Finanzhilfen für die Ukraine

Scholz' Militär-Offensive stockt

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Unsere Themen heute:

  • Kanzler Olaf Scholz (SPD) sucht mit den Finanzhilfen für die Ukraine den Befreiungsschlag, doch der grüne Koalitionspartner erhöht den Druck.

  • Karl Lauterbach warnt vor einer Killervariante im Herbst, doch selbst Mitglieder des Corona-Beirats halten dies für Panikmache.

  • Zwei neue liberale Frauen sollen an diesem Wochenende in den Bundesvorstand der FDP einziehen. Wir sagen, wer Chancen hat.

  • Während Berlin und Brüssel die Verlegung der militärischen Ausbildungsmission EUTM von Mali ins benachbarte Niger erwägen, zeichnet die Bundeswehr ein dunkles Bild der Sicherheitslage vor Ort. Wir haben die Details.

Streit um das Milliarden-Paket für die Ukraine

Der Karfreitag hat dem politischen Berlin mit dem neuen Milliarden-Euro-Hilfspaket für die Ukraine eine Überraschung gebracht, nun ringen die Koalitionäre um die Details.

Wie berichtet, will Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) die Finanzhilfen für militärische Anschaffungen in Partnerländern von 225 Millionen auf 2 Milliarden Euro erhöhen und davon mehr als die Hälfte für die Ukraine zur Verfügung stellen.

Der Präsident der Ukraine, Wolodymyr Selenskyj, soll dabei auch Waffen direkt bei der deutschen Rüstungsindustrie einkaufen können, die Bundeswehr wäre außen vor.

Auf der Liste der Ukraine stehen unseren Informationen zufolge schwere Artillerie, Luftverteidigung, Kampfflugzeuge. Die neue Milliarde wird dabei eher für mittleres Kriegsgerät ausreichen.

Nach Recherchen unserer Kollegen Marina Kormbaki und Christian Schweppe will die Bundesregierung die Militärhilfe für die Ukraine am 27. April in den Ergänzungshaushalt des Kabinetts einstellen.

Ein Regierungsmitglied sagte, es solle jetzt "so schnell wie möglich" gehen, entweder über den Einzelplan 14 (Verteidigung) oder Einzelplan 60, beide regeln Staatsausgaben.

Bei den Grünen wächst die Ungeduld mit dem Kanzler. Der Koalitionspartner fordert mehr Waffen für die Ukraine - auch schwere. Scholz' jüngste Ankündigung halten nicht wenige in der Partei für ein Ablenkungsmanöver.

Scholz' Idee, damit seinen Ruf als Zauderer abzustreifen, verfängt nicht einmal in der Ampel.

Anton Hofreiter, Vorsitzendender des Europa-Ausschusses im Bundestag, erhöht den Druck.

Hofreiter sagte uns:

Die Militärhilfe für die Ukraine ist gut und richtig, aber sie ist überhaupt kein Ersatz für die direkte Lieferung schwerer Waffen.

Anton Hofreiter (Grüne), Vorsitzender des Europa-Ausschusses im Bundestag. © Imago

Der Grünen-Politiker dämpft die Erwartungen an Scholz' Idee von deutschen Waffenlieferungen über Bande: "Man kommt nicht ohne Weiteres an schwere Waffen auf dem freien Markt."

Fraktionsvize Agnieszka Brugger fordert konkrete Hilfe: "Jede zusätzliche Unterstützung für die Ukraine ist gut, entscheidend sind aber nicht allein Geldbeträge - die Waffen müssen auch schnell ankommen und eingesetzt werden können."

Brugger mahnt:

Da darf es keine falsche Zurückhaltung geben.

Grünen-Verteidigungsexpertin Agnieszka Brugger © Imago

"Nicht hilfreich" sei es, so die Verteidigungspolitikerin in Richtung Kanzleramt, "ungenaue Definitionen" von offensiven Waffen oder schwerem Gerät als "abstrakte rote Linien" zu behandeln. Ebenso wenig hilfreich seien jedoch "oberflächliche Forderungen, die Fragen von Ersatzteilen, Verfügbarkeit und Ausbildung" ignorierten.

Sebastian Schäfer, Obmann der Grünen im Haushaltsausschuss des Bundestages, pocht auf eine "schnell wirksame militärische Ausstattung".

