Unsere Themen heute:
Vor der heutigen Regierungserklärung sind die Erwartungen an Olaf Scholz groß – wir haben uns in Regierung und Opposition umgehört.
Wir geben Ihnen einen Überblick über die wichtigsten Änderungen beim Nachtragshaushalt für 2023.
Ab 2024 ist ein neues Semesterticket auf Deutschlandticket-Basis für Studierende möglich.
Einer uns exklusiv vorliegenden Studie zufolge nimmt das Vertrauen der Bürger in die deutsche Politik ab.
Wolfgang Kubickis Karibik-Kreuzfahrt hat ein Nachspiel im Ältestenrat.
Die Krankenhausgesellschaft warnt vor Kürzungen wegen der Haushalts-Notlage.
Merz erwartet zweite Zeitenwende-Rede
Die Erwartungen sind hoch an Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), wenn er sich an diesem Dienstag wenige Minuten nach zehn Uhr an das Rednerpult des Deutschen Bundestages stellt. Er wird eine Regierungserklärung abgeben – die wohl schwerste seiner Amtszeit.
Auf andere Krisen konnte er mit Geld antworten: 60 Milliarden extra für den Klima- und Transformationsfonds, 100 Milliarden Euro für das Zeitenwende-Bundeswehr-Sondervermögen und 200 Milliarden Euro für den Wirtschaftsstabilisierungs-Doppelwumms.
Mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist das alles vorbei. Wie wir hören, verengt sich der Spielraum der Bundesregierung auf Sparen und neue Einnahmen. Sondervermögen sind in der neuen Zeitrechnung ein Tabu.
Christian Lindner, Bundesvorsitzender der FDP © dpaDas Grundsatzurteil des Bundesverfassungsgerichts sprengt die Haushalte für 2023 und 2024. Für das laufende Jahr hat Finanzminister Christian Lindner (FDP) einen Nachtragshaushalt vorgelegt (siehe unten). Für den Etat 2024 fehlt bisher die Lösung.
Wir wir aus Haushälterkreisen hören, fehlen im kommenden Jahr „16 bis 27 Milliarden Euro“.
Wie wird Scholz darauf reagieren?
Die Rede wird im kleinsten Kreis vorbereitet. Vielleicht bekommen Vizekanzler Robert Habeck und Lindner sie noch vorab zu lesen. Aber selbst das ist ungewiss.
Von Leuten, die Einblick in den Prozess haben, hört unser Kollege Thorsten Denkler, dass Scholz die Botschaft von Zuversicht und Gelassenheit verbreiten will.
Ob das reicht?
Der Opposition sicher nicht, das lässt sich jetzt schon sagen.
Friedrich Merz, Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion © dpaDer Unions-Fraktionsvorsitzende und CDU-Parteivorsitzende Friedrich Merz sagt:
Ich erwarte eine zweite Zeitenwende-Rede.
Sein Fraktionsvize Jens Spahn fordert einen klaren Sparkurs: Bürgergeld runterfahren, das Heizungsgesetz einmotten, die Kindergrundsicherung aufgeben.
Spahn sagte unserem Kollegen Christian Schlesiger: „Wer hungrig einkaufen geht, kauft meist zu viel und das Falsche.“ Die Ampel weigere sich, Prioritäten zu setzen.
Und Partei-Vize Andreas Jung erklärt: Die Priorität Klimaschutz muss vom Wahlplakat in den Bundeshaushalt.
Anders die Regierungs-Fraktionen:
Rolf Mützenich, Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion © dpaSPD-Fraktionschef Rolf Mützenich dämpft die Erwartungen:
Ich glaube nicht, dass das jetzt so schnell gehen wird.
Grünen-Fraktionschefin Katharina Dröge fordert eine Reform der Schuldenbremse. Die bestehende sei „handwerklich schlecht gemacht“.
Für FDP-Fraktionschef Christian Dürr aber gilt: „Sparen ist das Gebot der Stunde.“
Frank Schäffler © ImagoFrank Schäffler, finanzpolitischer Hardliner der FDP-Fraktion, fordert wie Merz eine „Zeitenwende-Rede“. Er sagte uns:
Olaf Scholz muss die Bürger darauf einstellen, dass die Finanzen der Bundesrepublik Deutschland endlich sind. Die Schuldenbremse gilt ohne Wenn und Aber. Sie darf weder über die Ausrufung einer neuen Notlage für 2024 ausgehebelt werden noch über vermeintliche Notwendigkeiten wegreformiert werden. Der Staat muss sparen.
