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Unsere Themen heute:
Er startete als Anti-Merkel-Mann, jetzt will Fraktionschef Ralph Brinkhaus (CDU) für die Kanzlerin die ungeliebte Grundrente in den eigenen Reihen durchkämpfen.
Die CDU-Spitze, darunter Jens Spahn und Paul Ziemiak, rieten Philipp Amthor zum Verzicht auf die Kandidatur als Landeschef in Mecklenburg-Vorpommern. Wir rekonstruieren die Krisensitzung in Güstrow.
Das letzte Wort hat bei uns heute Rainer Brüderle, der 75 Jahre alt wird, und ein paar Tipps für die kriselnde FDP übrig hat.
Wie Brinkhaus für die Kanzlerin die Grundrente durchbringen soll
Das womöglich entscheidende Gespräch fand am vergangenen Donnerstagabend in einem Restaurant in Berlin-Mitte statt. Dort trafen sich die Fraktionschefs von Union und SPD, Ralph Brinkhaus und Rolf Mützenich, um den Dauerstreit um die Grundrente zu beenden.
Brinkhaus kam zu dem Abendessen mit einer Zusage und einer Erwartung. Die Zusage: Er wolle das Reformvorhaben aus dem Koalitionsvertrag in der eigenen Fraktion auch gegen Widerstände bei den eigenen Wirtschaftsleuten durchkämpfen. Die Erwartung: Die SPD solle sich von der Idee verabschieden, die Finanzierung der Grundrente an eine europäische Finanztransaktionssteuer zu koppeln und eine Alternative vorlegen. In Brinkhaus' Augen ist das Instrument kaum durchsetzbar: nicht in Europa - und auch nicht beim Wirtschaftsflügel der Union, der weder neue Steuern noch die Grundrente schätzt.
Fraktionschefs Mützenich (links, SPD), Brinkhaus (CDU) © dpaBrinkhaus geht im Endspurt vor der Sommerpause damit ein hohes politisches Risiko ein: Er legt sich mit Teilen der eigenen Fraktion an - gegen die eigenen Überzeugungen.
Angela Merkel will das Prestigeprojekt der Sozialdemokraten endlich vom Tisch haben - den Aufschlag für jene, die trotz jahrelanger Arbeit kaum mehr als die Grundsicherung erhalten. Und Brinkhaus ist im Auftrag der Kanzlerin unterwegs. Wie ein Prätorianer, der seine Kaiserin verteidigt.
Bis Dienstag in einer Woche hat er noch Zeit - es ist der letzte Tag, an dem das Thema nachträglich auf die Tagesordnung des Bundestags für die letzte Sitzungswoche vor der Sommerpause gesetzt werden kann. Bisher steht es nicht drauf, aber die nachträgliche Variante wird bereits an der Spitze der Unionsfraktion diskutiert.
Nun versucht Brinkhaus im Dreieck mit Mützenich und Finanzminister Olaf Scholz (SPD) ein Finanzierungskonzept zu entwerfen, das beiden Fraktionen gefällt und die Grundrente sichert. Wahrscheinlich ist, das gesamte Finanzierungskonzept aufzuschnüren und parallel zu den Konjunkturpaket-Beschlüssen mit einem höheren Anteil an Steuermitteln zu finanzieren. Die Finanztransaktionssteuer werde ohnehin nicht kommen, auch wenn die SPD-Vorkämpfer Scholz und Mützenich daran festhalten, heißt es in der Union. Doch die Sozialdemokraten wollen das Instrument unbedingt retten.
Die Grundrente wirke nicht, meckert der Wirtschaftsflügel
Brinkhaus ist zerrissen zwischen Merkel und den Sozialdemokraten und dem eigenen Wirtschaftsflügel. Der verweist auf den Beschluss des Bundestages, in dem der Grundrente nur zugestimmt wird, wenn eine Einkommensprüfung erfolgt und die Finanzierung gesichert ist. Im Gespräch mit uns machte Carsten Linnemann, Chef der Mittelstandsunion, klar: „Diese Grundrente beseitigt nicht das Problem der Altersarmut, sondern reißt neue Gerechtigkeitslücken auf.“ Auch der Chef der Jungen Union, Tilman Kuban will die Ausgaben auf die "Bedürftigen" beschränken. Genau dies habe der CDU-Bundesparteitag auch beschlossen.