Schäfer sagte uns: "Finanzielle Mittel für die Ukraine bereitzustellen, ist das eine. Die tatsächliche Lieferung von Waffen das Andere, deutlich Vordringlichere."

Flugabwehrpanzer Gepard  © dpa

Am Dienstagabend, nach einem Telefonat mit seinen G7-Amtskollegen, war Scholz darum bemüht, das Image des sich international isolierenden Zauderers abzuschütteln. Alle Schritte Deutschlands seien „eng abgestimmt“ mit den Partnern - die im Übrigen ebenfalls "zu ähnlichen Schlüssen" kämen.

Die Ukraine könne mit deutschem Geld Waffen kaufen, moderne Kampfpanzer werde man weiter aber nicht liefern. Der Kanzler betonte:

Deutsche Alleingänge wären falsch.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). © Imago

Die Manöver des Kanzlers – erst sein Zaudern, dann der Vorstoß an Ostern – führen bei Verteidigungspolitikern reihum zu Kritik.

Rüdiger Lucassen (AfD) meint: „Die Bundesregierung weiß offenkundig selbst nicht, was sie will. Während Olaf Scholz verzögert, drängen FDP und Grüne auf Panzerlieferungen. Kriegsgerät zur Bekämpfung der russischen Armee zu liefern, kann auch dazu führen, dass Deutschland aus Sicht des Kremls Kriegspartei wird", so Lucassen. Ausgerechnet in dieser Frage komme die Regierung ihrer Informationspflicht gegenüber dem Parlament nicht nach.

Alexander Müller (FDP) hält dagegen: "Die Ukraine braucht gerade keine Helme, Nachtsichtgeräte oder Geld. Die wären froh, wenn sie nach sieben Wochen Antragsdauer endlich eine Entscheidung der Bundesregierung bekämen, die gebrauchten gepanzerten Fahrzeuge aus Deutschland, die sie kaufen möchten, exportieren zu dürfen".

Der SPD-Haushälter Andreas Schwarz sagt derweil: "Es fehlt nicht an Geld, sondern weiter an Ausfuhrgenehmigungen." Ein Fingerzeig in Richtung des zuständigen, grün geführten Wirtschaftsressorts, wo man alle Verantwortung über schleppende Exporte zurückweist.

Wie genau die neue Milliarde ausgegeben wird - und wofür - ist zwischen Kanzleramt, Verteidigungs- und Außenressort noch nicht im Detail abgestimmt, hören wir.

Scholz macht es spannend.

Auch über die EU sollen Waffen in die Ukraine kommen

Die Präsidentin der Europäischen Kommission mischt sich in die deutsche Debatte um Waffenlieferungen an die Ukraine ein.

Ursula von der Leyen (CDU) sagte der BILD: "Ich unterscheide nicht zwischen schweren und leichten Waffen. Die Ukraine muss das bekommen, was sie zur Verteidigung braucht und was sie handhaben kann."

Die Aussage lässt aufhorchen in Berlin.

Denn dort war von der Leyen ja bis Sommer 2019 selbst Bundesverteidigungsministerin, ehe sie nach Brüssel ging.

Kommissions-Präsidentin Ursula von der Leyen © picture alliance/dpa | Philipp von Ditfurth

Der Weg von eigenen Waffenlieferungen über die EU, erfuhren wir nun, funktioniert künftig so: Die Ukraine gibt an, was sie kurz- und mittelfristig benötigt. EU-Experten prüfen, ob eine entsprechende Lieferung sinnvoll ist und beispielsweise keine vorherige Ausbildung an Kriegsgerät stattfinden muss. Geprüft wird dann auch die Finanzierbarkeit.

Danach müssen die Mitgliedsstaaten entscheiden, die über solches Material verfügen. Die Ukraine soll einen guten Überblick darüber haben, welcher Staat was vorrätig hat und auf dieser Basis schon Listen an die einzelnen Länder geschickt haben. Auch so könnten weitere Waffen beschafft werden.

Kritik an Lauterbachs "Killervirus"-Prognose

Die Prognose von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD), dass im Herbst eine mögliche "Killervariante" des Coronavirus bevorstehe, wird im Pandemie-Beirat der Bundesregierung kritisch gesehen.

