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Unsere Themen heute:
Die Corona-Lage eskaliert und mehr denn je hört das Land auf die Analysen von Karl Lauterbach. Wird er doch noch Minister?
Ein bisschen Fortschritt, aber auch viel Kritikwürdiges. Die Arbeitgeber haben den Koalitionsvertrag der Ampel in einem 60-seitigen Papier bewertet. Uns liegt es vor.
Die Grünen stellen ihre Fraktionsführung neu auf. Wir kennen die Hintergründe.
Der SPD-Altkanzler stellt das Portrait-Buch des neuen SPD-Kanzlers vor. Und ein Hamburger Journalist hat es geschrieben.
Was wird Karl Lauterbach?
Das Wochenende war für den SPD-Gesundheitsexperten Karl Lauterbach mal wieder eines voller Telefonate. Lothar Wieler, Christian Drosten, Olaf Scholz standen auf der Anrufliste. Die Debatten gingen tief ins Detail.
Lauterbach, eigentlich ohne echte Funktion, ist mitten im Zentrum der Corona-Krise angekommen.
Er ist in diesen Wochen so etwas wie der Gesundheitsminister der Zwischenregierungszeit.
Karl Lauterbach © dpaNur für den echten Ministerposten wird es nicht reichen, da waren sich Kenner eigentlich immer sicher.
Doch die Kommentare über die Perspektiven Lauterbachs aus der eigenen Partei ändern sich gerade spürbar. Wer vor Wochen noch "keine Chance", "viel zu umstritten" antwortete, spricht in Anbetracht der eskalierenden Pandemie-Lage im Land plötzlich viel differenzierter.
Schon jetzt ist klar: An Lauterbach als nächsten Gesundheitsminister führt jedenfalls kein ganz einfacher Weg mehr vorbei. Der öffentliche Druck steigt täglich, in den sozialen Netzwerken demonstrierten tausende Bürgerinnen und Bürger mit dem Hashtag #wirfuerkarl für Lauterbach als Gesundheitsminister.
Auch aus der Fraktion gibt es Druck für Lauterbach. Der Bochumer Axel Schäfer sagte uns:
Das Gesicht der SPD-Gesundheitspolitik ist Karl Lauterbach. Seine Qualifikation ist unbestritten.
Noch-Parteichef Norbert Walter-Borjans forderte schon im Frühsommer eine wichtigere Rolle für Lauterbach in der SPD - sah ihn gar als einen möglichen Teil eines "Teams Scholz".
Bei den SPD-Entscheidern ist mittlerweile die Komplexität des Themas angekommen. Denn die Auswahl an Alternativen für Lauterbach wird durch dessen gewaltige Außenwirkung immer enger.
Eine Besetzung etwa mit der durchaus anerkannten Gesundheitspolitikerin Sabine Dittmar aus der Fraktion wäre ein Affront gegenüber dem Kölner Epidemiologen.
Denkbar wäre für dieses Krisenressort - wie auch für Verteidigung - ein erfahrener Allrounder. Sozialminister Hubertus Heil - oder Fraktionsgeschäftsführer Carsten Schneider. Bei beiden könnte man argumentieren, dass sie große politische Strukturen führen können - diesen Nachweis konnte Lauterbach noch nicht antreten. Doch für Arbeitsminister Heil wäre die Position ein Abstieg.
Lauterbachs Problem: Es gibt eigentlich keinen Platz für einen weiteren Mann im Kabinett. Zwei Plätze sind neben Kanzler Scholz und dessen designierten Kanzleramtsminister Wolfgang Schmidt noch zu vergeben. Würde Lauterbach einen erhalten, würden der als gesetzt geltende Heil oder der von allen Ostverbänden unterstützte Schneider leer ausgehen müssen.
SPD-Fraktionsspitze: Chef Rolf Mützenich, Erster Parlamentarischer Geschäftsführer Carsten Schneider. © dpaAuch für Fraktionschef Rolf Mützenich als möglichen Entwicklungsminister wäre dann kein Platz.
Also sucht die SPD-Spitze andere Lösungen. Doch Lauterbach kennt seinen Wert. Er würde sich nicht mit einem Beauftragten-Posten im Kanzleramt abspeisen lassen - und schon gar nicht in der Rolle eines Parlamentarischen Staatssekretärs.
Für Olaf Scholz ist es eine kniffelige Lage. Immer wieder betonten SPD-Verhandler uns gegenüber, dass es dem designierten Kanzler vor allem darauf ankomme, dass die Kandidaten ihren Job beherrschten. In Deutschland versteht aber sogar kaum ein Wissenschaftler mehr von Corona als der Politiker Lauterbach.
