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Unsere Themen heute:
Mit dem Rücktritt von Anne Spiegel sind die Grünen unter Zugzwang - Parteilinke und Realos ringen um die Nachfolge. Und die Parität im Kabinett soll weiter gelten.
Die Ukraine bittet nun auch das BKA und die Bundespolizei um Schutzausrüstung. Unserem Investigativreporter Christian Schweppe liegt ein internes Schreiben vor.
Die Ampel legt neue Milliardenhilfen für die Unternehmen auf, die von dem Krieg in der Ukraine betroffen sind. Wir kennen die Details.
Das deutsch-russische Forum will trotz des Angriffskrieges Russlands in der Ukraine ein Ort für zivilgesellschaftlichen Austausch zwischen Deutschland und Russland bleiben.
Die Regierung rechnet mit einem starken Anstieg der Renten-Ausgaben. Wir haben die Details.
Die Grünen und Anne Spiegel
Am Ende war der "politische Druck“ zu groß. So erklärt Anne Spiegel am Montag um 14.35 Uhr in einem schriftlichen Statement ihren Rücktritt vom Amt der Bundesfamilienministerin, nach nur vier Monaten im Dienst.
Zehn Minuten später treten die Parteichefs Ricarda Lang und Omid Nouripour im schleswig-holsteinischen Husum vor die Presse. „Bei aller großen Härte und so schwierig diese Entscheidung auch war“, so Nouripour, sei Spiegels Schritt richtig.
Nouripour sagt:
Die Grünen-Chefs Ricarda Lang und Omid Nouripour in Husum. © ImagoWir danken ihr sehr für diese Entscheidung.
Es sind Worte, die erahnen lassen, welch hartes Ringen zwischen Spiegel und der Grünen-Spitze zuvor stattfand. Unsere Kollegin Marina Kormbaki hat sich in der Partei umgehört.
Am Sonntagmorgen beginnt das Ringen. Die Bild am Sonntag enthüllt, dass die damalige rheinland-pfälzische Vizeministerpräsidentin Spiegel für vier Wochen in den Urlaub nach Frankreich fuhr, während die Flutkatastrophe Tod und Verwüstung über das Ahrtal brachte.
Fortan sind die Handys der Parteispitzen im Dauereinsatz.
Das selbsternannte „strategische Zentrum“ der Grünen - die Sechsergruppe bestehend aus den Ministern Robert Habeck und Annalena Baerbock, den Fraktionschefs Katharina Dröge und Britta Haßelmann und den Parteichefs Lang und Nouripour - telefoniert immer wieder untereinander und mit Spiegel, die gerade auf dem Rückweg von einem Besuch in Polen ist.
Gesucht wird nach einer schlüssigen Verteidigungsstrategie für die Ministerin.
Die Führungsriege verzichtet auf öffentliche Rückendeckung für Spiegel. Das Vertrauen der Sechserrunde in die Ministerin ist erschüttert angesichts neuer Ungereimtheiten um ihren Urlaub und ihre Teilnahme an Kabinettssitzungen während dessen.
Intern aber geben die Sechs Spiegel noch nicht auf.
Die Ministerin bittet um eine zweite Chance. Sie will sich öffentlich erklären. Ein Wunsch, den man Spiegel nicht abschlagen kann - sagen die einen. Nicht abschlagen will, sagen die anderen.
Streit gibt es über den Inhalt von Spiegels beabsichtigter Erklärung. Die 41-Jährige will mit Details aus ihrem Familienleben erläutern, weshalb sie sich zum Urlaub trotz Flutkatastrophe veranlasst sah.
Die Parteispitzen raten ihr davon ab. Sie mache sich sonst noch angreifbarer.
Doch Spiegel ignoriert den Rat.
Am Sonntagabend verliest sie vor laufenden TV-Kameras und sichtlich überfordert ihre selbst verfasste Erklärung. In der Grünen-Spitze ist man sich einig: Der erhoffte Befreiungsschlag ist das nicht.
Am Montagmorgen ist für die Parteiführung klar, dass Spiegel als Ministerin nicht mehr tragbar ist. Sie selbst aber, so heißt es, wirke kämpferisch, als sie ihren Dienst im Ministerium antritt.
Und auch Kanzler Olaf Scholz (SPD) lässt mitteilen, er arbeite „eng und vertrauensvoll“ mit ihr zusammen.
Scholz lässt die Grünen machen, hören wir; aus ihrem Drama hält er sich heraus.
Die Sechsergruppe, allen voran die Parteichefs, legen Spiegel jedoch den Rücktritt nahe. Die Ministerin zieht sich zurück - und verkündet nachmittags ihren Rücktritt.
