Kanzlerjet: Mittelstand unerwünscht

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Guten Morgen,

unsere Themen heute:

  • Auf den Reisen von Kanzler und Wirtschaftsminister haben immer weniger Unternehmenschefs Platz.

  • Wie geht es weiter nach dem Tod des iranischen Präsidenten? Wir haben einen Experten befragt.

  • Der Normenkontrollrat fordert 16 Milliarden Euro weniger Bürokratiekosten.

  • Kindergrundsicherung: Verhandlungen gehen weiter, aber nicht vorwärts.

  • Die FDP kritisiert den Haftbefehl-Antrag für Netanjahu. Die SPD unterstützt ihn.

  • AKW-Files: Union nimmt Entschwärzungs-Angebot des Wirtschaftsministeriums an.

Kanzler Olaf Scholz reiste Mitte April nach China. © dpa

In diesen Tagen hoffen Chefs von Dax-Konzernen und mittelständischen Unternehmen auf eine Zusage vom Wirtschaftsministerium. Rund 100 Firmen haben sich darum beworben, mit Minister Robert Habeck vom 17. bis 21. Juni nach China und Südkorea zu fliegen. Auf dem Programm stehen neben der Hauptstadt Peking die Wirtschaftszentren Shanghai und Hangzhou.

Doch nur ein Bruchteil der Firmenchefs, die sich bewerben, darf mitreisen. Bei Habecks anstehendem China-Flug werden vermutlich zwölf bis 15 Personen dabei sein, hören wir. Habecks Mini-Delegation folgt einem Muster:

#1 Die Delegationen werden immer kleiner: Die Kanzler- und Vizekanzlerreisen sind die wichtigsten Auslandstermine der Regierung, an denen Unternehmenschefs teilnehmen können. Wer dabei sein darf, dem öffnen sich Türen leichter. Doch die Teilnehmerzahl der Wirtschaftsdelegationen ist im Vergleich zu früheren Jahren erheblich gesunken, analysiert unsere Kollegin Claudia Scholz.

Zu Zeiten von Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel reisten regelmäßig 50 Wirtschaftsbosse nach China mit, davon nie mehr als sieben Dax-Chefs. Bei den China-Touren der früheren Bundeskanzlerin Angela Merkel war meist eine 20-köpfige Wirtschaftsdelegation dabei.

Eine Infografik mit dem Titel: Zunehmende Exklusivität

Anzahl der Teilnehmer von Wirtschaftsdelegationen vergangener Reisen der Bundesregierung nach Asien.

Bei der China-Reise von Kanzler Olaf Scholz Mitte April bewarben sich 160 Firmenchefs, am Ende durften nur zwölf mitfliegen. Der Frust in der Wirtschaft wächst, einige CEOs bewarben sich bereits mehrmals und wurden bisher nie genommen.

#2 Weniger Plätze für Mittelständler: Je kleiner die Wirtschaftsdelegation, umso weniger Mittelständler können teilnehmen. Laut der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) machten Mittelständler bei den Reisen der letzten Jahre im Schnitt höchstens 20 Prozent der Delegationen aus, der Rest waren Dax-Unternehmen. Mit Scholz in China waren gerade mal vier Mittelständler, bei Merkel waren es oft zehn und mehr, bei Gabriel meist mehr als 30.

Volker Treier, der Außenhandelschef der DIHK, sagt uns:

Es wäre eine wenig angemessene Darstellung der deutschen Wirtschaft, wenn man nur zehn oder zwölf Unternehmen mitnimmt und der Großteil davon Dax-Unternehmen sind.

DIHK-Außenwirtschaftschef Volker Treier  © DIHK

Ginge es nach Treier, sollten die Wirtschaftsdelegationen von Kanzler und Vizekanzler wieder größer werden, um die deutsche Wirtschaftsstruktur besser zu berücksichtigen. Die Teilnehmerzahl sollte „mindestens annähernd so groß sein, wie sie es zu Zeiten von Merkel und Gabriel war“, sagt Treier.

#3 Internationale Bescheidenheit: Deutschland nimmt auch im Vergleich zu anderen Ländern deutlich kleinere Wirtschaftsdelegationen nach China mit. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron reiste im vergangenen Jahr mit über 50 CEOs zu Chinas Präsident Xi Jinping. Indiens Präsident Narendra Modi nahm sogar über hundert Firmen mit zu seinem wichtigen Handelspartner.