Eins steht indes fest: Bis alle Berechtigten erstmals ihre Grundrenten-Zahlungen auf dem Konto haben, könnte es mehr als zwei Jahre dauern. Um zu prüfen, wer die Kriterien für den Bonus erfüllt und wer nicht, müssen Millionen Renten-Akten gesichtet werden - viele davon sind bislang nicht digital verfügbar. Um sich gegen sogenannte Klagen von Anspruchsberechtigten zu schützen, soll eine Extra-Passage ins Gesetz eingefügt werden. Ein Anspruch auf Prüfung des Zuschlags bestehe „nicht vor Ablauf des 31. Dezember 2022“, so lautet ein Textvorschlag.
1. CDU-Spitze drängte Amthor zum Rückzug
Kurz vor der Vorstandssitzung der CDU in Mecklenburg-Vorpommern klingelte das Handy von Philipp Amthor pausenlos. Der wegen seiner Lobbytätigkeit für ein US-Start-up in der Kritik stehende Bundestagsabgeordnete erhielt Anrufe und Nachrichten aus Berlin. Es hätten viele auf Amthor eingewirkt, den Verzicht auf die Kandidatur für den Landesvorsitz zu erklären, heißt es an der Spitze der CDU. Sowohl im Konrad-Adenauer-Haus, der Berliner CDU-Zentrale, als auch im Kanzleramt habe man mit wachsender Sorge auf die Affäre geschaut und das verheerende Außenbild des Landesverbandes analysiert.
Zwar habe sich die Kanzlerin nicht direkt eingeschaltet, heißt es. Aber es taten unseren Informationen zufolge andere, etwa CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak, Helge Braun und Jens Spahn. Und Friedrich Merz, einst Amthor wohlwollend gegenüberstehend, äußerte sich sogar öffentlich kritisch.
Michael Sack ist der Gegenentwurf zu Philipp
Gegen 17 Uhr am Freitag saß Amthor im Auto auf dem Weg zur Sitzung in Güstrow, als ihn ein Anruf des kommissarischen Landeschefs Eckhardt Rehberg erreichte. Der 66-Jährige teilte Amthor mit, dass er keine Mehrheit im Landesvorstand habe. Auch in den drei CDU-Kreisen, die sich vor Bekanntwerden der Affäre für Amthor ausgesprochen hatten, gebe es nun Zweifel. Er werde mit Michael Sack einen Alternativkandidaten vorschlagen, sagte Rehberg. Dieser werde die Mehrheit bekommen. Damit waren die Ambitionen Amthors erledigt. Und so kam es dann auch.
Den gesamten Artikel und die Rekonstruktion des Abends lesen sie hier.
Philipp Amthor (l.) und Eckhardt Rehberg am Freitagabend nach der Landesvorstandssitzung. © dpa2. Ruf nach Renten-Korrektur
Die FDP will mit einer Initiative im Bundestag erreichen, dass der so genannte Nachholfaktor bei der Rente wieder angewendet wird. Das geht aus einem Antrag der Liberalen hervor, der uns vorliegt. Der Bundestag soll kommende Woche darüber entscheiden.
Sinken in einer Krise die Löhne, müssten dem folgend eigentlich auch die Renten sinken. Das aber wurde nach der Finanzkrise 2008/2009 ausgeschlossen. Es gibt dann eine Nullrunde. Der Nachholfaktor führt in den Folgejahren dazu, dass die Rentenerhöhungen geringer ausfallen.
Ob es bei der jetzigen Rechtslage bleibt oder nicht, ist angesichts der Corona-Wirtschaftskrise eine bedeutende Frage. Der Nachholfaktor war mit der letzten größeren Rentenreform Anfang vergangenen Jahres ausgesetzt worden - zunächst bis 2025.
Die Änderung blieb weitgehend unbeachtet. Eingeführt worden war der Mechanismus, um für einen Ausgleich bei den finanziellen Folgen ökonomischer Krisen für die Rentenversicherung zu sorgen.
Mitte Mai zeigte sich selbst Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), darauf angesprochen von FDP-Politiker Johannes Vogel, überrascht von der Aufhebung des Nachholfaktors. Für einen kurzen Moment stand in der großen Koalition die Frage im Raum, ob Sozialminister Hubertus Heil (SPD) Kanzlerin und Koalition über den Passus aus taktischen Gründen im Unklaren gelassen hat. Inzwischen hat die Kanzlerin dem FDP-Mann Vogel geschrieben und ein Zurück zum Nachholfaktor kurzfristig ausgeschlossen.
