Münkler: „Die alte Weltordnung funktioniert nicht mehr“

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Guten Morgen,

unsere Themen heute:

  • „Welt in Aufruhr“: Politologe Herfried Münkler über Krisen, Kriege und einen schwachen Kanzler.

  • CDU-Parteitag: Linnemann und Laumann sind die Partei-Lieblinge. Aber auch Rückendeckung für Merz.

  • Während Xi Jinpings Europareise: Der BDI fordert Einigkeit gegenüber China.

  • Glasfaserausbau: Nach neuer Gigabit-Förderung fordert Bitkom „Privat vor Staat“.

  • Sondertreffen zum Schutz von Politikern: Diese Maßnahme steht zur Debatte.

Kanzler Olaf Scholz, Finanzminister Christian Lindner und Familienministerin Lisa Paus sprechen heute auf dem Global Solutions Summit in Berlin. Politik und Wissenschaft diskutieren über die sozio-ökologische Transformation, Reformen des Multilateralismus und die Risiken im Welthandel. Es wird viel Hoffnung geben – und wenig Konkretes.

Denn die Welt befindet sich „in Aufruhr“. Das sagt der Politologe Herfried Münkler. Der 72-Jährige hat zahlreiche Bestseller geschrieben und mehrere Kanzler beraten. Mit ihm sprach unser Kollege Jan Schroeder über die Krise der gegenwärtigen Weltordnung.

Münklers Analyse:

Herfried Münkler © dpa

#1: „Die alte Weltordnung funktioniert nicht mehr.“

Die Welt befinde sich im Umbruch. Das amerikanische Jahrhundert sei vorbei, aber es folge auch keine chinesische Vormachtstellung. China scheue jede globale Verantwortung.

Wir haben es zurzeit mit einer Weltordnung zu tun, die auf einen Hüter angewiesen wäre, aber keinen Hüter mehr hat.

#2: „Mit der Unipolarität ist es insgesamt vorbei.“ In seinem Buch Welt in Aufruhr hat Münkler dafür den Begriff der Pentarchie gewählt: Fünf Mächte – Europa, die USA, China, Russland und Indien – konkurrieren um die Vormachtstellung. Aber: „Die neue Weltordnung ist noch nicht ,in Betrieb‘“. Das sei kein stabiler Zustand, sondern eine Übergangsphase.

Deshalb mehren sich jetzt die Kriege, deshalb dauern sie so lange, werden gefährlicher und wandern bis in die Zentren der Ordnung ein.

#3: „Dem Westen fehlt zurzeit das Personal.“

Die Welt befinde sich in einer Situation, die fähige politische Führung erfordert. Münkler vermisst aber jene Leadership. Die Zeit, wo in Ruhe überlegt, diskutiert und Kompromisse gefunden werden konnten, sei vorbei.

Nun sei Führung „von vorne“, nicht mehr nur „von hinten“ nötig, sagt Münkler. Kanzler vom Typus Konrad Adenauer oder Helmut Schmidt seien dem gewachsen gewesen. Doch die gegenwärtige Politikergeneration sei auf das „Führen von hinten“ eingerichtet. Münkler hält sie für „abgeschliffen“.

#4: „Olaf Scholz ist ein typischer Übergangskanzler.“

Münkler kritisiert:

Er weiß nicht, was er will.

Die angespannte geopolitische Situation verschärfe sich durch das unentschlossene Handeln von Scholz.

Er will die Ukraine unterstützen und dafür sorgen, dass sie den Krieg zumindest nicht verliert, verpasst aber ein ums andere Mal den richtigen Zeitpunkt dafür.

#5: Der Westen verpasst den Zeitpunkt.

Eigentlich böte der Ukraine-Krieg dem Westen die Möglichkeit, sich zu erneuern. Münkler nennt das die „Produktivität von Feindschaft“. Durch die neue Frontstellung im Ukraine-Krieg könnten das zuvor durchaus zerstrittene westliche Bündnis und die Nato wieder zusammenfinden.

