Merkels bitterer Sieg

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© Peter Gorzo/ThePioneer

Guten Tag,

herzlich willkommen zu unserem Briefing aus der Hauptstadt - direkt von der Pioneer One.

Unsere Themen heute:

  • Die Kanzlerin setzt sich durch, das Land macht (weitgehend) dicht: Was die Beschlüsse vom Mittwoch zur Corona-Politik für Folgen haben.

  • Die SPD erinnert sich an Otto Schilys aktive Zeit und präsentiert ein Konzept für die innere Sicherheit. Darin fordern die Genossen Videoüberwachungen und Rückhalt für die Polizei.

  • Ein CDU-Abgeordneter beginnt am 10. November einen neuen Job. Wir sagen, um wen es geht.

Zurück auf Los

Als Angela Merkel am Mittwoch nach drei Tagen diplomatischer Feinarbeit im Kanzleramt vor die Presse trat, sagte sie einen Satz, der ihre Bemühungen in größter Einfachheit wiedergab. "Das ist Politik." Es war ein Satz, der zusammenfasste, warum plötzlich das möglich war, was vor zwei Wochen noch nicht funktionierte. Der Lockdown kommt.

Die zuletzt gelegentlich zum Spielball der Vielstimmigkeit gewordene Kanzlerin hatte die Ministerpräsidenten wieder auf ihre Linie einschwören können. Die Verhandlungen am Mittwoch seien "erstaunlich reibungslos verlaufen", hieß es aus ihrem Umfeld. Wer wollte, konnte in diesen Worten Genugtuung erkennen - für einen Sieg, auf den die Kanzlerin wohl gerne verzichtet hätte.

Muss ihre Corona-Politik verteidigen: Kanzlerin Angela Merkel (CDU) © dpa

Ab dem kommenden Montag fährt das Land als Reaktion auf die zum zweiten Mal in diesem Jahr sprunghaft wachsenden Corona-Infektionszahlen für einen Monat herunter.

Dies sind die geplanten Einschränkungen:

  • Nur noch Angehörige von maximal zwei Haushalten sollen sich gemeinsam in der Öffentlichkeit aufhalten dürfen.

  • Theater, Opern, Konzerthäuser, Messen, Kinos, Freizeitparks, Spielhallen, Wetteinrichtungen und Bordelle sollen geschlossen werden.

  • Freizeit- und Amateursport sollen unterbleiben; Sportanlagen geschlossen werden, ebenso Schwimm-, Spaßbäder und Fitnessstudios.

  • Im Profisport sollen im November keine Zuschauer zugelassen werden.

  • Bars, Clubs, Diskotheken und Kneipen sollen geschlossen werden. Ausgenommen: Lieferung und Abholung von Speisen.

  • Touristische Übernachtungsangebote im Inland sollen untersagt werden.

  • Schulen und Kindergärten sollen offen bleiben - mit weiteren Schutzmaßnahmen.

  • Einzelhandelsgeschäfte sollen unter Hygieneauflagen geöffnet bleiben. Nur noch ein Kunde soll pro 25 Quadratmeter gestattet sein.

Am heutigen Donnerstag wird Angela Merkel ihr Maßnahmenpaket im Bundestag verteidigen müssen. Am Morgen steht die Regierungserklärung an. Es ist der zweite Shutdown innerhalb eines guten halben Jahres, den Merkel begründen muss. Es wird ein Tag, an dem die Kanzlerin noch einmal überzeugen muss.

In den vergangenen Tagen und Wochen hat Angela Merkel hinter verschlossenen Türen oft von einer „Heimsuchung“ durch Corona oder vom Unheil der Pandemie gesprochen - und vor Kontrollverlust gewarnt.

Nicht nur Merkel geht jetzt in die Offensive. Auch ihre Minister sollen für die Beschlüsse werben - und sie weiter konkretisieren. Für heute wird ein gemeinsamer Auftritt von Innenminister Horst Seehofer (CSU) und Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) erwartet.

Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) © imago

Wie wir erfahren haben, sollen sie darlegen, warum die nun getroffenen Entscheidungen aus Sicht der Regierung rechtssicher sind - und wie künftig mehr Beteiligung des Parlaments erreicht werden kann.

Auch Finanzminister Olaf Scholz (SPD) und Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU), die im Frühjahr gemeinsam die „Bazooka“ zur Bekämpfung der wirtschaftlichen Corona-Folgen in Stellung brachten, planen einen Auftritt.

Sie wollen über die außerordentliche Wirtschaftshilfe informieren, mit denen vom neuen Lockdown direkt erfasste Firmen bis zu 75 Prozent ihrer Umsatzeinbußen im November (im Vergleich zum Vorjahr) ersetzt bekommen sollen. Dabei geht es insbesondere um Hotels und Gaststätten. Allerdings: Wer bereits Kurzarbeitergeld für seine Beschäftigten bezieht, bekommt nicht die volle Erstattung entgangener Umsätze.

10 Milliarden Euro für Umsatzverluste

Die zusätzlichen Ausgaben werden auf bis zu zehn Milliarden Euro beziffert: Mittel, für die kein dritter Nachtragshaushalt erforderlich wäre, wie in Koalitionskreisen bestätigt wird.

Das Geld soll über die Länder und ihre Förderbanken beantragt werden können - und nach Möglichkeit noch während des November-Lockdowns fließen. Scholz und Altmaier arbeiten darüber hinaus an einem Hilfspaket für Solo-Selbstständige. Der Druck - insbesondere aus der Kultur- und Veranstaltungswirtschaft - wächst jedenfalls.

Gastronomen kündigen juristische Schritte an. Die Geschäftsführerin des Hotel- und Gaststättenverbandes (Dehoga), Ingrid Hartges, erklärte, dass mehrere Mitglieder rechtliche Schritte anstrengen wollten.

Der TV-Koch Steffen Henssler kritisierte auf Facebook, dass ausgerechnet die Branche, die massive Hygienemaßnahmen eingeführt und in Plexiglaswände und Lüftungskonzepte investiert hat, nun geschlossen werde. "Und das Beste ist, dass diese Branche laut RKI weit davon entfernt ist ein Infektionstreiber zu sein." Er sagte weiter:

Das einzige, was mir dazu einfällt, ist politische Hilflosigkeit.

Steffen Henssler

Der frühere CSU-Innenminister Hans-Peter Friedrich kritisierte die Maßnahmen als zu weitgehend. "Wir müssen uns auf das konzentrieren, was wirklich die Ausbreitung des Virus ausbremst. Dazu gehört in erster Linie der Verzicht auf Großveranstaltungen und dazu gehört auch die Einhaltung der einfachen Hygieneregeln", erklärte der Bundestagsabgeordnete.

"Bei der Schließung von Gaststätten kommen zu Recht Zweifel auf, ob die Maßnahmen wirklich verhältnismäßig sind, sind es doch gerade die Gaststätten, die sich mit großer Sorgfalt an die Vorschriften halten. Das haben sie in den letzten Monaten bewiesen."

1. Grüne wollen Bericht über Unregelmäßigkeiten bei Autobahngesellschaft

Bei der Autobahn GmbH des Bundes ist es zu Unregelmäßigkeiten in Zusammenhang mit Arbeitsverträgen gekommen.  © dpa

Die Grünen verlangen umfassende Aufklärung über beanstandete Arbeitsverträge bei der Bundesautobahngesellschaft. Das geht aus einem Brief von Grünen-Chefhaushälter Sven-Christian Kindler an Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) und Finanzstaatssekretärin Bettina Hagedorn (SPD) hervor, der uns vorliegt.

Zuvor hatte das Verkehrsministerium gegenüber dem zuständigen Bundestagsausschuss eingeräumt, dass es „beim Abschluss außertariflicher Arbeitsverträge der Autobahn GmbH des Bundes und deren Vorlage an den Aufsichtsrat“ zu Unregelmäßigkeiten gekommen sei. Kindler will nun Einsicht in den Bericht eines externen Prüfers, der dem Kontrollgremium vorliegt. Inzwischen geht der Abgeordnete jedoch davon aus, dass die Bundesregierung nicht bereit ist, diesen vorzulegen.