Die grüne Hoffnungsträgerin Spiegel, gerade erst aus Speyer mit ihrem Mann und den vier Kindern nach Berlin gezogen, steht vor dem politischen Aus. Ihr stehen nach Bundesministergesetz 75.667,59 Euro Übergangsgeld zu.
Wird sie doch noch Ministerin? Katrin Göring-Eckardt (Grüne), derzeit Bundestagsvizepräsidentin. © ImagoDer Grünen-Bundesvorstand, der in Husum zusammengekommen ist, um den schleswig-holsteinischen Parteifreunden für die bevorstehende Landtagswahl den Rücken zu stärken, streicht am Montag die geplanten Tagesordnungspunkte seiner Klausurtagung. Priorität hat nun die Frage: Wer folgt auf Spiegel im Ampel-Kabinett?
Anton Hofreiter, „der sechste Mann“, dem die Grünen nach der Minister-Nominierung von Cem Özdemir versprachen, im Falle einer Vakanz nachzurücken?
Katrin Göring-Eckardt, die für das Amt der Familienministerin als gesetzt galt, bis auch sie der Grünen-Quotenlogik zum Opfer fiel?
Oder doch eine Frau aus der Parteilinken - des innerparteilichen Friedens zuliebe? Erste Namen kursieren bereits.
Fest steht: Es soll schnell gehen. Noch vor Ostern soll die Nachfolge feststehen.
In der Analyse unserer Kollegin Marina Kormbaki erfahren sie mehr.
Neue Milliarden-Finanzhilfen für Unternehmen
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) haben die angekündigten Eigenkapitalspritzen, Kreditbürgschaften und Finanzhilfen für Unternehmen, die von dem Krieg in der Ukraine betroffen sind, konkretisiert.
In mehreren Positionspapieren der beiden Ressorts werden die Maßnahmen vorgestellt. Uns liegen die Papiere vor.
Eigenkapital. Direkte Firmenbeteiligungen sind über den staatlichen Fonds WSF möglich und gelten für Unternehmen, die etwa Absatzmärkte in der Ukraine oder bei russischen Tochtergesellschaften verloren haben.
"Dies umfasst direkte Effekte durch Abschreibungen von russischen Tochtergesellschaften, aber auch indirekte Effekte wie Umsatzausfälle durch Exporteinbußen, Lieferkettenengpässe, Sanktionsfolgen oder Energiepreissteigerungen", heißt es in dem Papier.
Es gehe um Unternehmen, deren "Bestandsgefährdung erhebliche Auswirkungen auf die Volkswirtschaft hätte (u.a. Produktion, Maschinenbau – also das „Herz der deutschen Wirtschaft“, inkl. kritischer Infrastruktur)", schreiben Lindners und Habecks Beamte.
Möglich seien stille Beteiligungen, indes dürfte das Unternehmen nicht schon vor der Ukraine-Krise in Schwierigkeiten gewesen sein.
Außerdem müsse eine "marktgerechte Vergütung" bezahlt werden und der Vorstand des betroffenen Unternehmens dürfe keine Boni kassieren.
Außerdem:
Bürgschaften. Firmen sollen staatliche Bürgschaften für Betriebsmittel- und Investitionskredite in Höhe von bis zu 2,5 Millionen Euro bekommen können, auch das in der Pandemie begonnene Großbürgschaftsprogramm von bis zu 50 Millionen Euro werde für diese Unternehmen im Einzelfall geöffnet.
Energiehilfen. Für Unternehmen, die Strom und Erdgas kaufen und verkaufen, und dafür an der Strombörse Sicherheiten hinterlegen müssen (Margin Calls), soll die KfW in einem Volumen von 100 Milliarden Euro die Geschäfte absichern können.
Eigen- und Hybridkapitalinstrumente
Finanzierungsinstrument Margining
Ukraine bittet BKA und Bundespolizei um Schutzausrüstung
Das ukrainische Ministerium für Staatsschutz hat sich in einem Brief an das Bundeskriminalamt (BKA) und die Bundespolizei gewandt, um Unterstützung im Krieg gegen Russland zu erbitten.
Konkret geht es um die Lieferung von Spezialausrüstung für Personenschützer.
Die ukrainische Behörde ist nämlich für den Schutz von Staatsmitarbeitern, deren Angehörigen sowie des Präsidenten selbst, Wolodymyr Selenskyj, verantwortlich.
