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Unsere Themen heute:
Auch das gestrige Treffen zwischen Olaf Scholz, Robert Habeck und Christian Lindner blieb ergebnislos. Wie der Streit in der AKW-Frage gelöst werden kann, ist völlig offen. Die Grünen sind genervt und ratlos.
Die Europäische Union will an diesem Montag regimetreue iranische Einzelpersonen und Organisationseinheiten („Entitäten“) auf eine Sanktionsliste setzen.
Vor der Ministerpräsidentenkonferenz am Mittwoch gibt es unter den Bundesländern Streit um die Verteilung ukrainischer Flüchtlinge. Die drei Stadtstaaten fühlen sich benachteiligt.
Der Bundesrechnungshof hat sich mit dem Bürgergeld beschäftigt. Die Behörde warnt vor Missbrauch.
Das Bundeswirtschaftsministerium stellt den Einsatz von schwimmenden Ölkraftwerken, sogenannten Power Barges, wieder in Frage. Wir wissen, welche Alternativen im Gespräch sind.
Das AKW-Dilemma der Ampel
Und noch eine Runde im Koalitionsstreit um die Atomkraft. Nach dem ergebnislosen Treffen von vergangenem Mittwoch setzten sich an diesem Sonntag Kanzler Olaf Scholz (SPD), Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) erneut zusammen. Bisher ohne greifbares Ergebnis. An diesem Montag könnte es noch einen Koalitionsausschuss im Kanzleramt geben, hören wir.
Nur was dabei herauskommen soll, das ist das große Rätsel dieser Tage.
© The PioneerWohl lange nicht hat sich eine Koalition in so eine Sackgasse manövriert. Sie scheint keinen Wendepunkt und keinen Rückwärtsgang zu finden.
Immerhin steht ein neuer Vorschlag im Raum. Die Option, die nach Informationen unserer Kollegen Rasmus Buchsteiner und Thorsten Denkler sondiert wird, ist:
Alle drei verbliebenen Atomkraftwerke bleiben bis Ende 2023 im Streckbetrieb am Netz.
Vorteil: Neue Brennelemente braucht es dafür nicht. Das wäre eine der roten Linien von SPD und Grünen.
Nachteil: Der Vorschlag widerspricht in zwei Punkten dem, was die Grünen auf ihrem Parteitag beschlossen haben: Maximal die beiden Süd-AKW Isar II und Neckarwestheim gehen bis längstens 15. April in den Streckbetrieb.
Unter Liberalen wird der Beschluss als „nicht hilfreich für die Suche nach Kompromissen“ gesehen.
Der Parteitagsbeschluss entspricht jedoch der Vorlage zur AKW-Reserve, die das BMWK für die Kabinettssitzung vor knapp zwei Wochen vorbereitet hatte und uns vorliegt.
Technisch soll ein Steckbetrieb bis Ende 2023 angeblich möglich sein, das hätten die Betreiber im Gespräch mit Scholz, Habeck und Lindner deutlich gemacht. „Das könnte ein Brücke sein“, hören wir aus der FDP. „Dann könnten wir in einem Jahr noch einmal schauen, wie weit wir dann energiepolitisch sind.“
Hochrangige Grüne sagen uns dagegen, der Vorschlag sei unannehmbar. Der Parteitag habe jetzt klare Grenzen gesetzt, heißt es. Er werfe zudem enorme Sicherheitsfragen auf. Ein so langer Streckbetrieb sei nie versucht worden. Und die erzeugten Strommengen seien viel zu gering, um den Aufwand zu rechtfertigen.
Vielen in der Partei ist völlig unklar, was Lindner eigentlich bezweckt.
„Hätte er noch vor dem Parteitag eine Einigung zugelassen, dann hätten wir noch was machen können“, hören wir. Ein Streckbetrieb auch für das AKW Emsland etwa wäre vorher noch eine Option gewesen. Jetzt stehe der Parteitagsbeschluss. „Dahinter gehen wir nicht mehr zurück“, wird uns gesagt.
© The PioneerEU setzt Iraner auf Sanktionsliste
Protestierende im Iran © TwitterDie Europäische Union will an diesem Montag regimetreue iranische Einzelpersonen und Organisationseinheiten („Entitäten“) auf eine Sanktionsliste setzen. Dies erfuhren wir aus Diplomatenkreisen. Vollzogen werden soll dies im Rahmen des Treffens des Rats für Auswärtige Angelegenheiten, der heute in Luxemburg tagt.