Fazit: Olaf Scholz wird es heute nicht allen recht machen können.
Nachtragshaushalt 2023
Jetzt ist er raus: der vergangene Woche von Finanzminister Christian Lindner (FDP) angekündigte Nachtragshaushalt für 2023. Die wichtigsten Änderungen:
Steuereinnahmen: Sie sinken wegen angepasster BIP-Prognose um 1,8 Milliarden Euro.
Aktienrente: Der Start wird verschoben – der Staat legt 10 Milliarden Euro erst später an.
Gesamtausgaben: Sie fallen um rund 15 Milliarden Euro auf 461,2 Milliarden Euro.
Wirtschaftsstabilisierungsfonds: Der WSF wird Ende 2023 geschlossen.
Schulden: Das Haushaltsdefizit steigt von 45 auf 70,6 Milliarden Euro.
Der Bundestag soll für 2023 dann noch nachträglich „eine außergewöhnliche Notsituation” beschließen. Grund seien die wegen des „völkerrechtswidrigen russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine verbundenen humanitären, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Auswirkungen”.
Hier der Nachtragshaushalt 2023 zum Download:
Kabinettsvorlage Nachtragshaushalt
Semesterticket für Studierende ab 2024
Studierende unterwegs © Imago ImagesAb dem Sommersemester 2024 wird das Semester-Ticket zum Deutschland-Ticket. Dann können Verkehrsunternehmen, Verkehrsverbünde und Landestariforganisationen Vereinbarungen mit Hochschulen und Studierendenorganisationen über ein Semesterticket auf Deutschlandticket-Basis treffen.
Der Beschluss des Koordinierungsrats des Deutschlandtickets liegt unserem Kollegen Paul Jouen vor. Demnach soll das Deutschlandticket für Studierende rund 29 Euro kosten.
Um dieses Ticket zu erhalten, müssten die Studierenden ihr Deutschlandticket, falls sie eines besitzen, kündigen. Eine monatliche Kündigung, wie es beim Deutschlandticket der Fall ist, soll jedoch beim Semesterticket nicht möglich sein.
Die stellvertretende Vorsitzende im Verkehrsausschuss, Nyke Slawik (Grüne), meint, dass das vor allem ein Gewinn für die Studierendenschaften sei, die endlich ein günstiges, deutschlandweit gültiges Ticket angeboten bekämen.
Nyke Slawik © ImagoDas haben sie bitter nötig, denn Studierende waren eine Gruppe, die während der Coronazeit und während der steigenden Inflation besonders gelitten hat.
Bürger misstrauen der Politik
Das Vertrauen der Bürger in die deutsche Politik nimmt ab – Deutschland radikalisiert sich. Das ist das Ergebnis einer von Philip Morris finanzierten Studie des Kölner Rheingold Instituts, die unserem Kollegen Christian Schlesiger exklusiv vorliegt. Demnach zeige sich „deutlich, dass sich insbesondere die Mittelschicht nicht mehr ausreichend von politischen Mandats- und Entscheidungsträger:innen vertreten fühlt”, heißt es in der Auswertung.
Die wichtigsten Ergebnisse, die sich auf eine qualitative und quantitative Umfrage unter mehr als 3000 Menschen in Deutschland stützen:
20 Prozent der Bürger lassen sich der Gruppe der „Enttäuschten Radikalen” zuordnen. Das sind acht Prozentpunkte mehr als 2022.
20 Prozent gehören der Gruppe der „Überforderten Ängstlichen” an – ein Plus von vier Prozentpunkten gegenüber dem Vorjahr.
51 Prozent der Bundesbürger sind entweder den „Zufrieden Moderaten” oder den „Umweltbewussten, engagierten Optimisten” zugehörig – das ist zwar die Mehrheit, aber immerhin ein aggregiertes Minus beider Gruppen von elf Prozentpunkten.