Dass das noch nicht geschehen sei, erklärt Münkler mit „den für die USA deprimierenden Erfahrungen im Irak und in Afghanistan“. Münkler sieht darin die eigentliche Zeitenwende.

Der Westen ist nach diesem Scheitern aus einer Phase der Hyperaktivität in eine Phase der Melancholie übergegangen.

Das ganze Interview lesen Sie hier.

CDU-Parteitag: Linnemann und Laumann als Partei-Lieblinge

Gestern startete der dreitägige CDU-Parteitag im Estrel Hotel in Berlin. Die Kurzanalyse unseres Kollegen Michael Bassewitz:

Etappensieg: CDU-Chef Friedrich Merz wurde mit 89,8 Prozent der Stimmen im Amt bestätigt. Das liegt hinter den knapp 95 Prozent des Digital-Parteitags von 2022, ist aber ein solides Wiederwahl-Ergebnis.

Seine Rede: Moderat und staatsmännisch. Merz will weniger anecken und mehr integrieren.

Das Stimmungs-Barometer: Dafür wurde er mit einem langen Applaus seiner Delegierten belohnt – 9:40 Minuten (und kommt damit nicht ganz an den elfminütigen Merkel-Applaus aus dem Jahr 2016 heran).

Friedrich Merz beim 36. Parteitag der CDU © IMAGO / Bernd Elmenthaler

Die beiden Gewinner: Das soziale Gewissen der Partei, Karl-Josef Laumann, bekam mit 91 Prozent die meisten Stimmen unter den Vizes und auch der Partei-Motivator Carsten Linnemann erhielt 91 Prozent bei seiner Wahl zum Generalsekretär.

Die Klatsche: Die Parteilinke Karin Prien wurde mit lediglich 58 Prozent Zustimmung zur Vize gewählt – und so auch für ihre fehlende Distanzierung von Ministerpräsident Daniel Günther und seiner Breitseite gegen Merz abgestraft.

⁠⁠Der Satz des Tages: Merz forderte, wieder mehr in die Verteidigungsfähigkeit zu investieren. Daraufhin sagte er vor allem in Richtung der SPD: „Frieden entsteht nicht allein durch Friedfertigkeit.“

Der Rückzieher des Tages: Günther sagte zu Merz: „Es ist kein Geheimnis, dass wir ja früher nicht immer auf einer Seite gestanden haben.“ Merz sei aber ein hervorragender Partei- und Fraktionsvorsitzender und gebe der CDU Gesicht und klares Profil.

Die Drohung des Tages: Linnemann fordert seine Parteimitglieder heraus: „Ziel sollte es eigentlich sein, dass jedes CDU-Mitglied um drei Uhr morgens geweckt wird und als Erstes sagt: Erstens, zweitens, drittens – dafür steht die CDU.“

Der Gefühlsausbruch: Bei der Ehrung von CDU-Senior Otto Wulff hatte Merz am Ende Tränen in den Augen und würdigte ihn mit brüchiger Stimme.

BDI mahnt Einigkeit gegenüber China an

Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) fordert eine einheitliche Linie der Europäischen Union im Auftreten gegenüber China. Wolfgang Niedermark, Mitglied der Hauptgeschäftsführung des BDI, sagt unserer Kollegin Claudia Scholz:

Europa muss gegenüber den Herausforderungen durch Chinas parteistaatlich gelenkter Wirtschaft und seiner Machtpolitik Einigkeit bewahren.

Dies werde auch in der China-Strategie der Bundesregierung gefordert. „Ausdrücklich wird dort das Interesse der deutschen Regierung an einer intensiveren Koordinierung zum Umgang mit China innerhalb der EU betont“, sagt Niedermark.

Wolfgang Niedermark © BDI

Der Ruf des BDI nach einem geeinten Auftreten wird angesichts der jüngsten Einzeltreffen von Kanzler Olaf Scholz und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron mit Chinas Präsident Xi Jinping laut. Macron und Xi trafen sich am Montag bei dessen Europareise, bei der nur Frankreich, Serbien und Ungarn auf dem Programm stehen.