Ein Mitglied nannte die Äußerungen Lauterbachs im Gespräch mit uns "unverantwortlich".

Der Bonner Virologe Hendrik Streeck, ebenfalls Mitglied des Expertengremiums, betonte: "Die Entwicklung von Varianten können wir weder vorhersagen noch sonderlich beeinflussen." Allerdings könne die Politik das Gesundheitssystem resistenter machen und so auf den Herbst und Winter vorbereiten.

"Keine Expertin und kein Experte kann derzeit sicher sagen, welche Variante wir im Herbst bekommen», sagte der Intensivmediziner Stefan Kluge vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf der Funke Mediengruppe.

Bundeswehr: Sicherheitslage in Niger teils "nicht kontrollierbar"

Während die EU eine Verlegung ihrer militärischen Ausbildungsmission EUTM von Mali ins benachbarte Niger erwägt, zeichnet die Bundeswehr ein trübes Bild der Sicherheitslage in dem westafrikanischen Staat.

In der Region Tillabéri, entlang der malisch-burkinischen Grenze, in der Region Diffa an der Grenze zu Nigeria sowie im nordwestlichen Teil der Region Tahoua werde sie "mit überwiegend nicht kontrollierbar" bewertet, heißt es in einem internen Schreiben der Bundeswehr, das uns vorliegt. In den übrigen Landesteilen Nigers sei die Sicherheitslage "überwiegend" oder "ausreichend kontrollierbar".

Weite Teile des westafrikanischen Staates Niger stehen unter Kontrolle bewaffneter Milizen.  © Imago

Derzeit sind dem Bericht zufolge 2097 Soldatinnen und Soldaten in mandatierten Auslandseinsätzen. Zählt man einsatzgleiche Verpflichtungen, Dauereinsatzaufgaben und sonstige Verpflichtungen hinzu, sind rund 20.700 Soldatinnen und Soldaten gebunden.

Arbeitgeber und Gewerkschaften gegen Gas-Embargo

In einer außergewöhnlichen Allianz haben sich Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände gegen ein Gas-Embargo gegen Russland ausgesprochen.

Man unterstütze die bisherigen Sanktionen gegen Russland, heißt es in einer Erklärung des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) und der Arbeitgeberverbände (BDA):

Es ist richtig, auf das System Putin neben militärischem auch wirtschaftlichen Druck auszuüben.

Sanktionen müssten jedoch gezielt sein, die Gegenseite unter Druck setzen und möglichst Schaden von der eigenen Wirtschaft abhalten.

"Beim aktuell diskutierten Gas-Embargo sehen wir das nicht. Die negativen Auswirkungen auf Wirtschaft und Beschäftigung wären momentan in Deutschland höher als die in Russland."

Ein Gas-Embargo würde in Deutschland zu Produktionsausfällen, Produktionsstillstand, einer Deindustrialisierung und nachhaltigen Arbeitsplatzverlusten führen.

Juli-Chefin Brandmann soll in den Bundesvorstand

Die Vorsitzende der Jungen Liberalen, Franziska Brandmann, soll an diesem Wochenende auf dem Bundesparteitag der FDP in den Vorstand gewählt werden und in dem Gremium den zum Generalsekretär aufgestiegenen Bijan Djir-Sarai ersetzen.

"Ich freue mich sehr über die Kandidatur, und wir werden sie mit ganzer Kraft unterstützen", sagte uns NRW-FDP-Chef und Vize-Ministerpräsident Joachim Stamp.

Die 28-Jährige Politikwissenschaftlerin kommt aus Münster.

Franziska Brandmann, Vorsitzende der Jungen Liberalen © dpa

Aus dem Vorstand scheidet auch Christian Dürr aus, inzwischen zum Fraktionsvorsitzenden gewählt. Ihm soll eine Politikerin aus Niedersachsen folgen.

Außerdem werden am Wochenende der bisher kommissarisch tätige Generalsekretär Bijan Djir-Sarai und der neue Schatzmeister Werner Link gewählt.

Die Grünen kommen vom 14. bis zum 16. Oktober zu ihrer diesjährigen Bundesdelegiertenkonferenz zusammen - ihrem Bundesparteitag.

Das Treffen findet eine Woche nach der niedersächsischen Landtagswahl statt. Wo genau und ob in Präsenz oder hybrid, steht noch nicht fest.