Ausriss aus dem Schreiben © The PioneerUnserem Investigativreporter Christian Schweppe liegt das Schreiben des Department of the State Protection vor. Folgendes wird dort dringend gebraucht:
gepanzerte Fahrzeuge
Gefechtshelme
Nachtsichtgeräte und Nachtsicht-Helme
tragbare, gepanzerte Platten
Gasmasken und Ferngläser
thermische Zielfernrohre
selbstfliegende Überwachungsdrohnen
hochleistungsfähige Handradios
Seit Ende der vergangenen Woche ist die Liste bei der Bundespolizei bekannt. Vieles, heißt es intern, sei vorrätig. Anderes könne man zügig beschaffen.
BKA-Präsident Holger Münch kennt die Liste ebenfalls und soll sie noch in dieser Woche in der gemeinsamen Wochenlage der Dienste und Sicherheitsbehörden ansprechen. Einen offiziellen Auftrag zur Unterstützung muss Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) erteilen und nun schnell entscheiden.
Regierung rechnet mit starkem Anstieg der Ausgaben bei der Rente
© imagoDie Bundesregierung rechnet bis zum Jahr 2026 mit einem Anstieg der Renten-Ausgaben um 17 Prozent. Das geht aus einem Gesetzentwurf von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hervor, der uns vorliegt und der an diesem Mittwoch vom Bundeskabinett beschlossen werden soll.
Teil des Gesetzes ist die geplante Anhebung der Renten zum 1. Juli 2022 um 5,35 Prozent im Westen sowie 6,12 Prozent im Osten.
Eine Infografik mit dem Titel: Rentensystem unter Druck
Verhältnis eines Rentners zur Anzahl der Beitragszahler in der gesetzlichen Rentenversicherung
Laut Entwurf erwartet die Regierung, dass die Renten-Ausgaben von 333,8 Milliarden Euro im laufenden Jahr auf 391,9 Milliarden Euro im Jahr 2026 steigen.
Zu Grunde liegen hier bestimmte Annahmen für die Rentensteigerung der nächsten Jahre und die Zahl von Beschäftigten und Rentnern.
Weil ein zuletzt ausgesetzter Dämpfungsfaktor („Nachholfaktor“) wieder eingeführt werden soll, wird der Beitragssatz zur Rentenversicherung - derzeit noch 18,6 Prozent - erst später angehoben werden müssen als bisher gedacht.
Ursprünglich hätte der Beitragssatz bereits 2024 auf 19,3 Prozent und ein Jahr später auf 19,7 Prozent steigen müssen. Für Durchschnittsverdiener wäre dies auf eine Belastung von knapp 400 Euro pro Jahr hinausgelaufen.
Laut Bundesregierung muss nun erst 2025 eine Erhöhung erfolgen - nach jetzigem Stand dann allerdings um 0,9 Prozentpunkte.
Botschafter Melnyk: Nur Baerbock trifft ihn bisher nicht
Mehrfach hat der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk um ein Gespräch mit Vertreterinnen der Bundesregierung gebeten - meist vergebens.
Nach unseren Informationen gab es zwischen Melnyk und Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) am 26. Februar und am 10. März ein Treffen.
Melnyks Anfragen für ein Treffen mit Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) wurden bis gestern stets abgelehnt.
Andrij Melnyk, Botschafter der Ukraine in Deutschland. © dpaStatt ihrer traf der Botschafter am Tag des russischen Überfalls auf die Ukraine Matthias Lüttenberg, den Beauftragten im Auswärtigen Amt für Osteuropa. In der vergangen Woche, am 7. April, traf Melnyk Staatsminister Tobias Lindner (Grüne).
Mehrere persönliche Begegnungen gab es mit Vizekanzler Robert Habeck (Grüne).
Auf die Einladung Baerbocks zu einem persönlichen Gespräch wartet man in der ukrainischen Botschaft bis heute.
Deutsch-Russisches Forum will weitermachen
Die Mitglieder des deutsch-russischen Forums sind offenbar der Meinung, dass ein zivilgesellschaftlicher Austausch zwischen den Ländern weiter notwendig sein werde und der Verein bestehen bleiben soll, auch wenn aktuell alle Kontakte eingefroren sind.
Das geht aus einer internen Mitgliederbefragung hervor, die dem Vorstand vorliegt. Wann es zu einem neuen Treffen kommen werde, wisse niemand, heißt es. Sicher sei, dass man eine Verjüngung an der Spitze des Vereins wolle, sagte uns ein Vorstandsmitglied.
Das Forum ist auch im Austausch mit dem Auswärtigen Amt, da es einen staatlichen Zuschuss für den Verein gibt. Eine oder einen Nachfolger für den zurückgetretenen Vorsitzenden Matthias Platzeck gibt es aber noch nicht, hören wir.
Rüstungsfirmen warten auf Antwort der Regierung
Die Ukraine fordert weiterhin schwere Waffen von den Verbündeten für den Kampf gegen die russischen Truppen.