2. Bartels: Militär könnte in den USA am Wahlabend den Unterschied machen

Der ThePioneer-Expert und ehemalige Wehrbeauftragte des Bundestags, Hans-Peter Bartels, sieht eine mögliche schlichtende Rolle des Militärs in den USA im Fall eines knappen Präsdentschaftswahlergebnisses: "Aus Kreisen unseres Militärs, das mit den amerikanischen Streitkräften in Europa nach wie vor vertrauensvoll und professionell zusammenarbeitet, hörte ich jetzt eine denkbare Handlungsmöglichkeit", schreibt Bartels.

© ThePioneer

Zwar hätte die US-Armee formal keine offizielle Rolle inne, so Bartels.

"Aber es wäre in diesem Fall schon besonders höflich, wenn die Vereinigten Stabschefs nach Auszählung aller Stimmen zusammenkommen – und dem Wahlsieger in aller Form öffentlich gratulieren." Eine solche Geste könne den Unterschied machen.

Die neue Kolumne Situation Room von Hans-Peter Bartels lesen Sie hier.

Aus einem Positionspapier der SPD-Bundestagsfraktion © ThePioneer

Die SPD pocht auf grundlegende Veränderungen bei der Sicherheit an Deutschlands Flughäfen. „Die Sicherheitskontrollen an deutschen Flughäfen gehören wieder in staatliche Hand“, heißt es in einem innenpolitischen Positionspapier der Bundestagsfraktion, das uns vorliegt. „Wir wollen den Flickenteppich im System der Luftsicherheit beenden und bundeseinheitliche Regelungen ermöglichen.“

Vor Besteigen eines Flugzeuges müsse die Identität aller Reisenden geklärt sein: „Den Beschäftigten verschaffen wir bessere Arbeitsbedingungen.“ Mit dem Papier wollen die Genossen ihr innenpolitisches Profil schärfen. „Ein schwacher Staat Hilfe nur den Starken in der Gesellschaft und lässt die anderen zurück“, so eine weitere Botschaft.

In dem Papier werden Videoüberwachungen an Kriminalitätsschwerpunkten und die klare Unterstützung von Polizei und Justiz gefordert. "Rechtsfreie Räume dulden wir nicht."

Die SPD will bei der Regulierung der Fleischindustrie hart bleiben und warnt die Union vor einer weiteren Blockade. In seinem "politischen Bericht" an die Mitglieder der SPD-Bundestagsfraktion stützt der Vorsitzende Rolf Mützenich die Position von Arbeitsminister Hubertus Heil nachdrücklich. Man werde von den Forderungen "keinen Millimeter" abrücken, heißt es in dem Brief.

Politischer Bericht von SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich.  © ThePioneer© ThePioneer

Auf - Michael Grosse-Brömer (CDU) ist Parlamentarischer Geschäftsführer der Unionsfraktion und damit für die Koordination der Fraktion zuständig. Der Naturliebhaber und passionierte Jäger hat aber nicht nur ein Faible für Prozesse, sondern auch für Bäume. In dieser Woche lässt Grosse-Brömer von einer Baumschule aus seinem Wahlkreis einen 500 Kilo schweren Eisenholzbaum im Innenhof des Landwirtschaftsministeriums pflanzen. Der Baum stammt aus Asien und gilt als "Klimabaum", weil er mit besonders wenig Wasser auskommt. Er ist unser Aufsteiger.

Ab - Absteiger sind heute wir selbst. Gestern hatten wir in diesem Briefing einen angeblichen Brief des Verteidigungsministeriums veröffentlicht, der die Bevölkerung um Mithilfe bei verschwundener Munition und Waffen bat. Der Hintergrund ist durchaus ernst, doch der Brief des Staatssekretärs war eine Fälschung, eine gut gemachte Satire-Aktion des Zentrums für Politische Schönheit. Punktsieg für die Gruppe politischer Aktionskünstler. Shame on us. Und: Sorry!