© The PioneerDer liberale Sozialpolitiker ist unzufrieden: „Fehler, die die aktuelle Bundesregierung begeht und offensichtlich auch erkennt, muss auch die aktuelle Bundesregierung korrigieren! Dies einfach auf die nächste Legislaturperiode und die nächste Kanzlerschaft zu verschieben, ist keine verantwortungsbewusste Politik.“
3. Corona: Fast 20 Prozent weniger Bier-Konsum
Der Bierabsatz in Deutschland ist während der Corona-Krise um fast ein Fünftel zurückgegangen. Das geht aus der Antwort des Gesundheitsministeriums auf eine Anfrage der FDP-Bundestagsfraktion hervor, die uns vorliegt. Im April sind demnach 5,75 Millionen Hektoliter Bier abgesetzt worden und waren steuerpflichtig. Verglichen mit dem Vorjahresmonat entspricht das einem Rückgang um 18,5 Prozent. Mit 55,9 Prozent gab es das stärkste prozentuale Minus in Schleswig-Holstein und Hamburg.
Auch bei den Einnahmen aus der Besteuerung von Bier gab es in den vergangenen Monaten einen deutlichen Rückgang - von 47 Millionen Euro im Januar auf 21 Millionen Euro im April. Laut Gesundheitsministerium sind die Angebote zur Alkoholentwöhnung in den vergangenen Monaten deutlich zurückgegangen. Zwischen Januar und April 2020 traten 6.798 Alkoholkranke eine Rehabilitation an, im gleichen Zeitraum 2019 waren es noch 9.943 gewesen. FDP-Suchtexperte Wieland Schinnenburg sagte uns, der Alkoholkonsum sei in Deutschland weiterhin hoch: „Die Bundesregierung tut zu wenig für eine wirksame Alkoholprävention.”
4. Regierung plant Kombi-Antrag für Eltern- und Kindergeld
Kindergeld und Elterngeld beantragen (und den Namen eines Neugeborenen bei den Behörden eintragen lassen) soll künftig auch online möglich sein - mit einem „Kombi-Antrag“. Das geht aus einem Gesetzentwurf von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) und Familienministerin Franziska Giffey (SPD) hervor, der uns vorliegt und an diesem Mittwoch vom Kabinett auf den Weg gebracht werden soll.
Ziel ist es, den Zugang zu zentralen Familienleistungen so stark wie möglich zu vereinfachen und Eltern in der Phase rund um die Geburt ihres Kindes zu entlasten. „Im Mittelpunkt stehen zunächst die Leistungen Elterngeld, Kindergeld und Namensbestimmung“, heißt es in der Vorlage. „Der Gang zum Amt entfällt.“
Mit dem Gesetz sollen nun die rechtlichen Voraussetzung für Online-Kombi-Anträge geschaffen werden. „Auf Wunsch der Eltern können erforderliche Daten zwischen den Behörden abgefragt werden, etwa um für den Elterngeldantrag Einkommensnachweise aus nicht-selbstständiger Tätigkeit zu erbringen“, heißt es in der Vorlage.
© The PioneerEltern sollen als Teil des 130-Milliarden-Euro-Konjunkturprogramms für jedes Kind einen Bonus von 300 Euro erhalten. Allerdings wird die Zahlung in zwei Teile gesplittet, zunächst war von jeweils 150 Euro die Rede. Ein mit dem Bundesfinanzministerium abgestimmter Änderungsantrag der Koalition zum „Zweiten Corona-Steuerhilfegesetz“ sieht nun für den Monat September 200 Euro vor und für Oktober dann 100 Euro.
Es ist ein spannender Termin für alle, die Deutschlands Blick auf Gegenwart und Zukunft der Volksrepublik interessiert: Heute in einer Woche, am 29. Juni, beschäftigt sich der Auswärtige Ausschuss des Bundestages in einer dreistündigen Anhörung mit China - unter anderem mit dessen Selbstdarstellung in der Corona-Krise und mit den ökonomischen Beziehungen zu Deutschland. Auf der Gästeliste stehen führende China-Experten aus Wissenschaft und Wirtschaft.
Auf und Ab mit Danyal Bayaz und Katy Hoffmeister © ThePioneerAuf - Er scheute sich nicht vor einer klaren Position - auch, wenn es Wähler der eigenen Partei womöglich nicht mögen. Der Grünen-Abgeordnete Danyal Bayaz, Wahlkreis in Bruchsal, promoviert in Stuttgart, verurteilte die Krawalle in der Landeshauptstadt scharf. "Geht gar nicht, was einige Idioten in Stuttgart machen. Wer Beamte attackiert und Gegenstände zerstört, ist niemals politischer Aktivist, sondern immer Krimineller", twitterte Bayaz. Dem kann man nichts hinzufügen.
