Zahlenkampf um Kindergrundsicherung

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Guten Morgen,

unsere Themen heute:

  • Deutungshoheit? Das Finanzministerium rechnet mit höheren Kosten für die Kindergrundsicherung. Die Grünen dementieren.

  • Wie geht es weiter in Israel und im Iran? Wir kennen die Einschätzung des Auswärtigen Amts.

  • Ein 22-jähriger Linken-Politiker fordert Björn Höcke heraus.

  • Die Grünen sind ab heute auf TikTok unterwegs. Wir kennen ihre Strategie.

  • E-Auto laden im Bundestag? Verboten!

  • Ein Jahr Atom-Ausstieg: Das ist die Bilanz.

Ein neues Schreiben aus dem Finanzministerium von Christian Lindner sorgt für Aufregung um die Kindergrundsicherung.

Der Inhalt: Nicht 5.000 sondern mittelfristig bis zu 9.000 Stellen seien nötig, um das Sozialprojekt zu verwalten. Dies gehe einher mit einem Anstieg der Verwaltungskosten von rund 400 auf 800 Millionen Euro. Das Schreiben liegt uns vor.

Basis der Berechnung sei der von der Bundesagentur für Arbeit (BA) prognostizierte Bedarf von 5.355 Stellen. Auf dieser Grundlage sei in der für Haushaltsfragen zuständigen Abteilung II eine „Fortschreibung für die nächsten Jahre“ vorgenommen worden, die die im bisherigen Gesetzentwurf „vorgesehene höhere Inanspruchnahme und eine Steigerung der Lohnkosten um 4,5 Prozent pro Jahr“ berücksichtige.

Das Ergebnis: Im zweiten Jahr würden rund 6.700, im dritten Jahr 7.900 und vierten Jahr 9.000 Stellen für die Verwaltung der Kindergrundsicherung gebraucht, heißt es in dem Schreiben. Daher auch die Verdopplung der Verwaltungskosten.

FDP-Geschäftsführer Torsten Herbst 

Der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion, Torsten Herbst, hält einen Stellenzuwachs in einer solchen Dimension für „absurd“ und „völlig aus der Zeit gefallen“. Offensichtlich verkenne Lisa Paus die Haushaltslage „völlig“, sagt er unserer Kollegin Claudia Scholz.

Paus' Familienministerium will die Zahlen auf Nachfrage nicht kommentieren.

Familienministerin Lisa Paus © imago

Zweifel angebracht: Unser Kollege Thorsten Denkler hat sich unter Experten und Grünen umgehört. Ergebnis: Es gibt erhebliche Zweifel an den Berechnungen des Finanzministeriums. Die Gründe:

  • Im Gesetzentwurf steht etwas anderes: Der von der BA errechnete Erfüllungsaufwand von rund 408 Millionen Euro ab 2025 „könne“ zwar wegen der steigenden Inanspruchnahme und höherer Personal- und Sachkosten „um rund 4,5 Prozent ansteigen“, heißt es im Entwurf. Aber selbst wenn damit eine jährliche Steigerung gemeint ist, wären es 2028 erst 465 Millionen Euro.

  • Nach intensiven Verhandlungen zwischen Finanz-, Familien- und Arbeitsministerium im Sommer 2023 erklärte Lindner Ende August: „Ich glaube, das ist ein gutes Ergebnis, das wir vorgelegt haben.“ Der Erfüllungsaufwand von 408 Millionen Euro stand damals schon im Gesetz und wurde von der FDP nicht beanstandet.

  • Das Gesetz wird aktuell im parlamentarischen Verfahren überarbeitet. Der bestehende Gesetzentwurf gilt nicht als obsolet. Aber welche Schlussfolgerungen für den Stellenbedarf gezogen werden können, lässt sich erst nach Abschluss der Verhandlungen seriös abschätzen.

Die Kindergrundsicherung steht in der Kritik. © dpa
  • Die Zahl der besonders zeitaufwändigen Fälle bleibe dauerhaft überschaubar, hören wir. Von den 1,9 Millionen Kindern, die laut Familienministerium Bürgergeld beziehen und deswegen Anspruch auf den Zusatzbeitrag haben, gilt nur ein Bruchteil als kompliziert: Jene ab einem Alter von 15 Jahren, die weder in die Schule gehen noch arbeiten oder eine Ausbildung machen und nicht behindert sind.

