder Parteimitglied
Die wegen ihrer Verbindungen zu Holocaust-Leugnern und Rechtsextremen 2019 aus der AfD ausgeschlossene Doris von Sayn-Wittgenstein ist seit vergangenem Samstag wieder Parteimitglied. Das geht aus einem internen Schreiben von Sayn-Wittgenstein an Parteimitglieder hervor, das unserem Kollegen Jan Schroeder vorliegt.
Doris von Sayn-Wittgenstein © dpaSeit dem 24. Februar akzeptiere der Bundesvorstand der AfD ihre Mitgliedschaft, schreibt Sayn-Wittgenstein. Der AfD-Bundesvorstand bestätigte dies auf Nachfrage.
Gegen den Ausschluss hatte die ehemalige AfD-Landesvorsitzende von Schleswig-Holstein 2021 erfolgreich geklagt. Hauptgrund für ihren Erfolg war ein formaler Fehler beim Ausschlussverfahren. Der Bundesvorstand ging dagegen zunächst in Berufung, nahm das Verfahren vor dem Kammergericht Berlin jedoch eigenen Angaben zufolge wegen „geringer Erfolgsaussichten“ in der vergangenen Woche zurück.
In Zukunft wolle die „AfD-Fürstin“ wieder für Ämter kandidieren. Sayn-Wittgenstein hat inzwischen den Landesverband gewechselt und ist nun formell Mitglied des Kreisverbands Rhein-Neckar in Baden-Württemberg.
Die Deutschen sind zunehmend besorgt um das Kriegsgeschehen in der Ukraine und die möglichen Folgen für die Sicherheit Deutschlands. Nur eine Minderheit ist allerdings dafür, die umstrittene Taurus-Rakete an die Ukraine zu liefern. Mehr als die Hälfte der Bürger steht hinter dem Nein von Olaf Scholz.
Eine Infografik mit dem Titel: Ukraine-Krieg größte Sorge
Wichtigste Themen der Bevölkerung, in Prozent
Eine Infografik mit dem Titel: Mehrheit gegen Taurus-Lieferung
Anteil der Befragten, die finden, dass Deutschland Taurus-Marschflugkörper liefern sollte, in Prozent*
Das war gestern und in der Nacht außerdem los:
Lieferkettengesetz: Das EU-Lieferkettengesetz hat wieder keine Mehrheit in den EU-Staaten gefunden. Deutschland enthielt sich am Mittwoch bei der Abstimmung im Ausschuss auf Drängen der FDP.
Transnistrien: Die abtrünnige Region Transnistrien in der Republik Moldau hat Russland um „Schutz“ vor dem zunehmenden Druck durch Moldau gebeten. Die Region grenzt an die Ukraine. Der Kreml erklärte, dieser „Schutz“ sei eine seiner „Prioritäten“.
Migration: Europa verzeichnet 1,1 Millionen Asylanträge in 2023, ein Anstieg um 18 Prozent zum vorigen Jahr. Die Hauptherkunftsländer sind Syrien und Afghanistan. Die meisten Anträge verbucht Deutschland.
Wer befindet sich heute wo und welche Termine sind noch relevant?
Kanzler Olaf Scholz besucht die Elbe Flugzeugwerke (EFW), die Uhrenmanufaktur NOMOS Glashütte und informiert sich über das Dialog-Projekt metro_polis. Zum Abschluss leitet er den Bürgerdialog KanzlerGESPRÄCH.
Von heute bis Freitag wird auf einer informellen Ministertagung der EU über Bildung diskutiert.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) lädt zum 75. Jubiläum des Grundgesetzes ins Schloss Bellevue. Thema: „Zustand und Zukunft unserer Demokratie“.
Bauministerin Klara Geywitz (SPD) nimmt am Bürgerdialog zum Thema „Klima, Hitze und co. – Wie bauen wir in der Zukunft?” teil.
Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) besucht die Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück für die NS-Opfer.
Die neue Künstliche Intelligenz Sora von OpenAI generiert aus wenigen Textzeilen filmreife Szenen und wirbelt damit die Debatte rund um die Verhinderung von Deepfakes auf. Mahner sagen: OpenAI sei nicht verantwortungsbewusst genug – doch auch der Gesetzgeber stehe in der Verantwortung.
Wie weitreichend Sora bereits wirkt und wo sie schon bald eingesetzt werden kann, lesen Sie im Tech Briefing.
Auf – Nancy Faeser. Die Innenministerin reist eine ganze Woche durch Südamerika, um Verbündete im Kampf gegen den Drogenschmuggel zu finden. Erfolgreich: Gestern unterzeichnete sie ein entsprechendes Abkommen mit ihrem peruanischen Amtskollegen, am Tag zuvor mit dem brasilianischen. Ecuador und Kolumbien stehen noch bevor. Organisieren gegen organisierte Kriminalität – klingt plausibel.
Ab – Boris Pistorius. Eigentlich sollte es der erste Erfolg der Fregatte „Hessen” im Roten Meer sein: Am Montagabend schoss das Kriegsschiff auf eine vermeintlich feindliche Drohne. Später stellte sich heraus: die kam aus den USA. Der Schuss ging aber sowieso daneben. Wahrscheinlich waren es nur Startschwierigkeiten – gestern schoss die „Hessen” erfolgreich auf echte Huthi-Drohnen. Nochmal gut gegangen!
Heute gratulieren wir herzlich:
Philip Krämer, Grünen-Bundestagsabgeordneter, 32
Wir wünschen Ihnen einen elanvollen Start in diesen Donnerstag!
Herzlichst,
Ihre