AfD-Prozess

Verfassungsschutz macht Politik

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Guten Morgen,

unsere Themen heute:

  • Mit dem Verfassungsschutz wird Politik gemacht – eine Sieben-Punkte-Analyse.

  • Taurus und Geofencing: Wo das Problem von Scholz wirklich liegt.

  • Die Union rückt von ihrem Veto gegen das Wachstumschancengesetz ab – wenn die Bauern kriegen, was sie fordern. Wir wissen, was.

  • Die Ampel streitet über die Frage, was einen guten Steuerberater ausmacht.

  • Wir kennen die Konsequenzen des AfD-Eklats im Gesundheitsausschuss.

  • Norbert Röttgen hat sich einen Schlagabtausch mit dem Kanzler geleistet. Warum er hinter der Taurus-Lieferung steht, sagt er uns.

Beim Prozess in Münster geht es vordergründig darum, ob der Verfassungsschutz (VS) die AfD mit geheimdienstlichen Mitteln beobachten darf.

Im Hintergrund steht jedoch eine generelle politische Frage: Soll die Regierung die Möglichkeit haben, die Opposition mithilfe des VS auszuspionieren? Dazu sieben Punkte:

1) Sowas gibt es nur in Deutschland. In keiner anderen modernen liberalen Demokratie gibt es eine vergleichbare Institution wie den VS. „In den USA, Großbritannien, Frankreich oder der Schweiz wäre es undenkbar, dass ein Inlandsgeheimdienst die eigenen Bürger und sogar die Opposition ganz offiziell ausspionieren darf“, sagt Rechtswissenschaftler Volker Boehme-Neßler unserem Kollegen Jan Schroeder.

2) VS-Beamte tragen Parteibuch: Die leitenden Beamten unterstehen den Innenministerien von Bund und Ländern. Sie können jederzeit versetzt oder in den Ruhestand geschickt werden. Während in Bayern unter CSU-Ägide die Linkspartei noch unter Beobachtung steht und in einzelnen Fällen eine Mitgliedschaft bei der Einstellung in den Staatsdienst für Bewerber zum Fallstrick wird, gilt sie im links-regierten Thüringen als völlig unbedenklich.

Horst Seehofer © imago

3) Der VS wird vom Innenministerium beeinflusst. Der Jurist Ronen Steinke kommt in seinem vielbeachteten Werk „Verfassungsschutz – wie der Geheimdienst Politik macht” zu einem folgenschweren Schluss: Die Innenminister der Länder mischen sich ein. Bei der Einstufung der AfD als „rechtsextremer Verdachtsfall“ im Jahr 2021 pfuschte wohl CSU-Ex-Innenminister Horst Seehofer ins Gutachten, wie Steinke in seinem Buch beschreibt. Eine Äußerung von AfD-Politikern, die der VS als „verfassungsfeindlich“ klassifizierte, war so auch von Seehofer selbst getätigt worden.

4) Der VS ist nur scheinbar neutral: Wenn die „Hüter der Demokratie“ zu dem Schluss kämen, die AfD sei eine gesichert rechtsextreme Partei, dann gilt das in der Öffentlichkeit wie eine Art amtliches Siegel. Hieb- und stichfest durchdekliniert wie ein Gerichtsurteil. So beeinflusst der VS den demokratischen Wettbewerb.

5) Der VS kann antidemokratisch umfunktioniert werden: Die Gefahr einer AfD-Einflussnahme sprach AfD-Anwalt Christian Conrad in Münster selbst an. „Stellen Sie sich vor“, sagte er, „die AfD oder die Linkspartei wären an der Regierung und würden über die Besetzung des Verfassungsschutzes verfügen“. Die AfD müsste an der Macht keine Gesetze verändern, sondern könnte Mittel der „wehrhaften Demokratie“ dazu verwenden, diese zu demolieren. Weniger riskant wäre, die Verfassung gäbe keiner Regierung die Möglichkeit, einen Geheimdienst auf die Opposition anzusetzen.