  • Die Lage am Arbeitsmarkt und der Fachkräftemangel sorgen dafür, dass immer weniger komplizierte Fälle zu verwalten sein werden, so die Argumentation. Auch das werde zu einem auf Dauer geringeren Personalbedarf führen.

  • Die Möglichkeiten der Digitalisierung seien noch gar nicht berücksichtigt. Ziel müsse es sein, wesentliche Verwaltungsentscheidungen von einer Künstlichen Intelligenz vorbereiten zu lassen.

Fazit: Zwei Interessen, zwei Rechnungen. Zwei Deutungshoheiten aber kann es auf Dauer nicht geben. Der Streit wird wohl so schnell nicht beigelegt.

Zum Download: Der Gesetzentwurf zur Kindergrundsicherung

Deutschland hofft auf angemessene Reaktion Israels

Die Bundesregierung hofft nach dem iranischen Luftangriff auf eine besonnene Reaktion Israels, die nicht zu einer weiteren Eskalation beiträgt.

Befürchtungen nicht eingetroffen: Wie unser Kollege Thorsten Denkler aus dem Auswärtigen Amt hört, habe der Iran seinen Angriff mit etwa 300 Flugkörpern, darunter Drohnen und Marschflugkörper, deutlich kleiner gehalten als zunächst befürchtet. 31 Menschen wurden verletzt, keine Toten. Dazu habe auch diplomatischer Druck aus Jordanien, Saudi-Arabien und nicht zuletzt Deutschland beigetragen.

Das Kriegskabinett tagt nach den iranischen Anschlägen © Imago

Die iranische Angriff sei „wohlkalkuliert“ gewesen. Der Iran habe kein Interesse an einer Ausweitung des Krieges in Gaza auf die Region, hieß es. Er habe mit seinem ersten Angriff auf israelisches Staatsgebiet dennoch eine rote Linie überschritten.

Eine Gegenreaktion Israels wird erwartet. Anders als für den Iran sei für Israel das Thema noch nicht abgeschlossen, hören wir.

Der Krisenstab des Auswärtigen Amtes ist am Sonntagmorgen unter Leitung von Annalena Baerbock im Beisein von Verteidigungsminister Boris Pistorius zusammengekommen.

Auf der Agenda: Thema war, wie viele Bundesbürger in der Region seien, wie viele davon sich auf den Notfall-Listen des Auswärtigen Amtes eingetragen hätten und wie die Situation auf den Flughäfen einzuschätzen sei. Details wurden nicht bekannt.

Die G7-Staaten hatten am Nachmittag eine gemeinsame Erklärung abgegeben und volle Solidarität mit Israel bekundet. Außenministerin Baerbock warb zudem im Bericht aus Berlin für eine Ausweitung der Sanktionen gegen den Iran.

Linke schickt 22-Jährigen gegen Höcke ins Rennen

David gegen Goliath – oder so ähnlich: Im ostthüringischen Kreis Greiz tritt ein 22-jähriger Linken-Politiker gegen Björn Höcke im Kampf um das Direktmandat an. Am Samstag wurde Leon Walter von seinem Kreisverband einstimmig als Kandidat bestätigt.

Der Verwaltungsfachangestellte sagte unserem Kollegen Jan Schroeder:

Ich will den Leuten zeigen, dass sie mehr von einer wirklich solidarischen Politik haben als von rechter Angstmache.

Leon Walter (Linke) © Die Linke Thüringen

„Dem rechten Kulturkampf“ will Walter eine soziale Politik für bessere Renten und gegen den Wohnungsleerstand im Landkreis entgegenstellen. 2019 hatte ein CDU-Kandidat das Direktmandat in Greiz gewonnen. Der AfD-Kandidat kam auf Platz zwei und der für die Linke auf Platz drei.

Ortswechsel: In den vergangenen Landtagswahlen trat Höcke noch in seinem knapp 190 Kilometer entfernten Heimatkreis Eichsfeld an. Gewechselt hat er laut Beobachtern nach Greiz, weil dort die Konkurrenz größer sei. Er selbst begründete das nicht.

AfD stark aufgestellt: Linken-Politiker Walter warnt, „Höcke wird einen Wahlkampf führen mit AfD-Leuten, die überregional aktiv sind“. Außerdem werde er „Unterstützung von Rechtsradikalen aus dem Nazi-Milieu bekommen, das hier sehr stark ist“.