Insgesamt sollen 16 Entitäten betroffen sein, erfuhren wir. Diese gehören zu den Sicherheitskräften, die aktuell die Proteste im Land niederschlagen. Unter anderem wird die iranische Sittenpolizei auf der Sanktionsliste stehen, bestätigten uns Diplomaten. Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) hatte sich persönlich für die Maßnahmen eingesetzt und ein Paket mit ihrem französischen Amtskollegen Jean-Yves Le Drian ausgearbeitet.
Dieses Paket soll lediglich ein erster Aufschlag in der Sanktionspolitik der EU gegenüber dem Regime in Teheran sein. Der Iran droht seinerseits mit dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen in die EU, wenn die Sanktionen wegen des Umgangs mit den Protesten gegen das Land verhängt werden.
CDU für EU-Sonderrat zu Iran
Die CDU-Außenpolitikerin Katja Leikert fordert weitergehende Sanktionen gegen den Iran und eine Sondersitzung des EU-Rats wegen der anhaltenden Menschenrechtsverletzungen.
Die von der EU geplanten persönlichen Sanktionen gegen das Mullah-Regime seien das „absolute Mindestmaß“, so Leikert. Diese hätten die USA und Großbritannien längst beschlossen.
CDU-Außenpolitikerin Katja Leikert © imago„Die aktuelle Lage im Iran ist ein richtungsweisender Testfall, um zu sehen, ob und wie die frauenorientierte Außenpolitik der Bundesregierung im Krisenfall einen Unterschied macht“, sagte uns Leikert.
Es gebe noch zahlreiche Maßnahmen, mit denen man den Menschen auf den Straßen im Iran zeigen könne, dass Deutschland an ihrer Seite stehe.
„Die Bundesregierung sollte sich für die Einberufung eines Sonderrates der Europäischen Union zur Lage im Iran einsetzen.“ Außerdem müsste das Islamische Zentrum in Hamburg geschlossen werden, das als Drehscheibe für die Aktivitäten des Regimes in Deutschland diene.
Streit der Länder um Flüchtlingsverteilung
Unter den Bundesländern ist eine Auseinandersetzung um den Königsteiner Schlüssel ausgebrochen, der unter anderem die Verteilung von Flüchtlingen in Deutschland regelt. Die Stadtstaaten Berlin, Hamburg und Bremen fühlen sich in der Frage benachteiligt und haben bereits im Rahmen der Runde der Chefs der Staatskanzleien im September eine Änderung erreichen wollen, die aber von der Seite der überwiegend unionsgeführten B-Länder abgelehnt wurde.
© dpaAuf der Ministerpräsidentenkonferenz am Mittwoch in Hannover soll erneut über das Thema verhandelt werden. Bisher geben sich die B-Länder aber wenig kompromissbereit, vernehmen wir aus den internen Verhandlungen. Sachsen-Anhalt etwa will die Frage mit einer Begrenzung des Flüchtlingsaufkommens verbinden, Bayern ist überhaupt nicht willens, eine Änderung vorzunehmen. Ein Ergebnis der Debatte ist erst bei der Sitzung selbst am Mittwoch zu erwarten, hören wir aus Kreisen der A-Länder.
Rechnungshof zerpflückt Heils Bürgergeld-Pläne
Hubertus Heil © imagoDie Bürgergeld-Pläne von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) stoßen auf Kritik beim Bundesrechnungshof. Das geht aus einem Entwurf der Bonner Behörde hervor, den unser Kollege Rasmus Buchsteiner erhalten hat.
Das Bürgergeld soll zu Jahresbeginn 2023 das bisherige Hartz-IV-System ersetzen.
Vorgesehen ist unter anderem eine zweijährige Karenzzeit, in der Vermögen von weniger als 60.000 Euro bei Alleinstehenden und 30.000 Euro für jede weitere Person im Haushalt nicht berücksichtigt werden sollen. Zudem werden in dieser Zeit Ausgaben für Unterkunft und Heizung unabhängig von der Wohnungsgröße übernommen.
Der Rechnungshof fordert „eine deutlich kürzere Karenzzeit“ und kritisiert die Freigrenzen als „unverhältnismäßig hoch“. Wörtlich heißt es in dem Bericht:
Ausriss aus dem Bürgergeld-Bericht des BundesrechnungshofesDer Bundeshaushalt sollte nicht mit dem Leistungsbezug von Personen belastet werden, bei denen grundsätzlich von einer ausreichenden Eigenleistungsfähigkeit ausgegangen werden kann.
