Pietät, Possen, Posten

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Guten Tag,

herzlich willkommen zu unserem Briefing aus der Hauptstadt - direkt von der Pioneer One.

Unsere Themen heute:

  • Der nächste US-Präsident dürfte Joe Biden heißen. Aber wem vertraut er, wenn es um Europa geht? Diese Berater sollten deutsche Außenpolitiker kennen.

  • Der niederländische Historiker Geert Mak fordert von Deutschland mehr Führung in Europa. Wir haben mit ihm gesprochen.

  • Nach dem Tod von Bundestagsvize Thomas Oppermann wollte die SPD-Fraktionsspitze möglichst geräuschlos eine Nachfolgerin finden - es misslang.

Eine Frage der Pietät

Keine zwei Wochen nach dem Tod von Bundestags-Vizepräsident Thomas Oppermann steht die SPD-Fraktion an einem Punkt, den die Führung unbedingt meiden wollte. Tagelang betonten die Genossen in mehreren Gesprächen, auch mit uns, die Entscheidung über die Nachfolge solle kein politisches Posten-Spiel werden. Man wolle nicht einmal spekulieren. Das Wort Pietät fiel oft, bis zuletzt.

Tatsächlich läuft die interne Debatte um die Nachfolge schon seit der vergangenen Woche. Am Mittwoch vor neun Tagen verabschieden sich die Bundestagskollegen in einer Gedenkstunde vom über Parteigrenzen hinweg geschätzten Oppermann.

Noch am selben Tag begannen die Gespräche. Mehrere Abgeordnete gingen auf die ehemalige Bundestagsvizepräsidentin Ulla Schmidt zu, fragten, ob sie die Rolle nun wieder einnehmen würde. Schmidt signalisierte: Ja, sie sei bereit.

Soll nach dem Wunsch der SPD-Fraktionsspitze neue Bundestags-Vizepräsidentin werden: SPD-Politikerin Dagmar Ziegler. © dpa

Doch Fraktionschef Rolf Mützenich und der Erste Parlamentarische Geschäftsführer Carsten Schneider hatten andere Pläne gemacht. Schmidts Fraktionskollegin Dagmar Ziegler sollte den Posten bekommen.

Um die Entscheidung durchzusetzen, hatten Mützenich und Schneider am Mittwoch dieser Woche eilig Sondersitzungen der engsten Fraktionsführung und des Fraktionsvorstands einberufen.

Die Gremien tagten am Donnerstag um 7.30 Uhr und 8 Uhr - und endeten mit erheblichem Widerstand gegen Ziegler. Schon im geschäftsführenden Vorstand gab es kritische Stimmen gegen die Entscheidung.

Im Fraktionsvorstand erreichte Ziegler dann in geheimer Abstimmung gerade einmal 18 Ja-Stimmen bei 12 Gegenstimmen. Und dabei stand Konkurrentin Ulla Schmidt nicht einmal auf dem Stimmzettel.

Um 10.52 verschickte das Büro von Rolf Mützenich eine Mail an die Fraktion. Der Vorstand habe sich “mehrheitlich” für Ziegler als Kandidatin für das Amt der Bundestagsvizepräsidentin ausgesprochen. Sie sei “eine Genossin mit einem beispielhaften Lebensweg aus einem ostdeutschen Bundesland”. Für seinen Vorschlag bitte er um Unterstützung, “euer Rolf”.

Will gegen Dagmar Ziegler antreten: Ex-Bundestagsvize Ulla Schmidt (SPD). © dpa

Der Name Ulla Schmidt fiel in dem Brief nicht. Zur Abstimmung in der kommenden Sitzungswoche in der Fraktionssitzung will sich Schmidt trotzdem stellen.

Zu verlieren hat Schmidt nichts mehr - auch sie scheidet im kommenden Jahr aus dem Bundestag aus.

Die Chronologie eines außer Kontrolle geratenen Prozesses lesen sie in dieser Rekonstruktion.