Grüne jetzt auf TikTok

Nach Bundeskanzler Olaf Scholz ist ab diesem Montag auch die Partei Bündnis 90/Die Grünen auf TikTok vertreten.

Die Poltische Bundesgeschäftsführerin der Partei, Emily Büning, sagte unserem Kollegen Thorsten Denkler:

Ich freue mich sehr, dass wir heute mit unserem eigenen TikTok-Account an den Start gehen.

Emily Büning, Grüne © Elias Keilhauer

Neue Ansprache: Die Grünen hätten sich auf dieser Plattform „bewusst für eine neue Art der Ansprache entschieden und kommunizieren schneller, lockerer und bunter“. Damit wolle die Partei versuchen, insbesondere Jugendliche und Erstwähler anzusprechen. Büning:

Der Countdown bis zur Europawahl läuft – und wir starten ab heute voll durch: Wir machen, was zählt, und laden alle dazu ein, unsere Inhalte auf TikTok zu liken, zu kommentieren und zu teilen.

Kampf gegen Rechtsextreme: In einer Mitteilung der Partei heißt es weiter: „Neben Einblicken in unsere Arbeit sehen wir es auch als gesellschaftliche Aufgabe, diesen Raum zu besetzen und nicht den Populisten und Rechtsextremen zu überlassen.“

Es gelte, „falsche Informationen zu demaskieren, Lügen aufzudecken – und insbesondere unsere Politik verantwortungsbewusst, verständlich und ansprechend zu vermitteln“.

Mehr Bewegtbild: Die grüne Präsenz in den Sozialen Medien soll zudem videolastiger werden. Es sollen nicht nur klassische Politiker gezeigt werden, sondern auch einfache Parteimitglieder und Mitarbeiter.

SPD-Beleidigung wird wohl im Ältestenrat diskutiert

SPD-Ausraster: Vergangenen Freitag wurde der CDU-Abgeordnete Christoph Ploß während einer Debatte um das Mobilitätsdatengesetz im Bundestag beleidigt.

Christoph Ploß 

Der Tathergang: Der Grünen-Abgeordnete Stefan Gelbhaar hat in einer Zwischenfrage an den CDU-Abgeordneten Florian Müller auf etwaige Versäumnisse der Vorgänger-Regierung in der Verkehrspolitik hingewiesen. Müller-Fraktionskollege Ploß bemerkte per Zwischenruf, dass Olaf Scholz (SPD) damals Finanzminister gewesen sei. „Du bist so eine arme Sau“, tönte es daraufhin laut dem vorläufigen Protokoll der Sitzung aus den Reihen der SPD. Wer genau rief, ist noch unklar.

„Inakzeptabel“, nennt der parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Thorsten Frei, den Zuruf.

Ich gehe davon aus, dass diese Einschätzung auch in der Spitze der SPD-Fraktion geteilt wird. Wir behalten uns vor, den Vorgang im Ältestenrat zur Sprache zu bringen.

Kein E-Auto-Laden im Bundestag

Stromdiebstahl: In den Garagen innerhalb der Liegenschaften des Bundestags sollen zwei E-Autos ohne Genehmigung im Ladeprozess entdeckt worden sein. Das sagt uns die Bundestagsverwaltung, die den Vorgang aufdeckte.

Daraufhin sah sie sich gezwungen, intern an das grundsätzliche Ladeverbot von Elektrofahrzeugen wie E-Autos, E-Fahrrädern, Pedelecs und E-Scootern zu erinnern (wir berichteten).

Politiker im Stromspar-Modus: Auf die zunehmende Nutzung von Elektrofahrzeugen hat der Stromverbrauch im Bundestag jedoch keine Auswirkungen – dort sank der Verbrauch in den vergangenen Jahren sogar tendenziell.

Während in den Corona-Jahren 2020 und 2021 im Bundestag noch etwa 37.400 und 36.000 Megawattstunden Strom verbraucht wurden, waren es 2022 nur noch 35.000 und im Jahr 2023 noch 34.700.

Elektro-Auto © dpa

Ein Jahr Deutschland ohne Atomstrom

Am 15. April 2023 gingen die letzten deutschen Atommeiler vom Netz. Die Sorgen waren damals groß. Ist die Versorgung gesichert? Steigen die Strompreise? Verpasst Deutschland seine Klimaziele?

Unser Kollege Thorsten Denkler hat die sieben größten Befürchtungen identifiziert und Bilanz gezogen. Lesen Sie hier seine Analyse. Prädikat: bemerkenswert.