6) Der VS überschreitet Grenzen. Seit 2021 gibt es beim Verfassungsschutz einen Phänomenbereich „Delegitimierung des Staates“. Damit werde absolut zulässige Regierungskritik in eine extremistische Ecke gestellt, so Rechtswissenschaftler Boehme-Neßler. Der Verfassungsrechtler hält dieses Vorgehen des VS für nicht grundgesetzkonform:

Innenministerin Nancy Faeser und Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang haben hier die Grenze zum autoritären Staat überschritten.

Nancy Faeser bei der Islamkonferenz in Berlin © dpa

7) Der VS sät Misstrauen: Nur durch Kritik wird eine Regierung dazu gebracht, regelmäßig ihre Politik zu überdenken. Je „härter die Gangart“ des VS, desto eher entsteht der Eindruck, Grundrechte und Demokratie gelten nur, solange es denen an der Macht passt. Kurzum: Der Verfassungsschutz erzeugt die Demokratie- und Verfassungsskepsis zu einem gewissen Teil mit, die er dann vorgibt, zu bekämpfen.

Fazit: Gegen die AfD hilft nur eine bessere Politik.

Geofencing, Taurus und die Bedenken des Scholz

Sowohl dem Kanzleramt als auch dem Verteidigungs-, dem Wirtschafts- und dem Finanzministerium liegen Unterlagen des deutsch-schwedischen Herstellerkonsortiums MBDA vor, wonach die Ukraine mit Geofencing daran gehindert werden kann, den Marschflugkörper Taurus auf Ziele in Russland anzusetzen. Das hört unser Kollege Thorsten Denkler.

Ein Kampfjet Tornado IDS ASSTA 3.0, bestückt mit dem Lenkflugkörper Taurus © dpa

So funktioniert’s: Wird das russische Staatsgebiet softwareseitig gesperrt, dann könnten dem Taurus auch keine Ziele dort einprogrammiert werden. Russland sei dann für den Taurus nicht existent. Die Beteiligung deutscher Soldaten sei nicht mehr nötig.

Das große Aber: Aus dem Verteidigungsministerium hören wir, dass Geofencing grundsätzlich möglich sei. Das alleine aber gebe nicht das ganze Bild wieder. Es würden dennoch deutsche Soldaten gebraucht. Warum, das könne aus Geheimhaltungsgründen nicht weitergegeben werden.

Fabian Hoffmann, Experte für Marschflugkörper im Nuclear Project (ONP) der Universität Oslo, hat dafür eine mögliche Erklärung:

Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass sofwareseitige Sperren wie ein Geofencing umgangen werden. Auch wenn das sehr unwahrscheinlich ist.

Wie wir hören, ist das auch das Ergebnis eines kürzlichen Treffens mit MBDA-Vertretern im Kanzleramt gewesen. Das könnte einer der Gründe sein, weshalb der Kanzler dabei bleibt, dass Kontrolle nur mit Beteiligung deutscher Soldaten möglich sei.

Ampel und Union rechnen mit Wachstumspaket

Der Bundesrat wird dem Drei-Milliarden-Entlastungspaket aller Wahrscheinlichkeit nach am 22. März zustimmen können. Davon gehen Insider bei der Ampel und Opposition aus, wie wir hören.

Der Kompromiss: Die Bundesregierung müsse Einsparmaßnahmen für die Landwirte in gleicher Höhe der Subventionskürzung beim Agrar-Diesel (440 Millionen Euro) glaubhaft in Aussicht stellen.

Aus Unionskreisen heißt es: Wenn die Bauern zufrieden sind, sind wir es auch. Finanzminister Christian Lindner arbeitet bereits an Entlastungsmaßnahmen. Ein Papier des Bauernverbands mit den Forderungen an die Politik, das uns exklusiv vorliegt, zeigt, in welche Richtung die gehen könnten:

  • Tarifglättung: Die Steuergesetzgebung gewährleistet den Landwirten „eine ausgeglichene tarifliche Besteuerung aufeinanderfolgender guter und schlechter Wirtschaftsjahre“ – zuletzt für den Zeitraum 2020 bis 2022. Das Instrument habe sich „bewährt“. Es bestehe „dringender Handlungsbedarf“, diese Regelung „zu entfristen“.