"Friedrich Merz ist nicht Donald Trump" - mit diesen Satz beginnt Tina Hildebrandt in der Zeit ihre Analyse zum bemerkenswerten Auftreten des Kandidaten für den CDU-Vorsitz in dieser ebenso bemerkenswerten Woche. Friedrich Merz sei nicht nur nicht Trump, "er ist auch nicht der halb reaktionäre, halb ulkige, auf alle Fälle aber komplett danebenliegende Typ aus dem letzten Jahrhundert, zu dem ihn viele, vor allem in den sozialen Medien, gerne machen", schreibt die Kollegin. Vieles von dem, was Merz sage, sei klug beobachtet und richtig. Sein Konservatismus lebe allerdings "mehr vom Gestus als von einer inhaltlichen Abgrenzung von seinen Kontrahenten". Wer aber immer klare Führung und Kante fordert, dürfe nicht klein beigeben. Lesenswert!

Auch die FAZ geht kritisch mit Merz' Rolle in der Parteitags-Diskussion um. "Es gibt genug Staatsmänner in der Welt, die mit Populismus, Narzissmus, Schaumschlägerei und Verschwörungsdenken glänzen. Will nun auch die CDU einen solchen Mann an ihrer Spitze haben?", fragt Jasper von Altenbockum in seinem Kommentar. Merz habe recht, ein digitaler Parteitag wäre am 4. Dezember theoretisch möglich gewesen, aber: "Woher weiß Merz, dass er dann bessere Voraussetzungen gehabt hätte als Armin Laschet?" Hier geht's zum Artikel.

Heute gratulieren wir herzlich zum Geburtstag:

Hubertus Zdebel, Linken-Bundestagsabgeordneter, 66

Dieter Nuhr, Kabarettist, 60

Die Charlottenburger SPD-Mitglieder haben entschieden: Mit rund 58 Prozent der Stimmen hat sich der Regierende Bürgermeister Berlins, Michael Müller, im parteiinternen Vorwahlkampf um den Wahlkreis im Berliner Westen gegen seine eigene Staatssekretärin Sawsan Chebli durchgesetzt. Die Wahlbeteiligung betrug 59 Prozent. Müller steht nun noch der Kampf um Listenplatz eins oder drei in der Berliner SPD bevor, die beide als sicher gelten. Platz eins wird sich Parteivize Kevin Kühnert allerdings wohl kaum nehmen lassen. Müller muss fürchten, nach unten durchgereicht zu werden.

Duellierten sich um den Wahlkreis Charlottenburg-Wilmersdorf: Staatssekretärin Sawsan Chebli und der Regierende Bürgermeister Michael Müller Michael Müller © dpa

Die Verschiebung des CDU-Bundesparteitags könnte ein juristisches Nachspiel haben. Angeblich lässt die Werte-Union, der konservative Flügel der CDU, die Verschiebung rechtlich prüfen. Laut Parteiengesetz müssen Parteiführungen alle zwei Jahre gewählt werden. Auch die Düsseldorfer Parteienrechtlerin Sophie Schönberger hält eine Verschiebung wegen der Pandemie für zumindest rechtlich angreifbar.

Das Bundeskabinett hat am Mittwoch die Personalie des CDU-Abgeordneten Armin Schuster gebilligt, der Präsident des Bundesamts für Bevölkerungs- und Katastrophenschutz werden soll. Innenpolitiker Schuster soll seinen neuen Posten am 10. November antreten und wird in Besoldungsstufe B6 einsortiert (Rund 10.000 Euro monatliches Grundgehalt plus Zuschläge).

© Letztes Wort JaraschIhre Informationen für uns © Media Pioneer

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Pioneer Editor, Gründungs-Chefredakteur The Pioneer
Pioneer Editor, Ex-Stellvertretender Chefredakteur The Pioneer
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