Atomkraft: Es geht gut ohne

Ein Jahr Deutschland ohne Atomstrom: Eine Bilanz der sieben größten Befürchtungen.

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Veröffentlicht von Thorsten Denkler.

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In weniger als zwei Monaten ist Europawahl. Die Vorfreude in der Bevölkerung: mäßig. Die Mehrheit der Deutschen hat laut ZDF-Politbarometer wenig oder kein Interesse an der Wahl.

Eine Infografik mit dem Titel: Wenig Interesse an der Europawahl

Umfrage: Interesse an der Europawahl, Antworten in Prozent

Von denen, die wählen gehen wollen, bevorzugen derzeit 30 Prozent CDU und CSU. SPD und AfD würden auf 16 Prozent kommen, die Grünen auf 15 Prozent.

Eine Infografik mit dem Titel: Europawahl: Union vorn

Umfrage: Wählerpräferenzen Mitte April für die Europawahl im Juni, Antworten in Prozent

Das war gestern und in der Nacht außerdem los:

  • Nach Angriff auf Israel: CDU-Chef Friedrich Merz ruft dazu auf, die Sanktionen gegen den Iran zu verschärfen. Der SPD-Außenpolitiker Michael Roth verlangt eine härtere Gangart der EU und Deutschlands gegenüber dem Iran. FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai forderte, die Sanktionen gegen das iranische Regime zu verschärfen und eine „andere Iran-Strategie“. Die Grünen-Vorsitzende Ricarda Lang forderte ein entschiedenes Vorgehen gegen den Iran. Es gehe um das Existenzrecht des jüdischen Staates.

  • China-Reise: Kanzler Olaf Scholz musste sein Programm in China wegen des iranischen Angriffs unterbrechen. Statt Bootsfahrt stand eine Besprechung der Staats- und Regierungschefs der G7 auf dem Plan. Ein Besuch des Hochtechnologiezentrums von Bosch in Chongqing fand statt.

Bundeskanzler Olaf Scholz im Bosch Technologiezentrum in Chongquing © Imago

Wer befindet sich heute wo und welche Termine sind noch relevant?

  • Tag zwei der Kanzler-Reise: Von Chongqing ist heute die Weiterreise in die Wirtschaftsmetropole Shanghai geplant. Morgen will der Kanzler in Peking Präsident Xi Jinping treffen. Die Minister Cem Özdemir, Volker Wissing und Steffi Lemke schließen sich ihm dann an.

  • Die Energieminister kommen morgen zu einem informellen Treffen in Brüssel zusammen.

  • Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger besucht die Awipev-Forschungsstation im norwegischen Spitzbergen zur Erforschung des Klimawandels.

  • Verkehrsminister Volker Wissing spricht auf der Singapore Maritime Week.

  • Die Expertenkommission der Bundesregierung gibt ihre Empfehlung für die Abtreibungsgesetzgebung ab. Im Vorfeld wurde bekannt, dass sie sich für eine Liberalisierung des Abtreibungsrechts ausspricht.

Auf – Philipp Amthor. Der CDU-Bundestagsabgeordnete ist zum neuen Generalsekretär seiner Partei in Mecklenburg-Vorpommern gewählt worden – mit einem Ergebnis von 93,9 Prozent. Er sagte, Ziel müsse es sein, die rot-rote Regierung in Schwerin und die Ampel in Berlin abzulösen. Ganz nach dem Motto: Schluss mit Schabernack!

Ab – Aydan Özoğuz. Die Bundestagsvizepräsidentin irritiert mit Aussagen zum iranischen Raketen-Angriff auf Israel. Statt den Iran zu verurteilen, gab sie Israel eine Mitschuld: „Warum musste diese Situation noch provoziert werden?“, schrieb sie auf X, löschte den Post aber nach Kritik wieder. Der CDU-Politiker Matthias Hauer fordert jetzt ihren Rücktritt. Immerhin: Wir wissen jetzt, wie sie wirklich denkt.

Detlev Schulz-Hendel, Grünen-Fraktionsvorsitzender im niedersächsischen Landtag, 62

Matthias Wissmann, ehemaliger Verkehrsminister, 75

Wir wünschen Ihnen einen elanvollen Start in diesen Donnerstag!

Herzlichst,

Ihre

Pioneer Editor, Leiterin „Hauptstadt – Das Briefing“
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