1. Wer wären Joe Bidens Europa-Berater?

Die USA haben gewählt, und es sieht so aus als könnte am Ende doch der demokratische Präsidentschaftsbewerber Joe Biden gewinnen. Doch welche europapolitische Agenda würde der mögliche neue Präsident verfolgen? In der Berliner Republik fragen sich manche Außenpolitiker, wie Biden in der Europapolitik tickt.

Wir haben uns umgehört bei Politikern, Diplomaten, Politikwissenschaftlern und Transatlantik-Experten im Auswärtigen Amt, bei deutsch-amerikanischen Organisationen und im US-Außenministerium.

Auf wen hört Biden, wenn es um Europa und Deutschland geht?

Joe Biden © dpa

Die früheren Obama-Berater Anthony Gardner, Victoria Nuland, Karen Donfried gehören dabei auch zu den wichtigsten Beratern von Joe Biden, auch die ehemaligen US-Botschafter in Deutschland, Phil Murphy und John Emerson sind einflussreiche Unterstützer und könnten eine wichtige Rolle spielen, sollte Biden gewinnen.

Eine Analyse des Biden-Netzwerks lesen Sie hier.

2. CDU Niedersachsen will moderner und digitaler werden

Der Landesvorsitzende der CDU in Niedersachsen, Bernd Althusmann, will die CDU in Niedersachsen jünger, digitaler und moderner machen, um nach der hauchdünnen Wahlniederlage 2016 im kommenden Landtags-Wahlkampf zu gewinnen.

Einen entsprechenden Auftrag hat der neue Generalsekretär Sebastian Lechner bekommen, der heute Abend ins Amt gewählt werden soll. Der 39 Jahre alte Diplom-Volkswirt ist innenpolitischer Sprecher der Landtagsfraktion und war JU-Chef im Land. Er hat eine klare Agenda:

Wir wollen die CDU deutschlandweit zum digitalsten und innovativsten Landesverband machen

Sebastian Lechner

Dazu gehörten neue Formen der Beteiligung der Basis, digitale Gremiensitzungen und moderne Social-Media-Kampagnen. Inhaltlich werde man sich auch stärker abgrenzen vom eigenen Koalitionspartner im Land, der SPD, so Lechner.

"Wir wollen wieder stärkste Partei in Niedersachsen werden mit Bernd Althusmann an der Spitze. Dafür werden wir Unterschiede zur SPD deutlich machen."

Zum Beispiel in der Corona-Politik. "Wir reagieren bisher nur, wir agieren nicht", kritisiert Lechner. So müsste etwa die Polizei stärker gegen Corona-Regelverstöße eingesetzt werden. "Uns fehlt die zupackende Art."

3. FDP warnt vor Ungerechtigkeit wegen Renten-Garantie

Die FDP warnt vor Ungerechtigkeiten als Folge der Renten-Garantie, die trotz sinkender Löhne eine Absenkung der Altersbezüge jetzt in der Corona-Krise verhindert.

„Ich freue mich über jeden Cent, den Rentner mehr in der Tasche haben. Gleichzeitig ist es eine Frage der Fairness, dass sich Löhne und Renten langfristig im Gleichschritt bewegen“, sagte uns Johannes Vogel, sozialpolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion.

Johannes Vogel zu Gast auf der Pioneer One. © Anne Hufnagl

Am Mittwoch hatten wir über den neuen Rentenversicherungsbericht berichtet, aus dem hervorgeht, dass für Rentner im Westen 2021 eine Nullrunde erwartet wird - und ein Rentenplus von 0,72 Prozent im Osten. Außerdem geht die Regierung davon aus, dass die Löhne in diesem Jahr um 1,0 Prozent sinken.

"Das muss korrigiert werden"

Für solche Konstellationen war der Nachholfaktor eingeführt worden. Bei sinkenden Löhnen führt dieser dazu, dass Rentenerhöhungen in den Folgejahren geringer ausfallen. Der Passus war jedoch Anfang vergangenen Jahres ausgesetzt worden.

„Die Bundesregierung muss den Nachholfaktor wieder einführen“, fordert Vogel.