  • Gewinnrücklage: Zur Stärkung der betriebseigenen Risikovorsorge und um die Betriebe in die Lage zu versetzen, sich für Krisen besser aufzustellen, „bedarf es im Weiteren einer steuerlichen Gewinnrücklage für die Landwirtschaft“.

  • Umsatzsteuer: Für landwirtschaftliche Produkte gilt ein ermäßigter Umsatzsteuersatz, wenn der Gesamtumsatz des Hofs nicht mehr als 600.000 Euro beträgt. Geplant ist eine weitere Absenkung des Pauschalierungssatzes von derzeit neun auf 8,4 Prozent. „Diese Absenkung ist ausdrücklich abzulehnen.“

Finanzminister Christian Lindner © imago

AfD-Eklat im Gesundheitsausschuss hat Konsequenzen

Es ist ein bisher wohl einmaliger Eklat: Nach Angaben von Teilnehmern hat der AfD-Abgeordnete Kay-Uwe Ziegler am Mittwoch im Gesundheitsausschuss den Platz des Vorsitzenden besetzt und sich mit einem mitgebrachten Namensschild selbst zum neuen „Vorsitzenden“ des Ausschusses erklärt.

Weitere AfD-Mitglieder hätten dann einen Brief „an die Mitglieder des Gesundheitsausschusses“ verteilt, in dem es heißt, in der „heutigen Sitzung“ werde „der durch unsere Fraktion bestimmte Vorsitzende, Kay-Uwe Ziegler, den Vorsitz übernehmen“. Erst als die Polizei gerufen wird, habe Ziegler seinen Platz geräumt.

Hintergrund: In den Ausschüssen, in denen die AfD rechnerisch Anspruch auf einen Vorsitz hätte, finden deren Kandidaten regelmäßig keine Mehrheit. Die stellvertretenden Vorsitzenden übernehmen dann die kommissarische Leitung.

Grünen-Politikerin Irene Mihalic © Imago

Der Vorgang wird ein Nachspiel im Ältestenrat des Bundestages haben. Das sagt die parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen, Irene Mihalic, unserem Kollegen Thorsten Denkler. Der AfD wirft sie vor:

Sie wollen nach der Macht greifen, obwohl es keine demokratischen Mehrheiten für sie gibt. Historische Assoziationen werden ganz bewusst in Kauf genommen.

Das Verhalten der AfD sei „eine Blaupause für den nächsten Schritt einer rasanten Radikalisierung, in der nun auch demokratische Wahlen nicht mehr anerkannt werden“.

Thorsten Frei, Parlamentarischer Geschäftsführer der Unionsfraktion.  © imago

Thorsten Frei, Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der Unionsfraktion, erklärt:

Der AfD fehlt es an Respekt vor dem Parlament.

Mit ihren „Tabuverletzungen wollen sie den regulären Betrieb im Deutschen Bundestag offensichtlich auf die Probe stellen“. Die AfD aber „täuscht sich, wenn sie glaubt, die parlamentarischen Verfahren ernsthaft stören zu können“.

Streit um Steuerberater

Das Steuersachen-Hilfeleistungsgesetz würde in normalen Zeiten wenig Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Nun ist an dem Entwurf aber ein Ampel-Streit entbrannt. Die für heute vorgesehene Abstimmung des Gesetzes im Bundestag ist von der Tagesordnung abgesetzt worden – schon das zweite Mal in diesem Jahr.

Habeck, Scholz und Lindner © dpa

Der Hintergrund: Wie unser Kollege Christian Schlesiger hört, verhaken sich die Partner in Details. Grüne und SPD wollen erlauben, dass auch weniger qualifizierte Berufsgruppen wie Bilanzbuchhalter oder Kaufleute Steuerberateraufgaben übernehmen können.

Die FDP lehnt das ab. Ein Vorschlag der Liberalen, dass Nicht-Steuerberater allenfalls Umsatzsteuervoranmeldungen übernehmen könnten, ist von den Sozialdemokraten und Grünen abgeschmettert worden. Das Gesetz geht nun in die nächste Verhandlungsrunde.

