herzlich willkommen zur neuen Ausgabe Ihres Hauptstadt-Newsletters.
Unsere Themen heute:
Deutschlands Gerichte sind überlastet. Und die Staatsanwaltschaften ebenfalls. Darüber tobt jetzt ein Streit zwischen Bund und Ländern.
Bayerns Digitalministerin Judith Gerlach (CSU) warnt vor Überregulierung von Künstlicher Intelligenz – und präsentiert eine neue Untersuchung dazu.
Auf seinem Besuch in der Lausitz heute wird Robert Habeck versuchen, auch dort den Kohleausstieg auf 2030 vorzuziehen – der sächsische Wirtschaftsminister erteilt dem eine Absage.
Im Niger gibt es eine neue Bundeswehr-Mission.
Unser Problem mit der Justiz
© dpaÜberlange Verfahren, dringend Tatverdächtige, die deshalb aus der Untersuchungshaft entlassen werden müssen, überlastete Gerichte und chronischer Personalmangel in der Justiz – der Deutsche Richterbund schlägt Alarm.
Sven Rebehn, Geschäftsführer des Verbandes, sagte uns, eine Trendwende zu schnelleren Verfahren könne nur mit mehr Personal gelingen:
Es ist ein Alarmsignal, wenn immer mehr Menschen die Justiz als überlastet und zu langsam wahrnehmen. Die Politik, die nach den Silvesterkrawallen in Berlin erneut nach einer konsequenten, schnellen Strafverfolgung gerufen hat, muss die in vielen Bundesländern schlank gesparte Justiz dann auch schlagkräftiger ausstatten.
In einem „Faktenpapier“, das unserem Kollegen Rasmus Buchsteiner vorliegt, macht der Richterbund eine besorgniserregende Bestandsaufnahme.
Hier einige zentrale Befunde:
Strafverfahren vor Landgerichten dauern in erster Instanz inzwischen im Schnitt 8,2 Monate – ein neuer Rekord. Zwischen Ermittlungsstart bei der Staatsanwaltschaft und Urteil vergehen durchschnittlich 21 Monate – vier mehr als noch im Jahr 2011.
Laut Richterbund arbeiten die Staatsanwaltschaften seit Jahren an der Belastungsgrenze, daher häufen sich Verfahrenseinstellungen wegen Geringfügigkeit.
Im vergangenen Jahr sind 73 dringend Tatverdächtige aus der Untersuchungshaft entlassen worden – wegen erheblicher Verzögerungen im Verfahren. Die Zahl solcher Fälle summiert sich den Angaben zufolge auf mehr als 300 in den zurückliegenden fünf Jahren.
Laut Papier fehlen nach Zahlen der Länder zum Personalbedarf mehr als 1.000 Richterinnen und Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte.
Die Ermittlungsbehörden kommen technisch an Grenzen. In Wirtschaftsverfahren geht es nicht selten um große Mengen sichergestellter Daten, die ausgewertet werden müssen – ein „Flaschenhals“, so der Richterbund.
Das Bundesjustizministerium sieht die Verantwortung nicht beim Bund. FDP-Politiker Benjamin Strasser, Parlamentarischer Staatssekretär, sagte uns, eine gut ausgestattete Justiz sei Voraussetzung für Zukunftsfähigkeit und Akzeptanz unseres Rechtsstaats:
Wenn etwa Tatverdächtige aus der Untersuchungshaft entlassen werden müssen, weil die Anberaumung der strafgerichtlichen Hauptverhandlung zu lange dauert, dann gefährdet das den sozialen Frieden. Die Verantwortung für die Ausstattung der Justiz weist das Grundgesetz den Ländern zu. Und die haben dafür auch die notwendigen Mittel.
Das Verhältnis zwischen Bund und Ländern in Sachen Justiz ist derzeit hochgradig angespannt.
Bayerns Justizminister Georg Eisenreich (CSU) sagte uns dazu:
Der Bund und auch der Bundesjustizminister bürden den Ländern durch Bundesgesetze immer mehr Aufgaben auf, wollen sich aber nicht angemessen an den Kosten beteiligen.