Mona Neubaur, NRW-Vizeministerpräsidentin und Wirtschaftsministerin. © imago

Zurzeit laufen die Planungen für den „Länderrat“ - ein kleiner Parteitag am 30. April in Düsseldorf. Dort will die Partei Mona Neubaur den Rücken stärken, der Grünen-Spitzenkandidatin für die NRW-Landtagswahl am 15. Mai.

Auf - Alexander Stubb. Finnland will in die Nato, und zwar schnell. Der russische Angriffskrieg hat das europäische Land mit 1300 Kilometer Grenze zu Russland aufgerüttelt; nun wollen die Finnen ihre Neutralität aufgeben. Keiner hat dies bisher deutlicher und offener kommuniziert als der frühere Regierungschef in einem Spiegel-Interview: "Wir Finnen haben immer sehr schnell auf große historische Ereignisse reagiert – mit Realpolitik statt mit Ideologie." Unsere Unterstützung hat das Land. Aufsteiger!

Ab - Saskia Esken. Die SPD-Chefin zeigt einmal mehr, dass nicht jeder Gedanke tauglich ist für Twitter. Am Dienstag postete Esken einen Tweet, der wohl zeigen sollte, wie eng sich die Partei mit dem ukrainischen Botschafter in Deutschland austauscht, Andrij Melnyk. Blöd nur: Eskens Foto zum Tweet, das auch Lars Klingbeil zeigt, war kein aktuelles, sondern bereits zwei Wochen alt. Ein neues Gespräch steht erst noch aus und soll an diesem Mittwoch stattfinden. Melnyk selbst blieb vorerst gelassen, ihrer SPD machte Esken aber erneut unnötige Arbeit und stiftete Verwirrung. Unsere Absteigerin.

Bernhard Fischer-Appelt ist Unternehmer, Mitgründer der gleichnamigen Kommunikationsagentur und Autor des neuen Buches "Zukunftslärm". In seinem Gastbeitrag für The Pioneer beschäftigt sich der Harvard-Fellow mit einem möglichen neuen Konfliktherd zwischen Nato und Russland: der russischen Enklave Kaliningrad an der Ostsee. Schon jetzt brauche es eine Ostsee-Politik und einen Baltikum-Gipfel, schreibt Fischer-Appelt. Spannender Text!

Ein russischer Diplomat suchte in Berlin über Jahre die Nähe zu deutschen Nachwuchspolitikern. Dokumente, die den Kolleginnen und Kollegen von WDR und SZ vorliegen, entlarven nun das Netzwerk des Kreml-Gesandten – das unter anderem in die AfD-Jugend und in die CSU reichte. Florian Flade hat die Details recherchiert.

Die Sozialdemokraten sind mit ihrem Kreml-freundlichen Kurs gescheitert und haben ein signifikantes "Putin-Problem". Das schreibt Thomas Schmoll und kommentiert bei N-TV.de scharf die Russland-Politik der SPD: "Statt das zu bemänteln und sich den ukrainischen Botschafter zur Brust zu nehmen, sollten sie ihr Versagen eingestehen und aufarbeiten." Hier geht es zu dem Text.

Heute gratulieren wir herzlich:

Philipp Ostrop, Mitglied der Chefredaktion Ruhr Nachrichten, 42

André Hahn (Linke), Bundestagsabgeordneter, 59

Jürgen Lenders (FDP), Bundestagsabgeordneter, 56

Wolfgang Stefinger (CSU), Bundestagsabgeordneter, 37

Russland sieht im Krieg gegen die Ukraine eine "neue Phase", wie der Generalstab der Streitkräfte gestern mitteilte. Auch der Außenminister hat nun angedeutet, dass der Kampf um die Ost-Ukraine das entscheidende strategische Ziel Russlands sein dürfte.

Wir wünschen Ihnen einen elanvollen Start in diesen Donnerstag!

Herzlichst,

Ihre

Pioneer Editor, Gründungs-Chefredakteur The Pioneer
Pioneer Editor, Ex-Stellvertretender Chefredakteur The Pioneer
  1. , Pioneer Editor, Gründungs-Chefredakteur The Pioneer
  2. , Pioneer Editor, Ex-Stellvertretender Chefredakteur The Pioneer

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