Die Größe der Wirtschaftsdelegation sei vom Einzelfall abhängig und basiere „auf dem regelmäßigen Austausch mit der deutschen Wirtschaft, den aktuellen wirtschaftlichen Beziehungen zum Besuchsland sowie den wirtschaftspolitischen Zielen der Bundesregierung“, teilt uns eine Regierungssprecherin mit. Man achte auf Ausgewogenheit hinsichtlich der Unternehmensgröße und der Unternehmensbranche, heißt es aus dem BMWK auf Anfrage.

Iran-Experte: Nachfolge von Raisi noch offen

Nachdem der iranische Präsident Ebrahim Raisi und andere Regierungsmitglieder bei einem Helikopterabsturz ums Leben kamen, muss die iranische Führungsebene neu geordnet werden. Der Vize-Staatspräsident Mohammad Mokhber übernimmt interimsmäßig seine Position.

Dr. Ali Fathollah-Nejad © afnejad/facebook

Die Nachfolge: Ist noch offen, sagt uns der deutsch-iranische Politologe und Gründer des Center for Middle East and Global Order, Ali Fathollah-Nejad. „Ein potenzieller Kandidat wäre der aktuelle Parlamentssprecher Mohammad Ghalibaf.“ Innerhalb von 50 Tagen muss neu gewählt werden. Allerdings gibt der Experte zu bedenken:

Die Wahlen sind weder fair noch frei. Es gibt zudem eine starke Vorselektion der Kandidaten, auf die der oberste Führer großen Einfluss hat.

Mohammad Ghalibaf, möglicher Nachfolger Raisis © Imago

Der Einfluss auf die Iran-Politik: Laut Verfassung ist der Präsident die zweitwichtigste politische Figur im Iran. „Im realen Machtapparat hat er deutlich weniger Einfluss“, sagt uns Fathollah-Nejad. Das Machtzentrum bestehe aus dem Revolutionsführer Ali Khamenei und seinem Büro sowie den islamischen Revolutionsgarden.

Khameneis Nachfolge? Seit Monaten schon wird ein Nachfolger für den 85-jährigen obersten Führer des Landes gesucht. Auch Raisi wurde als potenzieller Kandidat gehandelt. Das sei aber „umstritten“ gewesen, so Fathollah-Nejad. „Es gibt keine wirklich charismatische Figur, die in die Fußstapfen des jetzigen obersten Führers treten könnte.“

Kindergrundsicherung: Ampel wird sich einfach nicht einig

Am Donnerstag trafen sich die stellvertretenden Fraktionschefs der Ampelparteien, um über die verzwickte Lage der Kindergrundsicherung zu beraten.

Alles offen: Mehr als eine Stunde haben sich Andreas Audretsch (Grüne), Gyde Jensen (FDP) und Sönke Rix (SPD) über die Details des Projekts beraten. Auch in dieser Runde konnte man sich auf keine weiteren Maßnahmen einigen.

Familienministerin Lisa Paus © imago

Das Familienministerium unter der Leitung von Lisa Paus hält weiterhin an der Kindergrundsicherung fest. Die Grünen wollen ihren Ampel-Partnern noch in der kommenden Woche Lösungsvorschläge schriftlich vorlegen. Nach Auswertung des Schreibens müsste man schauen, wie es weitergeht, hört unsere Kollegin Laura Block aus Regierungskreisen.

Dass es wieder zu keiner Einigung kam, sorgt für Frustration, hören wir. Insgeheim hatten vor allem SPD und FDP auf einen Befreiungsschlag der Kindergrundsicherung gehofft, damit der Weg für neue Ideen und Ansätze geebnet werden könne.

Normenkontrollrat fordert Bürokratieabbau

Der Nationale Normenkontrollrat (NKR) fordert die Bundesregierung auf, die Bürokratiekosten innerhalb von vier Jahren um 25 Prozent abzubauen – und so 16 Milliarden zu sparen. Dies geht aus einem Bericht zur Arbeit des Normenkontrollrats für den Rechtsausschuss hervor, der unserem Kollegen Michael Bassewitz vorliegt.

Lutz Goebel, Vorsitzender des Nationalen Normenkontrollrates 

One in, one out: Für eine systematische Bürokratievermeidung bestehe laut NKR mit der „One-in-one-out“-Regel bereits ein geeignetes Instrument. Diese habe allerdings „zu viele Ausnahmen und bildet die Realität nicht gut ab.“

Qualität der Gesetze: Für minimierte Bürokratiehürden fordert der Rat außerdem Digital- und Praxischecks sowie eine stärkere Evaluierung von Gesetzen.