Gespräche zwischen dem Kanzler und den Länder-Chefs über einen Pakt zur Digitalisierung der Justiz waren zuletzt gescheitert.
Der Streit über Fördergeld für Deutschlands Gerichte dauert bereits länger als ein durchschnittliches Strafverfahren.
Künstliche Intelligenz: Bayerns Digitalministerin warnt vor Überregulierung
© imagoBayerns Digitalministerin Judith Gerlach (CSU) warnt vor einer Überregulierung bei Künstlicher Intelligenz. „Wir brauchen Gestalter und müssen ihnen die nötigen Freiräume geben, anstatt sie durch Übernormierung zu blockieren“, sagte Gerlach unserem Kollegen Rasmus Buchsteiner.
Gerlach äußerte sich vor dem Hintergrund der laufenden Debatte um geplante Vorgaben durch die Europäische Union, den so genannten AI ACT. Der sieht eine risikobasierte Einstufung von KI-Anwendungen vor.
Für Hochrisiko-Technologien – etwa in den Bereichen Kreditvergabe, Migration oder Mobilität – sollen besondere Sicherheitsvorkehrungen gelten.
Dazu zählen unter anderem eine ausführliche Dokumentation zur Funktionsweise der Systeme, weitgehende Rückverfolgbarkeit sowie menschliche Aufsicht.
Judith Gerlach © imagoGerlach verweist auf eine noch unveröffentlichte Untersuchung ihres Hauses und der KI-Initiative appliedAI zur möglichen Einstufung von mehr als 100 Anwendungen.
Die Ministerin dazu:
Wenn die neue KI-Regulierung der Europäischen Kommission so kommt, wie geplant, könnten bis zu 58 Prozent davon als hochriskant eingestuft werden. Damit wären für die Unternehmen deutliche Mehrkosten durch die damit verbundenen Auflagen nötig.
Die CSU-Politikerin warnte, die Gefahr sei sehr groß, Unternehmen abzuschrecken, innovative Ideen umzusetzen: „Wir brauchen deshalb eine Regulierung mit Augenmaß.“
Neue Bundeswehr-Mission in Afrika
Kanzler Scholz bei Ankunft in Niger © dpaIn Westafrika existiert seit wenigen Wochen eine neu benannte Bundeswehr-Mission. Die Mission TORIMA ist der Name für das weitere Engagement der Spezialkräfte in Niger. Sie wurde am 27. Januar offiziell vom Bundesverteidigungsministerium als Mission anerkannt. Dies geht aus einem aktuellen Bundeswehrbericht aus den Einsätzen hervor, den wir erhalten haben.
Zweck der Mission ist die Unterstützung der nigrischen Spezialkräfteschule in der Ausbildungsorganisation und das Mentoring nigrischer Ausbilder durch Einzelpersonal der Spezialkräfte. Der Einsatzort ist das Centre d’Entrainement des Forces Spéciales in Tillia. Durch die Arbeit soll auch ein Beitrag zur Aufrechterhaltung der bilateralen Beziehungen und Zusammenarbeit mit Niger geleistet werden.
Lausitz-Besuch: Habeck bekommt Gegenwind aus Sachsen
Der Wirtschaftsminister von Sachsen, Martin Dulig (SPD), sieht in der Lausitz keine Chance für einen Kohlausstieg schon 2030. Solche Debatten führten „in die Irre“, ließ er auf Nachfrage unseres Kollegen Thorsten Denkler über einen Sprecher mitteilen.
Der von der Bundesregierung angestrebte Kohleausstieg 2030 sei „denkbar gewesen, wenn sich die Weltpolitik nicht grundlegend verändert hätte“.
Martin Dulig, SPD. © imagoDa Gas als Brückentechnologie „nun absehbar nicht funktionieren wird, ist faktisch auch die Jahreszahl 2030 vom Tisch“, heißt es aus Duligs Haus.