Scholz wird schon bald entscheiden müssen. Die Zahl der mutmaßlichen Verlierer in der Frage ist groß.
1. Arbeitgeber kritisieren Sozialpolitik der Ampel
Die Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände (BDA) hat den Koalitionsvertrag der Ampel-Partner als zu zaghaft und zu staatsgläubig kritisiert.
“Der Fortschritt könnte aus Sicht der Wirtschaft größer sein. Der Begriff Eigenverantwortung taucht auf 177 Seiten kein einziges Mal auf”, heißt es in einer 60-seitigen internen Bewertung des Verbands, die am vergangenen Wochenende an die Mitglieder geschickt wurde und uns vorliegt.
Gut sei, dass die künftige Koalition keine “neuen Restriktionen wie zum Beispiel die weitere Regulierung von befristeten Arbeitsverhältnissen, die Einschränkung der Zeitarbeit und eine Ausweitung der Allgemeinverbindlichkeitserklärung von Tarifverträgen (AVE)” beschlossen habe.
Auch das Festhalten an der Schuldenbremse lobt die BDA.
“Insgesamt fehlt der Ampel aber die Konsequenz, über den Status Quo hinaus neue Freiheiten für die Unternehmen und Beschäftigte zu schaffen und Eigenverantwortung zu stärken.”
Die notwendigen Strukturreformen in der sozialen Sicherung würden vertagt, die “dringend notwendige” Begrenzung der Sozialbeiträge auf 40 Prozent fehlt in dem Koalitionsvertrag, kritisieren die Arbeitgeber.
In der Arbeitsmarktpolitik drohe eine “Rückentwicklung zum Parken in Arbeitslosigkeit”, heißt es weiter. Die Anhebung des gesetzlichen Mindestlohns auf 12 Euro bezeichnet der Verband als “schweren Eingriff" in die Arbeit der Sozialpartner in der Kommission.
Kritisch merken die Autoren auch an, dass der noch im Sondierungspapier vereinbarte Verzicht auf Steuererhöhungen sich im Koalitionsvertrag nicht mehr wiederfindet.
2. SPD, CDU und Grüne ziehen in neuen Bundestagsbau
Übersicht aus einer internen Präsentation zum neuen Modulbau © ThePioneerIn das neue Bundestagsgebäude zwischen der Bundespressekonferenz und dem Marie-Elisabeth-Lüders-Haus sollen 2022 Abgeordnete von SPD, CDU und Grünen einziehen. Das wurde unserem Chefkorrespondent Rasmus Buchsteiner in Parlamentskreisen bestätigt.
Die Verhandlungen zwischen den Fraktionen über die künftige Raumverteilung sind demnach abgeschlossen worden.
Die SPD-Fraktion erhalte zwei Etagen in dem neuen Bau, wie es in einem Schreiben von Fraktionsgeschäftsführerin Gabriele Katzmarek heißt. Jedem Abgeordneten stehen in der Regel drei Büroräume mit jeweils 18 Quadratmetern zur Verfügung.
Möblierungsvorschlag für Büros in neuem Bundestagsbau © ThePioneerDer neue Modulbau bietet Platz für etwa 400 Büros. Er wurde als Reaktion auf chronischen Raummangel in den Bundestagsgebäuden geplant - und ist seit Oktober 2020 errichtet worden. Bezugsfertig soll er Anfang 2022 sein. Die Baukosten werden auf circa 70 Millionen Euro beziffert.
Die Zahl der Räume, die eine Fraktion zugeteilt bekommt, richtet sich nach deren Größe. Die Unionsfraktion hat deutlich an Platz eingebüßt - mit der Folge, dass Mitarbeiter zusammenrücken müssen. Viele Abgeordnete der Union müssen nun umziehen - in der Wilhelmstraße 65 werden künftig keine CDU-Parlamentarier mehr sitzen.
Für Mitarbeiter der Unionsfraktion gibt es künftig grundsätzlich keine Einzelbüros mehr. Die Fraktionsführung - darunter der Vorsitzende Ralph Brinkhaus und CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt - behalten dagegen ihre repräsentativen Büros mit Spreeblick in der fünften beziehungsweise dritten Etage des Jakob-Kaiser-Hauses.
3. Ampel will Güterverkehr mit Transportern verteuern
Die Ampel-Koalition will Güterverkehr mit Transportern verteuern - mit einer Ausweitung der Lkw-Maut. „Wir gehen durch die Ausweitung auf Fahrzeuge ab 3,5 Tonnen gegen die wachsende Verlagerung vom Lkw auf Transporter vor“, sagte uns FDP-Verkehrspolitiker Oliver Luksic. Aktuell sind Fahrzeuge unterhalb von sieben Tonnen nicht mautpflichtig.