Signal aus dem Bundestag? Der NKR wünscht sich für eine Verschärfung der „One-in-one-out“-Regel Unterstützung aus der Politik, um das geforderte Bürokratieabbaupotenzial zu verstärken.

Zum Download: Thesenpapier des Normenkontrollrats

Haftbefehl-Antrag gegen Netanjahu: Kritik aus Deutschland

Die FDP kritisiert die Entscheidung vom Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH), Karim Khan, einen Haftbefehl für den israelischen Präsidenten Benjamin Netanjahu zu beantragen.

Benjamin Netanjahu © imago

„Die Gleichsetzung der Hamas-Führung – der Führung einer Terrororganisation – und die Anklage einer demokratisch gewählten Regierung empfinde ich mehr als schwierig“, sagt uns der außenpolitische Sprecher der FDP, Ulrich Lechte. Bei aller Kritik an Präsident Netanjahu hätte er sich „eine umsichtigere Perspektive des IStGH“ gewünscht.

Auch der außenpolitische Sprecher der Union Jürgen Hardt hofft, dass der IStGH die Haftbefehle nicht ausstellen wird. Er vermutet, der Chefankläger wolle „mit den beantragten Haftbefehlen gegen Netanjahu und Galant dem häufig aus Afrika und Lateinamerika erhobenen Vorwurf der Einseitigkeit des IStGH zuvorzukommen“.

Man müsse die Hinweise „ernst nehmen und ihnen nachgehen, ohne das israelische Verhalten der Kriegsführung der Hamas gleichzusetzen oder gar Israel vorzuverurteilen“, findet hingegen SPD-Außenpolitiker Nils Schmid. „Ich vertraue darauf, dass israelische Behörden den Hinweisen nachgehen. Dann erübrigt sich ein weiteres Vorgehen des IStGH.“

Khan hat Haftbefehle für führende israelische und palästinensische Politiker beantragt, darunter Netanjahu und der Hamas-Führer Jahia Sinwar. Der Vorwurf: Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen. Beide Seiten kritisierten den Vorgang scharf.

AKW-Files: Union nimmt Entschwärzungs-Angebot an

Im Streit um die AKW-Entscheidung nimmt Thomas Gebhart, Obmann der Union im Ausschuss für Klimaschutz und Energie, das Angebot von Robert Habecks Parlamentarischem Staatssekretär Stefan Wenzel an, die umstrittenen Kernkraft-Unterlagen zu entschwärzen. Das geht aus einer E-Mail zwischen den beiden Beteiligten hervor, uns vorliegt.

Stefan Wenzel (links) und Robert Habeck © Imago

Akten, bitte: Für Gebhart kommen laut E-Mail „nicht ausschließlich, aber insbesondere“ 27 Dokumente in Betracht. Darunter auch die „bislang nicht übermittelten“ Anlagen zum Dokument Nr. w086.

Die Vorgeschichte: Das Wirtschaftsministerium hatte vergangenen Mittwoch zugesagt, in Bezug auf die Unterlagen zur AKW-Entscheidung 2022 weitere Transparenz zu schaffen. Laut CDU/CSU wurden dem Parlament mittlerweile die Unterlagen übermittelt, die von Cicero vor Gericht erstritten wurden.

Gebhart bittet zudem um „die Übermittlung aller Unterlagen (einschließlich der Korrespondenzen mit anderen Ressorts und dem Kanzleramt), die zur Entscheidungsfindung beigetragen haben“, bis zum 23. Mai dieses Jahres. „Sollte dies nicht möglich sein, bitten wir um eine Begründung, warum dem Parlament nicht alle Unterlagen zur Verfügung gestellt werden“, heißt es in der E-Mail.

Zum Download: E-Mail an das BMWK

Deutschland ist für ausländische Investoren womöglich attraktiver als von Christian Lindner und anderen gerne heraufbeschwört wird – darauf lassen zumindest die Zahlen zu den im vergangenen Jahr getätigten Direktinvestitionen schließen.

Mit 34,8 Milliarden Euro stiegen diese um ganze 38 Prozent im Vergleich zum Vorjahr und erreichten einen neuen Höchstwert. Grund dafür sind zahlreiche Großinvestitionen von Apple oder dem Chip-Hersteller TSMC aus Taiwan. Doch Vorsicht: Viele dieser Projekte werden mit Steuergeldern subventioniert.