Es ist die erste Europareise Xis seit fünf Jahren. Deutschland ist nicht Teil der Reise. Kanzler Scholz hatte Xi bereits Mitte April in China besucht.

Xi Jinping trifft Emmanuel Macron © dpa

Glasfaser-Ausbau: Wirtschaft kritisiert zu viel Förderung

Ungewohnte Töne aus der Wirtschaft: Die Bitkom fordert, die Gigabitförderung in den Jahren 2024 bis 2026 auf eine Milliarde Euro pro Jahr zu begrenzen. Damit würde der Bundeshaushalt um insgesamt sechs Milliarden Euro entlastet, ohne dass dadurch weniger Anschlüsse neu gebaut würden.

Ein Angebot, das Finanzminister Christian Linder kaum ablehnen dürfte.

Worum geht's? Vergangene Woche hat das Digitalministerium eine neue Förderrunde eingeläutet, um den Ausbau von Gigabitnetzen voranzutreiben. Demnach sollen 2024 drei Milliarden Euro für den Ausbau von Glasfasernetzen in Länder und Kommunen fließen.

Volker Wissing  © picture alliance/dpa | Jan Woitas

Janine Welsch, Bereichsleiterin Telekommunikationspolitik beim Bitkom, sagt unserer Kollegin Clara Meyer-Horn:

Trotz kleinerer Optimierungen überwiegen bürokratische und risikobehaftete Regelungen, die de facto einen weitreichenden Systemwechsel hin zu noch mehr Bürokratie bedeuten.

Sie moniert weiter:

„Wenn zu viel staatliche Mittel mit privaten Finanzmitteln in Wettbewerb treten, führt dies dazu, dass ohnehin knappe Bau- und Planungskapazitäten in Förderprojekten gebunden werden und damit für den schnelleren eigenwirtschaftlichen Ausbau nicht mehr zur Verfügung stehen.“

Kurzer Schulterblick: Das Fördervolumen der Breitbandförderung beläuft sich seit 2015 auf insgesamt 17 Milliarden Euro. Davon sind 99 Prozent bereits gebunden. Doch der Mittelabfluss stockt. Erst 4,4 Milliarden sind tatsächlich ausgezahlt. In den Jahren 2022 bis 2025 will die Telekommunikationsbranche insgesamt rund 50 Milliarden Euro eigener Mittel in den Ausbau von Glasfasernetzen investieren.

Sondertreffen der Innenminister: Verschärfung des Melderechts steht zur Debatte

Auf dem Sondertreffen will Innenministerin Nancy Faeser heute einen Gesetzentwurf zur Verschärfung des Melderechts mit den Innenministern der Länder diskutieren. Das sagt der SPD-Innenpolitiker Dirk Wiese unserem Kollegen Jan Schroeder. Die Verschärfung des Melderechts soll dazu beitragen, Privatadressen etwa von Politikern, aber auch von „Ehrenamtlichen, Polizisten, Feuerwehrleuten“ besser zu schützen, so Wiese.

Hintergrund: Nach dem Angriff auf den Dresdner Politiker Matthias Ecke hatte Bundesinnenministerin Nancy Faeser ein Sondertreffen der Innenministerkonferenz (IMK) vorgeschlagen. Auf einer Videokonferenz sollen heute um 18 Uhr Maßnahmen gegen Angriffe auf Politiker beraten werden.

Innenministerin Nancy Faeser © dpa

Neu aufgewärmt: Vor einem Monat sagte Innenministerin Nancy Faeser, die Ampel arbeite bereits daran, das Melderecht zu ändern. Konkret geht es darum, dass es möglich werden soll, sogenannte Auskunftssperren im Melderegister einfacher zu beantragen. Damit soll es für Täter schwieriger werden, Privatadressen durch das Melderegister herauszufinden. In der Koalition würden derzeit die Einzelheiten beraten, hieß es damals allerdings schon.

Lohnt sich Arbeit noch? Ende 2023 fanden nur etwas mehr als zwei Prozent der 1,6 Millionen arbeitsfähigen Bürgergeldempfänger einen neuen Job. Das ist der niedrigste Wert seit sechs Jahren, wenn man von der Corona-Krise absieht. Früher, während der Hartz-IV-Ära, lag die Quote oft bei über drei Prozent. Das zeigt eine neue Studie vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB).