Die Pläne der Ampel-Partner zielen nach Luksic’ Angaben allein auf den Güterkraftverkehr und schließen eine Belastung des regionalen Handwerks aus. Für Lkw, die Güter von Bahn oder Schiff abholen und weiter transportieren, sollen auf Strecken von weniger als 50 Kilometern von der Maut ausgenommen werden.
4. Ex-Gesundheitsminister Gröhe: Ampel muss globale Gesundheit stärken
Weltweiter Gesundheitsschutz müsse Kernbestandteil deutscher Außen- und Sicherheitspolitik werden. Zu diesem Schluss kommt eine Untersuchung der Konrad-Adenauer-Stiftung, die uns vorliegt.
Zum einen müsse Expertise in globaler Gesundheit verstärkt in außen- und sicherheitspolitischen Formaten der Bundesregierung verankert werden. Zum anderen müsse sich diese in der Weltgesundheitsorganisation (WHO) stark einbringen und deren Reform vorantreiben.
Hermann Gröhe, stellvertretender Vorsitzender der Konrad-Adenauer-Stiftung und Union-Fraktionsvize, sagte uns: "Deutschland hat in der Regierungszeit von Angela Merkel eine Führungsrolle im Bereich der Globalen Gesundheit erlangt, die geradezu zu einem Markenzeichen der internationalen Verantwortung unseres Landes geworden ist."
Hermann Gröhe © ImagoDer Verlauf der Pandemie zeige aber, wie viel hier noch zu tun sei - etwa mit Blick auf die Stärkung der WHO und der Gesundheitssysteme in armen Ländern.
Der frühere Bundesgesundheitsminister betont:
Angesichts dieser Herausforderung ist es unverständlich, dass der Koalitionsvertrag der Ampel-Parteien hierzu erstaunlich schwach und allgemein ausgefallen ist und keine anspruchsvollen Ziele enthält. Hier muss dringend nachgelegt werden.
5. NRW-SPD will Schließung der Clubs und Bars
Die SPD in Nordrhein-Westfalen will sich an diesem Montag für schärfere Corona-Maßnahmen in ihrem Bundesland aussprechen. Dies erfuhren wir aus Parteikreisen. Um 10 Uhr kommt der geschäftsführende Fraktionsvorstand in Düsseldorf zusammen, dabei sollen unter anderem Schließungen von Clubs und Bars als Forderung an die Landesregierung formuliert werden.
Fraktions- und Landeschef Thomas Kutschaty soll sich dieser Forderung dann anschließen, hören wir. Er ist der Überzeugung, dass weiterer Handlungsbedarf besteht.
6. Giffey legt Ressorts fest
In den Koalitionsgesprächen auf der Berliner Landesebene ist nach unseren Informationen eine Entscheidung über die Ressortverteilung gefallen.
So soll es aussehen:
Die SPD besetzt die Staatskanzlei, das Innen-, Wirtschafts-, Stadtentwicklungs- und Bildungsressort.
Die Grünen erhalten Finanzen, Gesundheit/Wissenschaft und Umwelt/Verkehr.
Die Linke führt die Ressorts Kultur/Europa, Integration/Arbeit/Soziales und Justiz
Die Ressortvergabe spiegelt Giffeys Interesse, die Stadtthemen in der Hand der SPD zu halten. Schmerzhaft ist der Verlust des Finanzressorts an die Grünen.
Bei den Grünen deutet vieles auf eine rein weibliche künftige Fraktionsführung hin.
Nach Informationen unserer Kollegin Marina Kormbaki sollen Britta Haßelmann, aktuell Erste Parlamentarische Geschäftsführerin, und Katharina Dröge, Parlamentarische Geschäftsführerin, in der nächsten Woche als neue Fraktionsvorsitzende gewählt werden. Haßelmann, die dem Realo-Flügel angehört, und Dröge, die zur Parteilinken zählt, würden dann die Nachfolge von Katrin Göring-Eckardt und Anton Hofreiter antreten.
Robert Habeck und Britta Haßelmann bei einer Wahlkampfveranstaltung 2021 in Bielefeld. © imagoDie bisherigen Fraktionschefs werden wider Erwarten nicht dem künftigen Ampel-Kabinett angehören. Göring-Eckardt ist für das freiwerdende Amt der Bundestagsvizepräsidentin im Gespräch.