Und weiter: „Ob und wann wir als Land soweit sein werden, tatsächlich auf die Braunkohleverstromung zu verzichten und ausreichend erneuerbare Energien am Markt verfügbar sind, wird die Zeit entscheiden. Dies wird wohl zwischen 2030 und 2038 der Fall sein.“
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) wird an diesem Mittwoch in der Lausitz zu einem eintägigen Besuch erwartet. Es ist ein offenes Geheimnis, dass Habeck auch in dieser Braunkohleregion den Kohleausstieg von 2038 auf 2030 vorziehen will. So wie er es dem Energieriesen RWE in Nordrhein-Westfalen abgerungen hat.
Was RWE im Westen ist, ist die LEAG im Osten. Habeck wird sich am LEAG-Kraftwerk Schwarze Pumpe auch mit LEAG-Chef Thorsten Kramer, Betriebsräten und Mitarbeitern austauschen.
Mit Dulig ist auf dieser Reise, die fast vollständig auf sächsischem Gebiet stattfindet, kein Treffen geplant.
Carl Bildt: Russischer Sieg könnte bis zu 20 Millionen Geflüchtete zur Folge haben
Wo würden wir heute stehen, wenn Russland die Ukraine in einem Blitzkrieg eingenommen hätte und der ukrainische Widerstand in kurzer Zeit zusammengebrochen wäre? Oder der Westen nicht geeint, sondern gespalten reagiert hätte? Diese Szenarien analysiert der ehemalige schwedische Ministerpräsident Carl Bildt in einem Gastbeitrag für The Pioneer.
Carl Bildt © dpa„Dank des schnellen und entschlossenen Zugriffs von Spezialkräften – und womöglich mit Hilfe lokaler Kollaborateure – hätte Russland innerhalb von ein oder zwei Tagen Kiew kontrolliert und kurz darauf eine Marionettenregierung installiert und Siegesparaden abgehalten“, so Bildt.
Der demokratisch gewählte Präsident Wolodymyr Selenskyj wäre in diesem Szenario entweder von russischen Spezialkräften ermordet, in einem Schnellverfahren zu einer Haftstrafe verurteilt worden oder hätte im günstigsten Fall eine Exilregierung gebildet.
„Womöglich würden inzwischen 20 Millionen Menschen in Europa bzw. im Westen Schutz suchen und damit weit mehr als durch alle anderen globalen Flüchtlingskrisen der jüngsten Zeit zusammengenommen.“
Bildt beschreibt das Szenario ausführlich, um zu unterstreichen, dass ein russischer Sieg „aus jeder vorstellbaren Perspektive eine komplette Katastrophe“ wäre. Sein Appell:
Wir müssen den Freiheitskampf der Ukraine unbedingt weiter unterstützen. Nur so können wir die Sicherheit Europas gewährleisten und das Grundprinzip des internationalen Rechts, das Verbot von Angriffskriegen, für alle Völker schützen.
Den gesamten Artikel lesen Sie hier:
Nach dem großen Erfolg der Premiere vor zwei Wochen laden wir Sie am Mittwoch, 1. März, ab 19 Uhr zum zweiten Mal zu einer Live-Ausgabe unseres Hauptstadt-Podcasts ein.
Wir nehmen unsere wöchentliche Politik-Diskussion nicht im Studio, sondern auf der Bühne auf der Pioneer One auf. Ansonsten bleibt alles, wie Sie es gewohnt sind – nur, dass Sie hören, wo wir uns versprechen.
Zwei prominente Überraschungsgäste aus der Politik werden ebenfalls dabei sein!
Hier können Sie sich Ihre Tickets sichern:
Klick aufs Bild führt zum Ticket-VerkaufVielsprachige Parlamentsdebatte
In der kommenden Woche wird im Plenum des Deutschen Bundestages nicht nur Deutsch gesprochen. Am Donnerstag, 2. März, steht eine vereinbarte Debatte zum Thema „25 Jahre EU-Charta der Regional- oder Minderheitensprachen“ auf der Tagesordnung.
Wie wir hören, wollen einige Abgeordnete zumindest Passagen ihrer Reden in Regionalsprachen halten: SPD-Politiker Johann Saathoff zum Beispiel in Plattdeutsch.
Der Abgeordnete Stefan Seidler, Vertreter des Südschleswigschen Wählerverbandes (SSW), will womöglich sogar in vier Sprachen sprechen: Deutsch, Dänisch, Platt und Friesisch. Problem: Er hat nur zwei Minuten Redezeit.