Nach den Plänen der Regierung soll beim Bürgergeld-Antrag künftig eine Erklärung ausreichen, dass man „kein erhebliches Vermögen“ besitzt. „Der Verzicht auf jegliche konkretere Angabe eröffnet Mitnahme- und Missbrauchsmöglichkeiten“, kritisieren die Antragsteller.
Die Regierung will das Bürgergeld mit einer sogenannten Vertrauenszeit von sechs Monaten umsetzen. Für deren Dauer sind Sanktionen bei Pflichtverletzungen und erstmaligen Meldeversäumnissen ausgeschlossen.
Der Rechnungshof argumentiert, Sanktionen hätten nicht nur präventive Wirkung, sondern auch einen positiven Effekt auf die Zusammenarbeit mit dem Jobcenter, den Vermittlungsprozess sowie die Dauer des Hilfebezugs.
BWMK stellt Power Barges an Nordsee wieder in Frage
Schwimmendes Ölkraftwerk. © screenshotDie Bundesregierung kennt bisher noch keine Übersicht, ob, wo und wann sogenannte Power Barges, schwimmende Ölkraftwerke, entlang der deutschen Nordseeküste installiert werden. Das geht aus der Antwort des Bundeswirtschaftsministeriums (BMWK) auf eine Anfrage des CDU-Bundestagsabgeordneten Andreas Jung hervor, die unserem Kollegen Thorsten Denkler vorliegt.
Das BMWK sei mit der „niedersächsischen Landesregierung über mögliche Standorte und den jeweils zu realisierenden Voraussetzungen im Gespräch“, heißt es in dem Schreiben. Geprüft werde auf der Grundlage eines Angebotes des belgischen Anbieters für schwimmende Kraftwerke, Exmar.
Power Barges werden in der Regel in der Spitzenlast eingesetzt, können also auch Gaskraftwerke ersetzen. Nach Angaben der Bundesregierung würden sie damit teilweise auch den Wegfall des AKW Emsland ausgleichen, das zum Jahresende vom Netz gehen soll. Das geht aus den Schlussfolgerungen des BMWK aus dem zweiten Stresstest hervor.
Aus dem BMWK hören wir jetzt, dass der Einsatz der Power Barges an der Nordseeküste wieder in Frage gestellt wird. Es wäre netztechnisch sinnvoller, sie etwa im Hafen von Antwerpen oder an Frankreichs Küste zu platzieren.
Gabriel kritisiert 9-Euro-Ticket – günstiger ÖPNV habe derzeit keine Priorität
Der ehemalige Bundeswirtschaftsminister und Ex-Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) übt scharfe Kritik am 9-Euro-Ticket sowie einem möglichen Nachfolgemodell. Angesichts der derzeitigen wirtschaftlichen Lage seien solche Investitionen nicht angemessen, erklärte Gabriel in der neuen Ausgabe unseres World Briefings.
„Die Frage ist, ob wir in der Lage sind, Prioritäten zu setzen. Mein Eindruck ist ein bisschen: Wir machen alles gleichzeitig“, sagte Gabriel im Gespräch mit unserer Kollegin Chelsea Spieker. In Bezug auf das 9-Euro-Ticket sei klar gewesen, dass danach die Frage nach der Fortführung und der Finanzierung aufkommen würde.
Sigmar Gabriel und Chelsea Spieker © Anne HufnaglGabriel: „Wir haben in den Ländern und den Kommunen oft nicht genug Geld, unsere Schulen vernünftig auszustatten, und jetzt gibt’s einen Streit um die Frage: Wie viel sollen die Länder an die Kommunen bezahlen beim öffentlichen Nahverkehr und wie viel der Bund? In Wahrheit hat’s keiner.“
In der derzeitigen Situation müssten die Prioritäten seiner Meinung nach klar gesetzt sein. „Die erste große Priorität ist, dafür zu sorgen, dass die Unternehmen in Deutschland diese gewaltige Energiepreisexplosion überleben können und die Verbraucherinnen und Verbraucher auch.“ Wenn das nicht gelinge, so Gabriel, „dann wird es ganz schwierig werden in den nächsten Jahren".
Außerdem sprechen Gabriel und Spieker in der aktuellen Folge über die Weltwirtschaft, den Arabischen Raum, den Ukraine-Krieg und die Rolle von China. Hier geht es zum Podcast:
Schulze macht den Premierenflug
Ankunft am Sonntagmorgen in Berlin. Die neue A321neo der Flugbereitschaft. © Michael BröckerEntwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) durfte am vergangenen Wochenende als erstes Regierungsmitglied den neuen Jet der Flugbereitschaft, den A321neo, nutzen.