In der Parteilinken sind Ärger und Verwunderung über die Parteichefs Annalena Baerbock und Robert Habeck groß, nachdem sich beide für den Realo Cem Özdemir und nicht, wie von vielen Grünen erwartet, für Hofreiter als Minister starkgemacht hatten.
Als „Wiedergutmachung“ pocht nun die Parteilinke nach unseren Informationen auf eine stärkere Berücksichtigung bei den Stellvertreterposten im Fraktionsvorstand.
Eine Analyse über die künftigen Grünen-Minister und ihre Vorhaben lesen Sie hier.
Der künftige SPD-Kanzler Olaf Scholz war sich schon im Frühjahr 2018 sicher, dass er Nachfolger von Bundeskanzlerin Angela Merkel werden würde. So ist es nachzulesen im neuen Portrait-Buch über Scholz, das der Hamburger Journalist und Chefredakteur des Hamburger Abendblatts, Lars Haider, geschrieben hat und das am 6. Dezember erscheint.
Klartext-Verlag. © Das neue Portrait-Buch über Olaf Scholz.Haider ist seit 2011 Chef der wichtigsten Tageszeitung in Hamburg und hat Scholz über viele Jahre beobachtet und getroffen. Das Buch wird am 9. Dezember in Berlin von Altkanzler Gerhard Schröder vorgestellt.
Auf - Cem Özdemir. Für seine Fans war es längst überfällig, für die beiden Parteivorsitzenden der Grünen offenbar auch. Dass Cem Özdemir nun erster Bundesminister mit Migrationshintergrund wird, ist ein starkes Zeichen einer vielfältigen Demokratie und ein klares Signal der Grünen, dass Erfahrung und Popularität wichtige Eigenschaften für die Besetzung eines Ministerpostens sind. Özdemir übernimmt mit dem Ernährungs- und Landwirtschaftsministerium auch kein Blümchen-Ressort, sondern ein zentrales Ministerium für Klimaschutz und die Überwindung gesellschaftlicher Gräben, zum Beispiel den zwischen Verfechtern einer traditionellen Agrar- und Ernährungspolitik und den Anforderungen einer nachhaltigen Landwirtschaft. Özdemir kann hier Wichtiges bewegen. Unser Aufsteiger.
Ab - Frank-Walter Steinmeier. Der Bundespräsident mischt sich in die aktuelle Corona-Politik ein. Er rät der Bevölkerung via Zeitungsinterview zur Reduktion von Kontakten und wirbt eindringlich für das Impfen. Die neue SPD-geführte Koalition, die die epidemische Notlage auslaufen lassen will und sich bisher nur mit einem von Experten als zu lasch bewerteten Gesetz gegen die Pandemie stemmt, erwähnt Steinmeier nicht. Auch das Hin und Her zwischen Bund und Ländern, die katastrophale Kommunikation der politischen Eliten ist dem Staatsoberhaupt kein Wort wert. Die eindringliche Mahnung an die Bevölkerung mag richtig sein. Ein Fingerzeig Richtung Politik und der neuen Ampel-Mehrheit wäre noch glaubwürdiger.
Spätestens zum Sommer 2022 soll der Mindestlohn auf 12 Euro steigen. Das hat der geschäftsführende und vielleicht auch künftige SPD-Arbeitsminister Hubertus Heil im Interview mit den Bild am Sonntag-Kollegen Angelika Hellemann und Roman Eichinger jetzt gesagt. "Die Anhebung des Mindestlohns auf 12 Euro werden wir sehr schnell angehen. Spätestens im kommenden Sommer soll die Erhöhung gelten. Dann verdienen rund zehn Millionen Menschen mehr.“ Auch den neuen Familienzuschuss von jährlich 2000 Euro für Alltagshilfen, erklärt der Minister. "Ab 2023 soll es die Gutscheine für Familien, Alleinerziehende, Pflegende geben. Für das erste Jahr rechnen wir mit 400 Millionen Euro Kosten." Hier geht es zu dem Interview.
Heute gratulieren wir herzlich:
René Rock, Fraktionsvorsitzende der FDP im Landtag von Hessen, 54
Anja Pfeffermann, Sprecherin der Landesvertretung Nordrhein-Westfalens, 42
Erster Streit zwischen Grünen und FDP rund um die Belastung von Diesel-Fahrern. Der designierte FDP-Verkehrsminister Volker Wissing will Kleintransporter-Fahrer bei der Kfz-Steuer entlasten, um die höhere Diesel-Steuer zu kompensieren. Julia Willie Hamburg, die Fraktionsvorsitzende der Grünen im niedersächsischen Landtag, kritisiert Wissings Äußerungen und warnt vor einer neuen Autolobby in der Regierung.
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