Die Mehrheit der Befragten erwartet vom politischen Spitzenpersonal außerdem einen Führungsstil im Sinne des „Volkes Kümmerers“, gefolgt vom „Nahbaren Gestalter“. „Fordernde Visionäre”, die Eigenverantwortung verlangen, werden abgelehnt.
Kubickis Karibik-Kreuzfahrt wird Thema im Ältestenrat
Die Kreuzfahrt von Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki (FDP) soll ein Nachspiel im Ältestenrat des Bundestages haben. Wie unser Kollege Thorsten Denkler hört, soll sich Kubicki vor seinen Kolleginnen und Kollegen dort erklären müssen.
Wolfgang Kubicki © imago / Christian SpickerWie wir hören, gibt es im 23-köpfigen Ältestenrat breiten Unmut über Kubickis Gebaren.
Die parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen-Bundestagsfraktion, Irene Mihalic, sagte uns:
Grünen-Politikerin Irene Mihalic © ImagoSich eine Kreuzfahrt sponsern zu lassen, verträgt sich aus meiner Sicht nicht wirklich mit der Würde des Amtes eines Bundestagsvizepräsidenten.
Und weiter:
Linke-Parteichefin Janine Wissler © dpaWenn Herr Kubicki dort fern der ungemütlichen deutschen Wetterlage die Abschaffung der sozialen Förderung des Einbaus neuer Heizungen fordert, dann ist das ganz schön abgehoben und verantwortungsvergessen.
Die Parteivorsitzende der Linken, Janine Wissler, sagte uns:
Ich würde mich freuen, wenn Wolfgang Kubicki seine Kreuzfahrt bis zum Ende der Wahlperiode verlängert. Auf hoher See kann er nicht allzu viel Schaden anrichten.
Kubicki ist in die Kritik geraten, weil er sich auf eine Kreuzfahrt in die Karibik hat einladen lassen. Er hat sich dort in einer Talk-Runde negativ über Teile der eigenen Koalition ausgelassen. Unter anderem soll er indirekt den Rücktritt von Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) gefordert haben, sollte das Heizungsgesetz nicht gekippt werden.
Eingeladen hatte ihn und eine Begleitung die Firma der ehemaligen Fernseh-Moderatorin Sabine Christiansen. Kubicki verteidigt sich, er sei als Autor des Buches „Sagen, was Sache ist” eingeladen worden. Ein Honorar sei ihm nicht gezahlt worden. Die Übernahme von Kost und Logis sei durchaus üblich.
Krankenhäuser sorgen sich um Fördergeld
Vom Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Klima- und Transformationsfonds und der aktuell geltenden Haushaltssperre sind auch dringend erwartete Fördergelder für Krankenhäuser betroffen.
Der Vorstandschefs der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), Gerald Gaß, sagte unserer Kollegin Phillipka von Kleist:
Von der Haushaltsnotlage betroffen sind rund 800 Millionen Euro, die letzte Rate der pauschalen Energiekostenhilfe, die im Januar 2024 ausgezahlt werden sollte.
Gaß fordert vom Bund jetzt schnelles Handeln, „da die besonders stark gestiegenen Energiekosten die Krankenhäuser in der ohnehin angespannten wirtschaftlichen Lage sehr belasten.“
Die zugesagten Gelder seien außerdem in den Wirtschaftsplänen der Krankenhäuser „fest eingepreist“.
Gerald Gaß © dpaDas Ausbleiben der Energiekostenhilfe kann für einzelne Krankenhäuser sogar existenzbedrohend werden. Nach Zahlen der DKG meldet im Schnitt alle zwei Wochen ein Krankenhaus in Deutschland Insolvenz an.
Seit Jahresanfang haben demnach bereits 28 Krankenhäuser Insolvenzanträge gestellt.
2022 waren es hingegen nur vier Kliniken. Mit der Aufzeichnung der Daten wurde allerdings erst im Juli 2022 begonnen.
Die aktuelle Herbstumfrage des Deutschen Krankenhausinstituts unterstreicht das Bild.
Drei Viertel der befragten Kliniken gehen davon aus, dass die Versorgungssituation in einem Jahr schlechter sein wird als heute. Schon jetzt planen die Häuser, ihren Leistungsumfang und ihr Leistungsangebot einzuschränken und Personal zu reduzieren.