Die geringere Jobaufnahme wird von den Studienautoren vor allem auf die Vorteile des Bürgergeldes im Vergleich zu Hartz IV zurückgeführt. Die Sanktionen für Arbeitsverweigerung etwa sind milder als bei Hartz IV.

Eine Infografik mit dem Titel: Bürgergeld: Arbeitsanreiz sinkt

Jobaufnahmen der arbeitslosen Bezieher von Hartz IV / ab 2023: Bürgergeld, in Prozent

Das war gestern und in der Nacht außerdem los

  • Nahost: Im Gaza-Krieg hat die islamistische Hamas nach eigenen Angaben einer Feuerpause zugestimmt. Zuvor hatten Ägypten und Katar zwischen den Konfliktparteien vermittelt. Israel hat dem Vorschlag noch nicht zugestimmt.

  • Frankreich: Auf seinem ersten Europa-Besuch seit fünf Jahren hat Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen getroffen. Kernthema der Unterhaltungen waren die angespannten Handelsbeziehungen zwischen China und der EU. Xi wird seine Reise heute nach Serbien fortsetzen.

Der französische Präsident Emmanuel Macron begrüßt Chinas Präsident Xi Jinping vor ihrem Treffen im Elysée-Palast.  © picture alliance/dpa/AP | Christophe Ena

Wer befindet sich heute wo und welche Termine sind noch relevant?

  • Außenministerin Annalena Baerbock besucht am letzten Tag ihrer Indopazifik-Reise einen Militärstützpunkt der Republik Fidschi.

  • Verteidigungsminister Boris Pistorius verfolgt in Wilhelmshaven das Auslaufmanöver des Einsatzgruppenversorgers Frankfurt am Main für das Indo-Pacific-Deployment.

  • Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier besucht das Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung und die Fürstenwalder Agrarprodukte GmbH in Brandenburg. Schwerpunkt sind Innovationen in der Agrarindustrie.

  • Familienministerin Lisa Paus nimmt in Brüssel am EU-Rat zum Thema „Beschäftigung, Sozialpolitik, Gesundheit und Verbraucherschutz (Sozialpolitik)“ teil.

  • Bauministerin Klara Geywitz setzt ihre Reise in den USA und Kanada fort. Am zweiten Tag trifft sie sich in Ottawa mit ihrem kanadischen Kollegen Sean Fraser.

Auf – Donald Tusk. Die EU-Kommission sieht wegen der laufenden Reformen im Justizwesen und den Zusagen des polnischen Premierministers Donald Tusk kein ernsthaftes Risiko mehr für Polens Rechtsstaatlichkeit. Die Kommission hatte das Verfahren vor sechs Jahren gegen die damals regierende PiS-Partei eingeleitet. Ein neues Kapitel für Polen!

Ab – Donald Trump. Nur eine Woche nach seinem letzten Bußgeld ist der ehemalige US-Präsident zu einer erneuten Geldstrafe verurteilt worden. Er konnte sich nicht zurückhalten und hat abermals gegen seine Schweigeanordnung verstoßen. Beim nächsten Verstoß könnte er sogar ins Gefängnis gehen. Wie sagt man noch? Reden ist Silber, Schweigen ist Gold.

Heute gratulieren wir herzlich:

Bengt Bergt, SPD-Bundestagsabgeordneter, 42

Jan Fleischhauer, Focus-Kolumnist, 62

Susanna Karawanskij (Linke), Ministerin für Infrastruktur und Landwirtschaft in Thüringen, 44

Michael Kretschmer (CDU), Sächsischer Ministerpräsident, 49

Christine Lieberknecht, ehem. Ministerpräsidentin von Thüringen, 66

Gerhard Polt, Kabarettist, 82

Wir wünschen Ihnen einen elanvollen Start in diesen Donnerstag!

Herzlichst,

Ihre

Pioneer Editor, Leiterin „Hauptstadt – Das Briefing“
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