Der Familienausschuss des Bundestags befasst sich am kommenden Montag, 27. Februar, in einer öffentlichen Anhörung mit dem Kinderbetreuungsgesetz. Die Bundesregierung möchte die Fristen zum Abruf der Bundesmittel zum Kita-Ausbau verlängern.
Als Sachverständige sind Maria-Theresia Münch (Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge), Soultana Paschalidou (Europäische Kommission), Thomas Rauschenbach (Forschungsverbund Deutsches Jugendinstitut), Doreen Siebernik (Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft), Uwe Themann (Bürgermeister der Samtgemeinde Hesel), Stefan Hahn (Deutscher Städtetag), Uwe Lübking (Städte- und Gemeindebund) und Irene Vorholz (Deutscher Landkreistag) eingeladen.
Auf - Omid Nouripour. Der Parteichef ist der grüne Aktivposten beim heutigen politischen Aschermittwoch und wird gleich in vier verschiedenen Städten – Köln, Mainz, Hanau und Hattersheim – auftreten. Damit steht er doppelt so häufig auf der Bühne wie seine Co-Vorsitzende Ricarda Lang, die in Landshut und Würzburg zu Gast ist.
Ab - Christian Dürr gerät in Erklärungsnot. In einem Fraktionspapier ist – als mögliche Gegenfinanzierung für eine niedrigere Einkommensteuer – die Rede von höheren indirekten Steuern und weniger Ausnahmen vom Mehrwertsteuer-Normalsatz. Nicht zu Ende gedacht! Der Liberalen-Fraktionschef ist unser Absteiger.
Stefan Kornelius, außenpolitische Kopf der SZ, analysiert im Podcast-Interview mit Gabor Steingart die Reden von Putin in Moskau und Biden in Warschau. Panik als Reaktion auf die Aussetzung des New-Start-Vertrags halte er für falsch: „Dass da unmittelbar ein nuklearer Austausch bevorsteht, halte ich für einen ganz großen Quatsch. Es ist, wenn man wirklich hinhört, bei den beiden enorm viel Kontrolle dahinter, was sie genau sagen, was sie damit meinen.” Kornelius' Prognose zur Fortsetzung des Kriegs: „Die Fachleute wissen genau, dass in diesem Frühjahr eine Entscheidung stattfinden wird. Die Ukraine wird versuchen, die russische Invasion auf die alte Besatzungslinie zurückzudrängen. Und wenn man wieder dort ist, dann wird auf beiden Seiten die Bereitschaft da sein, zu reden.” Das gesamte Interview hören Sie in der heutigen Ausgabe des Pioneer Briefing Podcasts hier.
Thomas Sigmund, Leiter des Handelsblatt-Hauptstadtbüros, kritisiert die Forderung von SPD-Chefin Saskia Esken und Generalsekretär Kevin Kühnert nach höheren Steuern. Der „finanzpolitisch kundige Bundeskanzler” solle seiner Meinung nach daher „der Mär entgegentreten, man könne die Gesellschaft befrieden, wenn man nur ,die da oben' schröpft”. Sigmund fordert Esken und Kühnert stattdessen auf, einen Deckel für Fördertöpfe einzuführen und einen Blick auf das Sozialbudget zu werfen. „Deutschland hat inzwischen eine Staatsquote von fast 52 Prozent. Da begann bei Helmut Kohl der Sozialismus”, schreibt er. Hier geht es zum Kommentar.
Heute gratulieren wir herzlich:
Matthias Kiesler, Referatsleiter im Auswärtigen Amt, 61
Horst Köhler (CDU), Bundespräsident a.D., 80
Rolf-Dieter Krause, ehem. ARD-Korrespondent in Brüssel, 72
Holger Scherf, deutscher Botschafter in Paraguay, 66
Sylvia Stierstorfer (CSU), Beauftragte der Bayerischen Staatsregierung für Aussiedler und Vertriebene, 60
Wir wünschen Ihnen einen elanvollen Start in diesen Donnerstag!
Herzlichst,
Ihre