Was diese Woche im Parlament beraten wird
In dieser Woche stehen im Bundestag neben dem Nachtragshaushaltsgesetz 2023 weitere wichtige Gesetzesentwürfe zur Diskussion.
Die erste Lesung zur Modernisierung des Staatsangehörigkeitsrechts, bei dem die Aufenthaltsdauer für eine Einbürgerung von acht auf fünf Jahre verkürzt werden soll, steht an.
Am Donnerstag wird über das Rückführungsverbesserungsgesetz beraten, das darauf abzielt, die rechtlichen Voraussetzungen für eine erhöhte Rückführungsquote bei Rückführungsmaßnahmen umzusetzen.
Außerdem wird ein Gesetzesentwurf zur Fortentwicklung des Völkerstrafrechts diskutiert und das Nationale Reformprogramm 2023 sowie ein Bericht zur ökobilanziellen Bewertung von Gebäuden vorgestellt.
Hier finden Sie die Tagesordnung für diese Sitzungswoche:
Tagesordnung Sitzungswoche 28.11. - 01.12.23
NATO-Außenministertreffen beginnt in Brüssel
Heute und morgen treffen sich die Außenminister der NATO und Schweden in Brüssel. Schweden wartet im Beitrittsprozess seit Monaten auf die Zusage der Türkei, nun soll der Druck weiter erhöht werden.
Annalena Baerbock und die schwedische Außenministerin Ann Linde © ImagoGeplant sind zudem Gespräche über die Situation im Nahen Osten und die Zusammenarbeit mit der Ukraine gemeinsam mit dem ukrainischen Außenminister Dmytro Kuleba. Auch wird der NATO-Jubiläumsgipfel zum 75-jährigen Bestehen in Washington im Juli vorbereitet. Zum Live-Stream geht es hier.
Auf - Markus Söder. Der CSU-Chef fordert angesichts der Haushaltskrise vorgezogene Neuwahlen. Die Ampel-Regierung solle die Vertrauensfrage stellen, „nicht im Parlament, sondern vor dem deutschen Volk“. Die neue Regierung solle dann natürlich von der Union gestellt werden, zum Beispiel in Form einer Großen Koalition. Vielleicht sogar mit ihm als Kanzlerkandidaten? Ausgeschlossen hat er das zumindest nicht.
Ab - Belit Onay. Nach einer vierjährigen Koalition mit der SPD hat letztere gestern das rot-grüne Bündnis im Stadtrat Hannover aufgekündigt. Ein Streitpunkt war unter anderem die Verkehrspolitik. Onay hatte kürzlich angekündigt, die Hannoveraner Innenstadt bis 2030 verkehrsfrei zu machen. Der Bürgermeister muss sich seine Mehrheiten jetzt selbst im Rat suchen.
Der Westen mache Russland stärker als es ist, schreibt Redakteur Maxim Kireev in der Zeit. Er hatte Russland direkt nach dem Angriff im Frühjahr 2022 als gescheitert abgestempelt und muss jetzt das „bemerkenswerte Comeback“ und die gleichzeitige Schwäche der Ukraine dokumentieren. „Aus dieser Unterschätzung speist sich auch das heutige Selbstbewusstsein der politischen Elite um Putin“, schreibt Kireev. Allerdings bleibe Russland auch heute angreifbar. „Die anfälligste Komponente von Putins Kriegsmaschine bleibt die Wirtschaft“, schlussfolgert er.
Der Tagesspiegel-Herausgeber Stephan-Andreas Casdorff sieht eine Gemeinsamkeit zwischen Robert Habeck und Friedrich Merz: Der Fokus auf den jeweiligen politischen Gegner als „Sündenbock“. „Wenn Habeck weiter so redet, übertreibt er wie sonst Merz“, so Casdorff. Habeck habe während des Grünen-Parteitags am vergangenen Wochenende nur negative Argumente gegenüber seinen Gegnern in den Mittelpunkt des Diskurses gestellt, nach dem Motto: „Hau drauf, und die Mehrheit wird johlen“. Das komme langfristig nicht gut an. Spannend!
Heute gratulieren wir herzlich:
Yvonne Magwas (CDU), Bundestagsvizepräsidentin, 44
Wir wünschen Ihnen einen elanvollen Start in diesen Donnerstag!
Herzlichst,
Ihre