wie schön, dass Sie wieder dabei sind.
Heute möchte ich mit Ihnen in die Türkei - genauer, nach Istanbul - schauen, wo nach der Umwidmung der Hagia Sophia das erste Freitagsgebet stattgefunden hat.
Außerdem geht es um Bodo Hombach, der die existenziellen Fragen unseres Miteinanders diskutieren will, und um Politiker, die sich mit Tieren fotografieren.
Haben Sie sie auch gesehen? Die Bilder aus Istanbul, die den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan zeigten wie er, ganz demütig und fromm, am ersten Freitagsgebet der jüngst zu Moschee umgewidmeten Hagia Sophia teilnahm?
Es waren machtvolle Bilder, die den Anspruch des AKP-Politikers zementieren sollten, als muslimischer Staatsmann den Mächtigen aus Europa, den USA und Saudi-Arabien die Stirn zu bieten.
Es war nie ein tatsächlich religiös motivierter Wille, die weltberühmte Hagia Sophia wieder zu einer Moschee umzuwidmen, sondern eine rein machtpolitische Entscheidung. Die Botschaft Erdoğans sollte lauten: Hiermit beenden wir die jahrzehntelange westliche Unterdrückung unserer Religion und brechen zu neuen Ufern muslimischer Hegemonie auf.
Dabei war es der Staatspräsident Erdoğan höchstpersönlich, der vor 20 Monaten noch sagte: „Ihr bekommt ja nicht einmal die benachbarte Sultanahmet (Moschee, Anm. d. Red.) voll - und da wollt ihr jetzt die Hagia Sophia öffnen. Lasst uns nicht diese Spielchen mitspielen, das sind alles Fallen.“
Offenbar möchte Erdoğan dieses „Spielchen“ nun doch spielen. Wo er zuvor noch eine Falle sah, sieht er jetzt eine Chance - um nicht zu sagen, einen Rettungsanker. Ein Anker, der ihn davor retten soll, vom Sog seiner sinkenden Umfragewerte fortgerissen zu werden. In meiner Analyse "Ein Land erstickt" geht es um die vielen kleinen und großen, tatsächlichen und symbolischen Kämpfe, Probleme und Krisen, die die Türkei zurzeit in Atem halten - und auch um die politischen Misserfolge des Staatschefs, die er nun mit der Show um die Hagia Sophia zu überdecken versucht.
Doch eines müssen auch aufgeklärte Europäer tun, wenn sie sich über undemokratische oder schändliche Entscheidungen in der Türkei und sonst wo genüsslich echauffieren wollen: Die Motivation hinter ihrer Kritik hinterfragen.
Das Interesse der deutschen Öffentlichkeit am ersten Freitagsgebet im Weltkulturerbe war immens: In jeder Sendung, in jedem Kommentar immer wieder der Hinweis „Vergessen wir nicht, die Hagia Sophia wurde ursprünglich als Kirche gebaut“, immer wieder die Infragestellung des künftigen Unesco-Status. Und huch, hat da schon wieder jemand Konstantinopel gesagt? Kann ja mal passieren, wenn man das erste Freitagsgebet über mehrere Minuten live überträgt und Breaking-News vermeldet, wenn der türkische Präsident die Moschee betritt.
Die Haltung, mit der viele die Szenen in Istanbul kommentierten, offenbarte ein scheinbar noch immer gekränktes Ego Europas. Der vergangene Freitag schien wie der erneut erlebte Verlust der Jahrhundert-Metropole an die Osmanen.
Ich war schon oft in Istanbul, und ich kenne keine Stadt, die so schön und so düster, so wild, so modern, so grausam und so verletzlich ist. Zuzusehen, wie sie zum Spielball eines autoritären Staatspräsidenten verkommt und zusehends aufgerieben wird zwischen den polarisierten Fronten einer Gesellschaft, die mit sich selbst nicht im Reinen ist, schmerzt.
© The PioneerEr war Wirtschaftsminister in Nordrhein-Westfalen, Wahlkampfmanager und Chef des Bundeskanzleramts unter Gerhard Schröder und viele Jahre Chef der WAZ-Mediengruppe. Heute ist Bodo Hombach Präsident der Bonner Akademie für Politik und praktische Politik in Bonn und ein kritischer Geist in der Beobachtung aktueller Politik. In der Corona-Pandemie sieht der 67-jährige Mülheimer die große Chance als Gesellschaft wieder existenzielle Fragen zu diskutieren. „Was ist das höchste Gut im Leben? Was hat Vorrang? Gesundheit? Freiheit? Gemeinschaft? Würde? Ist Freiheit nur das Ausleben der eigenen Bedürfnisse oder auch die freiwillige Akzeptanz des Gebotenen?“ Hombach ist zuversichtlich: „Das alles wird gegenwärtig vielfach durchdekliniert, nicht selten mit Pathos und moralischem Hyperventilieren, aber auch mit neuem Schwung und Blick.“ Seinen Beitrag für The Pioneer lesen Sie hier.
Reichstagsgebäude, Kanzleramt, Bundespräsidialamt: Berlin ist die einzige Hauptstadt der Welt, in der alle wichtigen politischen Gebäude durch das Wasser verbunden sind. An Bord unseres Redaktionsschiffs Pioneer One erleben Sie einzigartige Perspektiven und aktuelle Einblicke in und über das politische Berlin. Ihr Gastgeber auf der Tour am Dienstag, 28. Juli, ist mein Kollege Gordon Repinski, stellvertretender Chefredakteur von ThePioneer. Los gehts um 17 Uhr. Sichern Sie sich hier Ihre Tickets.
© The PioneerGibt es eigentlich noch Politiker, die sich in diesem Sommer noch nicht mit Kuh, Pferd, Esel oder Hund haben fotografieren lassen? Wenn ja, diese Polit-Influencer wissen, wie es geht.
**
Ich wünsche Ihnen einen schönen Start in den Tag!
Herzlichst, Ihre