Eine Infografik mit dem Titel: Ausländische Investitionen: Deutschland im Aufwind?

Gesamtvolumen der geplanten ausländischen Direktinvestitionen in Deutschland 2019 bis 2013, in Milliarden Euro

Wie schon in den Vorjahren bleiben die USA mit 235 Investitionsprojekten der größte Investor auf dem deutschen Markt. Besonders viele Projekte entfielen dabei auf die Sektoren Energie und Digitalisierung.

Eine Infografik mit dem Titel: Großinvestor USA

Anzahl der ausländischen Investitionsprojekte 2023, nach Herkunftsland.

Das war am langen Wochenende und in der Nacht außerdem los:

  • Julian Assange: Der WikiLeaks-Gründer darf in Großbritannien Berufung gegen seine Auslieferung an die USA einlegen. Das entschied der Londoner High Court und wendete damit eine unmittelbare Auslieferung des 52-Jährigen ab.

  • Hochwasser: Im Saarland und in Rheinland-Pfalz sind die Aufräumarbeiten nach den schweren Regenfällen des Wochenendes angelaufen. Das Ausmaß der Schäden ist laut der saarländischen Ministerpräsidentin Anke Rehlinger noch nicht abzusehen. Weitere Regenfälle sind für heute angekündigt.

  • Ukraine-Krieg: Bei einer Wahlkampfveranstaltung in Karlsruhe hat sich Kanzler Olaf Scholz gegen den angeblichen Nato-Plan einer Flugverbotszone in der Ukraine ausgesprochen. Eine solche Entscheidung würde Deutschland „direkt in den Krieg in der Ukraine verwickeln“ und dürfe nicht mit „Schaum vor dem Mund“ getroffen werden.

Olaf Scholz in Karlsruhe © dpa

Wer befindet sich heute wo und welche Termine sind noch relevant?

  • Kanzler Olaf Scholz nimmt an der „Virtual Leaders' Session“ des KI-Gipfels teil.

  • Innenministerin Nancy Faeser stellt die Fallzahlen politisch motivierter Straftaten im vergangenen Jahr vor.

  • Wirtschaftsminister Robert Habeck nimmt am Spatenstich für eine Stromleitung zwischen Deutschland und Großbritannien in Wilhelmshaven teil.

  • Finanzminister Christian Lindner hält eine Rede beim Verband der Wertpapierfirmen.

  • Verteidigungsminister Boris Pistorius bricht zum Besuch der Militärübung „Grand Quadriga“ nach Lettland und Litauen auf.

  • In den US-Bundesstaaten Kentucky und Oregon finden die letzten Vorwahlen der Demokraten und Republikaner statt.

Auf – Lai Ching-te. Der gestern ins Amt gewählte Präsident von Taiwan erklärte vor tausenden Anhängern in Taipeh – in Begleitung von Breakdance, Regenbogenflaggen und Ureinwohnern – Frieden und Stabilität zum obersten Gebot seiner Amtszeit. Wie schon seine Vorgänger möchte Ching-te am „Status Quo“ festhalten und eine Eskalation mit China vermeiden. Wir wünschen ihm gerade in diesen Zeiten viel Erfolg!

Ab – Janez Lenarčič. Jegliches Fingerspitzengefühl vermissen ließ der EU-Kommissar gestern in seinem Umgang mit dem verunglückten iranischen Präsidenten Ebrahim Raisi. Einen Post zum Thema auf X versah der Slowene kurzerhand mit dem Hashtag #EUSolidarity. Er hatte auf Bitte Irans ein Satelliten-Ortungssystem aktiviert, das bei der Suche des Präsidenten helfen sollte. Kleine Erinnerungshilfe: Raisi ließ Frauen hinrichten, die kein Kopftuch trugen, und griff noch vor wenigen Wochen Israel mit 300 Drohnen an.

Heute gratulieren wir herzlich:

Tina Rudolph, SPD-Bundestagsabgeordnete, 33

Ruppert Stüwe, SPD-Bundestagsabgeordneter, 46

Thomas Haldenwang, Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, 64

Wir wünschen Ihnen einen elanvollen Start in diesen Donnerstag!

Herzlichst,

Ihre

Pioneer Editor, Leiterin „Hauptstadt – Das Briefing“
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