Röttgen: „Es geht um das Schicksal Europas.“

Über die Gründe des Kanzler-Neins zum Taurus lieferte sich der CDU-Außenexperte Norbert Röttgen in der gestrigen Regierungsbefragung einen deftigen Schlagabtausch.

Warum? Röttgen ist fest davon überzeugt, die Marschflugkörper sollten an die Ukraine geliefert werden. Seine Gründe führt er im Interview mit Gabor Steingart aus. Er sagt:

Moralisch lassen wir das angegriffene, unschuldige Land im Stich.

Das ganze Interview in schriftlicher Form finden Sie hier.

„Wer den Krieg verbannen will, der muss ihn zum Scheitern bringen.“

Norbert Röttgen zur Lage in der Ukraine und in Nahost.

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Veröffentlicht von Gabor Steingart.

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Das war am Tag und in der Nacht außerdem los:

  • Solarpaket: Das „Solarpaket 1“ kann wohl nicht mehr vor Ostern vom Bundestag verabschiedet werden. Am Mittwoch hatte der Klima- und Energie-Ausschuss nicht die dafür nötige Anhörung beschlossen, die in der kommenden Woche hätte stattfinden sollen.

  • Kriminalität: Das Kabinett hat Regeln für V-Leute beschlossen. Die Vorschriften legen erstmals detailliert fest, wie die verdeckten Ermittler in kriminellen Milieus oder Extremisten-Kreisen operieren sollen.

  • Streik: Verdi verlängert die Streiks des Luftsicherheitspersonals bis Freitag und weitet den Streikaufruf auf weitere Flughäfen aus.

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Europäisches Parlament am 14.06.2023 © dpa

Wer befindet sich heute wo und welche Termine sind noch relevant?

  • Im Bundestag wird über den dritten Unions-Antrag zur Taurus-Lieferung an die Ukraine abgestimmt. Über die Gemengelage berichteten wir.

  • Außerdem debattieren die Abgeordneten über die Empfehlungen des ersten Bürgerrats zur Ernährungspolitik.

  • Kanzler Olaf Scholz empfängt die Premierministerin Litauens, Ingrida Šimonytė. Auf der Tagesordnung stehen bilaterale, europa-, sicherheits- und wirtschaftspolitische Fragen.

  • Landwirtschaftsminister Cem Özdemir nimmt an der Agrarministerkonferenz teil.

  • Verkehrsminister Volker Wissing reist nach Italien zum G7-Digitalministertreffen.

  • Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger eröffnet die Veranstaltungsreihe „Frauengesundheit im Fokus“.

Auf – Wolodymyr Selenskyj. Mindestens fünf Milliarden Euro an EU-Hilfen sind der Ukraine sicher. Das Finanzierungs-Paket hat die EU gestern nach langen Diskussionen beschlossen. Auf die Unterstützung der USA folgt nun auch die Hilfe der EU. Ein dringend benötigter Hoffnungsschimmer!

Ab – Sahra Wagenknecht. Von den zehn BSW-Abgeordneten war kein einziger in der gestrigen Regierungsbefragung des Kanzlers anwesend. Dabei ging es doch um Themen (Stichwort Taurus), die das Anti-Waffenlieferungen-Bündnis durchaus angehen sollte. Ein parlamentarisches Trauerspiel.

Heute gratulieren wir herzlich:

Boris Pistorius (SPD), Bundesverteidigungsminister, 64

Florian Hahn, CSU-Bundestagsabgeordneter, 50

Heiko Miraß (SPD), Parlamentarischer Staatssekretär in der Staatskanzlei von Mecklenburg-Vorpommern, 57

Thomas Smollich, Staatssekretär im niedersächsischen Justizministerium, 61

Wir wünschen Ihnen einen elanvollen Start in diesen Donnerstag!

Herzlichst,

Ihre

Pioneer Editor, Leiterin „Hauptstadt – Das Briefing“
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