Union und SPD hätten 2018 mit „diesem bewährten Prinzip unserer Rentenversicherung“ gebrochen. „Das muss korrigiert werden, weil die Renten ansonsten in den kommenden Jahren stärker steigen als die Löhne. Die Rente muss aber für alle Generationen fair, verlässlich und ihre Finanzierung langfristig stabil sein.“

4. Niederländischer Historiker Mak: "Deutschland muss in Europa Führungsrolle übernehmen"

Der niederländische Soziologe und Historiker Geert Mak sieht Deutschland angesichts der Corona-Krise in der Pflicht, mehr Verantwortung innerhalb der EU zu übernehmen.

„Wir können nicht wieder zurück zur Normalität. Diese Krise macht alles anders“, sagte Mak im Interview mit ThePioneer-Chefkorrespondent Rasmus Buchsteiner.

Der 73-jährige, der die These vertritt, dass es nach der Corona-Krise weniger Freiheit, weniger Offenheit und weniger Wohlstand geben werde, war kürzlich in Schloss Bellevue zu Gast - auf Einladung von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier.

"Übermacht des Westens schwindet"

Mak sagte uns, Europa werde benötigt, nicht als Traum oder Utopie, sondern zu konkreter Problemlösung und Identitätsstiftung.

„Wir leben in einem Zeitalter, in dem die Übermacht des Westens schnell verschwindet - und damit auch die westlichen Werte: Der Aufklärung zum Beispiel und die demokratischen Werte.“

In dieser Situation müsse Deutschland mehr Verantwortung übernehmen. „Deutschland liebt das nicht. Das Wort Führung ist auch im Rest von Europa belastet“, sagte Mak. „Aber trotzdem: Es ist die Realität. Ich hoffe und bete, dass Deutschland mehr und mehr den Mut hat, diese Führungsaufgabe auf sich zu nehmen.“

Der Klick aufs Bild führt Sie zum ganzen Gespräch.  Ausriss aus einem Änderungsantrag der großen Koalition zum Bundeshaushalt 2021 © ThePioneer

Union und SPD wollen Seilbahnen in Großstädten und Ballungsräumen zum Teil des öffentlichen Nahverkehrs machen. Der Bund soll in den nächsten Jahren Aufbau, Betrieb und Unterhalt von zwei entsprechenden Pilotprojekten mit zehn Millionen Euro fördern. Das geht aus einem Änderungsantrag der großen Koalition zum Bundeshaushalt 2021 hervor, der uns vorliegt.

„Durch die Förderung einer funktionierenden und in den ÖPNV integrierten urbanen Seilbahnanlage können die Vorteile eines solchen Systems plastisch dargestellt, die Technologie erprobt und Vorbehalte entkräftet werden“, heißt es in dem Entwurf.

Nach Angaben aus Koalitionskreisen stehen die Standorte für die Pilotprojekte noch nicht fest. Kommunen sollten sich für die Förderung bewerben können. In Düsseldorf wird eine Seilbahn zur Anbindung eines höher gelegenen Stadtteils im Rat geprüft.

„Der Bau der geförderten Anlagen soll wissenschaftlich begleitet und evaluiert werden“, heißt es in dem Dokument. Insbesondere soll auch eine Unterstützung für innovative technologische Verknüpfungen von Seilbahnsystemen mit anderen Mobilitätsformen wie dem automatisierten Fahren geleistet werden.

Die CDU geht mit mehreren Agenturen in das Bundestagswahljahr. Der entsprechende Pitch sei abgeschlossen, teilte uns eine Sprecherin des Adenauer-Hauses mit.

"Statt auf das klassische Modell einer einzigen Full-Service Agentur setzt das Adenauer-Haus auf eine breite Aufstellung mit einem Kampagnennetzwerk mit Spezialagenturen von Digital, über Mobilisierung bis Creation.“

Nach unseren Informationen holt sich CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak bei den Social-Media-Aktivitäten Unterstützung von der österreichischen Agentur Campaining Bureau, die schon für das Team von Bundeskanzler Sebastian Kurz arbeitete. Die finale Entscheidung soll der neue CDU-Vorsitzende treffen.