Ab - Nur 30 Prozent der Bundestagsabgeordneten sind weiblich. Nur acht Prozent der Oberbürgermeister-Posten im Land werden von Frauen besetzt. Mit Katy Hoffmeister (CDU), Justizministerin in Mecklenburg-Vorpommern, hätte es jetzt eine neue Landesvorsitzende im Norden geben können. Sie hatte ihre Kandidatur zugunsten Philipp Amthors zurückgezogen. Warum sie jetzt, nach der Affäre und dem Rückzug des Jungstars, nicht erneut zugreift und kandidiert hat, bleibt ihr Geheimnis. Schade.
Unsere Leseempfehlungen für heute:
Eindringlicher hat noch kein deutscher Konzernboss vor einem erneuten Herunterfahren der Wirtschaft angesichts einer möglichen zweiten Welle gewarnt: Siemens-Chef Joe Kaeser sagt im Handelsblatt-Interview, es gehe um mehr als nur Geld: „Hier geht es wirklich um den sozialen Frieden im Land.“ Künftig brauche es „eine fokussierte, keine flächendeckende Bekämpfung“ von Corona und eine Anti-Virus-Strategie, die auf Daten setzt. Wichtiger Impuls!
Deutschland blickt mit Abscheu auf den Kreis Gütersloh - und auf die Zustände in der Fleischfabrik von Clemens Tönnies. Ein Reporter-Team der Süddeutschen Zeitung zeichnet in der heutigen Ausgabe ein ebenso detailreiches wie erschreckendes Bild der Lage und zitiert eine Frau, die weiß, wie die Tönnies-Schlachter wohnen: „Diese Menschen werden in Zuständen gehalten wie die Schweine, die sie schlachten.“ Prädikat: Lesenswert!
Wir gratulieren zum Geburtstag:
Jens Geier, Mitglied des Europäischen Parlaments, SPD, 59
Peter Gauweiler, Anwalt und ehemaliger Bundestagsabgeordneter (CSU), 71
Hoven soll in den GIZ-Vorstand wechseln
Tanja Gönner und Thorsten Schäfer-Gümbel sollen bei ihren Aufgaben als Vorstände der Deutschen Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) bald Unterstützung erhalten - von einer in der entwicklungspolitischen Szene anerkannten Fachfrau. Ingrid-Gabriela Hoven soll von ihrer Position als Abteilungsleiterin im Entwicklungsministerium in das Spitzengremium der GIZ rücken. Am 30. Juni entscheidet der Aufsichtsrat über die Personalie. Hoven galt einst als Vertraute von SPD-Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul, musste ihre Spitzenposition im Haus unter FDP-Minister Dirk Niebel dann verlassen und wechselte zur Weltbank nach Washington, D.C., bis sie schließlich als Abteilungsleiterin ins Ministerium von Minister Gerd Müller (CSU) zurückkehrte.
Hovens Nominierung für den GIZ-Vorstand hat im Aufsichtsrat zu schweren Verwerfungen geführt. Die Anteilseigener-Seite (10 Personen) des Aufsichtsrats in dem Unternehmen - darunter Bundestags-, Bundesregierungs- und Länderregierungsvertreter - hat sich auf Hoven festgelegt. Die Arbeitnehmer-Seite (ebenfalls 10 Personen) hat Vorbehalte, jedoch keinen natürlichen Alternativkandidaten und ist zudem in der Frage zerstritten. Deren Vorsitzender, Jan Wesseler, hat sich wegen der internen Streitigkeiten mittlerweile zurückgezogen. Ob sich die Arbeitnehmerseite noch sortiert oder nicht, dürfte am Ergebnis der Sitzung wenig ändern. Kommt es zu einem Patt bei den Wahlgängen für das neue Vorstandsmitglied, zählt am Ende die Stimme des Aufsichtsratsvorsitzenden - BMZ-Staatssekretär Martin Jäger - doppelt. Damit wäre die Wahl von Hoven gesichert.
Rainer Brüderle © ThePioneer/dpaEr wird heute 75 Jahre alt, und hat in der FDP immer noch den Ruf des unbeirrten und leidenschaftlichen Ordnungspolitikers. Rainer Brüderle arbeitet auch im Ruhestand emsig, ist Chef eines privaten Arbeitgeberverbands, Vorstandsvorsitzender des Steuerzahlerbundes in Rheinland-Pfalz und Inhaber einer Beratungsfirma. Mit uns sprach er über die Krise der FDP, die Konjunkturpakete und wie er heute auf die größte Niederlage seines Lebens blickt. Hier geht's zum Interview.
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