In Deutschland stehen die Marder-Schützenpanzer des Konzerns Rheinmetall im Fokus. Aber auch die Panzerschmiede Krauss-Maffei Wegmann (KMW) aus München hat der Bundesregierung angeboten, Kriegsgerät liefern zu können.
Wie wir berichtet hatten, könnten rund 50 Flugabwehrpanzer vom Typ Gepard an die Ukraine gehen, "innerhalb weniger Wochen", wie KMW mitteilte. Ein Konzernsprecher sagte uns am Montag: Trotz aller politischen Debatte hat die Firma zu ihrem Angebot bis heute jedoch keine offizielle Rückmeldung der zuständigen Bundesministerien von Christine Lambrecht (SPD) und Robert Habeck (Grüne) bekommen.
Auf - Bernd Althusmann, Niedersachsens Wirtschaftsminister, kann durchatmen. Dass es mit den Vorbereitungen für ein Flüssiggas-Terminal in Stade an der Unterelbe erkennbar vorangeht, ist eine gute Nachricht für den CDU-Politiker - und für das Land. Inzwischen ist ein zusätzlicher Investor gefunden, heute sollen die Genehmigungsunterlagen eingereicht werden. Der Ukraine-Krieg hat die Regierung in Hannover unter Zugzwang gesetzt. Niedersachsen ist für Import, Speicherung und Verarbeitung von Gas so wichtig wie kein anderes Bundesland. Althusmann ist unser Aufsteiger!
Ab - Angela Merkel hat viele Verdienste. Allerdings war sie noch nie besonders gut darin, ihre Politik zu erklären und die Beweggründe für von ihr getroffene Entscheidungen offenzulegen. Das war während ihrer Kanzlerinnenzeit so. Es ist auch jetzt so. Auf die Debatte um Putins Krieg und ihre frühere Russland-Politik reagierte sie bisher nur mit einem knappen Statement. Ansonsten schweigt sie. Damit jedoch stellt sie sich selbst ins Abseits. Sich der Debatte darüber zu entziehen, in welchem Maß es Fehleinschätzungen und falsche Rücksichtnahme gegenüber dem Kremlchef gegeben hat, ist wenig überzeugend. Merkel ist unsere Absteigerin.
Der erste Rücktritt der Ampel-Koalition beschäftigt die Medien:
FAZ-Politik-Chef Jasper von Altenbockum nennt den Rücktritt der Familienministerin richtig und warnt davor, in der Grünen-Ministerin ein Opfer zu sehen. "Am Ende war es der ungeschickte Auftritt am Sonntagabend, um sich gegen Rücktrittsforderungen zu verwahren, der Anne Spiegel das Amt gekostet hat. Die Liste der Fehltritte war damit einfach zu lang geworden." Spiegel habe sich nach jener Katastrophennacht im Juli 2021 erst einmal um ihr eigenes Ansehen als Umweltministerin Sorgen gemacht und bei der Aufarbeitung die Unwahrheit gesagt. Sein hartes, aber klares Urteil: "Das Bild, das Spiegel dadurch abgab, bestätigt jedes Vorurteil gegen machthungrige, aber pflichtvergessene Politiker. Das konnten sich die Grünen nicht länger leisten." Lesenswert!
Rücktrittsforderungen gibt es auch gegen die SPD-Ministerpräsidentin in Mecklenburg-Vorpommern, Manuela Schwesig. Die Kollegen der Welt am Sonntag haben sich noch einmal mit ihrer fragwürdigen Stiftung für Klima- und Umweltschutz befasst. Gemeinsam mit einem Juristen haben sie durchgesetzt, Einblick in rund 1000 Seiten interner Akten der Staatskanzlei zu erhalten. Das Material zeigt, schreiben die Kollegen Alexej Hock und Uwe Müller, wie sich die Landesregierung in Mecklenburg-Vorpommern von der russischen Firma Nord Stream hat vereinnahmen lassen. Hier die Details!
Heute gratulieren wir herzlich:
Tobias Kollmann, Professor für Digital Entrepreneurship an der Universität Duisburg-Essen, ehem. Mitglied im Beirat Digitale Wirtschaft beim Bundeswirtschaftsministerium, 52
Andreas Nowak, CDU-Landtagsabgeordneter in Sachsen, 47
Der frühere SPD-Chef kommentiert als neuer Vorsitzender der Friedrich-Ebert-Stiftung die Schließung der parteinahen Stiftungen in Russland. Das russische Justizministerium hatte dies am 8. April angeordnet.
Wir wünschen Ihnen einen elanvollen Start in diesen Donnerstag!
Herzlichst,
Ihre