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Auf - Josephine Ortleb soll Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Bundestagsfraktion werden. Die 33-Jährige aus Saarbrücken hat das Vertrauen von Fraktionschef Rolf Mützenich, der sie als Nachfolgerin von Dagmar Ziegler vorgeschlagen hat, die er wiederum als Nachfolgerin des verstorbenen Bundestagsvizepräsident Thomas Oppermann vorgesehen hat. Ob es gelingt, ist unklar, siehe oben. Aber für Ortleb ist es ein früher Vertrauensbeweis von hoher Stelle. Es geht es deshalb bergauf.

Ab - Friedrich Merz hat zu dick aufgetragen - und die alte Politiker-Weisheit, auf hypothetische Fragen besser nicht oder nur ausweichend zu antworten, in diesem Fall sträflich vernachlässigt. Im Bild-Interview nach seinem Verhältnis zu US-Präsident Donald Trump gefragt, reagierte der Kandidat für den CDU-Vorsitz so: „Wir kämen schon klar.“ Er habe nämlich viel Erfahrung im Umgang mit US-amerikanischen Gesprächspartnern und Politikern: „Ich weiß, wie die Amerikaner ticken. Ich bin nun beruflich auch sehr viel in Amerika gewesen.“ Klarer Fall von: Übers Ziel hinausgeschossen.

Ein Präsident Joe Biden wird nicht wie Donald Trump gegen Europa antreten, aber die Europäer sollten sich auch nicht allzu viel erhoffen, sagt ZEIT-Redakteur Ulrich Ladurner. Die EU erscheint in der Pandemie- und Terrorbekämpfung fragiler denn je und braucht eine starke Führung. Diese Aufgabe könnte künftig auch bei Frankreich und Emmanuel Macron liegen, meint Ladurner. Hier lesen Sie seine Analyse.

Die EU verständigte sich gestern auf einen Kompromiss zum Rechtsstaatsmechanismus. So wird es künftig möglich sein, Zahlungen an Mitgliedstaaten einzuschränken, wenn diese gegen die EU-Grundsätze verstoßen. Polen hat daraufhin bereits mit einem Veto gegen den EU-Haushalt gedroht. Ein politökonomischer Selbstmord findet Piotr Buras, Leiter des Warschauer Büro für den European Council on Foreign Relations. Hier lesen Sie seinen Gastbeitrag im Tagesspiegel.

Heute gratulieren wir herzlich zum Geburtstag:

Max Müller, Leiter Bereich Public Affairs Deutschland, Bayer AG, 45

Am Samstag gratulieren wir:

Julian Heißler, Washington-Korrespondent der Wirtschaftswoche, 37

Am Sonntag gratulieren wir:

Bernd Kundrun, ehemaliger Chef von Gruner + Jahr, 62

Daniela Augenstein, Staatssekretärin a.D., Kommunikationsberaterin, 41

Der ehemalige Präsident des Bonner Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK), Christoph Unger, ist am Mittwoch vom Bundeskabinett als neuer Vizepräsident des Statistischen Bundesamtes in Wiesbaden bestätigt worden.

Nach Pannen im Zusammenhang mit dem bundesweiten Warntag war im September bekannt geworden, dass Unger seinen Posten beim BBK verlieren würde. Ihm folgt der bisherige CDU-Abgeordnete Armin Schuster.

Wird Vizepräsident des statistischen Bundesamts: Christoph Unger. © dpa© ThePioneer

Manfred Pentz ist CDU-Landtagsabgeordneter in Hessen und Generalsekretär der Partei. In seinem Landesverband hat Friedrich Merz viele Unterstützer, der frühere Ministerpräsident Roland Koch und seine immer noch präsenten Truppen im Landesparlament gelten als Merz-Unterstützer. Doch der erfolgreich regierende Ministerpräsident Volker Bouffier, Kanzleramtschef Helge Braun und einige Bundestags- und Landtagsabgeordnete wünschen sich Laschet. 50:50, heißt es.

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Pioneer Editor, Ex-Stellvertretender Chefredakteur The Pioneer
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