Sie reiste mit der Delegation von Finanzminister Christian Lindner (FDP) aus Washington zurück nach Berlin, da die Maschine des FDP-Ministers, die Konrad Adenauer, wegen technischer Mängel nicht abheben konnte.
Lindner flog daraufhin am Freitagabend mit einer Linienmaschine der Lufthansa zurück. Schulze, die noch bis Samstag Termine bei der Weltbank-Tagung hatte, wechselte in die neue Regierungsmaschine, die eigens von Testflügen aus Florida nach Washington gekommen war und führte die eigentliche Lindner-Delegation an.
Am Sonntagmorgen erreichte Schulze mit der knapp 60-köpfigen Reisegruppe Berlin.
Olaf Scholz (SPD) reist am kommenden Donnerstag, dem 20. Oktober 2022, zu einem zweitägigen EU-Gipfel nach Brüssel. Vorher wird der Bundeskanzler im Parlament eine Regierungserklärung dazu abgeben.
An der Abstimmung über die 200 Milliarden Euro für das sogenannte „Doppel-Wumms“-Paket der Koalition, die am kommenden Freitag auf der Tagesordnung im Parlament steht, wird Scholz daher nicht teilnehmen können.
Auf - Hubertus Heil. Der SPD-Arbeitsminister hat die Vorteile für ukrainische Flüchtlinge im Sozialrecht verteidigt. „Die Menschen fliehen vor einem schrecklichen Krieg, den Putin angezettelt hat“, sagte Heil dem Tagesspiegel. Die EU-Sonderregel sei im Konsens gefasst worden und einzuhalten. Dem ist wenig hinzuzufügen. Aufsteiger!
Ab - Omid Nouripour. Als DJ machte der Grünen-Chef auf der Party bei der Bundesdelegiertenkonferenz eine gute Figur. Allerdings trug er dabei wie viele Gäste keine Maske, obwohl der nordrhein-westfälische Landesverband sich in einem aktuellen Beschluss für eine grundsätzliche FFP2-Pflicht in Innenräumen ausspricht. Auch manch ein Delegierter, so hören wir, fand Nouripours maskenlosen Auftritt befremdlich, auch wenn er legal war. Absteiger!
Die Inflation in der Eurozone ist gekommen, um zu bleiben. Sie wird auf hohem Niveau verharren, denn die EZB und die Staaten haben an einer echten geldpolitischen Wende kein Interesse. Die Notenbank dürfte die Zinsen noch einmal erhöhen, aber sie will auf gar keinen Fall die Inflation so prioritär und entschlossen bekämpfen wie die US-Notenbank.
Warum die EZB so agiert hat und warum sie sich in ihrer Logik sogar rational verhält, nur diese Rationalität leider unsere Geldwertstabilität ruiniert, das beschreibt Pioneer-Wirtschaftsredakteur Alexander Wiedmann in seiner Coverstory. Sein Fazit: „Sie ist der zahnlose Tiger unter den Notenbanken, weil sie sich selbst das Gebiss herausgenommen hat.“ Den Artikel lesen Sie hier:
Der Klick aufs Cover führt Sie zur Story.In der ersten Folge unseres „Pioneers for Ukraine“-Podcasts lassen Timea Steingart und Yasmine Naami von der Pioneer Foundation unsere Partner in der Ukraine zu Wort kommen. Die Chefredakteure Vitaliy Sych, Sevgil Musayeva und Olga Konsevych berichten von der Arbeit während des Krieges, der Rolle des Journalismus als Hoffnungsträger und der Unterstützung durch die Pioneer Foundation. Außerdem erzählen zwei unserer circa 700 Spender, welche Botschaften sie an die Journalisten in der Ukraine haben und was sie zur Spende bewegt hat.
Dieser Podcast ist ein Kind des Krieges. Er dokumentiert den Mut der unabhängigen Journalisten in der Ukraine, die Solidarität der deutschen Bürgergesellschaft und unsere Bereitschaft als Pioneers für das Ziel eines demokratischen Journalismus in Europa zu kämpfen. Hören Sie rein!
Heute gratulieren wir herzlich:
Luise Amtsberg, Grünen-Bundestagsabgeordnete und Beauftragte der Bundesregierung für Menschenrechtspolitik und Humanitäre Hilfe im Auswärtigen Amt, 38
Christiane Schenderlein, CDU-Bundestagsabgeordnete, 41
Michael Stübgen (CDU), brandenburgischer Innenminister, 63
Wir wünschen Ihnen einen elanvollen Start in diesen Donnerstag!
Herzlichst,
Ihre